Pegida rasiert
Ein Bericht über das sog. Pegida-rasiert-Verfahren von Inigo Schmitt-Reinholtz
Am  Abend des 25. Juni 2015 fand in der Nürnberger Nordstadt ein Aufmarsch der  »Pegida«/Nürnberg statt, an dem etwa 65 Personen teilnahmen. Schon im Vorfeld  war durch ein großes Aufgebot von USK-Einheiten der Aufmarschweg weiträumig  abgesperrt worden, damit die in 15-20-facher Anzahl erschienenen  Gegendemonstranten nicht mit den Pegida-Anhängern unmittelbar zusammentreffen  konnten.
Im Rahmen dieser Abschirmungsmaßnahmen kam es dazu,  dass einer der Gegendemonstranten auf den Boden spuckte und nach hinten, hinter  dem Rücken, den Mittelfinger ausstreckte. Das reichte aus, damit sich - ohne  dass es zu einer zusätzlichen verbalen Ansprache gekommen war - ein USK-Beamter  beleidigt sah und durch einen anwesenden Beweissicherungstrupp Lichtbilder des  angeblichen Täters fertigen ließ. Diese Bilder sollen meinen Mandanten zeigen.
Etwas über eine Stunde später, als sich der Aufmarsch  der Pegida durch die Nordstadt bewegte, liefen dort mehrere unverdächtig  aussehende Bürger in der Nähe des Zuges mit, von denen scheinbar einer jene  Filmaufnahmen fertigte, die später unter dem Titel »Pegida rasiert« ins  Internet und dort insbesondere auch auf der Plattform YouTube eingestellt worden  sind. Das Video zeigt zwei junge Männer, die beiden späteren Angeklagten, die  neben der ersten Reihe des mit Deutschlandfahnen und einem Fronttransparent  geschmückten Aufzuges der Pegida herlaufen. Plötzlich sprinten beide auf die  Mitte des Banners zu, einer fasst es mit der linken Hand, während mein - zu  langsam laufender - Mandant ins Leere greift. Zwei der Transparentträger, einer  in der Mitte und einer am Rand, halten das Banner fest, mit dem Erfolg, dass  ein Randstreifen abreißt, während die beiden Angeklagten davon sprinten. Beide  werden nur wenige Sekunden später schon von den zahlreich in der Nähe  aufhältlichen USK-Beamten gestellt und festgenommen. Auch dies ist teilweise in  dem Video zu sehen.
      
Auch zu sehen ist ein am Rande des Umzugs laufender  Mann. Es handelt sich um einen regelmäßigen Initiator der Nürnberger  Pegida-Aufmärsche in Nürnberg. In der polizeilichen Vernehmung und auch in der  späteren Hauptverhandlung wird er als Zeuge bekunden, er habe das Banner  krampfhaft festhalten wollen und durch das Wegreißen desselben zwei Tage lang  Schmerzen, vergleichbar mit einem Muskelkater verspürt. Schmerzen, die ihn  allerdings nicht veranlassten, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
      
Die Staatsanwaltschaft erkannte zwar keine  Zueignungsabsicht, meinte aber in ihrer Anklage, dass sich auch mein Mandant,  der ausweislich des Filmes das Banner zu keinem Zeitpunkt auch nur berührt hat,  wegen gemeinschaftlicher Sachbeschädigung und gefährlicher Körperverletzung  sowie Beleidigung des USK-Beamten schuldig gemacht habe. Nachdem mein Mandant  im Bundeszentralregister sechs Voreinträge aufwies, war damit ein exorbitantes  Bedrohungsszenario aufgebaut.
      
Trotz - oder wegen - des großen öffentlichen  Interesses (vor Ort wurde zur Unterstützung der Angeklagten aufgerufen und vor  dem Amtsgericht fand unmittelbar vor der Hauptverhandlung eine Solidaritätsdemo  statt) wurde die Haupthandlung in einem relativ kleinen Sitzungssaal angesetzt,  sodass allenfalls ein Viertel der erschienenen Prozessbesucher in den  Sitzungssaal passten, während der Rest vor dem Sitzungssaal in den Gängen des  Justizpalastes den Ausgang des Prozesses abwartete, eingeschlossen von  angeforderten USK-Einheiten,.
      
Das Verfahren endete letztlich mit einer Verurteilung meines Mandanten wegen Beleidigung und gemeinschaftlicher Sachbeschädigung zu 45 Tagessätzen und des Mitangeklagten wegen gemeinschaftlicher Sachbeschädigung und fahrlässiger Körperverletzung zu 30 Tagessätzen. Zum Nachdenken gab der Richter den Verurteilten zum Schluss nach ein bekanntes Zitat von Rosa Luxemburg mit auf den Weg: »Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden.«
Iñigo Schmitt-Reinholtz ist Strafverteidiger in Nürnberg und Mitglied der Initiative Bayerischer Strafverteidiger*innen.
 
    
   IMPRESSUM:
IMPRESSUM: