Strafverteidigertag Rechtspolitik

Sieg einer Volksbewegung

Mit dem verschärften Sexualstrafrecht ist auch die Ausweisung nichtdeutscher Straftäter weiter erleichtert worden. Das ist kein Zufall, meint Thomas Uwer.

Selten wurde ein Gesetzentwurf der Regierung derart einhellig begrüßt und medial so bejubelt wie die jüngste Reform des Sexualstrafrechts. »Es ist ein historischer Moment mit transformativer Kraft«, schrieb das feministische Magazin Libertine. Auch die Bundestagsfraktion der Grünen erklärte sich zur Siegerin: »Nun haben wir den Kampf gewonnen. Die Ausdauer hat sich gelohnt.« Jeder will dabei gewesen sein, alle waren dafür. Den Grünen freilich wird dieser »Sieg« genauso wenig helfen wie Justizminister Heiko Maas (SPD). Denn »gewonnen« hat nicht eine Partei, sondern eine Volksbewegung, die seit den »Vorfällen von Köln« getragen wurde von einer Welle öffentlicher Empörung über das »kaputte Strafrecht«, das »Opfer bestraft und Vergewaltiger schützt« (Bento). Der »historische Moment« hat aber nicht nur die Festschreibung des sogenannten Nein-heißt-Nein-Prinzips im Strafrecht, sondern auch die nochmalige Erleichterung der Ausweisung »straffälliger Ausländer« mit sich gebracht. Die »Nein-heißt-Nein«-Bewegung hat damit mehr zu tun, als es vielen Aktivistinnen lieb ist.

Bereits im Januar hatte die Regierungskoalition das »Gesetz zur erleichterten Ausweisung von Ausländern« auf den Weg gebracht, das vorsieht, dass bereits bei Verurteilung zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr auch dann ein »schwerwiegendes Ausweisungsinteresse« vorliegt, wenn die Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Bei Asylsuchenden kann dies den Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung und infolgedessen die Abschiebung in den Verfolgerstaat bewirken. Mit der jüngsten Reform ist die Ausweisungsnorm abermals erweitert worden – um den Tatbestand der sexuellen Nötigung entsprechend dem neuen § 177 StGB. Die Befürworter*innen der Reform gaben sich zwar ein klein wenig entsetzt – aber nicht allzu sehr. Die Regelung sei »problematisch«, erklärte bspw. das Bündnis #ausnahmslos, es gelte, »die Umsetzung dieses neuen Gesetzes weiterhin kritisch zu beobachten«. Ausländerrechtliche Regelungen, heißt es unisono, seien von den Unionsparteien in letzter Sekunde hineindiktiert worden.

Dass dies nur die halbe Wahrheit ist, zeigt schon der zeitliche Ablauf der Gesetzgebungsgeschichte. Einen Entwurf zur strafrechtlichen Neuregelung der sexuellen Nötigung legte das Bundesjustizministerium bereits Ende vergangenen Jahres vor. Brisanz erhielt das Vorhaben aber erst mit den Silvestervorfällen in Köln. Bis dahin standen hinter der Sexualstrafrechtsreform nur die Opferschutzverbände. Nun teilte auf einmal ganz Deutschland ihr Anliegen und das profunde Vorurteil über die angebliche Straflosigkeit sexueller Nötigungen war in der Welt. Dass sich ohne die Ereignisse von Köln eine ähnliche Dynamik entfaltet hätte, darf getrost bezweifelt werden. Die »Nein-heißt-Nein«­Kampagne wäre wohl niemals derart erfolgreich gewesen, hätte es nicht das entsprechende mediale Begleitfeuer gegeben und wären nicht führende Politiker von CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer über den sog. ‚Vizekanzler‘ Sigmar Gabriel (SPD) bis zu Boris Palmer (Grüne), dem Oberbürgermeister von Tübingen, angetreten, um deutsche Frauen »mit der ganzen Härte des Rechtsstaats« vor »Grapschern« zu bewahren.

Damit fanden zwei zentrale Topoi nationaler Besorgtheit zusammen: Ausländer und Sex. Beide Begriffe sind wie kaum etwas anderes geeignet, ein offensichtliches materielles Gewaltverhältnis als sein Gegenteil darzustellen und in eine Art demokratische Selbstverteidigung umzudeuten, für die der kongeniale Begriff des »Opferschutzes« steht. Während aus tatsächlich machtlosen, sozial abgehängten und den staatlichen Behörden bedingungslos ausgelieferten Flüchtlingen auf diese Weise machtvolle Täter werden, denen gegenüber der Staatsapparat mit seinem gesamten Verfolgungsapparat wirkungslos ist, wird auf der anderen Seite der strafende Staat, der über die Mittel verfügt, Leben zu vernichten, zum Opferhilfeverein. Wer sich jetzt wundert, dass das neue Sexualstrafrecht auch ein Ausweisungs- und Abschiebungsrecht ist, hat die Dynamik der Opferrhetorik nicht verstanden, der es nicht um Fürsorge und Hilfe, sondern um die Bestrafung von »Tätern« geht.

Ganz folgerichtig wird zwar die erleichterte Ausweisung »kritisch beobachtet«, weil bei Migrantinnen »das Risiko einer Abschiebung dazu führen« könne, dass »die Betroffenen erst gar keine Anzeige erstatten«, so Keshia Fredua-Mensah von #ausnahmslos. An Regelungen, wie dem neugeschaffenen § 184j StGB, der eine Mittäterschaft weitab von Vorsatz und individuell zurechenbarer Schuld vorsieht, stört sich indes kaum jemand. Der Paragraph sieht bis zu zwei Jahre Freiheitsstrafe für denjenigen vor, der sich an einer Personengruppe beteiligt, aus der heraus zur Begehung einer Straftat eine Person bedrängt wird und es dabei auch zu sexuellen Nötigungshandlungen wie Grapschen kommt. Es ist weder erforderlich, dass ein Beschuldigter selbst mitgewirkt hat, noch dass die sexuelle Nötigung Ziel des Zusammenschlusses war. Eine Assoziationsbestrafung, die sich explizit gegen die Gruppenbelästigung durch »junge Nordafrikaner« wendet. Noch irgendwelche Zweifel, dass es wenigstens auch um »Banden krimineller Ausländer« geht?

Denjenigen, die sexuell bedrängt und genötigt werden, helfen diese Regelungen so viel oder so wenig wie ein Morgengebet. Der Skandal sexueller Nötigung liegt nicht darin, dass der Strafrahmen zu niedrig oder die Tatbestandsbeschreibung unzureichend wäre. Seit wann schreckt Strafe ab? Insbesondere bei Gewalt- und Sexualstraftaten herrscht seit Jahrzehnten seltene Einigkeit in der Forschung über die generalpräventive Wirkungslosigkeit von Strafandrohungen. Das Problem besteht vielmehr darin, dass sexuelle Übergriffe jeder Art offenkundig ein ganz alltägliches Phänomen darstellen. Sexuelle Gewalt findet auch völlig autochthon deutsch und ganz unabhängig von der sog. »Ausländereigenschaft« bevorzugt in Familien statt, gerne auch in Sportvereinen, Kirchengemeinden und Büros (um einmal nicht den rheinischen Karneval oder das Oktoberfest zu bemühen). Daran aber werden weder das verschärfte »Verbot« noch die Ausweitung der Strafbarkeit auf eine »Mittäterschaft« ohne Vorsatz etwas ändern (wie auch schon das bestehende Verbot nicht). Die Ausweitung der Strafbarkeit, erleichterte Ausweisungsmöglichkeiten und Einschränkungen des Flüchtlingsschutzes werden vielmehr dafür sorgen, dass die Rechte derjenigen, die zum Beschuldigten eines Strafverfahrens werden, weiter beschnitten und jene, die ohnehin in der schwächsten Rolle gegenüber der machtvollen Verfolgerseite sind, mehr »Härte« zu spüren bekommen, sprich: noch machtloser werden. Auf diese Weise übt die »Opfer«-Gemeinschaft Vergeltung an jenen, die sie als »Täter« identifiziert hat. Die Verknüpfung von Strafrechts- und Aufenthaltsrechtsreform ist so betrachtet nur konsequent.

Das Sexualstrafrecht ist dabei nur ein Hebel, der immer wieder an das materielle Strafrecht, vor allem aber an das Strafprozessrecht angelegt wird. Obwohl der Anteil der Sexualstraftaten an der Gesamtheit der Strafverfahren nur bei etwa einem Prozent liegt, wurden in den vergangenen Jahren über den »Schutz der Opfer« von Sexualstraftaten weitreichende Eingriffe in das gesamte Strafverfahren legitimiert, die die Rechte von Beschuldigten empfindlich beschneiden. Bereits die 1998 erfolgte Reform wurde begleitet von nationaler Empörung über einen spektakulären Fall von Kindesmissbrauch. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) griff die Stimmung auf und forderte »Wegsperren, und zwar für immer«, während vor den Gerichtssälen der Mob randalierte. Wie damals, so wurden auch nach der Silvesternacht in Köln Sexualstraftäter als Volksfeinde identifiziert, und wie damals greift auch die jetzige Debatte um die angebliche Straflosigkeit blind zur Repression.

Dass sich das Opfernarrativ derart nahtlos in die nationalen Anliegen einfügt, ist dabei kein Zufall. Beide teilen das tiefsitzende Ressentiment gegen die Wirkungslosigkeit formaler Verfahren, die stets nur dazu dienen würden, die eigentlichen Opfer ein zweites Mal zu »viktimisieren«. Daher ist konsequenterweise von »Opfern« und »Tätern« die Rede. Im rechtsstaatlichen Verfahren aber ist es bekanntermaßen Aufgabe des Gerichts festzustellen, ob eine vermeintliche Tat überhaupt stattgefunden hat, ob es also ein »Opfer« gibt und ob die Schuld an der Tat dem Angeklagten individuell zurechenbar ist. Das »Team Gina Lisa« hingegen weiß – egal, was die Ermittlungsakte sagt oder die Hauptverhandlung hervorbrachte –, dass die vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten verurteilte Gina-Lisa Lohfink das eigentliche »Opfer« nicht nur einer Vergewaltigung, sondern auch eines total verqueren Rechtssystems ist, das die Täter schützt und die Opfer bestraft. Dem autoritären Klischee von der »Lügenpresse« tritt so dasjenige von der Lügenjustiz zur Seite. In der Forderung nach Repression ist die Regression stets bereits enthalten.

Thomas Uwer ist Mitarbeiter des Organisationsbüros.

Thomas Uwer, Sieg einer Volksbewegung, in: Freispruch, Heft 9, Oktober 2016

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