Strafverteidigertag Rechtspolitik

303 : 0

Für die Polizei sind Fußballfans ein Feindbild. Auch wenn es nur selten zu Gewalttätigkeiten kommt, werden sie pauschal als ‚gewaltbereit‘ dargestellt. Wohin das führen kann, zeigte sich im Mai, als allen Anhängern der Eintracht Frankfurt pauschal der Aufenthalt in der Darmstädter Innenstadt untersagt wurde.
Ein Bericht von Waltraut Verleih.

 

32. Spieltag, Ergebnis insgesamt:
Eintracht-Fans :
Wissenschaftsstadt Darmstadt
303 : 0
Eintracht Frankfurt : SV Darmstadt 98
2 : 1

Gewaltbereite Fußballfans sind ein beliebtes Feindbild. Sie bedrohen die innere Sicherheit und Ordnung, sie sorgen für »unschöne Szenen im Stadion« und machen »uns« das schöne Spiel kaputt. Dabei ist nur ein verschwindend kleiner Teil derjenigen, die gerne als »gewaltbereit« bezeichnet werden tatsächlich bereits gewalttätig geworden. Gewaltbereite Fans heißen so, weil sie zwar immer dann als Bedrohungsszenario in der Öffentlichkeit herhalten müssen, wenn eigentlich nichts zu vermelden ist – ergo keine Gewalt –, zugleich aber polizeiliche und ordnungspolitische Maßnahmen in und um die Stadien begründet werden müssen. In erster Linie handelt es sich einfach nur um Fans, mit denen sich die Polizeibehörden der Länder im Dauerkonflikt befinden – weil Großeinsätze an den Bundesligaspieltagen Kraft und Geld kosten und sich zwischen der Polizei und den Fans in den Stadien ein anhaltender Dauerkonflikt entwickelt hat, der sich aus Kollektivstrafen und oft unverhältnismäßigen Einsätzen (wie Pfefferspray gegen im wahrsten Sinne des Wortes geschlossene Fanblocks) speist.

Das meiste dessen, was als »Gewalt« in den Stadien teils schwerwiegende Sanktionen und heftige Zwangsmaßnahmen nach sich zieht, ist nicht eigentlich Gewalt, sondern – sei es das kontrollierte Abbrennen von Pyrotechnik oder der Versuch, den Erfolg des eigenen Clubs mit den Spielern auf dem Platz zu feiern| – Teil einer Fankultur, die das Ereignis Fußball für viele tausend Teilnehmer*innen mehr öffnet als die 22 Akteure auf dem Platz. Die Grenze zwischen erlaubter Fankultur (Kauf überteuerter Trikots mit Sponsorenwerbung, Fanartikel in Vereinsfarben, Schlandperücken und »Uh--uh—uh«-Rufe) und Unerwünschtem ist oft schwer erkennbar und knüpft in der Regel nicht an Straftaten an. Gemessen an anderen Massenveranstaltungen sind Fußballspiele tatsächlich erstaunlich friedlich, nimmt man einmal die Überfälle von Nationalisten und Rechtsextremen aus, die sich gerne zu Europa- und Weltmeisterschaften ereignen und sich im Clubfußball vor allem gegen als »links« oder »jüdisch« etikettierte Vereine und Fans richten.| Und auch die größte Katastrophe, die der europäische Clubfußball je erlebte – am 15. April 1989 im Hillsborough Stadion in Sheffield starben 96 Fans des FC Liverpool, 766 wurden verletzt – und die jahrzehntelang den Fans des FC Liverpool angelastet wurde, war, wie der in diesem Jahr veröffentlichte Bericht der staatlichen Untersuchungskommission bestätigte, eine Folge des Versagens von Ordnungskräften und Polizei.| Dennoch gelten Fußballfans als anhaltendes Sicherheitsrisiko.

So auch am 32. Spieltag der Fußballbundesliga, als die Eintracht Frankfurt im hessischen Lokalderby gegen die Darmstadt 98 antrat. Dem Spiel voraus ging zum einen ein vom DFB verhängter Ausschluss von Fans der Frankfurter Eintracht, nachdem im Hinspiel Pyrotechnik abgebrannt und Devotionalien der Darmstädter Fans in einem Frankfurter Block verbrannt wurden.

Die Kritik an derartigen Kollektivstrafen ist mannigfach|. Zum anderen hatte BILD am 13. April mit Hinweis auf Quellen des Polizeipräsidiums Hessen Süd in Darmstadt gemeldet, 8.000 Frankfurter Fans planten einen »Sternmarsch« auf Darmstadt. Offensichtlich angesteckt von der Hysterie reagierte die »Wissenschaftsstadt Darmstadt« (Titel verliehen vom hessischen Innenministerium 1997) am 21. April mit einer »Allgemeinverfügung gem. § 11 HSOG« (Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung) und untersagte Fans von Eintracht Frankfurt (erkennbar durch Fanbekleidung, Skandieren von Parolen und sonstigem Auftreten) in der Zeit von Freitag, dem 29.04.2016, 19.00 Uhr bis Sonntag, den 30.04.2016, 07.00 Uhr den »Aufenthalt in der Wissenschaftsstadt Darmstadt« (Allgemeinverfügung Anh. 1). Genau gesagt ist die Verfügung mit dem 21.04.2016 datiert. Am 26.04.2016 wurde sie in der Presse angekündigt und im Tenor am 27.04.2016 im Darmstädter Echo veröffentlicht. Damit ist die Stadt Darmstadt weit über die sonst üblichen Aufenthalts- und Betretungsverbote gegenüber einzelnen als »Gefährder« ausgemachten Personen hinausgegangen. Betroffen waren alle Anhänger von Eintracht Frankfurt, gleich ob Mann oder Frau, jung oder alt, erlebnisorientiert oder nicht; und ganz gleich, ob diese in Darmstadt, Frankfurt oder sonstwo wohnen.
Dass diese Entscheidung nicht hinnehmbar war, liegt auf Hand. Auf Eilantrag der Vorsitzenden des Eintracht Fanclubverbandes, der Dachorganisation der Eintracht Fanclubs, »krätschte« das Verwaltungsgericht in diesen massiven Eingriff in Freiheits- und Persönlichkeitsrechte und kassierte mit Beschluss vom 28.04.2016 (Az: 3 L 697/16 DA) die »Allgemeinverfügung« als offensichtlich rechtswidrig. Ausschließlich die Art und Weise der Veröffentlichung konstatierte das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung Rechtmäßigkeit (Beschluss des VG Darmstadt vom 28.04.2016 Anhang 2). Im Übrigen erwies sich »der Verwaltungsakt als offensichtlich rechtswidrig«. Damit war die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs hergestellt.

In seiner Entscheidung bescheinigte das Verwaltungsgericht Darmstadt dem Rechtsamt der Stadt Darmstadt nicht nur, sich mit der Allgemeinverfügung rechtlich in der »Hausnummer« des HSOG vertan zu haben (mit § 31 HSOG lag theoretisch eine spezifischere Ermächtigungsgrundlage vor), sondern es formulierte »deutliche Bedenken« an der »notwendigen Bestimmtheit der Verfügung«:
»[N]icht jeder der Fankleidung trägt kann dem Kreis potentieller Straftäter zugerechnet werden«.
Darüber hinaus hatte das Verwaltungsgericht Zweifel an der Qualität der »Gefahrenprognose«. Ausweislich der Allgemeinverfügung wusste (als einzige) BILD zu berichten, »dass 8.000 Frankfurter Fans […] einen Stern-Marsch durchführen wollen«; gleichfalls bezieht sich die Behörde auf »Plakate mit Gewaltsymbolik« (Aufruf zur »Lilienjagd«). Darüber hinaus war die Sperrzone, d.h. »die Größe des räumlichen Geltungsbereichs« – die komplette Innenstadt – nicht verhältnismäßig.

Die Freude unter den Antragstellern wie den übrigen Eintracht-Fans war groß – und doch (erst einmal) nur von kurzer Dauer. Dachten die Beteiligten, angesichts einer derartigen »Klatsche« sei die Allgemeinverfügung vom Tisch und die Wissenschaftsstadt Darmstadt für Eintracht-Fans zugänglich, so sah man sich wenige Tage später eines Besseren belehrt.

Am Nachmittag des 29. April 2016 (Freitagnachmittag, das Spiel war für Samstag, 30. April angesetzt) teilte der Pressesprecher der Stadt Darmstadt mit, dass es bei der Allgemeinverfügung bleibe. Beschwerde beim Hessischen VGH gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts wolle das Rechtsamt Darmstadt nicht erheben. Allerdings: Lediglich den (mittlerweile sechs) Antragsstellern, die einen stattgebenden Beschluss erlangt hatten, werde der Zugang zur Stadt gestattet – mit der formal vielleicht zutreffenden und doch absurden Begründung, dass eine aufschiebende Wirkung des Widerspruchs nur demjenigen zukomme, der ihn eingelegt hat – darüber hinaus aber niemandem.

Eine Entscheidung, die nicht nur angesichts der räumlichen Nähe von Frankfurt und Darmstadt nachgerade verrückt erscheint. Die »Wissenschaftsstadt« liegt nur knappe 30 Kilometer von Frankfurt entfernt. Über viele Jahre war die Frankfurter Eintracht der einzige Bundesligaclub Hessens mit entsprechend vielen Anhängern u.a. auch in Darmstadt. Vor allem aber zeigte sich, wie wenig rechtsstaatliche Regeln und die (deutliche) Entscheidung eines unabhängigen Gerichts zählen, wenn es gilt, eine als Bedrohung der Allgemeinheit herbeiphantasierte Gefahr abzuwehren. Denn nichts anderes bedeutet der Zeitpunkt der Verkündung am Freitagnachmittag: Der Rechtsweg soll unmöglich gemacht werden, wissend, dass jeder, der noch die Chance hat, den Rechtsweg zu gehen, mit einer positiven Entscheidung rechnen konnte.

Freitagnachmittag bedeutet:
- eine Entscheidung im Wissen, dass die Rechtsantragsstelle beim Verwaltungsgericht geschlossen ist; damit wurde eine Möglichkeit Betroffener Rechtsschutz zu erlangen gleich unterlaufen;
- eine Entscheidung in der Hoffnung der Verwaltung, dass auch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte bereits im verdienten (!) Wochenende und nicht mehr erreichbar sind;
- die zuständigen Richterinnen und Richter sich ebenfalls bereits im Wochenende befinden;
- und somit der Rechtsschutz für Anhänger von Eintracht Frankfurt auf dem Wege »zeitlicher Erledigung« unterlaufen wird.

Aber da hatte die Verwaltung die Rechnung ohne den Wirt gemacht und die Organisationsfähigkeit der Anhänger von Eintracht Frankfurt völlig verschätzt. Innerhalb von 30 Minuten (!) nach Bekanntgabe der Entscheidung der Wissenschaftsstadt Darmstadt und nach einer Blitzumfrage unter den Anhängern von Eintracht Frankfurt, wollten 300 weitere Personen einen Eilantrag gestellt haben, zuletzt wollten insgesamt über 900 Personen, dass in ihrem Namen ein Eilantrag gestellt wird.

In der Nacht von Freitag auf Samstag wurden über 300 Anträge beim Verwaltungsgericht Darmstadt gestellt und Widersprüche in gleicher Anzahl bei der Behörde eingelegt. Außerdem hatte die Vorsitzende des Eintracht Fanclubverbandes e.V. eine Kundgebung und Demonstration in der Darmstädter Innenstadt angemeldet mit dem Thema: »Allgemeinverfügung der Stadt Darmstadt – offensichtlich rechtswidrig«.

Am Samstagmorgen um 08.30 Uhr wurde die Allgemeinverfügung aufgehoben. Wer immer die Frankfurter Eintracht unterstützt, durfte sich nun auch in Darmstadt offen dazu bekennen. Die befürchteten marodierenden Horden der 8.000 gewaltbereiten Fans blieben aus. Die Wissenschaftsstadt Darmstadt hatte ohne jeden Grund das Verwaltungsgericht brüskiert. Am Samstagnachmittag gewann die Eintracht 2:1.

Wer es dennoch nicht lassen konnte, war die Führung des Polizeipräsidiums Südhessen, die die auf die BILD gestützte »Gefahrenprognose« zu verantworten hat. Die Polizei reagierte mit der Behinderung der Versammlungsfreiheit, mit dreistelligen Personalienfeststellungen und Gewahrsamnahmen in gleicher Höhe. In Gewahrsam genommenen Betroffen wurde mitgeteilt, dass es richterliche Beschlüsse über ein Gewahrsam bis zum nächsten Morgen um 07.00 Uhr gäbe. In den Fällen, in denen diese Angaben überprüft wurden, hieß es gerichtlicherseits, es habe keine richterlichen Beschlüsse gegeben. Erst im Nachgang und auf Nachfragen wurde dann ein Telefonat bestätigt, mit dem richterlich Gewahrsam angeordnet worden sein soll – allerdings nur bis »00.00 Uhr«, aber ohne dass klar wäre (a) gegen wen (b) aufgrund welcher Gefahrenprognose.
Ansonsten bleiben von 8.000 marodierenden Fans laut PP Südhessen zwölf Ermittlungsverfahren, die gegen Fans von Eintracht Frankfurt und Darmstadt eingeleitet wurden.

Das darauffolgende Spiel der Eintracht Frankfurt in Darmstadt fand übrigens ohne Stadionausschluss und Allgemeinverfügung statt; diesmal mit 33 polizeilichen Betretungsverboten. Nach zwei Eilanträgen und fünf Widersprüchen hiergegen, wurden die Verfügungen aufgehoben; die Gefahrenprognose von Amts wegen im Hinblick auf Erklärungen verschiedener Fanvertreter von Eintracht Frankfurt korrigiert. Ergebnis: Spielverlauf mit allem drum herum »entspannt« (Polizeibericht).

Es wäre also vielleicht doch angebracht, statt über »gewaltbereite« Fans lieber mit den Fans und ihren Vereinen zu sprechen. Dass dies auch im Interesse der Polizeibehörden wäre, scheint leider aber noch nicht bis zu deren Führung durchgedrungen zu sein.

Waltraut Verleih ist Strafverteidigerin in Frankfurt, Mitglied der Vereinigung Hessischer Strafverteidiger e.V. und aktiv in der AG Fanrechte. Sie vertritt außerdem den Eintracht Frankfurt Fanclubverband e.V..

Anmerkungen:

1 : Wie unlängst in Luckenwalde, wo Fans des als links geltenden SV Babelsberg 03 den Sieg ihres Teams im Brandenburg Landespokal-Finale auf dem Rasen feiern wollten. Einige Fans von Babelsberg waren in den Innenraum des Stadions geklettert, um die Spieler ihres Teams »abzuklatschen«. Die Polizei reagierte mit Schlagstöcken und Pfefferspray, die Situation eskalierte. Der Fanclub des SV Babelsberg zählte später 125 Verletzte, überwiegend vom übermäßigen Einsatz von Pfefferspray.

2 : Fans der Eintracht Frankfurt werden bspw. gerne antisemitisch bepöbelt, weil der Verein aufgrund seiner Geschichte unter Nazi-Hooligans als »Judenclub« gilt. Im DFB-Pokalspiel der Eintracht in Magdeburg am 21. August 2016 wurden die Frankfurter mit dem Sprechchor »Eintracht Frankfurt, Jude, Jude, Jude« empfangen (vgl. bspw. hier: http://ultrapeinlich.tumblr.com/post/149790397775/2182016-1-fc-magdeburg-sg-eintracht-frankfurt). Ein anderes Beispiel findet sich hier: https://www.youtube.com/watch?v=a0GoT85WZA8. Hier berichtet ein Mandant, dass gerufen wurde: »Zyklon B für die SGE« und der Hitlergruß gezeigt wurde, ohne eine Reaktion der Polizei.

3 : vgl. bspw. Spiegel-online v. 26.4.2016: Urteil zur Hillsborough-Tragödie – Polizeifehler waren schuld - nicht die Fans (http://www.spiegel.de/sport/fussball/hillsborough-tragoedie-urteil-belastet-polizei-statt-fans-a-1089359.html)

4 : vgl. zu diesem Fall nur F.A.Z. vom 30.04.2016: »Groteske Hysterie«.

 


Waltraut Verleih: 303 : 0, in: Freispruch, Heft 9, Oktober 2016

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