Strafverteidigertag Rechtspolitik

Zwangsverteidigung

Dass der Zwangsverteidiger immer noch kein Auslaufmodell ist, liegt auch daran, dass sich Anwälte darauf einlassen. Eine Kritik von Ricarda Lang

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Bei einem Zwangsverteidiger handelt es sich um einen Rechtsanwalt, der gegen den Willen des Beschuldigten diesem als Pflichtverteidiger bestellt wird. Nimmt man die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ernst, kann es unter keinen denkbaren Umständen zu der Situation kommen, dass dem Beschuldigten ein Rechtsanwalt bestellt wird, den er ablehnt, dem er misstraut, der nicht seinem Wunsch entspricht. Das Bundesverfassungsgericht führt in einer Vielzahl von Entscheidungen aus (vgl. u.a. 2 BvR 1152/01), entscheidender Maßstab für die Auswahl eines Pflichtverteidigers, der dem Beschuldigten beizuordnen ist, sei, dass es sich um den Anwalt seines Vertrauens handelt, außer es stehen der Beiordnung wichtige Gründe entgegen. Mangelndes Vertrauen gibt grundsätzlich Veranlassung, von der Bestellung abzusehen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich um die Bestellung des Erst- oder Zweitverteidigers handelt. Denn die Aufgabe des zweiten Pflichtverteidigers kann - von Ausnahmefällen etwa zu befürchtenden Missbrauchs der Stellung des Erstverteidigers durch diesen oder den Beschuldigten abgesehen (vgl. BGHSt 15, 306 309; NJW 1973, S. 1985) - nicht allein auf die Verfahrenssicherung beschränkt werden. Sie muss in gleicher Weise die sachgerechte Verteidigung des Beschuldigten gewährleisten. Wie wichtig die Vertrauensbasis auch auf dieser Ebene ist, wird insbesondere dann deutlich, wenn der erste Pflichtverteidiger verhindert ist und die Verteidigung allein von dem zweiten Pflichtverteidiger geführt werden muss.

Das Einfallstor eines findigen Vorsitzenden, nicht den Verteidiger des Vertrauens, sondern einen Zwangsverteidiger beizuordnen, findet sich in der Formulierung: »Außer es stehen der Beiordnung wichtige Gründe entgegen«. Der Kreativität der Vorsitzenden bei der Wahl der »wichtigen Gründe«, die einer Beiordnung des Verteidigers des Vertrauens entgegenstehen, sind keine Grenzen gesetzt. Ein beliebter - angeblich wichtiger - Grund, der einer Beiordnung des Verteidigers des Vertrauens entgegensteht, sind die Terminsverhinderungen des gewählten Verteidigers. Der Hinweis des gewählten Verteidigers, dass bei einer Entscheidung der Vorsitzenden das Interesse des Angeklagten an einer Verteidigung durch den von ihm gewählten Verteidiger gegen das Interesse an der reibungslosen Durchführung des Verfahrens abgewogen werden muss, im Zweifel dem Verteidigungsinteresse Vorrang zukomme (vgl. u.a. OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.10.2000 - 3 Ws 1101/00), wird mit dem angeblich vorrangigen Beschleunigungsgebot in Haftsachen gekontert. So fällt die vorzunehmende Abwägung meist zum Nachteil des Beschuldigten aus. In unzähligen Entscheidungen liest man von angeblich dem Recht und Gesetz verpflichteten Vorsitzenden, »man habe das Interesse des Beschuldigten, von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigt zu werden gegen das Beschleunigungsgebot in Haftsachen abgewogen und sei zu dem Ergebnis gelangt sei, dass das Beschleunigungsgebot überwiege.«

Unabhängig von dem Verstoß gegen die vom Bundesverfassungsgericht verlangte Begründungstiefe wirft das die Frage auf, vor welchem Hintergrund diese Abwägung zwischen dem Interessen des Beschuldigten und anderen Gründen in den überwiegenden Fällen zum Nachteil des Beschuldigten entschieden wird. Ob es sich bei der Motivation um Machtdemonstration, Brechen des Willens des Beschuldigten oder Verhinderung eines unbeliebten Verteidigers handelt, sei dahingestellt, mit den Interessen des Beschuldigten und der Rechtsprechung stehen diese Entscheidungen jedenfalls nicht im Einklang. Auch ist unverständlich, dass im Vorfeld bei Terminsverhinderungen des gewählten Verteidigers nicht der Beschluss des 1. Strafsenat des BGH vom 6. Juli 1999 (1 StR 142/99) Beachtung findet, in dem wie folgt ausgeführt wurde: »Nicht jede Verhinderung eines gewählten Verteidigers kann zur Folge haben, dass eine Hauptverhandlung gegen den Angeklagten nicht durchgeführt werden kann, jedoch muss seitens des Gerichts – unter Umständen auch durch Absprache mit anderen Gerichten – ernsthaft ver-sucht werden, dem Recht des Angeklagten, sich in einem Strafverfahren von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen, so weit wie möglich Geltung zu verschaffen.« Mir ist keine Entscheidung bekannt, in der ein Vorsitzender sich bemüht, zum Beispiel an Samstagen oder Sonntagen zu verhandeln, um sicherzustellen, dass der Beschuldigte von dem Verteidiger seines Vertrauens verteidigt wird und ihm als Pflichtverteidiger beigeordnet wird.

Weitaus einfallsreicher werden die Vorsitzenden, wenn sie die Beiordnung des gewählten Verteidigers an bestimmte Bedingungen knüpfen. Es handelt sich dabei um eine Form der verlangten Zwangsunterwerfung des Verteidigers unter den Vorsitzenden. Gerne wird verlangt, dass der gewählte Verteidiger vor der Beiordnung die Erklärung abgibt, auf unabsehbare Zeit für die Hauptverhandlung jeweils drei Tage die Woche zur Verfügung zu stehen. Weigert sich der gewählte Verteidiger, die Erklärung abzugeben, steht der Beiordnung nunmehr ein wichtiger Grund entgegen (vgl. in einem ähnlich gelagerten Fall bestätigt durch BVerfG 2 BvQ 10/06). In einem Verfahren vor dem OLG Stuttgart wurde u.a. vor der Beiordnung des gewählten Verteidigers verlangt, dass der gewählte Verteidiger die Erklärung abgibt, dass er sich während einer Unterbrechung der Hauptverhandlung in das Verfahren einarbeitet und daher keinen Aussetzungs- bzw. Unterbrechungsantrag stellen werde. Gefordert wird der Verzicht auf prozessuale Rechte zum Nachteil des Beschuldigten. Weiter gibt der Vorsitzende durch die Bedingung die Dauer der Einarbeitungszeit vor und greift somit auch in unzulässiger Weise in die Berufsfreiheit des Rechtsanwalts ein.

Der Zwangsverteidiger ist kein Auslaufmodell. Er ist da, wird durchgesetzt, eingesetzt, benutzt und benötigt. Der Zwangsverteidiger kann aber nur existieren, wenn Rechtsanwälte vorhanden sind, die sich bereit erklären, einen Beschuldigten gegen seinen erklärten Willen zu verteidigen. Es bedarf des kollusiven Zusammenwirkens eines Rechtsanwalts mit einem Vorsitzenden. Gerhard Mauz schrieb zu den BM-Prozessen:
»Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik steht der Beruf des Strafverteidigers im Mittelpunkt einer öffentlichen grundsätzlichen Auseinandersetzung. Das ist eine Sensation….Dass ein Strafverteidiger für seinen Mandanten eintrat, wurde als selbstverständlich hingenommen, er spielte die ihm zugewiesene Rolle (eines rechtsstaatlichen Feigenblatts). Nun wird endlich in diesem Land verteidigt und schon ist von Missbrauch die Rede.«

Heute ist der Missbrauch abgelöst durch die Begründung, dass gegen die Beiordnung des gewählten Verteidigers das Vorliegen eines angeblichen wichtigen Grundes spricht. Der Anwalt, der die Rolle des rechtsstaatlichen Feigenblattes spielt, ist nicht ausgestorben, genauso wenig wie der Vorsitzende Richter, der sich über Gesetz und Recht hinwegsetzt. Für beide Parteien, den Zwangsverteidiger wie den Vorsitzenden, ist das Ver-halten ohne Konsequenz. Sie bilden eine Koalition der Unheiligen, auf der Strecke bleibt der Beschuldigte. Der gewählte Verteidiger, der noch den Namen Verteidiger verdient, muss verhindert werden, er stört die schnelle Aburteilung. Und nun: Der Gesetzgeber hat ein Richterbild, dass nicht der Realität entspricht. Es ist ein System des Schreckens in den Gerichtssälen eingezogen, unüberwacht, menschenunwürdig, zynisch, Verurteilungsmaschinen. Das Modell der Unabhängigkeit der Richter ist gescheitert. Es bedarf unabhängiger Kommissionen, die Untersuchungen durchführen, inwieweit die Strafverfahren Gesetz und Recht entsprechen. Anschließend muss das Modell der Unabhängig-keit der Richter überdacht werden.

Der Zwangsverteidiger, der sich nicht den Interessen des Beschuldigten verpflichtet fühlt, der meint, dass die Hand die ihn füttert näher ist, als die Aufgabe der Verteidigung, der die Rechte des Beschuldigten verrät, der muss sanktioniert werden, insoweit muss an Berufsverbot gedacht werden.

Denkbar wäre eine Gesetzesergänzung in § 141 IV StPO dahingehend, dass der Vorsitzende bei der Bestellung des Pflichtverteidigers an den Willen des Beschuldigten gebunden ist, außer es liegen die Voraussetzungen des § 138a StPO vor. Eine Notwendigkeit der Gesetzesergänzung sieht die Verfasserin nur, weil sich die Vorsitzenden Richter nicht mehr dem Recht und dem Gesetz verpflichtet fühlen.

Ricarda Lang arbeitet als Strafverteidigerin in München. Sie ist Mitglied im Vorstand der Initiative Bayerischer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger.

Ricarda Lang: Zwangsverteidigung, in: Freispruch, Heft 6, Februar 2015

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