Strafverteidigertag Rechtspolitik

Ehrenrecht und Wahlrechtsentzug

»Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen«. An der demokratischen Mitgestaltung der Lebensumwelt, in die der Gefangene entlassen wird, sollen aber nicht alle mitwirken. Strafgefangenen und nach § 63 StGB Untergebrachten kann das Wahlrecht abgesprochen werden. Die Regelungen sind ein Relikt des Ehrenrechts, das den »Täter in seiner Ehre« treffen und ihm den Anspruch auf soziale Geltung »entziehen« soll. von Dr. Jan Oelbermann

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Zum Thema Reformen in Strafrecht fällt jedem etwas ein. Nur wenige aber würden dabei ausgerechnet an das Wahlrecht denken. Dabei besteht ein seit langem reformbedürftiger Zusammenhang zwischen dem Strafrecht und dem Wahlrecht: in § 45 StGB und in den §§ 13, 15 Bundeswahlgesetz (BWahlG) sind Möglichkeiten geregelt, Verurteilten das Wahlrecht abzusprechen. Die Regeln sind Überreste dessen, was früher einmal als bürgerliches Ehrenrecht bezeichnet wurde und gehören abgeschafft.

Bei diesen Regelungen ist zunächst zwischen dem Eingriff in das aktive Wahlrecht - das Stimmrecht - und das passive Wahlrecht - das Recht gewählt zu werden - zu unterscheiden. § 13 BWahlG regelt in Nr. 1, dass derjenige vom aktiven Wahlrecht ausgeschlossen ist, der »infolge Richterspruchs sein Wahlrecht« nicht besitzt. Nach § 13 Nr. 3 BWahlG ist derjenige vom Wahlrecht ausgeschlossen der »sich auf Grund einer Anordnung nach § 63 in Verbindung mit § 20 des Strafgesetzbuches in einem psychiatrischen Krankenhaus befindet«.
Der Ausschluss vom passiven Wahlrecht findet sich in § 15 BWahlG. Danach ist u.a. nicht wählbar »wer infolge Richterspruchs die Wählbarkeit oder die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter nicht besitzt«. Der Hauptanwendungsfall dieses »Richterspruchs« findet sich in § 45 Abs. 1 StGB. Danach verliert derjenige, der »wegen eines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wird für die Dauer von fünf Jahren die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden und Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen«. Dieser Verlust des passiven Wahlrechts tritt automatisch ein, ohne dass dies besonders ausgesprochen werden muss. In § 45 Abs. 2 StGB ist noch eine weitere Möglichkeit vorgesehen die »in Absatz 1 bezeichneten Fähigkeiten« abzuerkennen, wenn dies im Gesetz besonders vorgesehen ist. Ein Beispiel dafür ist etwa eine Regelung in § 264 Abs. 6 StGB. Bei der Aberkennung nach § 45 Abs. 2 StGB muss dies besonders im Urteil ausgesprochen werden, sie tritt nicht automatisch ein.

Die Zahl der Aberkennungen des aktiven Wahlrechts nach § 45 Abs. 5 StGB dürfte verschwindend gering sein, sie lässt sich jedoch nicht genau bestimmen. Das statistische Bundesamt erhebt die Zahlen für die Aberkennung nach § 45 Abs. 5 StGB nur zusammen mit den Zahlen der Aberkennung des passiven Wahlrechts nach § 45 Abs. 2 StGB. Die aktuellsten Zahlen liegen vor über das Jahr 2012. In diesem Jahr fanden die Regelungen einmal Anwendung. Im Jahr 2011 gab es zwei, im Jahr 2010 drei und im Jahr 2009 keinen einzigen Fall.|1 Die Aberkennung in den o.g. Fällen erfolgte jeweils aufgrund von Delikten gegen den Staat, die öffentliche Ordnung oder aufgrund von Amtsdelikten.|2

Ungleich häufiger wird das Wahlrecht als Folge einer Verurteilung nach § 63 i.V.m. § 20 StGB aberkannt. Nach der entsprechenden Regelung im BWahlG ist vom Wahlrecht ausgeschlossen, wer sich aufgrund einer entsprechendem Anordnung in einem psychiatrischen Krankenhaus befindet. Diese Regelung kränkt an mehreren Stellen. Zum einen ist kein direkter Zusammenhang zwischen der Anordnung und der Verurteilung zu sehen. So wird nicht klar, ob der Gesetzgeber davon ausgeht, dass die Personen nicht in der Lage seien, eine hinreichend fundierte Wahlentscheidung zu treffen oder aber ob er davon ausgeht, dass der Betroffene es nicht mehr verdiene zu wählen. Zum anderen kann dies zu nicht hinnehmbaren Ergebnissen führen. So müssen die Strafgerichte z.B. wenn sie sowohl eine verminderte (§ 21 StGB) als auch eine unverminderte Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) nicht ausschließen können nach dem Grundsatz in dubio pro reo vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 StGB ausgehen. Damit erkennen sie jedoch gleichzeitig der betroffenen Personen – ebenfalls in dubio pro reo – das Wahlrecht ab. Ebenfalls kann in dieser Konstellation mangels Beschwer das strafrechtliche Urteil nicht mit der Begründung angefochten werden, dass das Gericht »nur« die Voraussetzungen des § 21 StGB hätte annehmen dürfen und das Wahlrecht damit hätte erhalten bleiben müssen. Schließlich ist die Formulierung in § 13 Nr. 3 BWahlG, dass derjenige vom Wahlrecht ausgeschlossen ist, der sich in einem psychiatrischem Krankenhaus »befindet« insofern zumindest irreführend. Danach müsste man davon ausgehen, dass derjenige, der sich z.B. am Wahltag im Rahmen eines Ausgangs außerhalb des Klinikgeländes befindet, an der Wahl teilnehmen könnte. Dies ist jedoch tatsächlich nicht der Fall und könnte in der Praxis auch kaum umgesetzt werden, weil dann bei der Erstellung des Wählerverzeichnisses immer geprüft werden müsste, wer sich am Wahltag räumlich tatsächlich im Maßregelvollzug befindet.

Den häufigsten Eingriff in das Wahlrecht stellt § 45 Abs. 1 StGB dar, wonach derjenige für die Dauer von fünf Jahren sein passives Wahlrecht verliert, der wegen eines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wird. Die wenigsten Verurteilten mögen zwar ein politisches Mandat innehaben, jedoch sind auch weitere Folgen an den Verlust der Wählbarkeit geknüpft. Zum Beispiel ist in diesem Falle auch die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen (§ 7 Nr. 2 BRAO). Auch endet das Beamtenverhältnis mit einer entsprechenden Verurteilung (§ 41 Abs. 1 Bundesbeamtengesetzt). Darüber hinaus drohen weitere, weniger bekannte Konsequenzen, deren Sinn und Zweck kaum nachvollzogen werden kann. So endet die Mitgliedschaft in einer politischen Partei mit einer entsprechenden Verurteilung (§ 10 Abs. 1 Satz 4 PartG). Auch finden sich in den Landespressegesetzen Vorschriften nach denen verantwortlicher Redakteur nur sein kann, wer die Fähigkeit besitzt, öffentliche Ämter zu bekleiden.

Diese Regelungen in § 45 StGB gehen zurück auf die bürgerlichen Ehrenrechte, wie diese Normen bis zur ersten Strafrechtsreform hießen. Hintergrund des Ehrenstrafrechts ist, dass nach der gängigen Vorstellung bis Mitte des 20. Jahrhunderts der straffällig gewordene Bürger kein vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft mehr ist. Er habe sich durch die Tat quasi aus dem Gemeinwesen verabschiedet. Ein Gedanke, der heute - zumindest in der Rechtswissenschaft - nicht mehr vertreten werden kann, sollen Gefangene doch nicht dauerhaft aus der Gesellschaft ausgeschlossen, sondern zu einem straffreien Leben innerhalb der Gesellschaft befähigt werden.

Im Rahmen der Strafrechtsreform wurde auch die Frage des Ehrenstrafrechts umfassend diskutiert, doch der Ansatz, auf die entsprechenden Regelungen zum Ausschluss vom Wahlrecht zu verzichten, konnte sich nicht durchsetzen. Es blieb als Ziel, durch die Ehrenstrafe »ein gesteigertes soziales Unwerturteil über die Tat und damit über den Täter zum Ausdruck zu bringen«. »Die Ehrenstrafe ist eine Strafe, die dem Täter in seiner Ehre, das heißt seinem Anspruch auf soziale Geltung treffen soll, indem sie ihm diesen Anspruch auf soziale Geltung überhaupt aberkennt, ihm gewisse Voraussetzungen der Geltung entzieht oder ihm auf andere Weise die Minderung seiner sozialen Geltung fühlen lässt. Voraussetzung der Aberkennung oder Minderung ist sinngemäß, dass der Täter der sozialen Geltung nicht würdig erscheint, dass er seinen Anspruch darauf ganz oder zum Teil verwirkt hat.« Auch sollen die Ehrenstrafen die »Reinhaltung gewisser Rechtskreise und Berufsstände [bewirken]«. Manchen Stimmen in der Kommission waren Fälle vorstellbar, in denen sich jemand in einer Weise gegen die demokratische Ordnung vergangen habe, dass selbst die Ausübung demokratischer Minimalrechte unerträglich sei.|3

Kritik an den ehrenstrafrechtlichen Regelungen kam auch damals schon aus zwei Richtungen: Zum einen seien die Voraussetzungen zu unbestimmt und könnten politisch missbraucht werden; zum anderen stehe der Entzug der Ehre im Widerspruch zum Ziel der Resozialisierung. Bei der Resozialisierung gehe es darum, den Täter zu bessern. Dabei müsse notwendigerweise an sein Wert- und Ehrgefühl appelliert werden, was aber schlecht möglich sei, wenn ihm gleichzeitig die Ehre absprechen würde. Bei der Resozialisierung gehe es ferner um die Wiedereingliederung in die Gesellschaft, so dass es widersprüchlich sei, einem Verurteilten die Teilhabe an dieser Gesellschaft vorzuenthalten. Zudem seien die Ehrenstrafen nicht mit dem generalpräventiven Strafzweck unter einen Hut zu bringen. Den Betroffenen treffe es regelmäßig nicht, ob man nun die Ehrenrechte aberkenne oder nicht. Dem Argument der »Reinhaltung« wurde entgegengehalten, dies sei nicht Aufgabe des Strafrechts, sondern eine Frage der Disziplinar- und Standesgerichtsbarkeit.|4 Auch wurde schon damals gesehen, dass man mit der Ausübung des Stimmrechts keine Gefahr für den Staat bilden könne. Der Wähler sei lediglich in der Lage, an der Bildung des Gesamtwillens mitzuwirken. »Dieser Gesamtwille wird durch eine Gruppe von Kriminellen nicht wesentlich beeinflusst.«|5

Auch heute gibt es noch keine befriedigende Antwort auf die Frage, wie sich die Aberkennung des Wahlrechts mit den gängigen Strafzwecken verbinden lässt. Weiter wird als Hauptzweck die Reinhaltung öffentlichen Lebens propagiert.|6 In der Gesetzesbegründung des Bundestags heißt es, dass der Gesetzgeber das Ziel verfolge erheblich straffällige gewordene Personen von der Wahrnehmung besonderer Aufgaben im Gemeinschaftsleben fernzuhalten.|7 Die Kritik an den Regelungen ist zwar nicht laut, sie werden überwiegend als traditionelle Begrenzung hingenommen. Sofern sie noch kritisiert werden, dann als ein historisches Relikt des Ehrenstrafrechts und als ein »mit verbundenen Augen gegen den Täter geführter Schlag«.|8

Hinsichtlich der automatischen Aberkennung des passiven Wahlrechts stellt sich in erster Linie die Frage nach dem Sinn, zumal geschätzten 99,99 Prozent der von der Regelung des § 45 Abs. 1 StGB betroffenen die Folge unbekannt bleiben wird. Auch wird es wohl kaum einen Richter oder Strafverteidiger geben, der in der Urteilsbegründung bzw. der Urteilnachbesprechung auf die Konsequenzen aus § 45 Abs. 1 StGB hinweist. Sofern es einen legitimes Interesse an der Integrität gewisser Berufszweige gibt, ist es nicht die Aufgabe des Strafgerichts diese zu gewährleisten.

Die Aberkennung des aktiven Wahlrechts kann indessen überhaupt nicht begründet werden. Zum einen hat die einzelne Stimmabgabe nahezu keinen Einfluss auf das Ergebnis von Bundes- bzw. Landtagswahlen. Diese sind nicht mandatsrelevant und können so auch keine Gefahr für den Staat darstellen, zumal dieser verfassungswidrige Parteien verbieten kann. Soweit argumentiert wird, dass dies vielleicht für die genannten Wahlen gelte, aber nicht für Wahlen in Körperschaften und Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, so ist dem entgegenzuhalten, dass dafür nicht das Wahlrecht für die Wahl der Volksvertreter geopfert werden darf und dies z.B. über einen Änderung des § 45 Abs. 5 StGB erreicht werden kann, wonach nur noch vom Wahlrecht in solchen öffentlichen Institutionen ausgeschlossen wird. Auch hier aber gilt, dass dies wohl kaum die Aufgabe des Strafrechts sein kann. Die Ausgrenzung gewisser Tätergruppen aus der Gesellschaft steht dem Ziel der Freiheitstrafe, der Befähigung des Gefangenen künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Strafen zu führen, wie er in § 2 Satz 1 StVollzG legal definiert ist, entgegen.

Es gibt also keinen nachvollziehbaren Grund für die Beibehaltung der Regelungen des § 45 StGB soweit sie das Wahlrecht betreffen. Der Ausschluss vom Wahlrecht stellt ein historisches Relikt des Ehrenstrafrechts dar und gehört abgeschafft. Er ist unter keinen der heute vertretenen Strafzwecke zu subsumieren. Er schützt keine Rechtsgüter und entfaltet keinerlei generalpräventive Wirkung. Zudem wird die fakultative Regelung der § 45 Abs. 2 und 5 StGB kaum noch angewendet. In den letzten vier Jahren bundesweit sechs Mal.

Die Regelungen zum Ausschluss des Wahlrechts derjenigen, die sich nach § 63 i.V.m. § 20 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus befinden gehört ebenfalls gestrichen. Auch hier sind keine Argumente ersichtlich, die diesen ggf. sogar lebenslangen Wahlrechtsentzug rechtfertigen.

Dr. Jan Oelbermann arbeitet als Strafverteidiger in Berlin und ist Mitlgied in der Vereinigung Berliner Strafverteidiger.
Zum Thema Wahlrechtsentzug ist von ihm 2011 das Buch Wahlrecht und Strafe. Die Wahl aus dem Justizvollzug und die Aberkennung des Wahlrechts durch das Strafgericht erschienen (ISBN: 978-3-8329-6861-8)

Anmerkungen:

1 : Statistisches Bundesamt (StBA), Fachs. 10, Reihe 3, 2012 , S. 362; StBA, Fachs. 10, Reihe 3, 2011 , S. 346; StBA, Fachs. 10, Reihe 3, 2010, S. 354; StBA, Fachs. 10, Reihe 3, 2009 , S. 358
2 : ebenda
3 : Gallas, in: Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtsreform, 1. Band, Grundsatzfragen, 1. – 13. Sitzung, S. 217 ff.
4 : ebenda
5 : ebenda, S. 227 f.
6 : Nelles JZ 1991, 17, 23
7 : BT.Drs 5/5094 S. 15 ff.
8 : Theune, in LK vor §§ 45, 45b Rn. 5

Dr. Jan Oelbermann: Ehrenrecht und Wahlrechtsentzug, in: Freispruch, Heft 6, Februar 2015

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