Strafverteidigertag Rechtspolitik

Suchtkrank im Knast

Suchtkranke im hessischen Strafvollzug warten oft monatelang auf die Vermittlung einer geeigneten Therapie. von Thomas Scherzberg

 

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»Drogenabhängige sind kranke Menschen, die umfassende medizinische Hilfe und Unterstützung brauchen. Die neue Nationale Strategie zur Drogen- und Suchtpolitik setzt einen besonderen Schwerpunkt auf zielgruppenspezifische Suchtprävention und bezieht Maßnahmen zur Beratung und Behandlung ein.«

(Mechthild Dyckmans, Drogenbeauftragte der Bundesregierung)

»Angebote wie Substitutionsbehandlung, Drogenkonsumräume, Spritzenvergabe, medizinische und soziale Hilfsangebote tragen dazu bei, dass Drogenabhängige überleben können und gesundheitlich stabilisiert werden.«

(dieselbe)

Auf dem Papier ist die Einsicht in die Bedeutung der Substitution für die Behandlung suchtkranker Menschen vorhanden - in der Realität der (hessischen) Justizvollzugsanstalten ist dies aber noch längst nicht der Fall.

Zwischen 30 – 50 % der männlichen Inhaftierten weisen nach Auskunft einiger Anstaltsleiter und Drogenberater eine Drogenabhängigkeit auf, in den Anstalten zur Verbüßung von Ersatzfreiheitsstrafen liegt der Anteil bei ca. Zweidrittel der Inhaftierten. Diese Zahlen, die auf Gesprächen beruhen, die ich im Dezember 2012 geführt habe, decken sich mit jenen, die die Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin und andere Fachverbände für das gesamte Bundesgebiet nennen. In krassem Gegensatz zu dem hohen Anteil von Suchtkranken im Vollzug stehen die geringe Zahl der Drogenberater und - damit verbunden - lange Wartezeiten für eine Exploration, der Anmeldung für eine Therapie nach § 35 BtmG.

In der JVA Butzbach bspw. steht für knapp 600 Inhaftierte lediglich ein einziger Drogenberater zur Verfügung, der pro Jahr rund 300 Ratsuchende betreut. Zwar wird ein kurzes Erstgespräch innerhalb einer Woche nach Anmeldung geführt. Danach dauert es aber mehrere Monate, wenn nicht länger, bis eine Vermittlung in die Therapie erfolgt - bei 40 - 60 Inhaftierten pro Jahr. Die JVA Schwalmstadt hat den Vertrag mit der externen Suchtberatung nach 30 jähriger Zusammenarbeit zum 31.12.2012 beendet, ohne dass für Ersatz gesorgt wurde In der noch größeren Anstalt in Weiterstadt gibt es monatelange Wartezeiten, da die Inhaftierten nach einer Warteliste »abgearbeitet« werden. Lediglich 20 Gespräche im Monat werden pro Drogenberater geführt, die übrige Zeit benötigen die Berater für administrative Tätigkeiten.

Auch drängt sich bei der Beurteilung der Situation der Eindruck auf, dass neben dem Mangel an Fachpersonal auch das Engagement und die Einstellung der einzelnen Drogenberater - und auch der Verteidiger, soweit sie sich dafür überhaupt noch interessieren - für die Entwicklung suchtkranker Gefangener entscheidend ist. Der Abbruch einer früheren Therapie, die Einstellung, der Verurteilte solle erst einmal einen großen Teil seiner Strafe absitzen, bevor er in den »Genuss« einer Therapie kommt, können nicht ernsthaft Argumente gegen die zügige Behandlung von kranken Menschen sein.

Verschärfend kommt hinzu, dass die Rentenversicherungsanstalten als zuständige Kostenträger sich wenig kooperativ zeigen. Nicht die von den Therapieeinrichtungen präsentierte Erfolgsquote von 60 % wird hier als maßgebend angesehen, da diese nur bedeute, dass eine Therapie durchgestanden wurde, der »Erfolg« wird vielmehr daran bemessen, ob der Suchtkranke nach einer Therapie wieder (oder erstmals) rentenversicherungspflichtig arbeitet. Damit aber steht gerade nicht mehr das Überleben oder die gesundheitliche Stabilisierung der suchtkranken Inhaftierten im Vordergrund, wie von der Bundesregierung in ihrer »Nationalen Strategie« verkündet.

Dabei wäre dies nur ein Anfang. Von der Vergabe sicherer Spritzen oder Heroinmedikation innerhalb der Anstalten ist überhaupt noch nicht die Rede, obwohl damit einhergehende Vorteile wie Wegfall der Beschaffungskriminalität und Verbesserung der sozialen Ruhe innerhalb der Anstalten z.B. in der Schweiz zu entsprechenden Modellversuchen geführt haben. Erfolgreich gesenkt werden kann damit übrigens auch die hohe Mortalitätsrate bei erneutem Drogengebrauch nach Entlassung aus dem Vollzug, deren Ursache in einer erzwungenen Abstinenz liegt. Dem kann mit gezielter Substitution und Therapie entgegengewirkt werden. In anderen Ländern ist man auch darin längst weiter als in Deutschland. Vielleicht muss auch hier, wie in der Sicherungsverwahrung, erst die europäische Rechtsprechung eingreifen, bevor sich der Gesetzgeber zu einer angemessenen Behandlung suchtkranker Gefangener durchringt.

Der Autor ist Vorsitzender der Vereinigung Hessischer Strafverteidiger e.V..

Thomas Scherzberg:
Suchtkrank im Knast, in: Freispruch, Heft 2, Januar 2013

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