Strafverteidigertag Rechtspolitik

Elastische Todesstrafe

Mordparagraph und lebenslange Freiheitsstrafe gehören zusammen. Die notwendige Reform der Tötungsdelikte Mord- und Totschlag muss daher endlich auch die lebenslange Freiheitsstrafe abschaffen. von Thomas Scherzberg

 

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Die Diskussion um eine Reform der Tötungsdelikte Mord und Totschlag im Strafgesetz ist überfällig - neu ist sie nicht. Wer sich heute, wie die Justizministerin des Landes Schleswig-Holstein, Vorsitzender Richter am BGH Prof. Fischer oder der Strafrechtsausschuss des DAV für eine Abschaffung der Normen stark macht, die als Essenz des nationalsozialistischen Täterstrafrechts im bundesdeutschen StGB erhalten blieben, verweist zwangsläufig immer auch auf die gescheiterten Versuche der Vergangenheit, die §§ 211, 212 StGB mitsamt ihren schädlichen Folgen zu reformieren. Dieser historische Blick vermag Auskunft nicht nur darüber zu geben, wie eng der Mordparagraph an das NS-Strafrecht geknüpft ist, sondern zugleich auch, wie untrennbar dieses Täterstrafrecht mit der Rechtsfolge der lebenslangen Freiheitsstrafe verbunden ist. 1941 wurde § 211 in seiner bis heute gültigen Fassung eingeführt, als Strafe war grundsätzlich die Todesstrafe vorgesehen (mit Ausnahmen in Abs. 3); 1949 wurde die Todesstrafe mit Art. 102 GG abgeschafft, 1953 mit dem 3. Strafrechtsänderungsgesetz die lebenslange Zuchthausstrafe an Stelle der Todesstrafe gestellt; mit der Strafrechtsreform von 1969 dann die lebenslängliche Freiheits- anstelle der Zuchthausstrafe eingeführt. Äußerlich wurde die Rechtsfolge damit an die Zivilisierung der Gesellschaft angepasst und die körperliche durch die soziale Vernichtung - den gesellschaftlichen Ausschluss durch Einschluss »bis zum Tode« - ersetzt. Im Kern blieb die Sanktion dem Gehalt des Mordparagraphen aber gemäß: Sie stößt den seinem Wesen nach niedrigen und besonders verwerflichen Täter für immer aus. »Ihrer Konstruktion nach«, schrieb Sebastian Scheerer daher, »ist die lebenslange Freiheitsstrafe eine elastisch gemachte Todesstrafe«. Jeder sechste zu lebenslanger Haft Verurteilte stirbt in der Haft.

»Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen.« So formulierte der Gesetzgeber 1976 die Zielsetzung des Vollzugs von Freiheitsstrafen im Strafvollzugsgesetz. Im selben Jahr rief das LG Verden das BVerfG an. Es hielt den Mordparagraphen für verfassungswidrig, § 211 Abs. 1 StGB sei nicht mit dem in Art.3 Abs.1 GG normierten Gleichheitssatz zu vereinbaren und unter Überschreitung der Wesensgehaltssperre des Art.19 Abs.2 GG werde das Freiheitsrecht des Art.2 Abs.2 Satz2 GG beeinträchtigt. Und mehr: Die exklusiv-absolute Rechtsfolge der lebenslangen Freiheitsstrafe verstoße wegen ihrer zerstörerischen Folgen gegen die in Art. 1 GG geschützte Würde des Verurteilten indem sie ihn zum Objekt degradiere. Die Verfassungsrichter urteilten damals, dass beides - Mordparagraph wie lebenslange Freiheitsstrafe - bei verfassungskonformer Auslegung bzw. Umsetzung im Prinzip mit dem Grundgesetz vereinbar sei, formulierten aber zugleich, dass »zu den Voraussetzungen eines menschenwürdigen Strafvollzugs gehört, dass dem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten grundsätzlich eine Chance verbleibt, je wieder der Freiheit teilhaftig zu werden« (BVerfGE 45, 187).

Diese Formulierung, die den Weg bereitet hat für weitere Regelungen zur Aussetzung der Restvollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es dem BVerfG im Kern um den Bestand des Mordparagraphen und der damit verknüpften Rechtsfolge ging. Denn durch das mit der lebenslangen Freiheitsstrafe zum Ausdruck gebrachte besondere Unwerturteil trage der Gesetzgeber »zur Bewusstseinsbildung der Bevölkerung bei«. Das Werturteil aber zielt in § 211 StGB gerade nicht auf die Tat, sondern auf den Täter und dessen Beweggründe. Andernfalls wären die Rechtsfolgen des § 212 StGB nicht anders als in § 211 StGB zu fassen. Das Tötungsdelikt Totschlag, dass sich nicht in der Tat, wohl aber in der dahinter vermuteten Motivlage des Täters vom Mord unterscheidet, zeigt, dass es der lebenslangen Freiheitsstrafe nicht bedürfte, um »den Rang« zu verdeutlichen, »den das allgemeine Rechtsbewusstsein dem menschlichen Leben beimisst« (BVerfGE 45: 256). Die (soziale oder körperliche) Liquidierung des Verurteilten ergibt sich, wenn überhaupt, nur aus der Vorstellung einer in seinem Wesen liegenden Schuld. Mordparagraph und lebenslange Freiheitsstrafe gehören zusammen. Und beides ist unserem Rechtssystem unwürdig.

Dass Menschenwürde und Langzeitvollzug miteinander vereinbar seien war damals bereits im besten Falle eine wohlwollende Unterstellung. Die verheerende Wirkung von langen Freiheitsstrafen auf Verurteilte ist breit erforscht. Trotzdem beträgt die durchschnittliche Verweildauer zu lebenslanger Freiheitstrafe Verurteilter über 20 Jahre, die der entlassenen Lebenslänglichen zwischen 17 und 19 Jahren. Die Bedeutung andererseits, die der spezial- und generalpräventiven Wirkung beigemessen wird, ist mehr Glaubenssatz als eine kriminologische Erkenntnis. In Ländern, in denen die lebenslange Freiheitsstrafe abgeschafft ist (Norwegen, Portugal), gibt es nicht mehr Tötungsdelikte. Die spezialpräventive Wirkung von Freiheitsstrafen sinkt dramatisch mit der Länge des Vollzugs und von Abschreckung kann aufgrund der besonderen Motivlagen im Bereich der Tötungsdelikte seit jeher kaum gesprochen werden.

Es bleiben als tragende Motive der lebenslangen Freiheitsstrafe Vergeltung - und einmal mehr die vermeintliche Sicherheit durch Wegschließen. Sicherheitspolitik aber bemisst sich nicht nach ihrem tatsächlichen Erfolg. Länder, in denen drakonische Strafen verhängt werden sind nicht sicherer als solche, die einen liberaleren Umgang mit Straftätern pflegen. Sie rechtfertigt sich vielmehr durch die in harten Strafen enthaltene Botschaft, dass der Staat nicht mit sich spaßen lässt. Solcher Drohungen bedarf eine Gesellschaft mündiger Bürger, wie sie das Grundgesetz annimmt, nicht. In Art. 102 GG wurde nicht nur die Todesstrafe abgeschafft, sondern damit zugleich auch die extremste Form der Totalverfügung des Staates über einen Einzelnen. Es wird Zeit, endlich auch die Totalverfügung der lebenslangen Freiheitsstrafe aufzuheben. Sie gehört mit § 211 StGB abgeschafft.

 

Thomas Scherzberg ist Vorsitzender der Vereinigung Hessischer Strafverteidiger e.V..

Thomas Scherzberg:
Elastische Todesstrafe, in: Freispruch, Heft 4, Januar 2014

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