Strafverteidigertag Rechtspolitik

Kein Vertrauen

Verfolgte, die auf UN und Völkerstrafrecht bauen, haben bereits verloren.
von Falah Muradkhin Shakrem

 

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Ich war 14 als die irakische Armee die Stadt, in der meine Familie lebte, mit Giftgas bombardierte, genauer: mit Senfgas, Tabun und Cyanid. Ich war tagelang blind, aber ich habe überlebt. Der Wind blies das Gift in eine andere Richtung, nicht dorthin, wo meine Familie Zuflucht suchte. Viele unserer Nachbarn, Freunde und Verwandten hatten weniger Glück: Sie starben einen qualvollen Tod. Saddam Hussein und Ali Hassan Al Majid, die beiden Hauptverantwortlichen für diesen Angriff, sind für dieses und für andere Verbrechen verurteilt und gehängt worden. Ich war gegen diese Hinrichtung - wie gegen die Todesstrafe insgesamt. Mehr noch, die Hinrichtung durch Milizen noch vor dem Ende der Prozesse und ihre öffentliche Zurschaustellung haben mich entsetzt. Geärgert habe ich mich dennoch über die moralische Empörung, mit der in Europa und den USA darauf reagiert wurde.

Der irakische Staat hat einen systematischen Massenmord an seiner eigenen Bevölkerung verübt, dem über 180.000 Kurden und beinahe genausoviele Schiiten zum Opfer gefallen sind - ganz abgesehen von den Toten des Krieges gegen den Iran, der ein klarer Angriffskrieg des Irak gewesen ist. In wenigen anderen Fällen von Staatsterrorismus gegen die eigene Bevölkerung wurde die Verantwortung der politischen und militärischen Führung so klar dokumentiert, kann der Zusammenhang von Waffenlieferungen und nachrichtendienstlicher Aufklärungshilfe, von industrieller Produktion von Massenvernichtungswaffen und internationaler Wirtschaftshilfe und letztlich regionaler Machtpolitik und Völkermord bis ins Detail so klar nachgezeichnet werden wie in diesem. Ein internationales Tribunal gegen Verantwortliche der irakischen Regierung hat es dennoch nie gegeben. Ob nach dem Sturz des Regimes 2003 ein Verfahren eingeleitet worden wäre, hätten wir Iraker Saddam nicht selbst vor Gericht gestellt, bleibt Spekulation. Ich persönlich glaube es nicht.

Ein Völkermord ist keine Beziehungstat. Er geschieht nicht im Affekt, sondern bedarf umfangreicher Vorbereitung und Planung, die wiederum nur mit internationaler Hilfe wenigstens aber internationaler Duldung möglich ist. Jahrelang wurde das Giftgasprogramm der irakischen Regierung im Rahmen der Wirtschaftshilfe von deutschen Unternehmen aufgebaut. Dass es sich bei der angeblichen Pestizid- in Wahrheit um Giftgasproduktion gehandelt hat, konnte jeder wissen. Beinahe täglich wurden chemische Kampfstoffe aus diesen Fabriken bereits Mitte der 80er Jahre im Südirak auf iranische Truppen abgefeuert.
Wollte man die Verbrechen der irakischen Regierung juristisch aufarbeiten, so müsste man also auch den gesamten Komplex militärischer Aufrüstung und wirtschaftlicher Hilfe behandeln, der die Tat überhaupt erst möglich gemacht hat - und der Grund dafür ist, dass westliche Staaten und UN dem Völkermord in vollem Bewusstsein der Vorgänge tatenlos zusahen. Ein solches Verbrechen kann man nur verhandeln, wenn die Umstände der Tat lückenlos aufgedeckt werden. Dazu zählen im Falle des Irak die Wirtschaftshilfe der Bundesrepublik Deutschland, die Ausbildung der Geheimdienste, die Unterstützung durch die USA und durch arabische Staaten. Wollte sich ein Tribunal dem Tatbestand von damals nähern, so müsste es deutsche, amerikanische und französische Regierungsquellen angehen und Auskunft verlangen. Ein Verfahren, das diesen Zusammenhang nicht in den Blick nähme, wäre eine Farce.

Zugegeben: Das Iraq High Tribunal hat auch nicht vermocht, die Verbrechen der Regierung in umfassender und rechtsstaatlicher Weise aufzuarbeiten. Das hat übrigens kaum einen Iraker verwundert. Noch weniger als der eigenen Regierung und ihren Institutionen aber vertrauen wir Iraker denjenigen der Vereinten Nationen. Das geht nicht nur uns so. Wer unterdrückt, verfolgt, verhaftet und gefoltert wird, der ist schlecht beraten auf die UN und das Völkerstrafrecht zu bauen. Ob er überlebt hängt von ganz anderen Faktoren und leider oft nur vom Zufall ab. Der Angriff, den ich überlebt habe ist heute nur deshalb so gut dokumentiert, weil es der iranischen Führung damals aus propagandistischen Gründen
zupass kam, Journalisten in die Stadt zu fliegen. Auch dies war Teil der Kriegsführung.

Das Misstrauen gegen internationalrechtliche Instrumente sitzt tief bei jenen, die sie am meisten bräuchten. Das mag man bedauern, aber auch mir geht es nicht anders. Und es scheint sich erneut zu bestätigen. Mit Entsetzen wird im kurdischen Nordirak, wo mehr als 60-mal Giftgas gegen die Bevölkerung eingesetzt wurde, wahrgenommen, dass nun im syrischen Bürgerkrieg chemische Waffen eingesetzt werden. Die UN und der IStGH könnten Vertrauen zurückgewinnen, wenn sie unmittelbar und ohne politische Rücksichtnahme Ermittlungen gegen die Täter und ihre Lieferanten aufnähmen. Es sieht allerdings nicht so aus, als ob sie es täten.

 

Rechtsanwalt Falah Muradhkin Shakrem überlebte den Giftgasangriff auf die irakisch-kurdische Stadt Halabja im März 1988, dem etwa 15.000 Menschen zum Opfer fielen. Mit seiner Familie floh er in die Berge, später arbeitete er als Zigaretten-Schmuggler und finanzierte damit sein Jurastudium. Er arbeitet heute für eine Hilfsorganisation und als Anwalt für Bürgerrechtler in der kurdischen Autonomieregion des Irak.

Falah Muradkhin Shakrem:
Kein Vertrauen, in: Freispruch, Heft 3, August 2013

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