Die Rückkehr der Strafverteidiger
Ricarda Lang und Nico Werning über einen Vortrag von Hellmut Brunn in München.
Die Initiative Bayerischer Strafverteidigerinnen und  Strafverteidiger hat – beginnend mit November 2015 – eine Veranstaltungsreihe  unter dem Titel »Verteidigung in politischen Prozessen« ins Leben gerufen, die  bis November 2016 insgesamt sieben Vorträge mit anschließender Diskussion  umfasst. 
Um einen Überblick, über die Gesamtzusammenhänge zu  erhalten und die Teilnehmer der Veranstaltungsreihe auch mit den historischen  Wurzeln der Strafverteidigung im Sinne und der Tradition unserer Initiative und  ihrer Entwicklung vertraut zu machen, bot sich an, die Veranstaltungsreihe mit  Hellmut Brunn zu beginnen, der gemeinsam mit dem FAZ-Journalisten Thomas Kirn  im Jahr 2004 das Buch »Rechtsanwälte – Linksanwälte« veröffentlicht hat. In  seinem Vortrag beschäftigte sich der Referent sich mit dem Thema »Die Rückkehr  der Verteidigung«, danach mit  von den  Einladern aufgeworfenen Fragen: Wann und inwiefern ist die – in unseren Augen  richtige - Strafverteidigung zurückgekehrt und woher ist diese Rückkehr  erfolgt? 
      
Dabei ist Hellmut Brunn nicht der Versuchung erlegen,  aus seinem Buch zu zitieren oder gar spröde vorzulesen. Es ist ihm vielmehr  gelungen, einen lebendigen und abwechslungsreichen Vortrag zu halten, gespickt mit  Anekdoten, die einer Vielzahl der Zuhörer unbekannt waren.
      
Im Zeitraffer hat er die Entwicklung der  Strafverteidigung in den vergangenen 150 Jahren Revue passieren lassen. Dabei  ist er mit seinen Zuhörern – nach einem kurzen Abriss über die Verteidigung in  der Zeit von 1878, dem Jahr der ersten gesetzlichen Regelung zur Berufsausübung  von Rechtsanwälten reichsweit, bis zur Weimarer Republik (in der die Demokratie  in weiten Teilen der Justiz noch abgelehnt wurde und mutmaßliche Täter von der  »Linken« extrem härter bestraft wurden als »Rechte«) und in der Nazi-Diktatur  (»Kameraden an der Rechtsfront«) – anschaulich in das Lebensgefühl der 60er  Jahre eingetaucht, indem er beispielhaft anhand des Sexualstrafrechts  (»Straftaten gegen die Sittlichkeit«, z.B. § 175 StGB zur Strafbarkeit  homosexueller Handlungen oder auch »Kuppelei«)|1 die moralischen,  durch die Bestimmungen des Strafrechts scharf sanktionierten Wertvorstellungen  von damals nachgezeichnet hat. Dass sich auf diesem Boden dann, d.h. Ende der  60iger Jahre, engagierte Verteidigung entwickeln musste, war nach seinem  Vortrag für jeden im Raum nachvollziehbar.
      
Dabei hat sich diese Entwicklung zunächst so nicht  abgezeichnet: 
      Zur Zeit der Weimarer Republik war die Anwaltschaft  zersplittert in verschiedene Gruppen. Zwar gab es mit Anwälten wie Hans Litten  (»Anwalt des Proletariats«, Mitbegründer der Vorgängerorganisation der »Roten  Hilfe«, die »Rote Hilfe Deutschlands«, die sich 1936 aufgelöst hatte) sehr  engagierte Kollegen, die den Arbeitern zur Seite standen und sich berufen  fühlten, deren Rechte vehement gegen den Obrigkeitsstaat durchzusetzen, auch  noch zu Beginn der Nazi-Diktatur. Hans Litten kam 1938 im KZ Dachau ums Leben,  mit ihm starb letztlich auch ein Symbol für engagierte »linke« Verteidigung. 
      
Während des Dritten Reichs akzeptierten fast alle  »Verteidiger« ihre zugewiesene Rolle als verlängerter Arm des NS-Regimes. Ein  Aufbegehren gegen den Staat gab es nicht – und wo es Ansätze gab, wurden diese  unterdrückt, verfolgt, ausgemerzt, was am Schicksal von Hans Litten besonders  deutlich wird. Sehr lesenswert ist in diesem Zusammenhang immer noch das  Standardwerk »Furchtbare Juristen« von Ingo Müller, auf das Hellmut Brunn  ebenfalls Bezug nahm. Dort wird u.a. auch anschaulich die zweifelhafte Karriere  von Eduard Dreher dargestellt: Zur Zeit der Nazi-Diktatur Erster Staatsanwalt  am Sondergericht Innsbruck mit einigen fragwürdigen Todesurteilen, später dann  einer der einflussreichsten Strafrechtler Westdeutschlands als zentraler Mann  im Bonner Justizministerium sowie Herausgeber des auf jedem Richtertisch  liegenden Standardkommentars zum StGB. Strafverteidiger hatten sich zur Zeit  des Nationalsozialismus als »Kameraden an der Rechtsfront« zu verstehen und  waren entsprechend dem Staat zu Diensten; eine Forderung, die nur auf wenig  Widerstand stieß.
      
In den nachfolgenden 50er und 60er Jahren herrschte  dieses Gedankengut in der Strafverteidigung weitgehend weiter fort. Die  »Zwischen-Generation« griff nach Kriegsende nicht die Erkenntnisse der Weimarer  Republik auf (um z.B. eine Liberalisierung des Strafrechts zu verfolgen),  sondern beschränkte sich im Wesentlichen auf den Wiederaufbau der  Bundesrepublik. Pflichtverteidiger waren miserabel bezahlt, das Engagement  beschränkte sich gelegentlich auf Plädoyers mit der Bitte um ein »mildes  Urteil«. Vor dem Hintergrund der insgesamt konservativ geprägten Gesellschaft  erlebten daher auch Verteidiger wie Erich Schmidt-Leichner (1910-1983) aus  Frankfurt ihren beruflichen Aufstieg, der ab 1941 im Referat »Strafgesetzgebung«  im Reichsjustizministerium gearbeitet hatte, später u.a. ab 1947 in den  Nürnberger Prozessen verteidigte und sich im Anschluss zum gefragten  Verteidiger für ehemalige Nazi-Verbrecher entwickelte. 
      
Auch der DAV war seinerzeit durch und durch  konservativ, wenn nicht reaktionär. Bis in die 70er Jahre hinein setzte sich  dieser nicht vorrangig für die Rechte von Verteidigern ein, mitunter war das  Gegenteil der Fall. Als im Zusammenhang mit den ersten RAF-Verfahren zentrale  Verteidigungsrechte abgeschafft bzw. auf ein Mindestmaß beschnitten wurden,  stellte sich der Vorsitzende des DAV auf die Seite des Staates und wunderte  sich, »warum gegen die als verdächtig bezeichneten Rechtsanwälte nicht mit den  erforderlichen Mitteln (Inhaftierung) vorgegangen« werde – so veröffentlicht  noch 1976 in einer Presseerklärung des DAV.
      Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch der Titel  des Vortrags »Die Rückkehr der Verteidiger«. Die Zeit der Verteidiger verortet  Hellmut Brunn in die Weimarer Zeit, während es nicht nur in der NS-Zeit sondern  auch in den 50er und frühen 60er Jahren um Strafverteidigung nicht gut bestellt  war. Das änderte sich erst in den 70iger Jahren mit dem Aufkommen der von  Hellmut Brunn so bezeichneten »Linksverteidiger«.
      
Einen Gegenentwurf zu den sog. bürgerlichen Anwälten  bildeten zuvor nur wenige Kollegen wie Heinrich Hannover, der sich in der  jungen Bundesrepublik einen Namen als sog. »Kommunistenverteidiger« nach dem  KPD-Verbot von 1956 gemacht hatte. Er profilierte sich durch die Verteidigung  von Gegnern der deutschen Wiederbewaffnung, Vietnamkriegs-Gegnern, Mitgliedern  der sich entwickelnden APO und Studentenbewegung. Seine Tätigkeit für Ulrike  Meinhof hatte er allerdings darauf beschränkt, sich für bessere Haftbedingungen  einzusetzen; wegen unterschiedlicher Auffassungen zur Frage der Anwendung  politisch motivierter Gewalt hatte er ihre Verteidigung im »Stammheim-Prozess«  abgelehnt.
      Hier unterschied sich Hannover  von den Verteidigern der RAF, die sich gegen den Plan des Gerichts, den  Verfahrensstoff allein auf die in der Anklageschrift benannten Taten der  Angeklagten zu begrenzen, vehement wehrten, indem sie u.a. umfangreiche  politische Erklärungen der Angeklagten als Hintergrund der vorgeworfenen Taten  verlesen haben. Diesen Themenkomplex hat Hellmut Brunn mit Blick auf den  anstehenden Vortrag von Kurt Groenewold weitestgehend ausgeklammert, was dem  Ansinnen des Vortrags, einen guten Überblick zu geben, sehr zugute kam. 
      
Mit Beginn der Ära der 68er wurde eine aufgeklärte  Weltsicht gesellschaftsfähig und verbreitete sich zusehends. Das führte dann  mit den Jahren auch unter den Jura-Studenten, Referendaren sowie bald jungen  Anwälten zu einer anderen Sichtweise auf das Recht im Allgemeinen und das  Strafrecht im Besonderen: Zunächst wurde alles in Frage gestellt!
      
Und auch die Angeklagten aus der Mitte der  Studentenbewegung verlangten nach mehr Engagement; so wurde regelhaft erwartet,  dass der Verteidiger eine längere politische Prozesserklärung abgibt, dass  Gesinnungsgenossen ihn durch Anwesenheit in der Hauptverhandlung unterstützen  und Zeugen intensiv befragt werden und im Plädoyer schließlich ein Freispruch  beantragt werden sollte. Die Frage nach einer Honorierung der Anwaltstätigkeit  erzeugte in der Regel bei solchen Mandanten nur ein ungläubiges Kopfschütteln.
      Mit diesen Anforderungen wuchs auch das Engagement  der Verteidiger, die – wie viele andere auch – selbst politischer geworden  waren. Dies wiederum sollte zu zahlreichen massiven Maßnahmen von staatlicher  Seite führen bin hin zur U-Haft wie u.a. für Hans-Christian Stroebele im Juli  1975  und – wie schon dargestellt mit  Unterstützung des DAV – zu einer weitgehenden Beschneidung der  Verteidigerrechte durch den Gesetzgeber führte, die bis heute wirksam ist.
      
Fast alle »68er-Verteidiger« waren letztlich  gezwungen, sich selbst zu entwickeln, ohne auf große Vorbilder zurückgreifen zu  können. Sie haben das eindrucksvoll geschafft, nicht nur in ihrer individuellen  Entwicklung. Die existenzbedrohenden Angriffe, insbesondere auf  Strafverteidiger, damals vielfach unterstützt von großen Teilen der  Publikationsorgane, wurden dann ab 1974 Anlass zunächst für einen von  Groenewold organisierten Zusammenschluss solcher »Linksanwälte«, wonach  wiederum im Mai 1976 in Folge des 1. Strafverteidigertages in Hannover neben  den bereits existierenden Strafverteidigervereinen in Hamburg, Berlin und  Hannover weitere Strafverteidigerinitiativen in den anderen Bundesländern  entstanden. Das Wichtigste aber war: Sie haben nach langen Jahren der  weitgehend inaktiven Verteidigung ihren Mandanten deren Würde zurückzugeben.
      
Die damaligen Beschneidungen der Verteidigerrechte,  zusammengefasst als »RAF leges« und seinerzeit als unerlässlich zum Schutz des  Staates vor Terror begründet, gelten bis heute fort; auch  Gesetzesverschärfungen, wie das Verbot einer Mehrfachverteidigung, Durchsuchung  von Verteidigern, der Leserichter, die Trennscheibenregelung etc. werden  inzwischen von fast allen Strafverteidigern als selbstverständlich hingenommen.  Weitere Einschnitte des Gesetzgebers in die Verteidigerrechte in den Jahren  danach folgten ohne großen Widerstand seitens der Verteidiger. 
      
Der seitdem zu konstatierende schleichende Prozess einer weiteren Beschneidung der Verteidigerrechte flankiert durch Maßnahmen wie die Normierung der Verständigung (Deal), stellen in den Augen der Verfasser dieses Beitrages eine große Gefahr für unseren Beruf dar.
Weitere Termine der Veranstaltungsreihe sind auf der Homepage der Initiative veröffentlicht: www.strafverteidiger-bayern.de. Ricarda Lang und Nico Werning arbeiten als Strafverteidiger in München. Beide sind Mitglieder des Vorstands der Initiative Bayerischer Strafverteidiger*innen.
 
    
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