Strafverteidigertag Rechtspolitik

»Augen zu und durch« geht nicht mehr.

Eine Reform des BtMG ist zwingend erforderlich ! von Leo Teuter

 

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Immer wieder, wenn aus unterschiedlichen Ecken Kritik an der prohibitionistischen Drogenpolitik formuliert wurde, verschloss die Politik Augen und Ohren und tat so, als bestünde kein Handlungsbedarf. Als Beispiel sei hier nur der 2011 unter dem programmatischen Titel »Drogen-Krieg« erschienene Bericht der Globalen Kommission zur Drogenpolitik der UN|1 genannt, zu dem keinerlei offizielle Stellungnahme zu vernehmen war.

Nachdem aber

- der EuGH am 10.07.2014 entschieden hatte, künstliche Cannabinoide seien keine Arzneimittel (Az. C-358/13 und C-181/14, StraFo 04, S. 343),
- diese Rechtsprechung nun vom BGH übernommen wurde (1 StR 47/14),
- das VG Köln schwerkranken Menschen den Anbau von Hanf genehmigte, (Urt. v. 22.07.2014, Az. 7 K 4447/11 u.a.),
- selbst die Justizministerkonferenz am 26.06.2014 eine Reform des § 35 BtMG anmahnte und
- die Auswirkungen der Cannabislegalisierung in den USA zum Thema des Wirtschafsteils der Tagespresse wurden (s. FR v. 20.08.14),

... sollte sich diese ignorante (Verweigerungs-)Haltung erledigt haben.
Zudem gibt es eine Vielzahl an Initiativen, um die bestehende Rechtslage hinsichtlich psychoaktiver Substanzen zu verändern oder mindestens auf den Prüfstand zu stellen:

- Die lesenswerte Resolution von 120 deutschen Strafrechtsprofessoren|2 führte zu einem Prüfungsauftrag an den Gesundheitsausschuss des Bundestages, ob es nicht an der Zeit sei, die bisherigen Erfahrungen mit dem BtMG von einer unabhängigen Kommission evaluieren zu lassen (BT-Ds 18/1613).
- Eine Petition, wonach Strafverfahren gegen Patientinnen und Patienten im Zusammenhang mit einer durch einen Arzt bescheinigten notwendigen medizinischen Verwendung von Cannabisprodukten grundsätzlich eingestellt werden sollen, wurde auf den Weg gebracht.|3
- Vor kurzem wurde der erste Alternative Drogen- und Suchtbericht 2014 vorgelegt.|4
- Die Bemühungen auf lokaler Ebene, Erfahrungen aus anderen Ländern auch in Deutschland umzusetzen, sind kaum noch zu zählen.

Es wird sich also etwas tun müssen und es fragt sich eigentlich nur noch, wohin die Reise geht. Deshalb ist es an der Zeit, die Scheuklappen abzulegen und den Weg für einen rationalen Diskurs zu ebnen. Dazu sollte – neben dem soeben beschriebenen Reformbedarf – vor allem von prohibitionskritischer Seite eindeutig formuliert und entsprechend von der Gegenposition endlich zur Kenntnis genommen werden: Soweit ersichtlich, vertritt niemand ernsthaft die völlige Abschaffung des BtMG. Diese Aussage mag angesichts der heftigen und gut begründeten Kritik am Prohibitionsansatz verblüffen, ist aber bei näherer Betrachtung ziemlich banal, denn niemand plädiert wirklich dafür, künftig solle mit Heroin oder Crystal Meth umgegangen werden wie mit Salatköpfen – und selbst diese unterliegen der Lebensmittelkontrolle.

Auch wenn Prohibitionisten dies gerne gezielt missverstehen und deshalb von angeblichen Verharmlosungen sprechen: Es geht bei allen ernst zu nehmenden »Legalisierungs«ansätzen nicht um die beliebige und unkontrollierte Freigabe psychoaktiver Stoffe, sondern in erster Linie um den kontrollierten Umgang damit. Diese Kontrolle soll vor allem für Transparenz und Sicherheit sorgen. Der Prohibitionsansatz und die von ihm geschaffenen illegalen Märkte leisten weder das eine noch das andere.

Dazu eine Binsenweisheit: Wenn es Kontrollen gibt, muss es dafür Regeln geben, und wo es Regeln gibt, muss es Bestimmungen geben, wie mit einem Verstoß gegen diese Regeln umzugehen ist. So etwas steht üblicherweise in Gesetzen und das hier einschlägige Gesetz darf dann ruhig auch weiter Betäubungsmittelgesetz heißen – muss es aber auch nicht unbedingt.
Soweit sollte eigentlich Konsens bestehen. Deshalb muss endlich damit aufgehört werden, Legalisierungsansätze in die Schmuddelecke der Verantwortungslosigkeit zu schieben. Dies versuchte übrigens gerade wieder StA Dr. Matthias Volkmer, indem er einen Beitrag mit dem völlig abstrusen Satz »Crystal Meth für alle?« betitelte|5 und diese Aussage den Prohibitionskritikern in den Mund zu schieben versuchte. Aber auch wenn es die Prohibitionisten nicht gerne hören: So einen Unsinn fordert niemand. Nur so am Rande bemerkt: Es ist ein bestens bekanntes Indiz eigener argumentativer Not, die Gegenposition durch Verdrehungen ad absurdum zu führen, um ihr dann - scheinbar - begegnen zu können.
Im Sinne einer konstruktiven Auseinandersetzung ist damit der kleinste gemeinsame Nenner beschrieben: Reformbedarf einerseits und keine unkontrollierte Verfügbarkeit psychoaktiver Stoffe andererseits. Nur auf der Grundlage dieser beiden Eckpfeiler wird sich der erforderliche Diskurs herstellen lassen. Alles andere sind Glaubenskriege, die nur der Bestätigung der eigenen Position dienen.

Bei der anstehenden Umsetzung des vorhandenen Reformbedarfs werden sich selbstverständlich sehr schnell gravierende Differenzen zeigen. Entscheidend wird es darauf ankommen, ob es nur zu einer minimalistischen Reparatur des verfehlten Prohibitionszustandes kommt oder ob es gelingt, den notwendigen Paradigmenwechsel auf den Weg zu bringen.

Zur Begründung der Notwendigkeit, neue Wege zu beschreiten, sollen an dieser Stelle nur zwei Zitate aus dem eingangs erwähnten Bericht der UN-Kommission für Drogenpolitik ausreichen: »Der weltweite Krieg gegen die Drogen ist gescheitert, mit verheerenden Folgen für die Menschen und Gesellschaften rund um den Globus. 50 Jahre, nachdem die Vereinigten Nationen das Einheits-Übereinkommen über die Betäubungsmittel initiiert haben, und 40 Jahre, nachdem die US-Regierung unter Präsident Nixon den Krieg gegen die Drogen ausgerufen hat, besteht in der nationalen und weltweiten Drogenpolitik dringender Bedarf nach grundlegenden Reformen.«|6

Und als abschließende Empfehlung heißt es in dem Bericht, es müssten dringend Maßnahmen getroffen werden, denn »der Krieg gegen die Drogen ist gescheitert, die Drogenpolitik muss jetzt geändert werden«.|7 Das Wörtchen »jetzt« stammt übrigens aus dem Jahre 2011.
Dabei könnte sich eine künftige Drogenpolitik durchaus an der bestehenden Handhabung von Arzneimitteln oder anderer Genussmittel (Alkohol) orientieren. Der Umstand, dass auf Englisch »drug« sowohl Medikament als auch Droge bedeutet, darf gerne als Hinweis in dieser Richtung verstanden werden. Insoweit hat der vom EuGH nun endlich beendete Versuch, Legal Highs zu Medikamenten umzudefinieren, einen fast amüsant anmutenden Beigeschmack. Eine solche Einordnung psychoaktiver Stoffe, die sich von anderen Substanzen ähnlicher Natur (z.B. Psychopharmaka) im Grunde vor allem dadurch unterscheiden, dass sie zum Großteil weder von der pharmazeutischen Industrie, noch von anderen Weltkonzernen produziert und vertrieben werden, würde eine differenzierte und sachgerechte Beurteilung gestatten. [Mehr zu Legal Highs im Freispruch, Heft 2, Januar 2013.]

Letztendlich sollte alles mindestens verschreibungsfähig und manches – z.B. Cannabis – verkehrsfähig sein. Es muss vor allem nach besseren Lösungen bestehender Probleme gesucht werden, denn der gegenwärtige Weg »kriminalisiert und tötet unsere Kinder« - so jedenfalls der bemerkenswerte Titel einer Initiative australischer Eltern.|8

Es würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen, hier im Einzelnen einen Entwurf zu entfalten, wie mit welcher Substanz umzugehen sein wird. Als Leitlinie für den aus meiner Sicht zwingend erforderlichen Paradigmenwechsel kann allerdings formuliert werden, dass nicht nur der Konsum straffrei sein muss, sondern auch der Konsument|9, und dass endlich die tatsächliche Gefährlichkeit einer Substanz als wichtiges Kriterium herangezogen wird und nicht mehr verschwommene Aussagen über angebliche kulturelle Unterschiede. Deshalb erscheint es zwingend erforderlich, auf der Grundlage des beschriebenen Minimalkonsenses eine konstruktive Diskussion über die Lagergrenzen hinweg hinsichtlich der Zukunft des BtMG zu beginnen. Eine entsprechende Fachtagung im ersten Halbjahr 2015, bei der alle Seiten zu Wort kommen, könnte dafür ein geeignetes Forum darstellen. Ich hoffe, dass dieser Beitrag als Einladung an »die Politik« verstanden wird, sich diesem Diskussionsprozess nicht weiter zu verweigern

Abschließend noch ein persönliches Statement: Eine Geisteshaltung, die den Genuss grundsätzlich negativ konnotiert, so wie dies im Zusammenhang mit der Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken immer wieder der Fall ist, kann es nicht ernsthaft gut mit den Menschen meinen, denn warum sollte ohne Not der Genuss versagt werden? Daraus folgt: Eine Pflanze, die - ohne in der Regel wirklich zu schaden - Genuss bereitet, sollte geschätzt und nicht verboten werden.

Dr. Leo Teuter arbeitet als Strafverteidiger in Frankfurt/Main und ist Mitglied der Vereinigung Hessischer Strafverteidiger.

Anmerkungen:

1 : www.globalcommissionondrugs.org
2 : www.schildower-kreis.de
3 : epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2014/_05/_30/Petition_52664.nc.html
4 : http://alternativer-drogenbericht.de
5 : Blutalkohol 51/2014, S. 201
6 : globalcommissionondrugs.org S. 2
7 : a.a.O. S. 17
8 :
www.australia21.org.au
9 : Gegenwärtig richten sich BtM-Verfahren überwiegend gegen Konsumenten, die wegen Erwerb oder Besitz verfolgt werden.

Dr. Leo Teuter:
Augen zu und durch geht nicht mehr, in: Freispruch, Heft 5, September 2014

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