Strafverteidigertag Rechtspolitik

Fair Trials International

Die NGO Fair Trials kämpft europaweit für faire Verfahren. Jemima Hartshorn stellt die Organisation vor.

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Im Jahr 2009 wurde Andrew Symeou,|1 ein britischer Student aufgrund eines Europäischen Haftbefehls von England nach Griechenland ausgeliefert. Er saß dort zehn Monate im Hochsicherheitsgefängnis, ehe er von der Haft verschont wurde. Jedoch durfte er Griechenland erst nach seiner Gerichtsverhandlung, die in einem Freispruch endete, im Sommer 2011 wieder verlassen. Dem Haftbefehl lag ein Unfall in einer Diskothek zugrunde, bei dem ein Engländer geschlagen wurde, stürzte und tödlich verletzt wurde. Andrew Symeou war nur als Verdächtiger genannt worden, nachdem die Polizei durch Androhung von Gewalt Zeugen zu Aussagen erpresst hatte, welche später zurückgenommen wurden. Obwohl es bereits vor der Auslieferung große Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugenaussagen gab, blieben alle Vorgehensweisen gegen das Auslieferungsersuchen erfolglos.

Fälle wie dieser ereignen sich europaweit und bestimmen den Arbeitsbereich der Nichtregierungsorganisation Fair Trials. Der Europäische Haftbefehl ist nur ein Beispiel dafür, wie auch in der grenzüberschreitenden Strafverfolgung Europa immer enger zusammenrückt. Diese Instrumente und Kooperationsmechanismen setzen oftmals eine Anerkennung von Strafverfahren in anderen EU-Mitgliedsstaaten voraus. Jedoch wird in vielen Ländern Europas das Recht auf ein faires Verfahren »fair trial« (Art. 6 Europäische Menschenrechtskonvention) regelmäßig verletzt, wie die vielen Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bezeugen.

Seit mehr als 20 Jahren setzt sich Fair Trials weltweit für Menschen- und Strafverfahrensrechte ein.|2 Dazu wurde im Jahr 2008 das Netzwerks, Legal Experts Advisory Panel »LEAP«,|3 bestehend aus mehr als 130 Strafverteidigern und NGOs aus allen EU-Mitgliedsstaaten gegründet. Fair Trials, mit Büros in London und Brüssel, verteidigt in enger Zusammenarbeit mit dem LEAP-Netzwerk Beschuldigtenrechte auf drei verschiedene Weisen:

• Durch Rechtsbeistand für Menschen, die im Ausland als Beschuldigte in Strafverfahren geführt werden. Diese Arbeit wird nunmehr zum einem Teil an LEAP-Mitglieder verwiesen und von ihnen direkt bearbeitet.
• Durch Lobbyarbeit, insbesondere auf EU-Ebene bzgl. Reforminitiativen für Menschen- und Beschuldigtenrechte.
• Durch die Durchführung von EU-weiten Fortbildungen, die Strafverteidiger vor allem im Umgang mit den neuen Verfahrensrichtlinien schulen.

Diese Arbeit ist wichtiger als je zuvor, denn mit dem Stockholmer Programm von 2009 hat sich die EU bestimmten Gesetzesinitiativen verschrieben, wie beispielsweise dem Erlass von Richtlinien über Mindeststandards in Strafverfahren zum Schutz von Beschuldigten und um die grenzüberschreitende Verfolgung und Kooperation zu stärken. Denn diese Mindeststandards sind keineswegs in den einzelnen Rechtssystemen verankert.

So kann bisher in Spanien durch die »Secreto de Sumario«-Anordnung dem Beschuldigten über viele Monate der Zugang zu den staatsanwaltlichen Akten und damit eine Verteidigungsvorbereitung verhindert werden.|4 Dies ist kein europäischer Einzelfall, sondern auch Anwälte aus Litauen, Frankreich und Deutschland berichten von Beeinträchtigungen bei der Akteneinsicht und europaweit erfahren Strafverteidiger im Berufsalltag Behinderungen von Staatsseite.

Einige dieser Richtlinien im Rahmen des Stockholmer Programms, wie das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren, das Recht auf Belehrung und Unterrichtung im Strafverfahren sowie das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand, sind bereits verabschiedet und teilweise umgesetzt worden, andere Richtlinien in Bezug auf Verfahrenskostenbeihilfe, die Unschuldsvermutung und die Verfahrensgarantien für verdächtige und beschuldigte Kinder im Strafverfahren werden noch verhandelt. Fair Trials, in Zusammenarbeit mit dem LEAP-Netzwerk, bringt seine Expertise in die Verhandlungsprozesse durch Lobbyarbeit ein, um auf Richtlinien hinzuwirken, die den praktischen Problemen der Strafverfolgung entgegenwirken.

Derweil hat sich Fair Trials auch auf den nächsten Schritt, nämlich die jeweilige Implementierung und Umsetzung in den verschiedenen Mitgliedsstaaten, vorbereitet. Fair Trials Expertise besteht insbesondere in der entsprechenden EU-weiten Ausbildung der Strafverteidiger und in der Zusammenarbeit mit Strafverteidigern und Strafverteidigerverbänden, die maßgeblich zu der erfolgreichen Anwendung der Richtlinien in den Mitgliedsstaaten beitragen.

Ein Teilnehmer des Trainings in Straßburg und mittlerweile LEAP-Mitglied, engagiert sich in Spanien bei der Associaction Libre des Abragadoes (»ALA«), einer Gruppe von Strafverteidigern. ALA hat die Gerichte in Madrid beim Entwurf einer Belehrung über die Beschuldigtenrechte in Strafverfahren beraten, die über alle Richtlinienrechte informiert. Dieser Entwurf wird mittlerweile auch von der Justiz in Barcelona und Granada genutzt. Andere Verteidigerinitiativen der ALA beinhalten eine Klage vor dem Verfassungsgericht, um den Umfang der Richtlinie auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren klarzustellen, sowie weitreichende Fortbildungsangebote für Kollegen. Ein Beispiel aus Frankreich für engagierte Strafverteidigervereinigungen finden Sie hier: http://eutopialaw.com/2014/06/03/access-to-the-criminal-case-file-french-example-shows-potential-impact-of-roadmap-directives/.

Der Vorstoß der französischen Strafverteidigervereinigung ist ein gut gewähltes Instrument zur Erkämpfung von Beschuldigtenrechten. Nur durch gut informierte Strafverteidiger und eine europaweite Zusammenarbeit werden wir die Beschuldigtenrechte langfristig stetig verbessern.

Dementsprechend hat Fair Trials 2009 begonnen, Trainings in verschiedenen Ländern durchzuführen. Um noch eine größere Anzahl von Strafverteidigern zu erreichen, begibt sich Fair Trials nun auf den modernen digitalen Weg.

Unter http://www.fairtrials.org/fair-trials-defenders/legal-training/online-training/ hat Fair Trials wir vor kurzem Trainingsvideos zu dem Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen und dem Recht auf Belehrung und Unterrichtung im Strafverfahren veröffentlicht. Diese Online-Videos erklären den Inhalt der Richtlinien und in welcher Form sie in der Praxis das Strafverfahren beeinflussen. Damit möchten wir als Nichtregierungsorganisation europaweit den Strafverteidigern und ihren Vereinigungen sowohl die Kontrolle über die richtlinientreue Implementierung in den einzelnen Mitgliedstaaten als auch die konkrete Mandantenvertretung vereinfachen. Darauf aufbauend zeigt ein weiteres Video auch, wie der Europäische Gerichtshof genutzt werden kann, um die korrekte Anwendung zu garantieren.

Wir freuen uns, von Ihnen zu hören und laden Sie herzlich ein, uns auch künftig zu informieren, wie und wo Beschuldigtenrechte verletzt werden. Auf dass wir europaweit gemeinsam für das Recht auf ein faires Strafverfahren kämpfen.

Jemima Hartshorn ist Volljuristin und Law Reform Officer bei Fair Trials International.

Anmerkungen:

1 : http://www.fairtrials.org/cases/andrew-symeou/
2 : Mehr Informationen über die internationale Interpol-Kampagne finden Sie hier: http://www.fairtrials.org/campaigns/interpol-campaign/.
3 : http://www.fairtrials.org/fair-trials-defenders/legal-experts/
4 : Mehr hierzu in dem Bericht, »Detained without trial«, Oktober 2011, http://www.fairtrials.org/documents/DetentionWithoutTrialFullReport.pdf. Dies wird sich hoffentlich bald aufgrund der Richtlinien ändern, den neuesten spanischen Gesetzesentwurf finden Sie hier: http://www.senado.es/legis10/publicaciones/pdf/senado/bocg/BOCG_D_10_462_3142.PDF

Jemima Hartshorn: Fair Trials International, in: Freispruch, Heft 6, Februar 2015

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