Heft 6 : Willkommen in der bunten Welt der Sanktionen
freispruch # 6 | februar 2015 | das ganze Heft als PDF-Download
Eigentlich sollte der Schwerpunkt dieser Nummer erneut auf der Reform des Strafverfahrens liegen. Seit Herbst 2014 tagt die sog. Expertenkommission des BMJV zum Strafprozess, zu der auch die Strafverteidigervereinigungen einen Vertreter entsandt haben. Passend dazu steht auch der kommende Strafverteidigertag unter dem Titel ‚Welche Reform braucht das Strafverfahren?‘. Reformen aber tun in allen Bereichen des Strafrechts - vom materiellen Strafrecht über das Verfahrensrecht bis hin zum Strafvollzugsrecht - Not. Daher kann die Suche nach Lösungen nicht auf das Strafverfahren beschränkt bleiben.
Mitten hinein in die Vorbereitungen dieser Ausgabe brachen dann die Attentate von Paris - gegen die Zeitung Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt. Die Täter waren noch auf der Flucht, da wurden die ersten Stimmen laut, die forderten, die Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen. Ausgerechnet. Frankreich hat die Vorratsdatenspeicherung, geholfen hat sie nicht. Macht nichts, etwas besseres war eben nicht zur Hand.
Das ist vorerst so geblieben - es scheint, als fiele den Sicherheitspolitikern nicht mehr viel ein, was noch einigermaßen verfassungskonform wäre. Nicht einmal dem ehemaligen Strafverteidiger Otto Schily, dem wir immerhin einige der Anti-Terrorparagraphen zu verdanken haben. Seine ‚Otto-Pakete‘ seien gut und richtig, erklärte er nach den Anschlägen mal wieder der Presse, es gebe keinen Widerspruch zwischen Freiheit und Sicherheit und ‚die Muslime‘ müssten sich deutlicher vom
Extremismus abgrenzen. Das ist nicht eben originell. Aber das sind Sicherheitspolitiker selten.
Wirklich neu wäre es, hätte einer von ihnen einmal Vorschläge für eine nicht-repressive Prävention zu bieten. Die würde im Gegensatz zur Vorratsdatenspeicherung auch wirklich gebraucht. An wen bspw. wendet sich ein Lehrer, der beobachtet, dass einer seiner Schüler zum Islamisten wird? Mehr als eine Broschüre vom Verfassungsschutz hat die Bildungsverwaltung da in der Regel nicht zu bieten.
Bleibt der Staatsschutz. Wie es um den resp. das Staatsschutzstrafrecht bestellt ist, davon handelt der erste Teil dieser Ausgabe.
Thomas Uwer &
Jasper von Schlieffen
Die Ratlosigkeit der Terrorbekämpfer
Dem Gesetzgeber gehen nach den Anschlägen von Paris die Ideen aus: Die Strafbarkeit in Staatsschutzverfahren ist schon längst ins Vorvorfeld der Vorbereitung vorverlagert, wer Terrorist ist und wer Freiheitskämpfer entscheidet die Regierung nach strategischem Ermessen. Den Stand der (strafrechtlichen) Terrorbekämpfung beschreibt Thomas Uwer
Die Welt als Vorfeld
Mit dem § 129b StGB wurde der Anwendungsbereich des deutschen Staatsschutzstrafrechts tendenziell weltweit ausgedehnt - mit schwerwiegenden Folgen für das Verfahren. von Stephan Kuhn
Sorry, I have
to sentence you
In den Staatsschutzverfahren wegen Unterstützung der tamilischen »Befreiungstiger« macht sich regelmäßig Unwohlsein auch unter Richtern breit. Wie schmal der juristische Grad zwischen »Befreiungsbewegung« und »terroristischer Vereinigung« ist, zeigt am Beispiel der LTTE-Verfahren Axel Nagler
Die Ersatzfreiheitsstrafe muss weg!
§ 43 StGB ist ein Armutszeugnis in Gesetzesform. Die Ersatzfreiheitsstrafe ist mit rechtsstaatlichen Grundsätzen des Strafvollzugsrechts nicht vereinbar. Sie gehört daher abgeschafft, meinen Kai Guthke und Lefter Kitlikoglu
Ehrenrecht und
Wahlrechtsentzug
»Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen«. An der demokratischen Mitgestaltung der Lebensumwelt, in die der Gefangene entlassen wird, sollen aber nicht alle mitwirken. Strafgefangenen und nach
§ 63 StGB Untergebrachten kann das Wahlrecht abgesprochen werden. Die Regelungen sind ein Relikt des Ehrenrechts, das den »Täter in seiner Ehre« treffen und ihm den Anspruch auf soziale Geltung »entziehen« soll.
von Dr. Jan Oelbermann
Zwangsverteidigung
Dass der Zwangsverteidiger immer noch kein Auslauf-modell ist, liegt auch daran, dass sich Anwälte darauf
einlassen. Eine Kritik von Ricarda Lang
Kennzeichungspflicht für Polizeibeamte
Noch immer besteht nicht in allen Bundesländern eine
Kennzeichnungspflicht für uniformierte Polizeibeamte in
geschlossenen Einheiten; unabhängige Beschwerdestellen
existieren bisher überhaupt nicht. Der Menschenrechtskommissar des Europarats und das UN-Antifolter-Komitee haben Deutschland für diesen Zustand, der gegen
völkerrechtliche Pflichten verstößt, wiederholt gerügt.
von Marco Noli
Fair Trials International
Die NGO Fair Trials kämpft europaweit für faire Verfahren. Jemima Hartshorn stellt die Organisation vor.
zweifelsfrei
Ein Theaterstück aus der Schwurgerichtskammer. von Jochen Thielmann