Strafverteidigertag Rechtspolitik

Die Bayern und das Versammlungsrecht

In Bayern sollten Demonstrationen nur noch angemeldet und unter vollständiger Überwachung stattfinden dürfen. Gegen das entsprechende Versammlungsgesetz demonstrierten und klagten auch Mitglieder der Initiative Bayerischer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger. Mit Erfolg. : von Hartmut Wächtler

 

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Den Bayern wird gerne nachgesagt, sie seien schwarz aber aufmüpfig. Dieser Meinung war wohl auch die Bayerische Staatsregierung, als sie noch die absolute Mehrheit im Landtag hatte, also bis September 2008.

Durch einen faulen Kompromiss im Rahmen der Föderalismusreform I war die Kompetenz für das Versammlungsrecht vom Bund auf die Länder übergegangen mit der blödsinnigen Folge, dass man in Hamburg zukünftig anders demonstrieren darf als in Sachsen. Sogleich machte sich das bayerische Innenministerium daran, ein eigenes Versammlungsgesetz zu entwerfen. Nun war zwar das alte VersG aus dem Jahre 1953, mitten im Kalten Krieg entstanden, nicht gerade ein Fanal der Freiheit. Die Rechtsprechung des BVerfG hatte aber einige Leerstellen im Sinne liberaler Gedanken ausgefüllt und insbesondere die Verbotstatbestände seit dem legendären Brokdorf-Urteil des Jahres 1985 so eingeschränkt, dass es den Behörden schwerer gemacht wurde, unliebsame Versammlungen einfach zu verbieten. Dem sollte nun durch ein neues und der »neuen Zeit« eines bis auf die Knochen kontrollierten Staatsbürgers angepasstes Gesetz ein Ende bereitet werden. Am 16.7.2008 – kurz vor der Wahl – verabschiedete der Landtag das neue Bayerische Versammlungsgesetz - gegen alle Bedenken von Opposition, angehörten Fachleuten und Verbänden. Es sah auch für Minimalveranstaltungen eine maximale Kontrolle und bürokratische Hürden vor, stellte zum Beispiel unter Strafe von bis zu einem Jahr, wer eine Versammlung von »mindestens zwei Personen« nicht 72 Stunden vorher anzeigte und drohte dem ein Bußgeld an von bis zu 3.000 Euro, der als Versammlungsleiter Polizeibeamten keinen »angemessenen Platz einräumt[e]« oder der die geforderte detaillierte Anzeige mit zahlreichen persönlichen Daten aller Verantwortlicher »nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig« erstattete. Darüber hinaus sah das Gesetz eine fast unbeschränkte Erfassung aller Versammlungen durch offene oder geheime optische und/oder akustische Ausspähungen per Tonband oder Video vor.

Gegen diesen Gesetz gewordenen Traum der Behördenkontrollfreaks legten am 16. September 2008 dreizehn Parteien und Verbände Verfassungsbeschwerde ein, zu ihnen gehörten alle im bayerischen Landtag vertretenen Oppositionsparteien, die Linke und FDP, dazu der DGB und zahlreiche weitere NGOs. Die Initiative Bayerischer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger beteiligte sich an den begleitenden Protestdemonstrationen, die durch den laufenden Landtagswahlkampf besonderes Gewicht erhielten und stellte einen der beiden Prozessvertreter beim BVerfG.

Und siehe da: Beide, das aufmüpfige Volk und die Advokaten bewirkten Erstaunliches. Die CSU verlor am 28.9.2008 ihre absolute Mehrheit im Landtag und musste die FDP mit ins Boot nehmen, und das BVerfG hob in einer Eilentscheidung vom 17.2.2009 wesentliche Teile des BayVersG als verfassungswidrig auf. Das völlig neu gefasste Gesetz vom 22.4.2010 hat dem alten von 2008 viele Giftzähne gezogen. Es ist in einigen Bereichen sogar liberaler als das alte Gesetz von 1953, wenn es auch nicht völlig der Tendenz der Zeit widerstehen kann, alles, was nach Protest und Aufruhr riecht, zu erfassen und zu kontrollieren. Vor dem BVerfG hat es erst einmal Gnade gefunden (Entscheidung vom 31.3.2012, 2 BvR 2492/08).

Hartmut Wächtler arbeitet als Strafverteidiger in München und ist seit ihrer Gründung 1977 Mitglied im Vorstand der Initiative Bayerischer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger e.V..


Hartmut Wächtler:
Die Bayern und das Versammlungsrecht, in: Freispruch, Heft 1, Sommer 2012

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