Strafverteidigertag Rechtspolitik

Darf man Nazis verteidigen?

Die Verfahren gegen Beate Zschäpe in München und den ehemaligen SS-Mann Oskar Gröning in Lüneburg werfen erneut die Frage auf, ob und wie man (Neo-) Nazis verteidigen kann. Ist eine solche Verteidigung mit dem eigenen Selbstverständnis vereinbar? Jens Janssen und Jasper von Schlieffen nehmen dazu Stellung.

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Zwei Dinge vorab: Jeder hat das Recht auf Verteidigung. Und: die Unschuldsvermutung gilt. Das ist unabdingbar und muss gegen die Öffentlichkeit und gegen die Gerichte tagtäglich neu verteidigt werden.
Aber was gilt eigentlich für uns - welche rechtspolitischen Ziele verfolgen wir (noch) –und: Welche Ethik ist die unsere?

Wer in den vergangenen Monaten die Medien verfolgte, soweit sie sich mit Justiz befassen, fand (neben den üblichen Tötungsdelikten und potentieller Straftaten von Bankern) vor allem ein Thema: Verfahren gegen (die Unschuldsvermutung gilt immer noch) potentielle und ehemalige (Neo-) Nazis.

Martin Lemke hat in seinem hervorragenden Eröffnungsvortrag zum 37. Strafverteidigertag die Frage nach der Akzeptanz des Rechtsstaats in der Justiz aufgeworfen und darauf hingewiesen, dass die personellen und ideologischen Kontinuitäten der NS-Juristen in der Bundesrepublik Deutschland und die Rechtsprechung für politisch denkende Menschen in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren nur schwer erträglich war. Diese Frage hat sich jetzt teilweise biologisch erledigt, aber die Rechtsprechung tut sich immer noch schwer, neue Konturen zu gewinnen, die seit dem Demjanjuk-Verfahren immerhin durchscheinen.

Und jetzt das: Da wird vor dem Landgericht Lüneburg von der Verteidigung darüber gestritten, ob der »Buchhalter von Auschwitz«, der an der Rampe mit Blick auf die Krematorien saß, tatsächlich Beihilfe geleistet hat.

Oder im NSU-Verfahren in München: Da betreibt die Angeklagte Zschäpe schon 2014 die Entpflichtung und ihre Verteidigung gibt die gebotene Erklärung, mit der Auswechslung einverstanden zu sein, zunächst nicht ab. Auftritt des nächsten, jungen Verteidigers: Der Kollege lässt das Gericht wissen, er brauche drei Wochen, um sich in die 380.000 Aktenseiten einzuarbeiten. Immerhin habe er einen renommierten Verteidiger im Hintergrund.

Der Senat kann jedenfalls weitermachen.

Ist dies symptomatisch für die Verteidigung in derartigen Verfahren?

Alle Beteiligten sind Mitglieder ihrer Strafverteidigervereinigungen und sicherlich der ideologischen Nähe zu ihren Mandanten völlig unverdächtig. Sie werden vielleicht entgegnen, dass »wir« den Täter und nicht die Tat verteidigen und dass ähnliche Diskussionen in den Strafverteidigervereinigungen bereits um die Verteidigung potentieller Sexualtäter gelaufen sind. Ich meine, es gibt einen wesentlichen Unterschied: Bei der Verteidigung in Sexualstrafsachen geht es eben nicht um die Frage, wie die Justiz schon aufgrund personeller Kontinuität in abenteuerlichen Konstruktionen alles getan hat, Verfolgung zu verhindern.

Richtig ist: Zumindest in Lüneburg wurde symbolische Strafverfolgung in einer Art positivem Schauprozess betrieben. Man könnte darüber streiten, ob nach der Vollstreckungslösung der staatliche Strafanspruch verwirkt ist, gerade weil die Justiz 70 Jahre lang - mit Ausnahme von Fritz Bauer und einigen wenigen Aufrechten - ihre schützende Hand über potentielle Täter gehalten hat. Aber darüber, dass einer, der in Uniform an der Rampe sitzt und Geld zählt, keinen strafrechtlich relevanten Beitrag leistet, darüber streitet man - so finde ich - nicht.

Ein weiteres Argument ist dasjenige der Verteidigung des Rechtsstaats durch die Verteidigerin, durch den Verteidiger. Ich verstehe auch das nicht, denn wenn ich verteidige, dann doch gerade nicht den Staat, sondern den Mandanten. Und der will - gerade hierauf hat auch der potentielle (Neo-) Nazi einen Anspruch - bestmöglich verteidigt werden. Ich glaube, dass das Bauchgefühl vieler Kolleginnen und Kollegen, mutmaßliche (Neo-) Nazis nicht zu verteidigen, eine sehr konkrete Ursache hat: Nur wer scheinprofessionell oder wirklich völlig kalt ist, hat sich bei aller professioneller Distanz nicht klargemacht, dass die Darstellung des möglichen Antisemiten, Rassisten und Ausländerhassers als bravem Familienvater und Mitglied des Hasenzüchter- und Kegelvereins genau dem entspricht, was sich der gemeine Nazi so wünscht - eben mitten in der Gesellschaft zu stehen.

Oder schlimmer noch: Verteidigung fördert eine Rechtsentwicklung, die (weiter) wegschaut.

Die Strafverteidigervereinigungen waren in ihrem Anfang Gegenentwurf zum seinerzeit eher konservativen DAV. Sind sie jetzt nur noch Nostalgie und gefühlte Nähe zu Kolleginnen und Kollegen, mit denen man sich zumindest teilweise in einer irgendwie fortschrittliche und emanzipatorische Grundhaltung verbunden fühlt? Und wie gehen wir denn künftig mit RechtsanwältInnen mit Sympathien für die Naziszene (sogenannte Szeneanwälte) um, wenn sie Aufnahmeanträge stellen?

Brauchen wir wirklich ein neues Selbstverständnis?

Jens Janssen ist Strafverteidiger und Mitglied der Vereinigung Baden-Württembergischer Strafverteidiger e.V..

 

 

»Selbstverständlich! Wenn man will.« Welche Mandate ein Strafverteidiger übernimmt, muss er selbst entscheiden und die Verantwortung für diese Entscheidung tragen. Dies ist Teil seiner Unabhängigkeit und seiner vom Grundgesetz geschützten beruflichen Freiheit. Eine Ethik, die dem Rechtanwalt als Strafverteidiger vorschreiben will, welche Mandate zu führen vertretbar ist und welche nicht, ist mit dieser Freiheit und Unabhängigkeit und der historischen Errungenschaft der freien Advokatur nicht vereinbar.
1.
Jeder Beschuldigte hat ein Recht auf eine engagierte und konsequente Verteidigung, die alles vorbringt, was zu seinen Gunsten vorgebracht werden kann. Dies wird auch von denen, die der Auffassung sind, man dürfe Nazis nicht verteidigen, nicht bestritten. Wenn man allerdings jedem Beschuldigten das Recht auf in diesem Sinne gute Verteidigung zugesteht, begibt man sich in einen unauflösbaren Widerspruch, wenn man zugegleich postuliert, Nazis dürfe man nicht verteidigen. Die Antwort: »Ein Problem entstehe erst, wenn keine Verteidiger zur Verteidigung bereit wäre bzw. wenn Verteidiger gegen ihren Willen zur Verteidigung verpflichtet würden.« (Grönheit, Berliner Anwaltsblatt 2014, S. 79, 81) löst diesen Widerspruch nicht auf. Denn dieses »irgendeiner wird sich schon finden« legt nahe, dass es Anwälte minderer beruflicher Ethik gibt, die sich bereit erklären, derartige Verteidigungen zu übernehmen. Sie impliziert weiter, freilich ohne dies ausdrücklich zu formulieren, dass für Beschuldigte aus diesem Spektrum auch eine Verteidigung minderer Güte, eine Art »Kassen-Verteidigung« ausreichend sei. Oder sollen diese Mandate von den berüchtigten Szeneverteidigern geführt werden?

2.
Auch für Beschuldigte, die Nazis sind oder für solche gehalten werden, gilt die Unschuldsvermutung. Auch dies wird nicht bestritten. Freilich leidet dieses Postulat einer rechtsstaatlichen Selbstverständlichkeit, wenn bereits Strafverteidiger voreilig und hochgemut nach dem Etikett »Nazi« greifen und damit zur Vorverurteilung Beschuldigter beitragen, die sie dem rechtsradikalen Spektrum zuordnen. Abgesehen von den eher seltenen Fällen, in denen sich solche Beschuldigte schon gegenüber dem Verteidiger im Anbahnungsgespräch zu ihrer Weltanschauung bekennen, fragt sich, wie der ethisch handeln wollende Verteidiger sich die Gewissheit von der Überzeugung des Beschuldigten verschafft: Anhand der Ermittlungsakte oder der Berichterstattung in den Medien? Was macht ein solcher Verteidiger, wenn sich die roten Flaggen erst spät im Rahmen der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung zeigen? Folgt dann eine Kündigung des Mandats (zur Unzeit?) oder wird Geständnisdruck unter Androhung des Einstellens jeder engagierten Verteidigungstätigkeit ausgeübt? Ist der Verrat am Mandanten legitimes Mittel zur Wahrung der persönlichen ethischen Integrität?
Gerade eine Beschuldigte wie Frau Zschäpe im Münchener NSU-Verfahren braucht eine besonders qualifizierte und unabhängige Verteidigung. Gerade im Fall von Beschuldigten, bei denen jeder – aus welchem Grund auch immer – mit Sicherheit zu wissen meint, aus welchem braunen Sumpf sie stammen, ist eine sachkundige und nüchterne Verteidigung gefordert, die sich nicht einschüchtern lässt und verhindert, dass die Empörung über die verachtenswerte Gesinnung die sorgfältige Tatsachenfeststellung ersetzt. Im Übrigen besteht gerade in den Fällen, in denen die Öffentlichkeit ein Versagen staatlicher Institutionen diagnostiziert (z.B. NSU-Verfahren oder NS-Verbrechen) die Gefahr, dass eine Art Stellvertreter-Strafverfahren geführt werden, in denen diese Versäumnisse durch größtmögliche Distanzierung vom Beschuldigten bei gleichzeitiger Leugnung eigener , d.h. staatlicher oder gesellschaftlicher Verantwortung kompensiert werden sollen. Auch davor muss der Beschuldigte, für den die Unschuldsvermutung streitet, geschützt werden.

3.
Die Erfahrung zeigt, dass gerade auf Gebieten, die selbst Strafverteidigern als »anrüchig« gelten, rechtsstaatlich viel gewonnen oder verloren werden kann. Noch heute wird in manchen Strafverteidigerkreisen darüber diskutiert, ob man in Sexualstrafverfahren verteidigen dürfe. Aber gerade in diesen »anrüchigen« Verfahren hat sich die moderne Aussagepsychologie als forensische Wissenschaft entwickelt, die einer intuitiven richterlichen Aussagebeurteilung entgegengehalten werden kann. Dies ist nicht zuletzt engagierter Verteidigung zu verdanken, die auf die Einholung derartiger Gutachten bestanden und, wenn diese ungenügend schienen, mit methodenkritischen Gutachten gearbeitet hat. Ohne diese Verteidigung wäre es nicht zu der grundlegenden Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1999 gekommen, in der nicht nur Standards der Begutachtung festgeschrieben wurden, sondern letztlich auch Maßstäbe, an denen sich richterliche Beweiswürdigung zu orientieren hat, weit über den Bereich der Sexualstrafverfahren hinaus.
Nichts anderes gilt auf dem Gebiet strafbarer Äußerungen. Dies sind neben den Delikten zum Schutz der Ehre die sogenannten Propagandadelikte, namentlich die Volksverhetzung (§ 130 StGB), die in den Absätzen 3 und 4 echtes »Nazi«-Strafrecht darstellt. In diesem Bereich hat die Strafjustiz in der Vergangenheit - möglicherweise aus nachvollziehbarer Empörung und Angewidertheit über nationalsozialistische Hasspropaganda - wiederholt voreilig Verurteilungen ausgesprochen, die später vom Bundesverfassungsgericht wegen nicht ausreichender Berücksichtigung der Meinungsfreiheit (Art. 5 I GG) aufgehoben wurden. In diesem Bereich hat das Bundesverfassungsgericht exemplarisch das Gewicht der Meinungsfreiheit in der politischen Auseinandersetzung hervorgehoben und bei den Strafverfolgungsbehörden eine besondere grundrechtliche Sensibilität angemahnt. Die in diesem Bereich ergangenen Entscheidungen wirken weit über die Vorschrift des § 130 StGB hinaus und dienen auch dem Schutz von Meinungsäußerungen ganz anderer Couleur. Wäre hier gleichsam aus politischem Ekel nicht konsequent verteidigt worden, so hätte die Rechtsprechung der Instanz und Obergerichte möglicherweise von § 130 StGB herkommend in andere Bereiche hineinwirkend eine wesentlich restriktivere und grundrechtsfeindliche Entwicklung genommen.

4.
Kein Verteidiger muss Nazis verteidigen. Dies ist eine höchstpersönliche Entscheidung. Wer die Frage, ob die Tatbeiträge des »Buchhalters von Ausschwitz« wirklich als Beihilfe im Rechtssinne zu qualifizieren sind, nicht stellen will, mag dafür gute Gründe haben. Diese darf er für sich behalten, denn es sind seine Gründe, aber eben auch nur das und nicht das Maß der Dinge.

Jasper vonSchlieffen ist Strafverteidiger und Geschäftsführer des Organisationsbüros. Dieser Beitrag, darauf legt er Wert, gibt ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.

 

Jens Janssen / Jasper von Schlieffen: Darf man Nazis verteidigen?, in: Freispruch, Heft 7, September 2015, S. 13-14

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