Strafverteidigertag Rechtspolitik

Strafbare Möglichkeiten

Unter Tagesordnungspunkt 13 - zwischen dem Neunten Gesetz zur Änderung des Weingesetzes und dem Vierten Gesetz zur Änderung des Rindfleischetikettierungs-gesetzes - stimmte der Deutsche Bundestag am 23. April 2015 für den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur ‚Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten‘ (GVVG). Damit ist der Gesetzgeber den vor langem eingeschlagenen Weg der Vorverlagerung der Strafbarkeit noch einen großen Schritt weiter gegangen - soweit, dass die befürchtete Rechtsgutsverletzung bestenfalls noch eine Wahrscheinlichkeit ist. Aus dem Vorfeld des autoritärstaatlichen Gesinnungsstrafrechts berichtet Thomas Uwer.

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Dass nicht bereits der Kauf eines Messers als Tötungsversuch strafbar sein dürfe – und zwar auch dann nicht, wenn damit Rechtswidriges bezweckt wird - konstatierte mit Blick auf die Vorfeldkriminalisierung ausgerechnet Günter Jakobs, der Vater des »Feindstrafrechts«, noch Anfang der 90er Jahre.|1 Das kann heute – genauso wie sein fast nostalgisch anmutendes Feindstrafrecht - getrost als Old School der Strafrechtslehre bezeichnet werden. Die Kriminalisierung des Vorfelds konkret strafbarer Handlungen ist so weit fortgeschritten, dass subjektive Tatbestände in vielen Bereichen längst nicht mehr nur »Interpretationshilfen« sichtbarer Tatbestände darstellen, sondern selbst Anknüpfpunkt der Kriminalisierung sind. Lange vor Eintritt einer sichtbaren Rechtsgutsverletzung sanktioniert das Strafrecht im »Innenbereich« des potentiellen Täters seine Motive und Absichten. Dass dies im Bereich der Terrorismusbekämpfung in besonderem Maße der Fall ist, liegt auf der Hand: Staatsschutz im Allgemeinen und Terrorismusbekämpfung im Besonderen trachten danach, die befürchtete Rechtsgutsverletzung bereits im Vorfeld zu verhindern. Ist der Anschlag erst erfolgt, hat der Staatsschutz versagt.

Dies bedeutet nicht, dass die gewünschte Sicherheit mithilfe strafrechtlicher Regelungen geschaffen werden sollte – oder auch nur kann. Die präventiven Möglichkeiten des Strafrechts sind begrenzt. Strafrecht schützt die Freiheitssphäre der Bürger nicht nur untereinander, sondern auch gegenüber dem Staat, dessen Eindringen in die Entfaltungsfreiheit des Bürgers notwendig begrenzt werden muss. Die Vorverlagerung der Strafbarkeit durch die Annahme abstrakter Gefährdungsdelikte in Bereiche, die immer weiter vor der Tat liegen, hat den Rahmen dessen, was als gerade so noch rechtsstaatlich erträglich hingenommen wird, immer weiter in Richtung eines autoritär-staatlichen Gesinnungsstrafrechts verschoben, das bei der (unterstellten) Motivation und Gesinnung des Täters anknüpft, statt bei der sichtbaren Tat.

Daraus ergeben sich nicht nur grundsätzliche, sondern auch ganz praktische Probleme. Strafrecht ist – will es rechtsstaatlich bleiben - letzten Endes immer Stückwerk, punktuelle Repression als Folge konkreter Rechtsverletzungen, und eben nicht ein flächendeckendes, konsistentes Präventionsprogramm. Im Hinblick auf das Bedürfnis, sich vor gravierenden Gewalttaten und Anschlägen zu schützen, muss daher auch als zumindest fraglich erscheinen, ob das mit vielen prozessualen Hürden ausgestattete Strafrecht überhaupt ein sinnvolles Instrument der Gefahrenabwehr darstellen kann. Die Geschichte der Anti-Terrorismus-Gesetzgebung legt einen ganz anderen Schluss nahe: Angefangen beim Ergänzungsgesetz von 1974 über das Artikelgesetz (und die Einführung der Kronzeugenregelung) bis hin zu den Sicherheitsgesetzen (Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus und Einführung des § 129b StGB) und zuletzt den §§ 89 a, 89 b StGB hat die Anti-Terrorgesetzgebung zwar im großen Stil bürgerliche Freiheitsrechte eingeschränkt, ihr Erfolg im Hinblick auf das selbst gesteckte Ziel aber blieb bestenfalls begrenzt.|2 Die Rote Armee Fraktion, die jahrelang als größte terroristische Bedrohung wahrgenommen wurde, hat sich jedenfalls nicht als Folge der gegen sie gerichteten Anti-Terrorgesetzgebung aufgelöst.

Diese Bedenken sind vielfach geäußert worden - zuletzt 2008/2009 mit Einführung der §§ 89 a, b StGB aF.|3 Die mit diesen Normen verbundenen (praktischen) Probleme beschäftigen mittlerweile die Gerichte bis hin zum BGH, wobei eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften noch aussteht.|4 Statt den beschrittenen Weg unbeirrt fortzusetzen und die Strafbarkeit immer weiter in das Vorfeld des Vorfelds der Vorbereitung einer konkreten Tat zu verlagern, wäre es also angebracht, die Anti-Terrorgesetzgebung einer grundlegenden Revision zu unterziehen. Stattdessen wird aber unbeirrt auch an den besonders kritikwürdigen Formulierungen festgehalten - wie bspw. der Staatsschutzklausel in § 89 a Abs. 1 (»Sicherheit eines Staates«)|5, dem Auffangtatbestand der »erforderlichen besonderen Vorrichtungen« und der »sonstigen Fertigkeiten« (§ 89 a Abs. 2 S. 1) oder der Verfolgungsermächtigung durch das BMJV (§ 89a Abs. 4).

Was will der Gesetzgeber mit der Änderung?

Das Gesetz zur Änderung der Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten weitet einerseits § 89 a StGB dahingehend aus, dass »das Reisen sowie der Versuch des Reisens als weitere Vorbereitungshandlung einer terroristischen Tat unter Strafe gestellt« werden (Gesetzentwurf, S. 1). Andererseits wird die Vorschrift um einen § 89 c StGB ergänzt, der die Finanzierung terroristischer Straftaten zusammenfasst und dabei auch die Finanzierung der Vorfeldhandlung »Reisen« einbezieht. Zugleich entfällt die bisher in § 89a Abs. 2, S. 4 StGB vorgesehene Erheblichkeitsschwelle bei der wirtschaftlichen Zuwendung.
Wie bereits 2009 so begründet der Gesetz-geber auch heute den Bedarf nach strafrechtlicher Neuregelung zum einen aus internationalrechtlichen Verpflichtungen [UN-SCR 2178 (2014)], zum anderen aus einer durch den »internationalen Terrorismus« entstandenen neuartigen Bedrohungslage. Die hohe Zahl von Personen, die in das syrische Bürgerkriegsgebiet reise, um sich dort an terroristischen Aktivitäten zu beteiligen, mache es erforderlich, bereits die Ausreise oder Planung einer solchen Reise in Krisengebiete unter Strafe zu stellen, wenn diese dem Zweck dienten, »im Zuge dieser Reise schwere staatsgefährdende Gewalttaten oder Vorbereitungshandlungen im Sinne des § 89a Abs. 2 Nr. 1 StGB zu begehen«. Strafbar soll demnach bereits sein, wenn der »Täter« nur in das »Versuchsstadium« [der Reise] eintritt, konkret, wenn eine Ausreise aus der BRD »unmittelbar bevorsteht«.

Wie bereits § 89 a, b StGB a.F., so sollen auch der neue § 89 c sowie die vorgesehene Änderung in § 89 a StGB auf »hochmotivierte Einzeltäter« abzielen, die nicht bereits organisatorisch eingebunden sind.|6

Vorfeldstrafbarkeit

Bereits die 2009 eingeführten §§ 89 a,b und 91 StGB haben die Strafbarkeit weit vor die unmittelbare Vorbereitung einer konkreten Straftat in einen Bereich verlagert, der als »Vorfeld des Vorfeldes« oder »Vorbereitung der Vorbereitung der Vorbereitung« einer eigentlichen Tat bezeichnet werden kann|7 - mit dem Resultat der Kriminalisierung neutraler und ohne das Hinzutun einer (unterstellten) terroristischen Zielabsicht gänzlich sozial-adäquater Handlungen.

Der Gesetzgeber hat vor allem in § 89 a Abs. 2 StGB Tatbestände geschaffen, die Handlungen sanktionieren, die »ohne nachfolgendes und seinerseits deliktisches Zutun des Täters oder Dritter überhaupt nicht (...) oder allenfalls minimal gefährlich« sind.|8 Ihren rechtsgutsgefährdenden Gehalt beziehen diese Handlungen lediglich aus dem (unterstellten) Telos der künftigen Begehung einer staatsgefährdenden Gewalttat. Unter Strafe gestellt sind bspw. die Kontaktaufnahme zwecks Unterweisung in der Begehung von Gewalttaten und die Verbreitung und Beschaffung einer entsprechenden Anleitung, ohne, dass die (vermeintlich) geplante Tat ein konkretes Versuchsstadium erreicht haben muss. § 89 a, b StGB setzt gerade nicht voraus, dass eine konkrete Tat bereits geplant ist, sondern zielt auf die Beschaffung der Grundlagen für die (mögliche) Begehung einer nicht zwingend bereits konkret geplanten terroristischen Gewalttat.|9

Insbesondere die in § 89 a Abs. 2, S. 1 bezeichneten Vorbereitungshandlungen des Unterweisens und Sich-Unterweisenlassens in »sonstigen Fertigkeiten« sorgen mit ihrer Unbestimmtheit dafür, dass ein breites Spektrum »beliebiger sozialadäquater Verhaltensweisen« kriminalisierbar ist, »wie etwa die Chemienachhilfe oder der Sprachunterricht«|10 oder das »Erlernen des Steuerns eines KfZ«|11 - Verhalten jedenfalls, das für sich genommen nicht deliktisch ist und das in der Regel auch nicht in die Ausführung einer Straftat mündet.
Bereits die Tatbestände des § 89 a, b StGB sind also derart weit im Vorfeld einer Tatvorbereitung angesiedelt, dass die Planung und Durchführung einer staatsgefährdenden Gewalttat nur eine von vielen möglichen künftigen Folgen ist. Es ist ebenfalls denkbar, dass der im Steuern eines KfZ unterwiesene sein Knowhow nutzt, um syrische Waisenkinder zur Schule zu fahren. Anders formuliert: »Verhaltensweisen, die [..] zu [dem konkreten Rechtsgut] infolge ihrer weit vorverlagerten Wirkung sowie ihres nicht eindeutig auf die künftige Rechtsgutsverletzung vorausweisenden Charakter[s] aber in einem nur noch sehr verdünnten Zusammenhang stehen, werden infolge des Vorliegens bloßer gefährlicher Absichten bei dem Täter mit Vollendungsstrafen bedroht.«|12

Die jetzige Erweiterung des § 89 a durch Einfügung eines Abs. 2 a geht nun noch einen Schritt weiter: Tabestandlich erfasst werden soll der Versuch der Reise in einen Staat, »in dem Unterweisungen von Personen im Sinne des Abs. 2 Nummer 1 erfolgen«. Spätestens hier ist die Vorverlagerung der Strafbarkeit an einem Punkt angelangt, an dem die Antizipation künftiger Rechtsgutsverletzungen dem Blick in eine Kristallkugel gleicht: Der Zusammenhang zwischen Vorfeldhandlung und möglicher Rechtsgutsverletzung ist nur mehr eine reine Möglichkeit, die nicht einmal unter der Annahme einer extremistischen Motivlage zwingend eintreten muss. Ob die laut Entwurfsbegründung explizit gemeinten (künftig aber möglicherweise nicht exklusiv betroffenen) Syrienreisenden nach einem Besuch des Bürgerkriegslandes tatsächlich Gefallen an der Idee finden, anderen Menschen Gewalt anzutun, ist eben nur eine von vielen denkbaren Möglichkeiten.

Gesinnungsstrafrecht

Bei einem abstrakten Gefährdungsdelikt mit derart überschießender Innentendenz fällt es schwer, überhaupt objektivierbare Maßstäbe zur Feststellung einer deliktischen Absicht zu finden. Den von § 89a StGB-E erfassten muslimischen Syrienreisenden unterscheidet vom sozial engagierten Arzt, der nach Syrien reisen möchte, um dort vom Krieg betroffenen Kindern zu helfen, einzig die unterstellte Gesinnung. Die Entwurfsbegründung sah insofern sogar, dass die strafbare (geplante) Ausreise in ein Krisengebiet mitunter noch vor der Verfestigung einer deliktischen Absicht stattfindet: »Dabei wissen sie bei der Ausreise mitunter noch nicht, ob und welcher terroristischen Vereinigung sie sich anschließen werden.« (Bt-Drs. 18/4087, S. 6) Wenn die Strafbarkeit aber bereits im Vorfeld der deliktischen Absicht einsetzt, bleiben als »Tatbestandsmerkmale« nur rein subjektive, weiche Merkmale des »Täters«: religiöse Überzeugungen, der Umgang mit Bekannten, soziales Verhalten, Äußerungen im privaten E-Mail- oder Postverkehr, persönliche Interessen (wie bspw. bevorzugte Literatur), Internetspuren - mithin Lebensäußerungen, die allesamt dem privaten Innenbereich der Person zuzuordnen sind, die von den Ermittlungsbehörden auf eine mögliche Gefährdung hin ausgedeutet werden und das möglicherweise bereits bevor der »Gefährder« selbst sich der in ihm schlummernden deliktischen Absicht bewusst wird. Das nennt man Gesinnungsstrafrecht.

Wenn aber »objektive Handlungen an Aussagekraft verlieren und Lebensumstände, wie etwa das politische, religiöse oder auch das technische Engagement, relevanter werden«, dann gewinnen folgerichtig auch die polizeilichen und nachrichtendienstlichen Informationssysteme an Bedeutung. Puschke weist auf diesen Effekt hin: »Es ist ... davon auszugehen, dass sich Ermittlungsmethoden und Informationsaustusch im Zusammenhang mit Vorbereitungsdelikten weiter intensivieren und internationalisieren werden.«|13 Die Suche nach den inneren Motiven objektiv nicht strafbarer Handlungen ruft zwangsläufig die Ausspähung durch Nachrichtendienste und Polizeibehörden auf den Plan. Die wiederum fordern - einer systemischen Dynamik folgend - immer weitere Zugriffs- und Informationsaustauschsrechte ein.

Finanzierung

Eine ähnliche Wirkung entfaltet absehbar die im geplanten § 89 c StGB vorgesehene Strafbarkeit der »Finanzierung«, insbesondere wenn die Erheblichkeitsschwelle fällt. Bereits an der bestehenden Regelung wurde kritisiert, dass »vor allem bei kleineren Spenden [...] nach Außen hin nicht offensichtlich [ist], welchen Zwecken sie dienen«.|14 Lässt sich beim Einwerben und Verwalten größerer Finanzmittel aus mehreren Quellen also im Zweifelsfall vielleicht noch ein konkreter Zweck und damit eine sinnhafte Beziehung zwischen Vorfeld und Tatvorbereitung herleiten, so dürfte dies bei möglicherweise einmaligen Spenden kaum mehr möglich sein; ganz unabhängig von dem grundsätzlichen Problem, dass auch hier die Strafbarkeit an eine typischerweise gänzlich sozial-adäquate Handlung anknüpft, der keine unmittelbare Gefährlichkeit innewohnt.

Dies ist umso eher der Fall, als nicht nur die Finanzierung der konkreten Vorbereitung einer Gewalttat, sondern auch die Zuwendung Dritter zur Durchführung von Vorfeldhandlungen erfasst wird. Die Finanzierung einer Reise in ein Krisengebiet, die (möglicherweise) dem Erlernen von Fertigkeiten dient, die wiederum zur Vorbereitung einer terroristischen Gewalttat von Nutzen sein könnten, ist so weit von der befürchteten Rechtsgutsverletzung entfernt, wie die Henne, die ein Ei legt, vom Napfkuchen, der damit gebacken wird.
Der ohnehin nur fadenscheinige Zusammenhang zwischen der Vorfeldtat »Finanzierung« und der befürchteten Rechtsgutsverletzung wird durch die mit der Auslandsgeltung einhergehenden Aufklärungsprobleme nur noch weiter »verdünnt«: Im Krisengebiet Syrien, auf das die Entwurfsbegründung explizit verweist, herrscht seit langem eine unübersichtliche Lage, die durch wechselnde Koalitionen zwischen den verschiedenen bewaffneten Gruppen gekennzeichnet ist. So kooperierte bspw. auch die sich selbst zur Al Qaeda bekennende Al Nusra Front mit Verbänden der Freien Syrischen Armee. Die heute in Teilen des Landes dominante islamisch-salafistische Organisation »Islamischer Staat« wiederum ist aus verschiedenen anderen Gruppierungen hervorgegangen und spielte noch 2013 eine eher untergeordnete Rolle.

Mit solch wechselnden Koalitionen wird auch die Prognose darüber, ob es sich bei einer heute mit Zuwendungen unterstützten Gruppe oder Einzelperson möglicherweise bald schon um einen Teil einer terroristische Organisation oder einen terroristischen Einzeltäter von Morgen handelt, äußerst schwierig. Konkret kann, wer unter dem Eindruck der Gewalttaten des syrischen Staates Geld für einen Verein, eine Organisation oder Einzelpersonen in Syrien spendet, schwerlich absehen, ob diese Zuwendung nicht mittelbar doch der künftigen Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat zugutekommt. Derart weit entfernt von der eigentlichen Rechtsgutsverletzung kann beim besten Willen nicht angenommen werden, der Spender bzw. Geldgeber habe wissen können, dass seine Zuwendung am Ende der Vorbereitung einer terroristischen Straftat diente.

Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG

Daraus resultiert unmittelbar ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG. Voraussetzung von Strafbarkeit ist, dass die in Frage stehende Tat und die daraufhin zu erwartenden Straffolgen hinreichend bestimmt sind. Dies war bereits bei der bislang geltenden Fassung des § 89 a, b StGB nicht gegeben, wie in der Literatur vor allem in Hinblick auf § 89 a Abs. 2 S. 1 StGB (»erforderliche besondere Vorrichtungen«, »sonstige Fertigkeiten«) bereits hinreichend kritisiert wurde.|15 Es gilt, dass es bei einer weitgehend verdünnten Beziehung zwischen Vorfeldhandlung und Bezugstat für den Normadressaten kaum möglich ist, zu erkennen, ob sein Verhalten strafbar sein kann oder nicht. Dies ist in besonderem Maße für den Bereich der Finanzierung der Fall, die zur Bezugstat immer nur in mittelbarer Beziehung steht (s.o.).
Hinzu kommt, dass die Staatsschutzklausel des § 89a StGB auch in der Neufassung unverändert erhalten bleiben soll, die mit der Formulierung, eine »Straftat [...] die nach den Umständen bestimmt und geeignet ist, den Bestand und die Sicherheit eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beeinträchtigen« die Geltung des Anti-Terrorparagrafen auf potentiell alle Staaten der Erde ausdehnt. Da die Entscheidung darüber, ob es sich bei der Unterstützung oder Planung von Taten gegen eine Regierung im Ausland um (straffreien) berechtigten Widerstand oder aber um eine terroristische Gewalttat handelt, einzig von der Verfolgungsermächtigung des BMJV abhängt und sich nicht anhand objektiver Merkmale bemessen lässt, ist es für den Einzelnen schlicht unmöglich geworden, abzuschätzen, ob die von ihm geleistete Spende oder die von ihm geplante Reise als strafbare Vorfeldhandlung angesehen wird oder nicht.

Verfolgungsermächtigung

Als besonders problematisch erscheint vor diesem Hintergrund der Vorbehalt der Verfolgungsermächtigung. Eingeführt mit § 129b StGB|16, um »Freiheitsbewegungen« aus der Verfolgung auszuschließen,|17 führt die Verfolgungsermächtigung praktisch zu einer unkontrollierten und nicht der Verpflichtung zur objektiven Begründung unterworfenen Entscheidungshoheit der Regierung über die Strafbarkeit von Vereinigungen (§ 129b StGB) und - seit 2009 - Auslandstaten Einzelner (§ 89 a, b StGB). Da die Norm des § 89 a StGB den Bestand und die Sicherheit »eines Staates« schützt, wird die Schutzwürdigkeit von Staaten und staatlichen Organisationen nicht nur weit über die Grenzen der Bundesrepublik und der EU hinaus erweitert, sondern sie wird für »den Bestand und die Sicherheit« tendenziell aller völkerrechtlich anerkannten Staaten behauptet - sofern dies per Verfolgungsermächtigung gewollt ist. Das ist angesichts des Zustandes der Welt nicht nur »grotesk« bzw. eine »kriminalpolitische Ungeheuerlichkeit« (wie Paeffgen mit Hinweis auf Nordkorea oder - historisch - die Diktatur von Papa Doc auf Haiti meint)|18, sondern unterwirft das Staatsschutzstrafrecht zugleich vollständig politischen Opportunitätserwägungen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Vom Schutz legitimer Widerstandshandlungen und von Befreiungsbewegungen gegen Unrechtsstaaten kann beim Rechtsgut des Schutzes irgendeines Staates keine Rede sein. Im Gegenteil: Wer die Schutzwürdigkeit staatlicher Institutionen an sich behauptet, negiert zugleich das Recht des Bürgers auf Widerstand gegen ein Unrechtsregime.

In der Konsequenz bedeutet die Verfolgungsermächtigung, dass die nun in § 89a-c StGB normierte Strafbarkeit sich an wechselnden politischen und ökonomischen Interesselagen orientiert. Damit wird das Staatsschutzstrafrecht unmittelbar der internationalen (Anti-Terror-) Politik und den damit verwobenen außen- und wirtschaftspolitischen Interessen und Koalitionen unterworfen.

Ein schlechtes Gesetz

Der Bundestag hat schon viele schlechte Gesetze verabschiedet. Dieses aber ist besonders schlecht. Es ist schlecht, weil es geeignet ist, die Grundsätze des rechtsstaatlichen Strafrechts und unseres Rechtsstaates insgesamt zu unterminieren, indem es weit im Vorfeld konkreter Rechtsgutsverletzungen neutrale, sozial-adäquate Handlungen mit Vollendungsstrafen bedroht. Es ist schlecht, weil es offenkundig gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG verstößt. Aber es ist besonders schlecht, weil all dies willentlich in Kauf genommen wird, ohne dass ein spezifischer Handlungsbedarf ernsthaft nachgewiesen wird. An der Tatsache, dass Militante im Ausland eine Waffenausbildung suchen, die sie innerhalb Deutschlands nicht bekommen können, ist genauso wenig Neues zu finden, wie daran, dass solche Aktivitäten finanziert werden müssen. Auch Mitglieder der RAF haben sich in palästinensischen Camps, in der Beka'-Ebene, im Jemen oder in Bagdad schulen lassen. Und dass es zur Bekämpfung des islamistischen Terrors einer Ausweitung des § 89 a ff. bedurft hätte, muss schon angesichts der nur spärlichen Anwendung der alten, seit 2009 geltenden Regelung fraglich erscheinen. Im besten Falle handelt es sich um einen weiteren »Ermittlungsparagrafen«, der dazu dient, die Eingriffsschwelle der Verfolgungsbehörden abzusenken.

Das Gesetz ist aber auch deshalb schlecht, weil eine besonders unheilvolle Entwicklung in der Terrorismusbekämpfung fortgeführt wird, die darin besteht, einerseits die grenzübergreifende nachrichtendienstliche Kontrolle auszubauen und die strafrechtliche Verfolgung in den Kontext außen- und sicherheitspolitischer Erwägungen zu stellen (Verfolgungsermächtigung), andererseits eine wesentliche Besonderheit des islamischen Terrorismus konsequent zu übersehen. Dieser wird nämlich nicht vorrangig mittels Kleinspenden aus islamischen Kulturvereinen und Sammlungen in Fußgängerzonen am Laufen gehalten, sondern es handelt sich zum großen Teil um sog. »state sponsored terrorism«, also um Bewegungen und Gruppen, die überwiegend von den Zuwendungen anderer Staaten oder staatlicher Akteure leben.

Es muss als zumindest fraglich erscheinen, ob sunnitische Extremisten wie die der Al Qaeda zugerechnete Nusra-Front in Syrien ohne die finanzielle und logistische Unterstützung aus den Golfstaaten oder Saudi Arabien ein derartiges Gewicht erhalten hätten. Andererseits werden Bürgerkriegsakteure wie die schiitische Hezbollah direkt vom Iran unterstützt|19, der über seine Revolutions- und Quds-Brigaden auch für einen erheblichen Teil des Terrors im Irak seit 2003 verantwortlich zeichnet|20 und heute schiitische Milizen kontrolliert, die in ihren Herrschaftsgebieten innerhalb des Irak einen ähnlichen Terror entfalten, wie der sog. »Islamische Staat«. Staatliche iranische Stellen sind seit Bestehen der islamischen Republik immer wieder unmittelbar in Anschläge im Ausland verwickelt - vom Berliner Mykonos-Attentat, über den Anschlag auf die israelische Botschaft (1992) und das jüdische Gemeindezentrum in Buenos Aires (1994)|21 bis zum der Hezbollah zugeschriebenen Anschlag auf einen Touristenbus 2012 in Burghas (Bulgarien)|22. Während aber die »Finanzierung« von Vorfeldhandlungen bereits in kleinem Umfang (Wegfall der Erheblichkeitsschwelle) strafbar wird, reist der sozialdemokratische Bundeswirtschaftsminister nach Teheran, um dort Verträge für die deutsche Außenwirtschaft vorzubereiten. Wie die Bundesregierung dabei sicherstellen will, dass die Gewinne der iranischen Energiewirtschaft, die zu einem erheblichen Teil von den Revolutionsgarden kontrolliert wird,|23 nicht in die Förderung terroristischer Aktivitäten, in Anschläge gegen israelische oder jüdische Einrichtungen fließt, weiß nur sie allein. Oder auch nicht. Sie muss es nämlich gar nicht wissen, denn genau für solche Fälle gibt es den Vorbehalt der Verfolgungsermächtigung.

Strafrecht sollte auf die Sanktionierung konkret zuweisbarer Rechtsgutsverletzungen beschränkt sein. Nur so erfüllt es seine Aufgabe, nicht nur Bürger untereinander, sondern auch gegenüber dem Staat zu schützen. Diese Funktion wird nicht einmal durch Gewalttaten, wie die Anschläge von Paris im Januar dieses Jahres, obsolet. Sie unterscheidet rechtsstaatliches Strafrecht von autoritär-staatlichem Präventionsstrafrecht, das gefährliche Personen anstelle von gefährlichen Handlungen sanktioniert. Und auch, wenn es abgedroschen klingt, so sollte Strafrecht dennoch weiterhin ultima ratio sein. Ein Gesetzgeber aber, dem angesichts der Tatsache, dass man mit Messingrohren aus dem Baumarkt nicht nur Heizungen, sondern auch Bomben bauen kann, nichts Subtileres einfällt, als den Kauf von Messingrohren aus dem Baumarkt – den entsprechenden subjektiven Lebenswandel vorausgesetzt – unter Strafe zu stellen, ist den von ihm selbst stets beschworenen »Herausforderungen« offenkundig nicht gewachsen.

Thomas Uwer ist Mitarbeiter im Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen.

Anmerkungen:

1 : Jakobs AT, (1991) 2. Abschn. Rn. 25, vgl. auch Jakobs, 1985, 761
2 : vgl. dazu u.a. Philipp H. Schulte (Terrorismus und Anti-Terrorismus-Gesetzgebung, Münster 2008 [230 ff.]), der sogar eine unmittelbar »kontraproduktive Wirkung« bescheinigt (236).
3 : vgl. hierzu u.a. Paeffgen, NK-Nomos, 4. Aufl. 2013, § 89 a, b, 192 ff.; /Grosse-Wilde/Kießling, NStZ 11/2009, 593 ff.; Gierhake, ZIS 2008, 397 ff.; Radtke/Steinsiek, ZIS 2008, 383 ff.; Backes, StV 2008, 654 ff.; Hellfeld, 2011
4 : aufschlussreich in diesem Zsmh. BGH 3 StR 243/13
5 : siehe dazu bspw. Paeffgen, NK-Nomos § 89a, II., S. 207 Rn. 7 - 10; Gazeas u.a., NStZ, 11/2009, S. 595
6 : Im Unterschied dazu wurde die Strafbarkeit von Vorbereitungshandlungen bspw. im Bereich der §§ 129 ff. StGB noch mit der Einbindung in eine Vereinigung und der daraus resultierenden Gruppendynamik begründet und gegen die Straflosigkeit von Vorfeldhandlungen des Einzeltäters abgegrenzt. Vgl. bspw. Rudolphi, Systematischer Kommentar, 63. Lieferung, 2005, § 129 Rn. 3
7 : NK-Paeffgen, 2010, § 89 b, Rn. 2
8 : Mark Steinsiek: Terrorabwehr durch Strafrecht? Verfassungsrechtliche und strafrechtssystematische Grenzen der Vorfeldkriminalisierung, Hannover/Baden-Baden 2012, 189
9 : vgl. Gazeas u.a., NStZ 11/2009, 594; ebd. 597
10 : ebd., 597
11 : Steinsiek, (Fn. 9), Fn. 895, S. 193 f.
12 : ebd. 194
13 : Jens Puschke: Grund und Grenzen des Gefährdungsstrafrechts am Beispiel der Vorbereitungsdelikte, in: Roland Hefendehl (Hg.): grenzenlose Vorverlagerung des Strafrechts? Berlin 2010, 22 f.
14 : Radtke/Steinsiek (Fn. 3), 388
15 : vgl. bspw. Gazeas u.a. (Fn. 3)
16 : vgl. Mark A. Zöller, Terrorismusstrafrecht, Heidelberg 2009, 544
17 : Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen, bezeichnete die Verfolgungsermächtigung als »relevante[n] Filter. Dies ist nicht nur Schmus, sondern greift das schwierige Problem auf, dass wir Terrorismus bekämpfen, aber Freiheitsbewegungen in ihren politischen Auseinandersetzungen nicht behindern und insbesondere den Dialog mit ihnen auch in unserem Land führbar machen wollen.« (Bundestags Plenarprotokoll 14/234 26.04.2002, S. 23334)
18 : NK-Paeffgen, 2010, § 89 b, Rn. 7 - 9
19 : Dexter Filkins: The Shadow Commander. The New Yorker, 30.09.2013; http://www.newyorker.com/magazine/2013/09/30/the-shadow-commander?currentPage=all
20 : siehe hierzu bspw. Qassem Suleimani: the Iranian general ‚secretly running‘ Iraq, The Guardian, 28.07.2011, http://www.theguardian.com/world/2011/jul/28/qassem-suleimani-iran-iraq-influence; bzw. Seth G. Jones: Al Qaeda in Iran. Why Tehran is Accommodating the Terrorist Group, in: Foreign Affairs, 29.01.2012, https://www.foreignaffairs.com/articles/iran/2012-01-29/al-qaeda-iran
21 : Bei dem Anschlag kamen 85 Menschen ums Leben.
22 : vgl. Holding Iran accountable for terrorist attack. The Washington Post. 20 July 2012. http://www.washingtonpost.com/opinions/holding-iran-accountable-for-terrorist-attacks/2012/07/20/gJQAyjJryW_story.html;
23 : vgl. Martin Gehlen: Irans Revolutionsgarden, ein Staat im Staat, in: Die Zeit, 11.06.2010, http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-06/iran-revolutionsgarden; vgl. auch: Iran’s Revolutionary Guards Corps, Inc. (http://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/view/irans-revolutionary-guards-corps-inc)

Thomas Uwer: Strafbare Möglichkeiten. Zu § 89 a,b,c StGB, in: Freispruch, Heft 7, September 2015, S. 9-12

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