Strafrecht mit und ohne Zähne
Seit Silvester geht die Angst um vor arabischen  Männern mit Vorliebe für blonde Professorentöchter. 
Wie die Vermischung von Flüchtlings- und Kriminalitätsdebatten wirkt beschreibt  Thomas Uwer. 
    
    Fangen wir mit einem Missverständnis an.  Am 27. Januar veröffentlicht die Süddeutsche Zeitung einen Kommentar von  Heribert Prantl unter dem Titel »Und das Strafrecht, das hat Zähne...«, in dem  der ehemalige Staatsanwalt und Träger des Hildegard Hamm-Brücher »Preises für  Demokratie« eine »schnelle und markante Bestrafung« fordert - und: 
»Schnellverfahren«, »mehr U-Haft«, »Haft  ohne Bewährung. Das wirkt!« 
- gegen »kriminelle Flüchtlinge« versteht sich resp. gegen: »kriminelle  Ausländer«. Das Strafrecht habe also Zähne, 
»... doch die Zähne zeigt es nicht.« 
Das darin enthaltene Missverständnis ist  nicht nur literarischer Art. Denn der mit den Zähnen (der Haifisch), der zeigt  sie, wohingegen derjenige, der sein scharfes Werkzeug verbirgt (Macheath), dies  aus Hinterhältigkeit tut. Er trägt den Dolch im Gewand. Meint Prantl also, die  Strafjustiz sei ein Hai? Oder ist sie doch eher der Zuhälter, Dieb und Mörder  Macheath alias Macky Messer, frei nach dem einst so beliebten Slogan »der  größte Zuhälter ist der Staat«? 
      Weder noch. Hai und Mörder, Strafrecht  und »krimineller Ausländer« sind eins, ein Teil derselben Bedrohung. Ein  angeblich »zahnloses« Strafrecht gibt die Gesellschaft marodierenden Banden  nord-afrikanischer Provenienz preis. Bereits am 5. Januar forderte Prantl ein  »robustes Nein«. Die »aufnehmende Gesellschaft [darf sich nicht] malträtieren«  lassen, von »Flüchtlingen ..., die auf unerträgliche Weise kriminell geworden  sind«. 
      Überhaupt ist bei ihm alles »unerträglich«. 
      
Was aber ist ein »robustes Nein«? Ein  leises »Nein« der Kanzlerin am Koalitionstisch? Oder doch eher so ein »Nein«,  das auf eine Baseballkeule gekritzelt wird? Solche Kommentare sind Pegida für  Leute mit Abitur - und sie liegen seit den sog. »Silvester-Ausschreitungen von  Köln« ganz im Mainstream der öffentlichen Wahrnehmung. 
      
Die ganze Härte des  Strafrechts 
      
Wie getrieben reagierten Öffentlichkeit  und Politik auf die Vorfälle in der Silvesternacht in Köln. Der sog.  »Vizekanzler« Sigmar Gabriel forderte, dass »verurteilte Täter ihre Haftstrafen  in ihren Heimatländern absitzen müssen«. »Warum sollen deutsche Steuerzahler  ausländischen Kriminellen die Haftzeit bezahlen?«|1  CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer schlug vor, »kriminelle Ausländer« bereits  bei hinreichendem Tatverdacht abzuschieben und nicht erst eine rechtskräftige  Verurteilung abzuwarten. »Wenn die Beweislage eindeutig ist, darf es keine  Toleranz gegenüber Straftätern geben«.|2 In den Wochen nach  Silvester schrumpfte die ohnehin schon reduzierte Sprache der Politik auf  wenige Schlagworte zusammen - keine, Toleranz, Steuerzahler, kriminelle  Ausländer/Flüchtlinge/Asylbewerber. Und immer wieder Härte: »harte  Strafen«, die »ganze Härte des Rechtsstaats«, die »Härte des Strafrechts«. 
      Man muss keinen Ausflug in die blühenden  Gärten der Psychoanalyse unternehmen, um die hier mehr schlecht als recht  verborgene sexuelle Metapher zu erahnen. In dem Maße, in dem die öffentliche  Empörung über den »Sex-Mob von Köln« (Bild) im Wesentlichen eine Angelegenheit  unter Männern war, die nicht mögen (»unerträglich«), wenn Ausländer (»junge  Männer aus Nordafrika«) ihre Frauen begrapschen,|3 verweist auch die  Rede von der »ganzen Härte des Strafrechts« auf einen semantischen Bereich, der  in Deutschland spätestens seit Carl Schmitt Männern vorbehalten ist. Dieser  hat, als habe er Heribert Prantls Kommentar bereits vorhergesehen, die ganze  Skepsis am rechtsstaatlichen Verfahren (Schmitt: »Problem der Legalität«) so  zusammengefasst: »Inzwischen haben politische Erfahrungen und  volkspädagogische, durch Berthold Brecht vermittelte Aufklärungen dazu  beigetragen, daß Legalität nur noch als Gangsterparole verstanden wird.«|4 
      Härte und Rechtsstaatlichkeit sind -  aller anderen Verlautbarungen des Justizministers zum Trotz - ein Gegensatz.  Die Legalität setzt der Härte und Gewalt des Staates Grenzen, bzw. - mit  Schmitt - sie ist zur »Gangsterparole« geworden, mittels derer sich »kriminelle  Ausländer« der strafenden Härte des Staates entziehen. Wann immer von der  »ganzen Härte des Rechtsstaats« die Rede ist, liegt daher sofort der  Pulvergeruch von Unrecht, Obrigkeits- und Maßnahmenstaat in der Luft. Mitte  Januar verwehrten mehrere Schwimmbäder im Rheinland und Diskotheken im  Badischen Flüchtlingen pauschal den Zutritt. Sie beriefen sich dabei auf eine  Art Notwehrrecht und setzten um, was das Gerede von der »Härte des  Rechtsstaates« seit Carl Schmitt meint - die Außerkraftsetzung des Rechts durch  Maßnahmen.
    
Wer sein Gastrecht  missbraucht... 
      
Und so fallen die Reaktionen auf  Vorfälle, die bis heute nicht hinreichend aufgeklärt sind, seitdem auch aus:  Sieht man einmal von einem Gesetzentwurf zur Neuregelung des Tatbestandes der  sexuellen Nötigung ab - der bereits seit Mitte vergangenen Jahres existiert,  nun aber als gesetzgeberische Reaktion auf die Silvesternacht verkauft wird -  konzentriert sich die Antwort der Rechtspolitik auf aufenthaltsrechtliche  Maßnahmen. Dies deckt sich einerseits mit dem seit Herbst immer wieder  geäußerten Wunsch, die Aufenthaltsbedingungen von Flüchtlingen - bspw. durch  eine (Wieder-)Verschärfung der Residenzpflicht - zu verschlechtern. Durch die  Kopplung an aufenthaltsrechtliche Maßnahmen (Abschiebung, Aberkennung des  Asylstatus) wird strafbares Verhalten, wenn es von Ausländern begangen wird,  andererseits an deren Ausländereigenschaft geknüpft. Dabei genügte ein  oberflächlicher Blick in die Kriminalstatistik um zu erkennen, dass  Kriminalität keine Ausländereigenschaft ist. Wären Diebstahl, Raub und sexuelle  Nötigung - so wie es derzeit diskutiert wird - eine Folge schlechter  Integration, wie erklärte man dann die erdrückende Mehrheit deutscher  Straftäter? Kriminalität muss nicht erst nach Deutschland »importiert« werden,|5  sie blüht hier wie andernorts auch ganz autochthon. 
      
Wie sehr sich diese Verknüpfung gegen  alle empirische Erkenntnis durchgesetzt hat, lässt sich an ihrer Verbreitung  außerhalb der CSU ablesen. Jetzt meint auch Sarah Wagenknecht, »wer sein  Gastrecht missbraucht, der hat Gastrecht dann eben auch verwirkt«. Boris  Palmer, ein grüner Bürgermeister aus dem grün-rot regierten Baden-Württemberg,  setzt noch einen drauf: »Spätestens seit den Übergriffen in der Silvesternacht  in Köln kommen selbst grüne Professoren zu mir, die sagen: Ich habe zwei blonde  Töchter, ich sorge mich, wenn jetzt 60 arabische Männer in 200 Meter Entfernung  wohnen.«|6 
      
Auch er kommt vom einen (Angst um blonde  Töchter) ohne Luft zu holen zum anderen (Flüchtling): »Das Leben im Irak und in  Afghanistan ist hart und nach unseren Maßstäben auch riskant. Es gibt aber auch  im Irak weite Gebiete, die nicht von den Terroristen des ‚Islamischen Staats‘  beherrscht werden. Selbst nach der Genfer Flüchtlingskonvention müssen die  Menschen zuerst in solche Gebiete fliehen.« Das steht so natürlich nicht in der  Genfer Flüchtlingskonvention. Und was die Gebiete im Irak angeht, die nicht  unter der Kontrolle des IS stehen, empfehle ich nur, die blonden  Professorentöchter aus Tübingen für ein paar Tage zwischen Halabja und Qandil  in einem Dorf auszusetzen oder den Bürgermeister gleich selbst zum Jahresurlaub  nach Baghdad oder Basra zu fliegen. 
      
Andererseits ist es aber auch völlig  gleich - der Verdacht reicht aus, Flüchtlinge seien gar nicht wirklich  verfolgt, sondern kämen nur der Professorentöchter wegen. Bereits der Wunsch,  ein Leben ohne Genitalverstümmlung, Schwulenhass, Todesstrafe, Folter,  Familienehre, Zwangsverschleierung und Hunger zu leben, wird zum  Anfangsverdacht. Aus dem verdächtigen Ausländer wird aber, schon aufgrund der  vielfältigen mit dem Aufenthaltsgesetz (bspw. § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG), dem  Asylverfahrensgesetz (bspw. § 85 AsylVfG) und der alleine Ausländern  vorbehaltenen Strafvorschriften des SGB III, schnell ein Serientäter. 
      
Ende Januar stand ein solcher Serientäter  unter den »kriminellen Ausländern« vor dem Amtsgericht Köln. Das  Jugendschöffengericht verurteilte einen irakischen Staatsbürger wegen  räuberischen Diebstahls zu sechs Monaten Jugendstrafe ohne Bewährung. Das  Gericht war zu der Überzeugung gelangt, dass der 19-jährige am 24. November  2015 aus der Auslage des Drogeriemarktes Rossmann in Köln-Kalk ein paar Herrensocken  im Wert von 1,99 Euro gestohlen hat. Bei dem Versuch eines  Drogerie-Mitarbeiters, den Angeklagten in das Büro des Ladens zu bringen,  setzte der sich zur Wehr und es kam zu einer »Rangelei«. Wirklich erschwerend  kam hinzu, dass der Angeklagte zwar keine Vorstrafen hat, eine Auskunft des  Ausländerzentralregisters aber ergab, dass er bereits zum dritten Mal einen  Asylantrag gestellt habe. Seit dem 24. November 2015 saß der 19-jährige in  Untersuchungshaft. (641 Ls 283/15, Pressemitteilung des AG Köln v. 20.1.2016) 
      
Da ist sie dann endlich, die »ganze Härte des Rechtsstaates«, das »robuste Nein«. So verkauft die Justiz unter dem Beifall der Presse bei der ersten sich bietenden Gelegenheit den Rechtsstaat – für ein bisschen Härte.
Thomas Uwer ist Mitarbeiter im Organisationsbüro.
1 : Die Welt, 8.1.2016
      2 : zit. nach Spiegel-Online v. 14.1.2016
      3 : Heribert Prantl ist dabei  gewissermaßen der Peachum, dem der Macheath die Polly wegnimmt. 
      4 : Carl Schmitt,  Politische Theologie II, Berlin 1970, S. 113 
      5 : ...wie die  Erfolgsautorin Tania Kambouri behauptet, eine Polizistin, die vor »No-Go-Areas«  voller junger muslimischer Männer warnt. Dass sich aus der  Kriminalitätsstatistik keine besondere Ausprägung kriminellen Verhaltens bei  Nichtdeutschen herauslesen lässt, erklärte sie den Stuttgarter Nachrichten so:  »Ich könnte mir vorstellen, dass da etwas gefälscht oder beschönigt wurde, um  keine Angst in der Bevölkerung zu schüren... Solche Zahlen über kriminelle  Handlungen von Flüchtlingen sind politisch nicht gewollt.« (zit. n. Die Welt,  29.12.2015)
      6 : Der Spiegel 7/2016
 
    
   IMPRESSUM:
IMPRESSUM: