Strafverteidigertag Rechtspolitik

Eine bayerische Gerichtsposse

Ein Richter mobilisiert gegen eine Flüchtlingsunterkunft und urteilt dann über Asylbewerber. Dass das eine mit dem anderen rein gar nichts zu tun hat, durfte Klaus-Peter Knauf erfahren.

 

Wer nicht-deutsche Mandanten in Strafsachen vertritt, und das vor Provinzgerichten, der ist Kummer gewohnt. Besteht doch ein nicht unerheblicher Teil der anwaltlichen Tätigkeit darin, nicht nur gegen das Ermittlungsvorurteil von Polizei und Staatsanwaltschaft, sondern gegen Voreingenommenheit und Vorurteile insgesamt anzukämpfen. So versprach auch die Eröffnung der Hauptverhandlung vor dem Jugendschöffengericht des Amtsgerichts einer bayerischen Kreisstadt nichts Gutes, wo vier afghanische Asylbewerber wegen (gemeinschaftlich begangener) gefährlicher Körperverletzung angeklagt waren, die sie anlässlich einer Auseinandersetzung in einer Gemeinschaftsunterkunft begangen haben sollen.

Schon der erste Verhandlungstag mit Befangenheitsantrag und die später gewonnenen erstaunlichen Erkenntnisse beim Bericht und der Schilderung der Ermittlungstätigkeit des verantwortlichen Beamten der Polizei ließen wenig Grund zur Hoffnung. Auch die Tatsache, dass dem Sachverständigen zur Erstellung seines Gutachtens nicht etwa die gesamte Akte zur Verfügung gestellt wurde, sondern lediglich ein vom Richter ausgewählter Auszug, der nach dessen Meinung ausreichend und erforderlich war, um das gewünschte Gutachten zu fertigen, waren zwar ernüchternd, aber nicht völlig außerhalb des Erwartungshorizonts – genauso wenig wie die völlige Wirkungslosigkeit des anwaltlichen Widerstands dagegen.

Ein besonderes Geschmäckle erfuhr das Verfahren erst mit dem Auftauchen eines Flugblatts. Darin mobilisieren »besorgte Eltern, Großeltern und Anwohner« gegen einen »Asylcontainer« im beschaulichen Altenerding – oder vielmehr: gegen »60 Männer in Asylcontainer in Altenerding«, wie die Flugschrift überschrieben ist, die »mitten im Wohngebiet, direkt neben drei Kindergärten und zwei Schulen« untergebracht werden sollen. Verantwortlich für das Flugblatt zeichnete ausgerechnet der zuständige Richter unseres Verfahrens, mit vollständigem Namen und Dienstanschrift. Moment einmal – Dienstanschrift? Ganz richtig: Unter der Flugschrift findet sich als Kontaktadresse die Behördenanschrift des Amtsgerichts.

Könnte es sein, dass der das Flugblatt unterzeichnende Amtsrichter am als Kontakt für die Bürgerinitiative genannten Amtsgericht in einem Verfahren wegen einer Auseinandersetzung in einer Asylbewerberunterkunft befangen ist? Der Befangenheitsantrag der Verteidigung jedenfalls wurde glattweg »abgebügelt«. Es handele sich lediglich um die privat motivierte Aktion eines besorgten Bürgers. Ein Bezug zur dienstlichen Tätigkeit sei nicht erkennbar, Auswirkungen auf die Beurteilung und Entscheidung betreffend die angeklagten Asylbewerber seien nicht zu befürchten und auch könne nicht auf eine gegen Asylbewerber gerichtete innere Haltung geschlossen werden. Darf es da verwundern, dass trotz keinesfalls eindeutigem Beweisergebnis alle vier Angeklagten zu Haftstrafen zwischen neun Monaten und einem Jahr und sechs Monaten verurteilt wurden?

Es bleibt die Hoffnung auf das zuständige Landgericht, das im Berufungsverfahren vielleicht die erforderliche Korrektur vornehmen wird. Rein vorsorglich sollten die Flugschriften gegen Asylbewerberunterkünfte und ausländische Männer aus den »Wohngebieten« der Umgebung auf ihre Urheber überprüft werden. Nicht dass auch die dortigen Richter sich als besorgte Bürger entpuppen. Im Zuge der allseits geforderten Ressourcenschonung will man doch wissen, ob die Anfahrt sich lohnt.

Klaus-Peter Knauf ist Strafverteidiger in München und Mitglied der Initiative Bayerischer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger e.V..

Klaus-Peter Knauf: Eine bayerische Gerichtsposse, in: Freispruch, Heft 9, Oktober 2016

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