Strafverteidigertag Rechtspolitik

Die Ratlosigkeit
der Terrorbekämpfer

Dem Gesetzgeber gehen nach den Anschlägen von Paris die Ideen aus: Die Strafbarkeit in Staatsschutzverfahren ist schon längst ins Vorvorfeld der Vorbereitung vorverlagert, wer Terrorist ist und wer Freiheitskämpfer entscheidet die Regierung nach strategischem Ermessen. Den Stand der (strafrechtlichen) Terrorbekämpfung beschreibt Thomas Uwer

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Um das Strafrecht ist es seltsam ruhig geworden dieser Tage - oder besser gesagt: geblieben. Denn gewöhnlich folgen aufsehenerregenden Gewalttaten entsprechende strafrechtliche Bekämpfungsnormen auf den Fuß, und sei es nur, um nach Außen Handlungsfähigkeit und Entschlossenheit zu demonstrieren. Umso erstaunlicher ist daher die relative Ruhe, die in der Rechtspolitik nach den Anschlägen von Paris herrscht.
Hier und da zwar fällt in den Kommentarspalten der Begriff des Feindstrafrechts|1, aber eher halbherzig und indifferent - entweder weil der konkrete gesetzgeberische Anlass fehlt, oder aber weil sich herumgesprochen hat, dass es den Feindstrafrechtlern mit ihren »Ticking Bomb Scenarios« weniger um das Erledigen terroristischer Bombenbauer, als vielmehr um die Bewältigung der allgemeinen Angst vor einer feindlichen Welt voller Drogendealer, Einbrecher und anderer »Teufel« geht.|2

Und auch nur, weil wirklich gar nichts besseres zur Hand war, brachten Unionspolitiker die Vorratsdatenspeicherung wieder ins Gespräch (ohne zugleich eine Idee zu haben, wie sie denn europarechts- und verfassungskonform umgesetzt werden könnte), was außer den Polizeigewerkschaften schon deshalb niemanden überzeugte, weil Terrorbekämpfung dem Wesen nach präventiv ausgerichtet ist. Anschläge, die Leben kosten, sollen nach Möglichkeit verhindert werden. Die retrospektive Aufklärung erfolgter Attentate mit oder ohne Vorratsdatenspeicherung findet indessen statt, wenn die Terrorbekämpfung bereits versagt hat.

Das Problem ist grundsätzlich und trifft auch das Strafrecht, das sich schwer damit tut, präventiv wirksam zu werden und trotzdem einigermaßen rechtsstaatlich zu bleiben. Das Staatsschutzstrafrecht aber verlangt, dass Handlungen bereits vor Begehung der Tat erfasst werden, d.h. die Strafbarkeit weit in einen Bereich vor der Begehung konkret strafbarer Taten vorverlegt werden muss. Dies aber widerspricht nicht nur tendenziell dem Tatschuldprinzip, sondern bringt auch konkrete Unterscheidungsprobleme mit sich. Denn um bei der Vertatbestandlichung von objektiv nicht strafbaren Handlungen im Vorfeld (bspw. dem Kauf von Metallrohren) zwischen Strafbarem und Nichtstrafbarem unterscheiden zu können, muss auf subjektive Tatbestandsmerkmale zurückgegriffen werden, die in der Motivation des »Täters« liegen. Genauso wie allgemeine und terroristisch motivierte Kriminalität sich nicht durch den Schweregrad der begangenen Straftaten unterscheiden, sondern durch die subjektive Zielsetzung der Täter, so macht erst die subjektive Intention die Handlung im Vorfeld zu einer (strafbaren) Vorbereitungshandlung. Damit ist dem Gesinnungsstrafrecht Tür und Tor geöffnet.

Bei dieser dem Staatsschutzstrafrecht wesentlichen Vorverlagerung der Strafbarkeit|3 ist der Gesetzgeber längst an die Grenzen dessen gestoßen, was rechtsstaatlich machbar und mit der Verfassung vereinbar ist - wenn nicht darüber hinaus gegangen.

Im Frühjahr 2014 sorgte die Selbstanzeige eines Richters des 3. Strafsenats des BGH wegen Besorgnis der Befangenheit für Aufsehen. In einer dienstlichen Erklärung zu einem Revisionsverfahren nach Verurteilung wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89 a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StGB) nannte er als Gründe für seine zu befürchtende Unparteilichkeit sein privates Interesse sowohl an chemischen und physikalischen Fragen als auch am Islam »einschließlich theologischer Erklärungen eines früheren führenden Mitglieds der Al Qaida«. »Nach den vom [verurteilenden] Landgericht angelegten rechtlichen Maßstäben könne bei einer Gesamtschau der von ihm angezeigten Umstände der Schluss auf eine Tat nach § 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB gezogen werden.« (BGH StR 243/13 [= HRRS 2014 Nr. 304]) Beinahe noch interessanter aber war die spätere Entscheidung des BGH zur Sache selbst, mit der das Urteil des LG Frankfurt/Main aufgehoben und festgestellt wurde, es sei
»nicht zu verkennen, dass § 89 a StGB auch Verhaltensweisen unter Strafe stellt, die von einer Verletzung oder auch nur konkreten Gefährdung der vom Gesetzgeber durch die Norm unter Schutz gestellten Rechtsgüter derart weit entfernt sind, dass ihre Pönalisierung - auch unter Berücksichtigung des Gewichts der Schutzgüter - die Grenze dessen erreicht, was unter verfassungsrechtlichen Aspekten noch als verhältnismäßig anzusehen ist. Die Strafbarkeit kann an objektive Tathandlungen anknüpfen, die per se keinen eigenen Unrechtsgehalt aufweisen. Die Norm beschreibt in Teilen vielmehr eher neutrale, objektive Verhaltensweisen, die für sich genommen unverdächtig sowie sozialadäquat sind und sich allein wegen der mit ihnen verbundenen, auf irgendeine Weise manifest gewordenen Intention des Täters als tatbestandsmäßig erweisen.« (BGH StR 243/13 Rn. 44)

Eine Kritik, die freilich nicht alleine auf § 89 a StGB zutrifft. Der »Terrorcamp-Paragraph«
89 b StGB bspw., der gemeinsam mit § 89 a StGB eingeführt wurde, greift tatbestandlich noch weiter vor, indem er die Kontaktaufnahme mit einer terroristischen Vereinigung zum Zweck der Ausbildung in einem sog. Terrorcamp unter Strafe stellt - gewissermaßen die Vorbereitung der Vorbereitung einer Straftat bzw. das »Vorfeld des Vorfelds«.|4 Auf der Suche nach der subjektiven Intention fischen die Ermittlungsbehörden zwangsläufig in den trüben Untiefen persönlicher Interessen und Gesinnung und landen bei Flugschriften, Computerdateien und Internetspuren - und auf diesem Wege möglicherweise auch bei einem Richter beim Strafsenat des BGH.|5

Diese Risiken und Nebenwirkungen staatsschutzstrafrechtlicher Normen traten nicht überraschend ein.|6 Dass sie in Kauf zu nehmen seien, wird in Staatsschutzfragen aber seit jeher mit dem besonderen Gewicht der zu schützenden Rechtsgüter begründet. In § 89 a, b StGB sind dies - neben Individualrechtsgütern (§§ 211, 212, 239a, 239b StGB) - die »Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland« und der »Bestand und die Sicherheit eines Staates«. Die Schutzwürdigkeit von Staaten und staatlichen Organisationen wird nicht nur weit über die Grenzen der Bundesrepublik und der EU hinaus erweitert, sondern sie wird für »den Bestand und die Sicherheit« tendenziell aller Staaten behauptet - sofern dies per Verfolgungsermächtigung gewollt ist. Das ist angesichts des Zustandes der Welt nicht nur »grotesk« (wie Paeffgen mit Hinweis auf Nordkorea oder - historisch - die Diktatur von Papa Doc auf Haiti meint), sondern unterwirft das Staatsschutzstrafrecht zugleich vollständig politischen Opportunitätserwägungen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Denn wie bereits bei § 129b StGB gilt auch hier die Bedingung einer Verfolgungsermächtigung durch das Bundesjustizministerium. Diese wurde bei Einführung des § 129 b StGB u.a. noch damit begründet, dass auf »Befreiungsbewegungen« gegen Unrechtsstaaten Rücksicht genommen werden könne.|7 Davon kann beim Rechtsgut des Schutzes irgendeines Staates keine Rede mehr sein. Im Gegenteil: Wer die Schutzwürdigkeit staatlicher Institutionen an sich behauptet, negiert zugleich das Recht des Bürgers auf Widerstand gegen ein Unrechtsregime. Dagegen erscheint die unter George W. Bush eingeführte Kategorie der »Rogue States« (Schurkenstaaten) regelrecht aufklärerisch. Es wäre interessant zu erfahren, wie aus dieser Perspektive der Sturm auf die Zentrale der Staatssicherheit der DDR in der Berliner Normannenstraße vor 25 Jahren zu beurteilen wäre.

Dass der Gesetzgeber dabei weder an die DDR noch an Nordkorea gedacht hat, liegt auf der Hand. Der eigentliche Sinn scheint vielmehr darin zu liegen, dass sich die Norm besonders geschmeidig in die politische Unübersichtlichkeit des Anti-Terror-Kampfes einfügt, in dessen Zuge nicht nur Folter hingenommen und ganz selbstverständlich mit (islam-)faschistischen Diktaturen wie Saudi Arabien paktiert wird, sondern auch die außenpolitischen und wirtschaftlichen Interessen der Bundesrepublik berücksichtigt sein wollen. Es ist im besten Falle fraglich, ob sich die Bundesregierung derart für die Bekämpfung des Islamischen Staates im kurdischen Nordirak engagierte, wenn die kurdische Region dort nicht zugleich der derzeit einzige sichere Zugang zum irakischen Markt darstellte. In der Stadt Erbil, vor deren Toren der IS mit knapper Not gestoppt wurde, befinden sich nicht nur die Aufnahmelager für die vor den Islamisten geflohenen Christen und Yeziden, sondern auch die Niederlassungen der deutschen Exportindustrie. Die irakischen Kurden hingegen, zu deren Schutz man sich heute aus hehren Gründen berufen fühlt, waren der Bundesregierung in der Vergangenheit nicht einmal eine diplomatische Note wert, als sie von der irakischen Regierung unter Saddam Hussein mit Giftgas bombardiert und zu zehntausenden deportiert und ermordet wurden. Man stelle sich nur einmal vor, Saddam Hussein wäre nicht gestürzt, die irakische Ba’th-Partei kontrollierte noch heute das Land und dessen petrochemische Industrie, während die Kurden im Norden bewaffneten Widerstand leisten. Wäre es wirklich so undenkbar, dass das BMJ unter Berücksichtigung der besonderen strategischen Interessen der BRD und unter Hinweis auf Anschläge und bewaffnete Kommandoaktionen der Kurden auch den Bestand des Ba’thstaates implizit zum schutzwürdigen Rechtsgut erklärte und eine Verfolgungsermächtigung gegen Kurden erteilte, die sich »separatistische« Schriften im Internet besorgten oder Geld sammelten?

Weit hergeholt? Wohl kaum. Mit westlicher Luftunterstützung kämpfen im Irak nicht nur Peshmerga und irakische Armeeverbände gegen den IS, sondern auch nichtstaatliche schiitische Milizen, die gemeinsam mit iranischen Pashdaran die sunnitische Bevölkerung terrorisieren und für einen nicht unerheblichen Teil der zahllosen Terroranschläge im Irak der vergangene Jahre verantwortlich waren. Im Norden Syriens wiederum wird die Außengrenze der NATO von einem zu 100 Prozent ideologiegleichen syrischen Ableger der PKK verteidigt, deren Unterstützer hierzulande als Terroristen verfolgt werden. Und an der Großdemonstration für die ermordeten Charlie Hebdo Journalisten in Paris nahmen ganz selbstverständlich die Außenminister Ägyptens, Algeriens, Bahreins, der Vereinigten Arabischen Emirate und der saudische Botschafter teil - allesamt besonders würdige Botschafter der Presse- und Meinungsfreiheit. Solche Widersprüche mag die Politik aufklären – das Strafrecht taugt hierzu nicht.

Was als »War on Terror« daher kommt, ist also weit weniger konsequent und politisch durchdacht, als dies die Rede von der Verteidigung westlicher Werten gerne suggeriert, sondern in hohem Maße wechselnden politischen und ökonomischen Interesselagen geschuldet. Das bringt mit sich, dass Verbündete bei gleichbleibender objektiver Lage morgen zu Feinden werden können und umgekehrt. Konkret: Wer heute Geld für einen Krankenwagen in Kobane sammelt, und dafür den Zuspruch der Öffentlichkeit erhält, ist morgen vielleicht schon ein Fall für den Staatsschutz - obwohl sich weder sein objektives Handeln noch seine subjektive Intention geändert haben müssen. Es bedarf schon von daher des begrifflichen Monsters »Feindstrafrecht« nicht, um zu erklären, warum das Strafrecht nicht zum Instrument des »War on Terrors« taugt.

Anstatt sich weltweit um den Schutz von Staaten zu bemühen, deren Verschwinden der Menschheit ein Segen wäre, und im ideologischen Vorvorfeld vermeintlicher Terrortouristen zu wildern, wäre die Kriminalpolitik besser beraten, endlich anzuerkennen, dass der Islamismus kein »Ausländerphänomen« ist, sondern – wie der zunehmende Antisemitismus – eine gefährliche jugendliche Subkultur europäischer Städte. Wenn dies anerkannt wäre und nicht jeder hier Lebende mit fremd klingendem Namen als »Moslem« und als (Integrations-)Problem gälte, könnte auch politisch gegen den Islamismus in Europa vorgegangen werden.

Thomas Uwer ist Mitarbeiter im Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen.

Anmerkungen:

1 : z.B. bei BGH-Richter Thomas Fischers Kommentar in der ZEIT v. 20.01.2015
2 : »Man greift zum Selbstschutz, indem man etwa aus Angst vor Überfällen nicht mehr in bestimmten Gegenden spazieren geht oder aus Angst vor Diebstählen sein Fahrrad dreifach verschließt.« (Jakobs, Terroristen als Personen im Recht?, ZStW 117 (2005), Heft 4
3 : Siehe hierzu ausführlicher: Kuhn in dieser Nummer.
4 : NK-Paeffgen, § 89 a StGB I, Rn. 1, 203
5 : Dass dies nicht ganz so weit hergeholt ist, wie es scheinen mag, verdeutlichte das Staatsschutzverfahren wg. § 129a StGB gegen den Berliner Sozialwissenschaftler Andrej Holm (das 2010 eingestellt wurde), der ins Visier des BKA geraten war, weil er Internetrecherchen zu Begriffen durchgeführt hatte, die häufig in Bekennerschreiben der so. »militanten gruppe« auftauchen.
6 : Wofür u.a. die breite Ablehnung von § 89 a, b StGB in der Literatur spricht. Selten ist ein Gesetzentwurf derart breit abgelehnt worden - und dennoch mit nur einer marginalen redaktionellen Änderung gegenüber dem Referentenentwurf durch die parlamentarischen Gremien gepresst worden.
7 : vgl. Mark A. Zöller, Terrorismusstrafrecht, Heidelberg 2009, 544

Thomas Uwer: Die Ratlosigkeit der Terrorkämpfer, in: Freispruch, Heft 6, Februar 2015

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