Strafverteidigertag Rechtspolitik

Sorry, I have to sentence you

In den Staatsschutzverfahren wegen Unterstützung der tamilischen »Befreiungstiger« macht sich regelmäßig Unwohlsein auch unter Richtern breit. Wie schmal der juristische Grad zwischen »Befreiungsbewegung« und »terroristischer Vereinigung« ist, zeigt am Beispiel der LTTE-Verfahren Axel Nagler

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Am 18. Mai 2009 endete der jahrelange Bürgerkrieg in Sri Lanka. Die Befreiungsbewegung der Tamilen auf Sri Lanka, die Liberation Tigers of Tamil Eelan (LTTE), war militärisch vernicht, ihre Führung Führung ermordet und zahlreiche Gefangene extralegal hingerichtet worden. An der tamilischen Zivilbevölkerung hatte das sri-lankische Militär ein völkermordartiges Massaker verübt, dem unterschiedlichen Angaben zufolge zwischen mindestens 40.000 und bis zu 130.000 Menschen zum Opfer fielen. Mehrere hunderttausend Menschen wurden in Lagern interniert, viele verschwanden. Genaue Zahlen über das Ausmaß der Vernichtung existieren nicht, weil die sri-lankische Regierung niemals eine unabhängige Untersuchung zugelassen hat, obwohl u.a. die Vereinten Nationen dies gefordert hatten. Die LTTE hat damals aufgehört, als Organisation zu existieren. Erst jetzt begann die bundesdeutsche Justiz sich mit dem Konflikt zu befassen – genauer: Mit der LTTE, gegen deren mutmaßliche Mitglieder auf der Grundlage der §§ 129a,b StGB ermittelt wurde.
Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder der tamilischen Diaspora hatte es bereits zuvor gegeben: wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, deren Zweck in der Erpressung von Spendengeldern für ihre Landsleute in der Heimat von den in Deutschland lebenden etwa 60.000 Tamilen bestehen sollte. Bis auf einen Fall hatten diese Verfahren nicht zu Verurteilungen geführt, weil sich die Vorwürfe nicht erhärten ließen. Ein entsprechendes beim Generalbundesanwalt laufendes Ermittlungsverfahren dümpelte seit 2007 ergebnislos vor sich hin. Und auch nachdem die EU die LTTE mit Beschluß des Rates vom 29. Mai 2006 [2006/379/EG] in die Liste terroristischer Vereinigungen nach der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 aufgenommen hatte, lehnte das Bundesjustizministerium auf Anfrage des Generalbundesanwalts die Erteilung einer Verfolgungsermächtigung nach § 129 b Abs. 1 S. 3 StGB ab. Schon die Zustimmung Deutschlands zum Listungsbeschluss der EU war in der Bundesregierung höchst umstritten; am Ende hatte man dem nur zugestimmt, damit »Deutschland im Rat nicht isoliert dastehe«.

Erst im August 2009 – also unmittelbar nach der militärischen Zerschlagung der LTTE - unternahm der Generalbundesanwalt einen weiteren Vorstoß in Richtung einer Verfolgung von mutmaßlichen Mitgliedern und Unterstützern der LTTE nach §§ 129a,b StGB, wobei er auch diesmal zunächst keinen Erfolg hatte: Im Oktober 2009 lehnte das BMJ erneut die Erteilung einer Verfolgungsermächtigung nach § 129 b Abs. 1 S. 3 StGB ab.

Der Generalbundesanwalt führte statt dessen sein Ermittlungsverfahren wegen Spendengelderpressung, Verstoßes gegen § 34 AWG und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung weiter und erwirkte gegen sieben Beschuldigte im Dezember 2009 Haftbefehle, die am 3. März 2010 vollstreckt wurden. Erst auf die Beschwerde eines der in diesem Zusammenhang Beschuldigten entschied der 3. Strafsenat des BGH|1 in Verfolgung seiner neueren Rechtsprechung, es sei »allgemeinkundig«, dass die im Jahre 1976 entstandene LTTE das Ziel verfolge, mittels bewaffneten Kampfes im von ihr beherrschten tamilisch bewohnten Norden Sri Lankas, in dem sie schon staatsähnliche Strukturen errichtet habe, ein selbständiges »Tamil Eelam« zu errichten. Zu diesem Zweck habe sie nicht nur militärische Operationen gegen Regierungstruppen unternommen. Sie unterhalte vielmehr eine Spezialeinheit namens »Black Tigers«, deren Aufgabe neben militärischen Kommandoaktionen auch Angriffe auf zivile Ziele gewesen sei; ihren auf mehr als 200 geschätzten Selbstmordattentaten seien u.a. der indischen Ministerpräsident Rajiv Ghandi und der sri-lankische Ministerpräsident Premadasa zum Opfer gefallen. Damit sei die LTTE nicht als kriminelle Vereinigung, sondern als terroristische Vereinigung im Ausland zu betrachten. Sollte die Bundesregierung nicht innerhalb einer Woche die notwendige Verfolgungsermächtigung erteilen, werde der Beschuldigte aus der Haft entlassen. Daraufhin wurde die Verfolgungsermächtigung am 20. April 2010 erteilt.

In dem sich anschließenden Verfahren vor dem OLG Düsseldorf stellte sich dann auch für den Senat schnell heraus, dass die vier Angeklagten anders waren als diejenigen, über die hier sonst gerichtet wird. Das Gericht erkannte, dass es über eine Bürgerkriegspartei zu Gericht saß. Schwarz und Weiß waren nicht so deutlich verteilt, wie man dies gewohnt war. Es zeigte sich vielmehr, dass der sri-lankischen Regierung und deren Sicherheitskräften eine in einem kruden singhalesischen Chauvinismus wurzelnde systematische Diskriminierung der tamilischen Bevölkerungsminderheit seit der Unabhängigkeit des Staates mit zahllosen schwersten Menschenrechtsverletzungen vorzuwerfen ist, für die sie straflos blieb. Vor Gericht stand allerdings nur eine Seite des Konflikts. Das ungute Gefühl machte sich breit, jedenfalls objektiv zum Handlanger verbrecherischer Militärs zu werden. Das führte soweit, dass das Gericht implizit anerkannte, dass einer Verurteilung nur der Angeklagten als Mitglieder einer terroristischen Vereinigung ein Gerechtigkeitsdefizit innewohnen würde, zumal alle Dimensionen des jahrelangen bewaffneten Konflikts auf Sri Lanka in dem Verfahren ohnehin auch nicht ansatzweise aufzuklären waren. Es erfolgte eine - in Staatsschutzverfahren seltene - Verständigung dahingehend, dass das Verfahren wegen des Vorwurfs aus §§ 129a,b StGB eigestellt wurde und die Angeklagten wegen Verstoßes gegen das AWG zu Freiheitstrafen verurteilt wurden, wobei der eingestellte Vorwurf im Hintergrund eine Klammerwirkung entfaltete, der alle Einzeltaten nach dem AWG zu einer Tat im Rahmen der Bewertungseinheit zusammenfasste. Drei der vier Angeklagten wurden mit dem Urteil aus der Untersuchungshaft entlassen.

Dieses sog. »Düsseldorfer Modell« sollte, so war der Plan, auf alle anderen Beschuldigten aus dem Ermittlungskomplex LTTE angewendet werden. Der Generalbundesanwalt gab in der Folgezeit die Verfahren gegen alle Beschuldigten wegen minderer Bedeutung an die Generalstaatsanwaltschaften ab und stellte anheim, die Vorwürfe nach §§ 129a,b StGB nach § 154 StPO auszuscheiden und die Verfolgung nach AWG in eigener Zuständigkeit weiter zu bearbeiten. Das führte dazu, dass eine Reihe von Verfahren so behandelt und nach entsprechender Einstellung an die Wirtschaftsabteilungen der örtlichen Staatsanwaltschaften abgegeben wurden, die z.T. bereits Anklage bei den Wirtschaftsstrafkammern erhoben haben; in einem Fall wurde von der Strafkammer beim Schöffengericht eröffnet, in einem anderen direkt beim Schöffengericht angeklagt. Soweit ersichtlich, sind derzeit zwei Anklagen bei Wirtschaftsstrafkammern anhängig, aber noch nicht eröffnet. Die Rede ist - trotz der erheblichen Strafdrohungen des allerdings zum 1. September 2013 milder gefassten AWG - von Bewährungsstrafen.

Lediglich die Berliner Generalstaatsanwaltschaft erhob nach längeren Ermittlungen im Mai 2014 Anklage beim Kammergericht gegen zehn Tamilen mit dem Vorwurf der Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung LTTE in Tateinheit mit zahlreichen Verstößen gegen § 18 Abs. 1 und 7 AWG n.F.. Auch in diesem Verfahren verständigten sich Senat, GStA und Verteidigung schon im Zwischenverfahren auf die Beschränkung auf die Vorwürfe nach AWG gegen geständige Einlassungen zur Weitergabe von Spendengeldern, hinsichtlich derer es aufgrund der Beweislage nichts Wesentliches zu bestreiten gab.

Nun traten zwei Probleme hinzu: Nachdem der EuGH|2 die Listung der türkischen DHKP-C (Devrimci Halk Kurtuluş Partisi-Cephesi = Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) für die Zeit vor dem 29. Juni 2007 wegen eklatanter Begründungsmängel für nichtig erklärt hat und auch die Listung der LTTE vor diesem Zeitpunkt diese Mängel aufwies, hatten Bundesanwaltschaft und OLG Düsseldorf der Verurteilung nur die zeitlich nachfolgenden Listungsbeschlüsse zugrunde gelegt. Ein weitergehender Antrag der Verteidigung auf Vorlage an den EuGH war abgelehnt worden. Gleichwohl arbeiteten in verschiedenen Ländern Europas zahlreiche Kollegen im Rahmen der auch dort gegen mutmaßliche ehemalige Mitglieder der LTTE anhängigen Verfahren weiter mit an dem Problem der Wirksamkeit der Beschlüsse des Rates der EU, mit denen die Aufnahme der LTTE in die Terrorliste nach der VO (EG) 2580/2001 alle sechs Monate erneuert werden muss. So waren beim europäischen Gericht erster Instanz seit 2011 zwei Klagen gegen die Listungsbeschlüsse ab 2011 wegen Begründungsmängeln und der nachstehend geschilderten kriegsvölkerrechtlichen Frage anhängig.

Die Landgerichte den Haag und Neapel hielten eine Qualifizierung der LTTE als terroristische Vereinigung für rechtlich nicht möglich, weil es sich bei ihr um eine Partei eines nicht-internationalen bewaffneten Konflikts im Sinne des Zusatzprotokolls II vom 8. Juli 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1948 handele. Zwar sei es grundsätzlich möglich, dass auch militärische Organisationen terroristische Straftaten begingen. Gleichwohl erlaubten von der LTTE möglicherweise begangene einzelne Aktionen es nicht, sie dem Schutz des humanitären Kriegsvölkerrechts zu entziehen, weil dies dem Zweck des gemeinsamen Artikels 3 der Genfer Konventionen und der inzwischen zum Völkergewohnheitsrecht gewordenen Regeln des Zusatzprotokolls II|3 nach einer möglichst breiten Anwendung zuwider liefe.

Der niederländische Raad van State legte unter dem 4. April 2014 dem EuGH u.a. die Frage vor, ob Aktivitäten der Streitkräfte im Sinne des humanitären Kriegsvölkerrechts terroristische Straftaten im Sinne des gemeinsamen Standpunktes 2001/931/GASP und der VO (EG) 2580/2001 sein können mit der Folge, dass die Listung der LTTE im Falle der Verneinung der Frage nichtig sei; das Vorlageverfahren ist noch anhängig.|4
Der Bundesgerichtshof judiziert in ständiger Rechtsprechung, dass militärische Einheiten auch terroristische Vereinigungen sein können und das humanitäre Völkerrecht einer solchen Beurteilung nicht grundsätzlich entgegenstehe.|5 Dieser Auffassung ist jetzt auch das Europäische Gericht gefolgt.|6 Das KG lehnte einen Antrag auf Aussetzung bis zur Entscheidung der europäischen Gerichte dennoch ab. [Auf die höchst komplexen Fragen des humanitären (Kriegs)völkerrechts kann im Rahmen dieses Artikels nicht näher eingegangen werden.]

In dem Verfahren vor dem KG wurde in der Hauptverhandlung am 16. Oktober 2014 die Strafverfolgung nach § 154a StPO auf die Vorwürfe nach dem AWG beschränkt, weil die wegen der Vorwürfe nach §§ 129a,b StGB zu erwartende Strafe nicht beträchtlich ins Gewicht falle. Genau an diesem Tage aber verkündete das Europäische Gericht sein Urteil in den Rechtssachen T-208/11 und T 508/11 und erklärte die Beschlüsse und Verordnungen des Europäischen Rates aus der Zeit vom 31. Januar 2011 bis 22. Juli 2014, soweit mit ihnen die LTTE auf die EU-Sanktionsliste nach der VO (EG) 2580/2001 gesetzt worden war, wegen schwerer Begründungsmängel für nichtig.|6 Da die der Anklage zugrundeliegenden Listungsbeschlüsse zwar aus einer anderen Zeit stammen, aber, wie die Verteidigung in einem umfangreichen Aussetzungs- und Vorlageantrag nachwies, die gleichen Begründungsmängel aufweisen, war damit die Grundlage für eine Bestrafung nach AWG entfallen. Das Kammergericht, das ohne Vorlage an den EuGH nicht nach AWG hätte verurteilen können, bezog daraufhin auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft die Vorwürfe aus §§ 129a,b StGB gem. § 154a Abs. 3 S 2 StPO wieder ein und schied im Gegenzug diejenigen nach AWG gem. §§ 154a Abs. 1 S2, 154 Abs. 1 Nr. 2 aus.

Im Verfahren war wiederum höchst streitig, ob die LTTE eine terroristische Vereinigung war. Neben ihrer Erstarkung als politische Kraft im Norden Sri Lankas und ihrer Beteiligung an unter internationaler Förderung geführten Friedensverhandlungen waren Delegationen der LTTE in der EU und auch in Deutschland von Regierungskreisen empfangen und in ihren Bemühungen um Beilegung des Konflikts unterstützt worden - so weit kommt eine Befreiungsbewegung selten. Nachdem diese Bemühungen - wegen der ausschließlich auf Krieg setzenden Politik der sri-lankischen Regierung, grober Fehleinschätzungen der LTTE und politischer Interessen der USA und Großbritanniens - scheiterten, stieß man die LTTE wieder in die »Terrorecke« zurück, gegen den Widerstand vieler Experten, wie u.a. des Leiters der SLMM (Sri Lanka Monitoring Mission), die von 2002 bis 2008 den Waffenstillstand in Sri Lanka überwachte. Mit dem Ende der Verhandlungen und der Offensive des sri-lankischen Militärs wurde zugleich das Schicksal der Tamilen auf Sri Lanka besiegelt. Bis heute leben die Tamilen unter einem Siegfrieden in einem Land, in dem der kleinste Ansatz von Regierungskritik mit Inhaftierung und regelmäßig auch mit Folter beantwortet wird und tamilischer Landbesitz mit Gewalt enteignet wird.|7 Die vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen ernannten Sonderermittler werden nach wie vor nicht ins Land gelassen.

Gegenstand des Vorwurfs gegen Mitglieder der LTTE war und ist im Anschluss an den Haftbeschluss des BGH die Tötung von Zivilisten durch Selbstmordanschläge der »Black Tigers«. Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Völkerstrafgesetzbuch werden der LTTE nicht vorgeworfen. Es handelt sich, da die LTTE ihre Auseinandersetzungen ausschließlich in Sri Lanka geführt hat, um reine Auslandssachverhalte.

Damit ergibt sich ein massives Beweisproblem, weil es so gut wie unmöglich ist, die der LTTE vorgeworfenen Ereignisse|8 aufzuklären. Die LTTE selbst hat sich zu diesen Anschlägen niemals bekannt. Und auch der zentrale und immer wieder geäußerte Vorwurf, die »Black Tigers« seien für die Ermordung des indischen Premiers Rajiv Ghandi verantwortlich gewesen, gründet mehr auf politischen Gerüchten als auf beweissicheren Tatsachen. Zugrunde liegen der Anschuldigung zum einen ein Fernsehinterview mit einem indischen Sender, in dem sich Anton Balasingham, eine der führenden Persönlichkeiten der LTTE, angeblich für die Tötung Rajiv Ghandis mittelbar entschuldigt haben soll. Dieses Interview hat in Europa bis dato noch kein Strafverfolger oder Gericht jemals selbst gesehen. Als Quelle muss vielmehr der Bericht einer indischen Zeitung über das Interview herhalten, der aber niemals auf seinen Wahrheitsgehalt hin überprüft wurde, auf dessen Inhalt sich aber alle stützen, die der LTTE die Ermordung Ghandis zur Last legen. Richtig ist indessen, dass in Indien angebliche LTTE-Mitglieder für die Tat verurteilt, aber nicht hingerichtet worden sind. Richtig ist aber auch, dass nach wie vor erhebliche Zweifel an der Täterschaft der Verurteilten bestehen und immer wieder Wiederaufnahmeverfahren angestrengt werden. Nicht frei von Zweifeln an ihrer Rechtsstaatlichkeit jedenfalls ist nichtzuletzt die indische Justiz.|9 Die juristische Aufarbeitung des Attentats kann daher längst nicht als abgeschlossen betrachtet werden.

In allen Verfahren, die in Deutschland - und, so weit ich sehe, auch in den Niederlanden, Frankreich, Italien, Großbritannien und Australien - gegen Mitglieder der LTTE geführt wurden, ist noch nie ein unmittelbarer Beweis über eine der angeblich von der LTTE ausgeführten Tötungen erhoben worden. Die Gerichte in Australien, den Niederlanden, Italien und Großbritannien haben die dortigen Angeklagten zwar wegen der Verletzung der Sanktionsvorschriften verurteilt, die Anklagen wegen angeblicher terroristischer Handlungen aber zurückgewiesen. Der englische Richter soll gegenüber dem Landesverantwortlichen der LTTE für Großbritannien sogar geäußert haben: »Sir, I know you are an honourable man, but I am sorry, I have to sentence you« – zu einer Bewährungsstrafe wegen der Sanktionsverletzung.

Was die Beweislage angeht, so sieht es auch in den in Deutschland geführten Verfahren nicht viel anders aus. In den Verfahren vor dem OLG Düsseldorf und dem Kammergericht wurden insgesamt drei Gutachter zur LTTE gehört, von denen nur einer überhaupt von eigenen Erfahrungen in Sri Lanka berichten konnte. Dieser Gutachter berichtete über die massiv obstruktive Haltung der sri-lankischen Regierung zu den Friedensverhandlungen und deren Repressions- und Bedrohungspolitik bis hin zu Tötungen (nicht nur von Tamilen). Bedroht würden Journalisten, NGOs, nicht gleichgeschaltete Richter. Auch er selbst sei bedroht worden. Die beiden anderen Gutachter hatten keine eigenen Erkenntnisse zu den angeblichen Taten der LTTE. Dafür zitierten sie die gesammelten Lesefrüchte aus allgemein zugänglichen, nicht-tamilisch-sprachigen Quellen, insbesondere der Presse und des Internets. Diese Gutachter vermitteln dem Gericht nur solche Erkenntnisse, über die es bereits verfügte, wenn es sich nur der Mühe unterzogen hätte, Zeitungsartikel, Internetseiten und andere Veröffentlichungen selbst zu lesen. Die Gutachter haben damit vor allem also bewiesen, dass es solche Artikel gibt - über den Wahrheitsgehalt dieser Veröffentlichungen ist damit noch nichts gesagt.|10 Weil aber derartige Presse- und Internetrecherchen immer nur ein unvollständiges und vielfach auch ein von politischem Interesse gefärbtes Bild wiedergeben, hat der EuGH soeben erst Presseartikel und Internetveröffentlichungen als Beweisgrundlage für die Aufnahme der LTTE in die EU-Sanktionsliste als völlig ungeeignet zurückgewiesen.|11 Dies - sollte man glauben – müsste umso mehr für ein Strafverfahren gelten.

Die Gutachter des Kammergerichtsverfahrens gaben denn auf Befragen auch zu, dass die Zuordnung jedes einzelnen Attentats oder Anschlags zur LTTE schwierig oder gar unmöglich sei, bezogen sich aber auf das Große und Ganze. Dabei musste einer von ihnen eingestehen, dass die von ihm benutzte, in Presseveröffentlichungen immer wieder zitierte und ursprünglich im Internet veröffentlichte Liste mit angeblichen Selbstmordattentaten der LTTE von zwei Urhebern stammt, an deren Seriosität erhebliche Zweifel bestehen. Eine der beiden Quellen arbeitet für die sri-lankischen Geheimdienste, die andere ist eine Organisation, die rundweg bestreitet, dass Tamilen in Sri Lanke überhaupt diskriminiert werden oder wurden.|12 Eine ernsthafte Beschäftigung mit dieser Liste, die immer wieder auftaucht, hat es nie gegeben. Betrachtet man diese Liste nur etwas sorgfältiger, so fällt auf, dass etwa zwei Drittel der aufgeführten »Anschläge« offenkundig militärische Kommandoaktionen waren; um die Aufklärung der verbleibenden Vorwürfe hat sich niemand je ernsthaft bemüht. So kommt es, dass die Texte und Gutachten über die LTTE und den Konflikt mit der sri-lankischen Regierungen in blinder Selbstreferentialität aufeinander verweisen, ohne zu berücksichtigen, dass eine Information, die womöglich bewusst als Kriegspropaganda gestreut wurde, selbst dann noch nur eine unbestätigte Information darstellt, die auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen ist, wenn sie in der Presse tausendfach wiederholt wurde. Dass aber die sri-lankischen Sicherheitsbehörden, die wenigstens zum Teil an der Entstehung des Berichtes beteilgt waren, alles andere als zuverlässig sind, weiß sogar das BKA, das aus diesen Gründen in diesem Bereich mit ihnen nicht zusammenarbeitet.|13

Gleichwohl hat das Kammergericht die Angeklagten, die sich in der gesamten Zeit, in der auch die der LTTE zur Last gelegten Taten stattgefunden haben sollen, entweder in Deutschland aufgehalten haben oder damals noch Kinder waren, auch im subjektiven Tatbestand für schuldig befunden, weil sie zumindest billigend in Kauf genommen hätten, dass die LTTE diese Taten begangen habe, ohne näher zu prüfen, ob sie überhaupt wußten, dass und welche Handlungen, die zur Qualifizierung als terroristische Vereinigung führen, der LTTE vorgeworfen, geschweige denn von ihr begangen wurden.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Das LTTE-Verfahren zeigt, dass die Anwendung der §§ 129a,b StGB zahlreiche Probleme aufwirft: Die Vereinigungen, um die es geht, bewegen sich in einem politischen Spannungsfeld, das juristisch so gut wie nicht fassbar ist und dessen Einflüsse auf die Beurteilung als »terroristische Vereinigung« noch viel weniger greifbar und oft von undurchschaubaren machtpolitischen Interessen bestimmt sind. Die Entscheidungen sind oft willkürlich. Das gilt auch für die Verfolgungsermächtigung nach § 129b Abs.1 S 3 StGB.

Die den Vereinigungen als Katalogtaten vorgeworfenen Handlungen spielen im Ausland und sind nur sehr schwer aufklärbar; die Justiz verlässt sich leichtfertig auf Quellen aus zweiter und dritter Hand und Plausibilitätsüberlegungen und verlässt damit den Boden einer rationalen und intersubjektiv nachvollziehbaren Beweisführung.

In Anbetracht kriegerischer Auseinandersetzungen sind die Implikationen des humanitären oder des Kriegsvölkerrechts bisher nicht genügend aufgearbeitet.|14
Im subjektiven Tatbestand, insbesondere bei inländischen Beschuldigten, besteht die Gefahr, dass eine saubere Beweisführung durch alltagstheoretische Unterstellungen ersetzt wird.
Die Vorschrift des § 129 b StGB genügt, jedenfalls in ihrer Handhabung, zu der sie Anlass gibt, grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen nicht.|15 Betriebe man die Verfahren im Einklang mit diesen Anforderungen, würde die Bedeutung der Vorschrift radikal abnehmen.

Axel Nagler ist Mitglied im Vorstand der Strafverteidigervereinigung NRW.
Er verteidigt u.a. in den LTTE-Verfahren.

Anmerkungen:

1 : B. v. 14.04.2010 – StB 5/10
2 : Urteil vom 29.06.2010 – C 550/09 –
3 : so auch Hankel, das Tötungsverbot im Kriege, Hamburg 2011, S. 31
4 : C-158/14
5 : B. v. 17.06.2010 – 3 AK 3/10; B. v. 06.05.2014 – 3 StR 265/13; ebenso KG, bisher nicht veröffentl. B. v. 06.10.2014
6 : Urt. v. 16.10.2014 – T-208/11 u. T-508/11, Rdn 56-68
7 : vgl. hierzu z.B. Le Monde Diplomatique, Nr. 10457 vom 11.7.2014, S. 14-15; AI - Amnesty International: Ensuring justice: Protecting human rights for Sri Lanka’s future, 7. Oktober 2014; http://www.amnesty.org/en/library/asset/ASA37/011/2014/en/4c09c88e-a298-4cba-bdee-4b6a077ef55a/asa370112014en.pdf (Zugriff am 30. Dezember 2014); HRW - Human Rights Watch: World Report 2014 - Sri Lanka, 21. Januar 2014 (verfügbar auf ecoi.net); http://www.ecoi.net/local_link/267821/395176_de.html (Zugriff am 30. Dezember 2014)
8 : mit Ausnahme von zwei von Prabakharan selbst eingeräumten persönlichen Taten, die vor mehr als 25 Jahren begangen wurden
9 : vgl. dazu nur das Urteil des EuG (Fn. 5), Rn 148-150
10 : KG NJW 72, 1910; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 8. Aufl. Rdn 20
11 : Urt. v. 16.10.2014 , Rn 206, 207, 223
12 : SPUR ist eine eindeutig pro-singhalesische Vereinigung, die unter anderem bestreitet, dass die Tamilen in Sri Lanka diskriminiert werden; Rohan Gunaratna, der i.Ü. im Quellenverzeichnis eine Gutachtens mehrfach auftaucht, arbeitete von 1984-1994 für die sri-lankische Regierung und soll bis heute enge Verbindungen zum sri-lankischen Sicherheitsdienst und Anti-Terroreinheiten besitzen.
13 : so ein hochrangiger Beamter des BKA in seiner Zeugenaussage vor dem Kammergericht
14 : vgl. aber Gazeas in Anwaltkommentar StGB, § 129a Rn 12: Konfliktvölkerrechtlich zulässiges Handeln während eines bewaffneten Konflikts erfüllt die Voraussetzungen einer Katalogtat nicht.
15 : zur Kritik der Vorschrift im Einzelnen vgl. Fischer, StGB, Rn 3ff, 6, 7ff., 10, 13f; MK-Schäfer Rn 10, 15,16; Kreß JA 05, 220ff.

Axel Nagler: Sorry, I have to sentence you, in: Freispruch, Heft 6, Februar 2015

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