Strafverteidigertag Rechtspolitik

Der »war on drugs« und die Sicherungsverwahrung

Gastkommentar von Dr. Volkmar Schöneburg

 

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Die Botschaft der Entscheidung des EGMR zur Sicherungsverwahrung (SV) vom 17. Dezember 2009 an die deutsche Politik war m.E., die Balance zwischen rechtsstaatlichem Strafrecht und Sicherheit, die seit 1998 im Zuge einer populistischen Kriminalpolitik hin zu vermeintlich mehr Sicherheit verschoben wurde, wieder herzustellen. Es wurde jedoch versäumt, die, wie es Lüderssen ausdrückte, wegen des Einflusses der nationalsozialistischen Gesetzgebung bereits im Kern vergiftete Maßregel generell auf den Prüfstand zu stellen. Das hätte keinen Verlust an Sicherheit gebracht, aber ein Mehr an rechtsstaatlichem Tatstrafrecht. Als 1990 lediglich noch 31 Anordnungen von SV erfolgten und nur noch 182 Personen sich in der SV befanden, haben auch keine marodierenden Banden unser Land bedroht. Aber mit solchen Positionen ist es schwer, in einer auf den Einzelfall orientierten medialen Diskussionen und einer auf Symbolik setzenden Politik Gehör zu finden.

Positiv zu bewerten ist jedoch, dass mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 die Länder auf einen freiheits- und therapieorientierten Vollzug der Sicherungsverwahrung festgelegt sind und bereits während der Strafhaft alles tun müssen, um den Vollzug der SV – also das Sonderopfer – zu vermeiden.

Aber darüber hinaus war die Politik bei der Neuregelung der SV wiederum den Versuchungen des Täterstrafrechts erlegen. Das zeigt sich z.B. an der Therapieunterbringung und am Institut der vorbehaltenen SV, welches mit dem »Ultima Ratio-Prinzip« nicht vereinbar ist und den Strafvollzug vor schwer lösbare Probleme stellen wird.

Auch bei dem Katalog der Anlasstaten verfehlt der Gesetzgeber die Konsolidierung der SV nach dem »Ultima Ratio-Prinzip«. Mit den Ausführungen zu den erforderlichen Voraussetzungen einer Anordnung originärer SV hat das Bundesverfassungsgericht richtungsweisend den Kreis der Anlasstaten für die zukünftige Ausgestaltung der Sicherungsunterbringung vorgegeben. Danach ist die Anordnung nur dann verfassungsgemäß, wenn – neben der Beachtung der Verhältnismäßigkeit – eine hochgradige Gefahr der Begehung schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten in der Person des Täters besteht. Die in der Gesetzesfassung aufgeführten Straftatbestände ohne Gewalt- bzw. Sexualkomponente rechtfertigen eine (ggf. lebenslange) Unterbringung daher nicht. Dies gilt namentlich für Betäubungsmittelstraftaten, die Staatsschutzdelikte, die Taten nach dem Völkerstrafgesetzbuch sowie den Verstoß gegen Weisungen der Führungsaufsicht.
Brandenburg hat sich deshalb im November im Bundesrat für die Anrufung des Vermittlungsausschusses eingesetzt, fand aber lediglich Unterstützung durch Thüringen und Schleswig-Holstein. Ablehnungen wurden u.a. damit begründet, dass die BTM-Delikte aus dem Katalog gestrichen werden sollten. In Debatten hieß es, man wolle nicht, dass Drogen an den Schulen gedealt würden.

Offensichtlich verfängt sich die Politik hier in ihrer jahrelang forcierten verfehlten Kriminalpolitik. Im Bereich des BTM-Strafrechts zeigt sich am deutlichsten, wie die Politik hemmungslos sich des Steuerungsinstruments Strafrecht bedient. Die Ergebnisse sind: eine flächendeckende Kriminalisierung, wodurch bereits entfernteste Vorbereitungshandlungen als selbständige Vollendungstaten definiert werden, und exorbitant hohe Strafandrohungen, die nicht in die Systematik unseres Strafrechts passen. Die Folgen hat der Berliner Strafrechtslehrer Detlef Krauß beschrieben: Zahllose angeworbene, beliebig auswechselbare Gauner präsentieren sich als die Schwerkriminellen unserer Zeit. Darüber hinaus sind es gerade die Opfer, die das BTM-Strafrecht in ihrer ausweglosen Situation kriminalisiert. Über 80 % der zu Freiheitsstrafe verurteilten Drogentäter sind suchtmittelabhängige Kleindealer. Fazit: Es gibt im Drogenbereich kaum noch strafende Gerechtigkeit.

Wenn die Drogenkriminalität jedoch so dramatisiert wird, wenn es keinerlei Eingrenzung des Strafanspruchs im BTM-Strafrecht gibt, dann ist es nur folgerichtig, dass der strafende Staat auch das schärfste Instrument – nämlich die SV – in diesem Kriegsszenario vorhält.

Doch das System hat sich an dieser Stelle verrannt. Es ist an der Zeit zurückzu-steuern. Das erfordert wiederum Verantwortungsbewusstsein und Mut, die Feh-lerhaftigkeit dieser Politik einzugestehen. Ein erster Schritt wäre die Herauslösung der BTM-Delikte aus den Anlasstaten der SV gewesen. Zu einem solchen Eingeständnis ist die Politik jedoch offenkundig nicht bereit.

Dr. Volkmar Schöneburg (Die Linke) war von 2009 bis Ende 2013 Minister der Justiz in Brandenburg.

Dr. Volkmar Schöneburg:
Der War on Drugs und die Sicherungsverwahrung, in: Freispruch, Heft 2, Januar 2013

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