Strafverteidigertag Rechtspolitik

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Heft 5 : Reform

freispruch # 5 | september 2014 | das ganze Heft als PDF-Download

Das Wort »Reform« hat keinen guten Klang bei Strafverteidigern. Denn seit vielen Jahren gilt, dass, was reformiert wird, besser bewahrt geblieben wäre. Vom Jugend- über das Sexualstrafrecht und die Opferschutzgesetze bis hin zur Regelung von Absprachen haben die vergangenen Reformen den Status von Beschuldigten im Verfahren eher verschlechtert als verbessert. »Reform« steht längst nicht mehr für Liberalisierung, sondern für »Sicherheit«, »Effizienz« und Rücksicht auf die vermeintliche »Ressourcenknappheit«.
Nun hat das Bundesjustizministerium eine »Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens« einberufen, die in einer Serie von Sitzungen Vorschläge zur Reform des Straf- und Jugendstrafverfahrens erarbeiten soll. Allen Erwartungen zum Trotz und ungeachtet der im Titel der Kommission festgeschriebenen Effektivierung und Praxistauglichkeit sind in der Kommission auch die Anwaltsverbände vertreten. Dies ist nicht selbstverständlich. In den vergangenen Legislaturperioden durften wir beobachten, wie wichtige Referentenentwürfe bereits zu Gesetzesvorlagen wurden, bevor überhaupt die Frist zur Stellungnahme verstrichen war. Von einer ernstzunehmenden Beteiligung der Anwaltschaft am Zustandekommen konnte vielfach keine Rede sein.
Umso erfreulicher ist, dass neben der Bundesrechtsanwaltskammer und dem DAV auch die Strafverteidigervereinigungen eingeladen wurden, einen Vertreter in die Kommission zu entsenden und die Interessen der Verteidigung nun von drei Stimmen vertreten werden.
Anlass genug, die bewährte Haltung - wenigstens probeweise - abzulegen und statt des üblichen Abwehrkampfes gegen ungewünschte Reformen die Frage zu stellen, was aus Sicht der Verteidigung wirklich reformbedürftig ist.
Wir haben für den Freispruch Autoren um Vorschläge gebeten. Die ersten Ergebnisse finden Sie in dieser Nummer dokumentiert. Dass es sich dabei nicht immer nur um Vorschläge handelt, die in den Vorständen der Vereinigungen ausdiskutiert wurden, tut der Sache keinen Abbruch. Es ist ein Anfang, dem noch viele weitere Vorschläge folgen werden. Der Weg der Reform ist eben ein langer und mühseliger Weg nach oben. Wir sind gespannt, was Oben ankommen wird.

Thomas Uwer &
Jasper von Schlieffen


Dokumentation im Ermittlungsverfahren

Wenn die vom Bundesjustizminister einberufene Expertenkommission Reformvorschläge für das Strafverfahren vorbereitet, sollte ein Punkt mit höchster Dringlichkeit auf ihrer Agenda stehen: Eine gesetzliche Regelung zur Dokumentation von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren. von Jasper von Schlieffen

Im falschen Film

Die fehlende inhaltliche Dokumentation des Strafprozesses ist ein Anachronismus. Dabei wäre eine Dokumentation technisch ohne großen Aufwand möglich. So aber stehen Verteidigung und Beschuldigter immer wieder vor dem Problem, dass sie erst mit der Urteilsverkündung erfahren, wie das Gericht Zeugenaussagen verstanden und bewertet hat. Um die Rechtsschutzlücke gegen die Verfälschung des Sachverhalts durch Urteilsfeststellungen zu schließen, bedürfte es nicht einmal einer umfangreichen visuellen Dokumentation, argumentieren Armin von Döllen und Carsten Momsen. Dies könnte bereits eine Protokollierungspflicht zum Zeitpunkt der Zeugenaussage erreichen.

Generalrevision

Die Regelungen zur Untersuchungshaft gehören grundlegend reformiert. Martin Rubbert macht Vorschläge, wie eine solche Reform aussehen könnte.

Reformbedarf beim JGG?

Die vom Bundesminister der Justiz einberufene Expertenkommission soll auch über eine Reform des JGG nachdenken. Schließlich ist das Jugendstrafrecht seit Jahren ein beliebtes Themenfeld der Rechtspolitik. Aber besteht dort überhaupt Reformbedarf? Oder sollte man nicht besser bewahren, weil schlimmeres droht? Mit dem Reformbedarf im JGG befasst sich Matthias Zieger.

Weg mit der Isolationshaft!

Seit Juli diesen Jahres tagt die vom Bundesjustizminister eingesetzte »Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglichen Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens«. Ihr Arbeitszettel ist zwar außerordentlich lang, doch die Rücknahme der durch die sog. Terroristengesetze eingeführten Eingriffe in Beschuldigten- und Verteidigungsrechte und vor allem den längst überfälligen Vorschlag, die Isolationshaft und ihre Anwendung durch Gerichte und Haftanstalten eindeutig zu verbieten, enthält sie nicht. Ein Fehler, meint Carl W. Heydenreich.

Notwendige Reform

Notwendige Reformen der notwendigen Verteidigung beschreibt Lefter Kitlikoglu.

Augen zu und durch geht nicht mehr

Eine Reform des BtMG ist zwingend erforderlich ! von Leo Teuter

Haftfortdauerbeschlüsse konventionswidrig?

Ist ein Richter, der bei der Anordnung der Untersuchungshaft das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts bejaht hat, in der Hauptverhandlung unvoreingenommen? Der EGMR hält dies zumindest für fraglich. Es wird Zeit für eine gesetzliche Regelung der Vorbefassung meint Andreas Schwarzer.

Reform der Tötungsdelikte

2013 schlug die schleswig-holsteinische Justizministerin Anke Spoorendonk auf der Justizministerkonferenz eine Reform der Tötungsdelikte § 211, 212 StGB vor, mit dem Ziel, die Normen endlich von den Ursprüngen des NS-Täterstrafrechts zu befreien. Während sie damit unter ihren Kollegen auf wenig Verständnis stieß, fand ihr Vorstoß woanders durchaus Zustimmung. Unter anderem BGH-Richter Professor Thomas Fischer setzte sich öffentlich dafür ein, die »braune Schleimspur« (Fischer) endlich zu beseitigen. Tatsächlich kündigte der neue Bundesjustizminister Heiko Maas an, eine Reform auf den Weg bringen zu wollen. Dazu haben auch die Strafverteidigervereinigungen Stellung genommen.

Rechtsanwalt, amtsbekannt

Jahrzehntelang ist der Freiburger Strafverteidiger Michael Moos vom Verfassungsschutz ausgespäht worden. Spätestens seit 1979, möglicherweise bereits zuvor, sammelte das Landesamt für Verfassungsschutz Informationen über Moos, wie ein Schriftwechsel mit dem LKA Baden-Württemberg nahelegt. Auf 764 Seiten beläuft sich inzwischen die vom Verfassungsschutz vorgelegte Akte, die enthält, was von V-Mannberichten und Observierungsprotokollen übriggeblieben ist. Nur ist der größte Teil geschwärzt. Denn auch nach fünf Jahren Verfahren um die Offenlegung will man Michael Moos den vollen Umfang der in seiner Geheimdienstakte gesammelten Informationen vorenthalten. Ganze Seiten sind vollständig geschwärzt - bis auf die immer wieder aufscheinende Zeile »MOOS, Michael, 30.04.47«. Eine Posse, könnte man meinen, ginge es dabei nicht ganz nebenbei auch um die geheimdienstliche Ausspähung seiner anwaltlichen Arbeit. Und wäre nicht eben der Verfassungsschutz die Behörde gewesen, die den neonazistischen Terror des NSU jahrelang nicht sehen wollte, obwohl sie so nahe dran war, wie sonst keiner.

freispruch ist das Mitgliederorgan der Strafverteidigervereinigungen und erscheint beim:
Organisationsbüro der
Strafverteidigervereinigungen
Redaktion: Thomas Uwer
Fanny-Zobel-Str. 11 | 12435 Berlin
ISSN: 2196-9868
Printauflage: 4.000 Exemplare
Erscheinungsweise: halbjährlich

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