Strafverteidigertag Rechtspolitik

Guter Fan, böser Fan

Das neue Sicherheitskonzept der DFL ist das alte: Viel Polizei, wenig Kommunikation.
von Mandy Schultz

Zuschauer im Berliner Mommsenstadion

 

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Mit ihrem »Maßnahmenkatalog sicheres Stadionerlebnis« wollte die DFL (Deutsche Fußball Liga GmbH) Fußballspiele in ein stadionähnliches Sicherheitserlebnis verwandeln. Unter dem Druck der Fanverbände haben die Bundesligavereine am 12. Dezember nun ein abgespecktes Sicherheitspaket verabschiedet. Trotz milderer Maßnahmen bleibt das Grundproblem aber bestehen: Die Fanszene in deutschen Stadien wird weiter vorwiegend als ein Sicherheitsproblem betrachtet, dem mit härteren Kontrollen, Verboten und Repression begegnet wird. Gute Fans kaufen teure Trikots und Vereinsmaskottchen für den Autospiegel. Schlechte Fans saufen Bier, brennen Pyros ab und prügeln sich auf der Stehtribüne. Damit hat sich die DFL einerseits weiter denn je von der Realität in Stadien entfernt - und findet andererseits trotzdem Unterstützung in der Öffentlichkeit, die glaubt, der Fußball müsse sicherer werden.

Wie unsicher aber sind die Fußballstadien wirklich? Glaubt man den Zahlen der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) der Polizei, so ist die Gewalt in den Stadien dramatisch gestiegen. Für die Saison 2011/2012 zählte sie 1.142 Verletzte (gegenüber 846 in der Vorsaison), 8.143 eingeleitete Strafverfahren (5.818 im Vorjahr) und 7.298 freiheitsentziehende Maßnahmen (6.061 im Vorjahr) in 757 Partien der beiden ersten Ligen, des DFB-Pokals, der UEFA-Clubwettbewerbe und der Nationalmannschaft|1.

Dagegen stehen aber auch 18,7 Millionen Menschen, die an den ausgewerteten Partien als Zuschauer teilnahmen. Das sind 1,3 Millionen mehr Zuschauer als in der Vorsaison. Rechnet man die Verletzten ohne weitere Überprüfung gegen diese Zahl, so ergibt sich also ein weniger bedrohliches Bild. Zum Vergleich: Für das Münchner Oktoberfest 2012 nennt die Polizei 17.714 Einsätze im ganzen Stadtgebiet (2.031 unmittelbar auf der »Wiesn«), 1.470 Straftaten (davon 439 Körperverletzungsdelikte und 17 Sexualdelikte), 469 Tatverdächtige wurden festgenommen, 2.418 Verkehrsunfälle verübt (1 Toter) und 287 Führerscheine sichergestellt|2. Trotz der sehr unterschiedlichen Datensätze lässt sich hochrechnen, dass, zumindest was die persönliche Sicherheit der Besucher angeht, eine ganze Fußballsaison also nicht gefährlicher ist als zweieinhalb Wochen Oktoberfest.

Das entscheidende Problem der ZIS-Statistik aber besteht in der Lückenhaftigkeit der Angaben. Weder Verursacher und Folgen der registrierten Verletzungen bzw. Verfahren sind erfasst. Der hohe Anteil der verletzten Polizisten (235) einerseits, von »Störern« (514) andererseits lässt vermuten, dass ein erheblicher Teil der Verletzungen eine Folge von Auseinandersetzungen mit der Polizei sind. Fangruppen kritisieren in diesem Zusammenhang seit Jahren den Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken in den Stadien|3. Noch ungenauer fallen die Zahlen über eingeleitete Strafverfahren aus. Nicht erfasst wird hier, wieviele der Verfahren wieder eingestellt werden.

Zugleich räumt die ZIS selbst ein, dass ein erheblicher Teil der Verfahren (27 %) wegen Verstoßes gegen das Sprengstoff-Gesetz eingeleitet wurden, in der Praxis also wegen des Abbrennens von Pyro-Technik. Ein Dialog über Pyrotechnik mit den Fanverbänden wurde Ende 2011 abgebrochen, der Vorsitzende des Nationalen Ausschusses Sport und Sicherheit rief am 9. Dezember 2011 alle Länder dazu auf, »dass die einsatzführenden Polizeibehörden keine Zweifel an der klaren Absage aufkommen lassen und jeglichen Versuchen, Pyrotechnik im Stadion zuzulassen, konsequent entgegenwirken.« Seitdem wurde hier ein Zuwachs der eingeleiteten Strafverfahren von 77% verzeichnet.

Diese »Ungenauigkeiten« in der Erfassung der Daten bewirken nicht nur, dass die Statistik der ZIS wenig über die reale Sicherheitslage in den Stadien aussagt; sie haben unmittelbare Konsequenzen vor allem für solche Fußballfans, die in der Datei Gewalttäter Sport registriert sind. Etwa 13.000 Personen sind in dieser Datei erfasst, ein Großteil aufgrund von Ereignissen im Zusammenhang mit Fußballspielen. Ein Eintrag erfolgt auch hier bereits mit der Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens ohne dass die Daten bei einer Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft oder bei einem späteren Freispruch gelöscht würden. Mitunter aber reichen auch schon eine Personalienfeststellung, ein Platzverweis oder eine Gewahrsamnahme im Zusammenhang mit einem Fußballspiel aus, um in diese Datei aufgenommen zu werden. Die derart Gespeicherten werden über die Aufnahme in die Datei nicht informiert, während sie zugleich mitunter schwerwiegende Konsequenzen treffen. So kann ein Eintrag in die Datei Gewalttäter Sport zu verschärften Überprüfungen bei Verkehrskontrollen führen, aber auch zu sog. Gefährderansprachen der Polizei (bspw. durch Aufsuchen am Arbeitsplatz), zu Ausreiseverboten und zum Stadionverbot. Bereits die mittlerweile in vielen Ländern fest in der polizeilichen Praxis verankerte Gefährderansprache stellt einen nicht unerheblichen Grundrechtseingriff dar und ist geeignet, die soziale Reputation des Betroffenen nachhaltig zu schädigen.|4 Weit schwerer aber wiegen die Folgen bei dem Verbot der Ausreise vor Auslandsspielen, das in der Regel mit einer Beschädigung des internationalen Ansehens der Bundesrepublik Deutschland begründet wird, und damit verbundenen Meldeauflagen, sowie schließlich beim Stadionverbot.

Der Kriminologe Thomas Feltes, bis vor kurzem Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der DFL, sieht im Stadionverbot eine immense Eingriffsintensität, »weil es für Jahre wesentliche Bestandteile der Freizeitgestaltung der Betroffenen unmöglich macht. Das ist ein Eingriff, der selbst im Strafrecht eigentlich nur bei schweren Straftaten und nach klarer Beweisführung möglich ist. Bei den meisten der Verhaltensweisen, die einem Stadionverbot zugrunde liegen, würde im Strafverfahren, so es denn überhaupt zu einer Verurteilung käme, eine Geldstrafe verhängt werden.«|5

Für Zuschauer der deutschen Profi-Fußballligen reicht bereits die Tatsache eines gegen sie geführten Ermittlungsverfahrens - unabhängig vom Ergebnis - für einen derartigen Eingriff aus. Sofern die Polizei dies will.

Tatsächlich beruht bereits die bestehende Sicherheitspolitik in den Stadien auf einer bedenkliche Verbindung von privatrechtlichen Maßnahmen (Hausrecht der Vereine) und polizeilicher Repression. Daten aus laufenden Ermittlungsverfahren werden von der Polizei an die Vereine weitergegeben und verbunden mit dem Antrag, ein bundesweites Stadionverbot auszusprechen.

»Die Polizeibehörden rechtfertigen die Datenweitergabe mit den DFB-Stadionverbots-Richtlinien und Vorschriften des Polizeirechts. Die DFB-Stadionverbots-Richtlinien sind jedoch verbandsintern und können [...] keine Ermächtigungsgrundlage für die Polizei sein.«|6 Der Verein wiederum nimmt einzig die Tatsache der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zum Anlass, ein (bundesweit geltendes) Stadionverbot zu verhängen. »Faktisch trifft die Polizei die Entscheidung, gegen wen ein Stadionverbot verhängt wird, indem sie ein Ermittlungsverfahren einleitet und ein Stadionverbot bei den Vereinen „beantragt“, was diese dann allein aufgrund der Auskunft der Polizei erteilen.«|7

In dem tiefen Graben, der zwischen der Verwertungsgesellschaft des Profifußballs DFL und den Fans in den Stadien klafft, stehen die Einsatzhundertschaften der Polizei und tragen mit dazu bei, dass der Konflikt gelegentlich auch gewaltsam ausgetragen wird - mit Schlagstockeinsatz und Pfefferspray auf der einen, Flaschenwürfen und Randale auf der anderen Seite. Die DFL, die sich um Verwertungsrechte und Lizenzen im Profifußball kümmert, sieht darin immer noch den Königsweg, wie nicht zuletzt die neu beschlossenen Maßnahmen (wie bspw. die Ganzkörperkontrolle bei Risikospielen) zeigen.

Dieser Weg der DFL zielt darauf ab, den verwertbaren Teil des Fußballgeschäfts vor den unerwünschten Proleten abzusichern, die sich ihr eigenes »Stadionerlebnis« schaffen. Fußball aber war schon immer beides zugleich: Ein Riesengeschäft und eine Leidenschaft, die tendenziell jedem offen steht. Das sog. Stadionerlebnis besteht dementsprechend auch aus beiden Seiten - den 22 hochbezahlten Profis auf dem Rasen und den durchschnittlich über 40.000 Zuschauern auf den Rängen. Dazwischen sollte nicht mehr als eine dünne Werbebande passen. Für Strafen und Repression ist hier kein Platz.

Die Autorin lebt in Berlin (1.267 registrierte »Gewalttäter Sport«) und ist Anhängerin der
Eintracht Frankfurt (440 registrierte »Gewalttäter Sport«).

1 : http://www.polizei-nrw.de/media/Dokumente/11-12_Jahresbericht.pdf
2 : http://www.polizei.bayern.de/content/1/6/4/3/5/5/sonderbeilage_wiesn-abschlussbilanz_2012.pdf
3 : http://aktive-fans.de/index.php?option=com_content&view=article&id=117:polizei-ausser-rand-und-band-pm-baff&catid=62:pressemeldungen&Itemid=96
http://www.profans.de/gewalttater-sport
4 : vgl. hierzu den Beitrag von Michael Jasch auf dem 36. Strafverteidigertag in Hannover »Bestrafen der Armen, kontrollieren der Armen?« [erscheint demnächst in Band 36 der Schriftenreihe der Strafverteidigervereinigungen]
5 : Interview in der WAZ v. 14.11.2012: Bochumer Professor fordert mehr Kommunikation zwischen Polizei und Fans, http://www.derwesten.de/staedte/bochum/kommunikation-wirkt-sich-positiv-auf-gewaltbereite-fans-aus-page3-id7291425.html
6 : Arbeitsgemeinschaft Fananwälte: Rechtliche Stellungnahme zum Diskussions-Papier »Sicheres Stadionerlebnis« der DFL vom 23.10.2012, S. 6 (online unter: http://fananwaelte.de/Aktuelles/Aktuelles4/1,000000979380,8,1;focus=CMTOI_de
_dtag_hosting_hpcreator_widget_Download_10941057&path=download.action&
frame= CMTOI_de_dtag_hosting_hpcreator_widget_Download_10941057&raw=
1?id=59710)
7 : Arbeitsgemeinschaft Fananwälte: Stadionverbote, http://fananwaelte.de/Forderungen/Stadionverbote/1,000000306301,8,1

Mandy Schultz:
Guter Fan, böser Fan, in: Freispruch, Heft 2, Januar 2013

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