Strafverteidigertag Rechtspolitik

deutsche waffenexporte in die türkei

 

Die Geschichte deutscher Waffenexporte in die Türkei ist lang. Der Kaiser schenkte kurz nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs dem Sultan zwei im Mittelmeer verbliebene Kriegsschiffe, samt Besatzung, die die Matrosenmütze gegen den osmanischen Fes eintauschte. Mit Hilfe dieser Schiffe überfiel der Kriegsminister Enver Pascha ohne Kriegserklärung russische Häfen am Schwarzen Meer, was zum Kriegseintritt des Osmanischen Reiches und letztlich zu dessen Untergang führte.
Nach dem dritten Militärputsch 1980 begann eine intensive Diskussion um die Militärhilfe für die Türkei. Konnte man einem Staat, in dem das Militär die gewählte Regierung weggeputscht hatte und aus dem sich die Nachrichten über massenhafte Folterungen häuften, weiter Wirtschafts- und Militärhilfe leisten? Wie sich rasch zeigen würde, konnte man das.
Sechs Monate nach dem Putsch besuchte eine Delegation des Bundestages die Türkei. Um nicht etwa missverstanden zu werden, betonte man gleich, man habe »keine Kontrollfunktion«. Alois Mertes (CDU) fügte sicherheitshalber noch hinzu, sie seien eine »freundliche Delegation«. Darauf wurden die Deutschen mit einer »bemerkenswerten Geste« beglückt: Sie durften ein türkisches Gefängnis besuchen. Es handelte sich um ein Vorzeigegefängnis in Ankara, in dem keine politischen Häftlinge untergebracht waren. So kamen die Parlamentarier zu der Erkenntnis, dass es – entgegen den Behauptungen von Amnesty International - in der Türkei keine »systematische Folter« gebe. Zugleich wurde »ein anderes Verständnis« von Folter und Menschenrechten notiert. Immerhin fiel der Liberalen Helga Schuchardt negativ auf, dass Besuche von Anwälten und Angehörigen erst 90 Tage nach der Verhaftung gestattet wurden.
Als Erfolg ihrer Reise werteten es die Parlamentarier, dass ihnen der Chef der Militärjunta Kenan Evren versicherte, sämtliche bekanntgewordenen Folterfälle würden untersucht und geahndet. Der gleiche Kenan Evren, der sich in öffentlicher Rede darüber ausließ, dass man Gefangene lieber aufhängen als »füttern« solle. Die Gastgeber präsentierten noch einen weiteren Trumpf. Einige Soldaten, die den Verleger Ilhan Erdost auf dem Weg in seine Zelle so misshandelt hatten, dass er 20 Minuten später starb, wurden festgenommen. Vier von ihnen erhielten schließlich Gefängnisstrafen. Der Unteroffizier, der als Ilhan Erdost und sein Bruder gebracht wurden den Soldaten zugerufen hatte: »Die beiden sind Schlangen, wenn ihr ihre Mutter nicht zum Weinen bringt, werde ich Eure Mutter zum Weinen bringen!« kam in letzter Instanz mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten wegen »Fahrlässigkeit im Amt« davon. Dass überhaupt jemand wegen so etwas bestraft wurde, war ein absoluter Sonderfall. Nach einer Statistik der Zeitung Cumhuriyet starben nach dem Putsch mindestens 171 Menschen durch Folterung. Das Mamak-Gefängnis in Ankara, in dem Ilhan Erdost gestorben war, wurde der »freundlichen Delegation« nicht gezeigt.
Statt die Militärhilfe zu kappen, wurde die deutsche Militärhilfe nach dem Putsch erhöht. Allerdings legte die damalige Europäische Gemeinschaft auf Initiative der Niederlande und Dänemarks ihre Hilfen einige Jahre auf Eis. Doch während die EG weiter mauerte erhielt die Türkei genau zwei Jahre nach dem Putsch ihre ersten 77 Leopard-1-Panzer als deutsche Militärhilfe. Mit weiteren Zukäufen stieg die Zahl auf fast 400. Damals ließ sich die Regierung Kohl zusichern, dass die Panzer nur im Rahmen eines Verteidigungsfalls der NATO eingesetzt würden. Die Formel diente vermutlich dazu Griechenland zu beruhigen, obwohl die Griechen den Panzer kurz darauf ebenfalls erhielten.
Mittlerweile hatte der Krieg mit der kurdischen PKK begonnen. Panzer wurden gelegentlich auch gegen Newroz-Demonstrationen eingesetzt, Dörfer wurden systematisch zerstört, Todesschwadronen ermordeten kurdische Politiker, Gewerkschafter, Geschäftsleute, Intellektuelle und Journalisten. Das brachte auch die deutsche Politik in Erklärungsnöte. Im März 1995 erklärte der Außenminister und FDP-Chef Klaus Kinkel noch tapfer, die Bundesregierung müsse davon ausgehen, dass bei einem Vorstoß der Regierung Tansu Ciller in den kurdischen Nordirak »nicht eine einzige aus deutschen Waffenlieferungen stammende Waffe dort eingesetzt wird«. Vermutlich hatten die türkischen Soldaten vergessen ihre G 3 Gewehre mitzunehmen. Nur Stunden später wurde der Schützenpanzer BTR-60 auf Fotos von der Offensive identifiziert. Die deutsche Regierung hatte der Türkei 300 der Fahrzeuge aus DDR-Beständen großzügig unterlassen. Dazu 256 000 Kalaschnikow-Gewehre, 100 000 Panzerfäuste, 445 Mio. Schuss Munition und weiteres. Es tauchten auch Bilder in den Medien auf, die zeigten, wie ein Kurde an einen BTR-60 gebunden und weggeschleift wurde. Die Türkei erklärte, man habe befürchtet, dass der gefallene PKK-Kämpfer eine Bombe unter sich habe, die explodieren würde, sobald ihn jemand wegschaffe. Tatsächlich bewiesen die Bilder nicht, dass der Mann über eine größere Strecke gezogen wurde.
1999 stellte der Hersteller Krauss-Maffei Wegmann einen Exportantrag für Leopard-2-Panzer in die Türkei. Die Türkei wollte ihre ohnehin große Panzerarmee um 1 000 Stück erweitern. In Deutschland saßen die Grünen mit der SPD in der Regierung und es begann eine heftige Debatte, obwohl die Türkei aufgrund dieser Debatte und wegen des hohen Preises rasch wieder abwinkte. Auch Hersteller aus den USA, Frankreich, Italien und der Ukraine boten ihre Panzer an. Trotz der für den Panzerdeal scheinbar ungünstigen politischen Konstellation in Deutschland und des angeblichen Desinteresses der türkischen Regierung, wurde beschlossen, der Türkei einen Panzer zu Demonstrationszwecken zu leihen. Dass auch das für Aufregung sorgte, konnte der CDU-Abgeordnete Ruprecht-Polenz nicht verstehen: »Er kommt wieder zurück!«
Das Geschäft verzögerte sich und der Umfang wurde reduziert, wozu auch die schwere Wirtschaftskrise der Türkei 2001/2002 beitrug. Im Jahr 2005 wurde die Exportgenehmigung für 298 Leopard 2A4 aus Beständen der Bundeswehr erteilt. Bis 2013 kamen 56 weitere hinzu. Die Panzer wurden vor der Lieferung modernisiert. Begründet wurde die Lieferung auch mit der Demokratisierung unter Erdogan. Nach Angaben in türkischen Medien wurde im Jahr 2009 ein Vertrag unterzeichnet, der eine Klausel aufhob, wonach die Türkei die neue Waffe nur zur Landesverteidigung verwenden dürfe.
Das Interesse der Türkei gerade am Leopard 2 erklärt sich aus der Entwicklung der Panzertechnik. Im 2. Weltkrieg wurden leichte Infanteriewaffen wie Bazooka und Panzerfaust entwickelt, die mit ihren Hohlladungen auch sehr dicke Panzerplatten durchdringen können. Zunächst waren die Panzerbauer gegenüber dieser Entwicklung ratlos, während die entsprechenden Infanteriewaffen aufgrund gesteigerter Reichweite immer gefährlicher wurden. Schließlich wurden Reaktivpanzerungen entwickelt. Der Panzer wird dabei in explosives Material gehüllt dessen Explosion den Mechanismus der Hohlladung stört, der darauf beruht, dass ein heißer Metallstrahl entsteht, der Panzerstahl mit hohem Druck durchschlägt. Die Reaktivpanzerung hat aber einen Nachteil: Sie kann nur einmal ausgelöst werden. Es gibt Tandemhohlladungen, die erst die Reaktion auslösen und dann die eigentliche Hohlladung. Außerdem bietet Reaktivpanzerung keinen zusätzlichen Schutz gegen konventionelle Geschosse. Für den Leopard 2 wurde daher eine Verbundpanzerung gewählt. Außer Stahl werden in Schichten auch andere Materialien, insbesondere Keramik verbaut. Das macht den Leopard 2 und einige andere neuere Panzer wesentlich sicherer. Filmaufnahmen aus den ersten Tagen der Afrin-Offensive zeigen einen türkischen Leopard 2, der von einer Rakete getroffen wird, aber bis auf Schmauchspuren am Heck unbeschädigt bleibt. Doch bereits am 3. Februar gelang es der kurdischen YPG einen Leopard 2 in Schrott zu verwandeln. Russische Experten vermuten einen Treffer, der das Munitionsdepot unter der Panzerung zur Explosion brachte. Ein Problem das alle Panzer haben.
Natürlich könnte die Türkei ihre Kriege in Syrien auch ohne den Leopard 2 führen. Aber von allen türkischen Panzern bieten nur 170 in Israel nachgerüstete M 60 eine vergleichbare Sicherheit und Feuerkraft. Obwohl nicht unverwundbar, ist der Leopard 2A4 der beste Panzer, den die Türkei hat. Die Panzer könnten auch gegen die Truppen des syrischen Regimes eingesetzt werden, was angesichts der Unterstützung der sunnitischen Opposition durch Erdogan gar nicht so abwegig ist.
Bei den nun anstehenden Nachrüstungen geht es daher auch darum, den Schutz weiter zu erhöhen. Dazu gehört eine zusätzliche Reaktivpanzerung und besserer Schutz gegen Minen. Das heißt, der für den Kampf in Panzerschlachten entwickelte Panzer, soll für Einsätze optimiert werden, bei denen er gegen einen Feind Kämpft, der nur über leichte Waffen verfügt. Als Rechtfertigung des neuen Waffendeals, der keineswegs vom Tisch ist, wurde im Spiegel kolportiert, die Türkei würde im Gegenzug für die Modernisierung der Panzer den deutschen Korrespondenten Deniz Yücel freilassen. Eine abenteuerlichere Rechtfertigung für eine deutsche Waffenlieferung gab es wohl noch nie.
Jan Keetman berichtete 15 Jahre lang für verschiedene Medien aus Istanbul.
In Freispruch Nr. 8 (2016) schrieb er über Säuberungen in der türkischen Justiz.

Jan Keetman: Deutsche Waffenexporte in die Türkei, in: Freispruch, Heft 12, März 2018

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