Strafverteidigertag Rechtspolitik

Piraten in Uniform

Die Bundesregierung verhandelt mit der libyschen Regierung über ein Flüchtlingsabkommen. Wenn es um die Angriffe der libyschen Küstenwache auf Flüchtlingsboote geht, sieht sie aber keine funktionsfähige Staatlichkeit. Ein Bericht von Jens Janssen.

 

An die Bilder von Flüchtlingen auf Schlauchbooten haben wir uns fast gewöhnt. Etwa 5.000 Menschen sind im vergangenen Jahr offiziellen Angaben zufolge im Mittelmeer ertrunken, die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher liegen. Das Mittelmeer ist längst nicht mehr nur Ort von Sehnsüchten, Kultur und Träumen, sondern auch ein Massengrab. All dies ist bekannt.
Weniger bekannt ist, dass auf Schiffen der Bundesmarine derzeit auch libysche Küstenschützer ausgebildet werden, die für den Tod zahlreicher Menschen verantwortlich sind. Man könnte sie ermitteln und festnehmen. Die Staatsanwaltschaft Hamburg schaut aber lieber weg.
Die Geschichte geht so: Am 21. Oktober 2016 nähert sich nachts ein Boot der libyschen Küstenwache in internationalen Gewässern einem mit ca. 150 Flüchtlingen völlig überfüllten Schlauchboot. Die vermeintlichen Schützer der libyschen Küsten entern das Boot, schlagen auf Flüchtlinge ein, versuchen, den Außenborder zu stehlen und kollidieren schließlich mit dem Boot, das dann sinkt. Zwischen 20 und 30 Menschen ertrinken jämmerlich.
Das Pech der libyschen Küstenwache: Der Vorgang wird nicht nur von der Besatzung des Schiffes der Rettungsorganisation Sea Watch beobachtet, die einen Teil der Flüchtlinge bergen können, sondern auch lückenlos mit Fotos und Videos dokumentiert. Der Vorfall ist ein paar Tage in den Medien, dann wird es zunächst ruhig.
Am 7. November 2016 geht bei der Staatsanwaltschaft Hamburg eine Strafanzeige gegen Mitglieder der libyschen Küstenwache ein wegen Angriff auf den Seeverkehr gemäß § 316 c StGB. Die nach § 10 a StPO zuständige hanseatische Staatsanwaltschaft ist nicht völlig unerfahren, wenn es um die Verfolgung von Angriffen auf den Seeverkehr geht. Im Oktober 2012 hatte das Landgericht Hamburg im ersten Piratenprozess der Neuzeit auf deutschen Boden Recht gesprochen. Sieben Somalier erhielten wegen Angriffs auf den deutschen Containerfrachter »Taipan« Freiheitsstrafen zwischen zwei und sieben Jahren. Der Verband Deutscher Reeder fand das seinerzeit gut: »Piraterie ist ein Verbrechen und Verbrecher gehören vor Gericht«, sagte Ralf Nagel, geschäftsführendes Präsidiumsmitglied des VDR.
Aber gilt auch für die libysche Küstenwache, was für somalische Piraten auch nach Auffassung des Bundesgerichtshofs gelten muss?
Juristisch ist die Sache so: Es muss eine Auslandsstraftat gegen international geschützte Rechtsgüter im Sinne des § 6 Abs. 3 StGB bestehen und ein inländischer Anknüpfungspunkt im Sinne einer sinnvollen differenzierten und völkerrechtsgemäßen Begrenzung deutscher Strafgewalt. In die Flüchtlingsrettung der von der deutschen Besatzung geführten »Sea Watch 2« ist eingegriffen worden. Insoweit kein Problem.
Dann gilt auch noch das Nichteinmischungsprinzip in eine nicht existierende libysche Rechtspflege bei Verbrechen in internationalen Hoheitsgewässern. Auch das ist eine Hürde, die sich nehmen lässt.
Mangelnder Wille
Es gibt Verfahren, bei denen der Anzeigeerstatter ahnt, dass die Strafverfolgung nicht will. Auch dann nicht, wenn nicht nur Containerschiffe und deren Besatzung gekapert werden, sondern viele Menschen sterben. So ist nicht völlig überraschend, dass die Staatsanwaltschaft Hamburg am 24. Januar 2017 mitteilt, dass das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wird. Aber die Begründung ist doch nicht ganz ohne: Es könne ohne Ermittlungen – die sinnlos seien – nicht abschließend festgestellt werden, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Angriffs auf den Seeverkehr vorliegen. Vielleicht habe sich die libysche Küstenwache ja doch nicht des Schlauchboots bemächtigen wollen.
Jedenfalls sei die Identität der Beschuldigten nicht mit der für eine Anklageerhebung erforderlichen Sicherheit zu ermitteln und nachzuweisen. Das Auswärtige Amt habe auf Nachfrage mitgeteilt, dass in Libyen derzeit kein funktionierendes Justizwesen existiere, ein justizielles Rechtshilfeersuchen sei nicht aussichtsreich, die Lage im Land sei komplex und schwierig, es fehle an staatlichem Gewaltmonopol bei gleichzeitiger Ausübung faktischer Macht, amtliche Auskünfte und Unterlagen seien auf Bestellung und gegen Bezahlung zu erwerben.
Festzuhalten ist: Staatsanwaltschaft und Anzeigeerstatter sind sich einig, dass die rechtlichen Voraussetzungen für eine Strafverfolgung bei Angriffen auf Flüchtlingsboote auf hoher See vorliegen. Das ist (ohne Ironie) bereits ein Fortschritt. Aber zwei Fragen bleiben offen: Mit wem und über wen hat die EU Anfang des Jahres 2017 auf Malta verhandelt, damit die libysche Küstenwache die Grenze besser schützt, wie das Handelsblatt uns am 4. Februar wissen lässt. Handelt es sich um ein Phantom, das der Staatsanwaltschaft Hamburg und dem Auswärtigen Amt nicht bekannt ist?
Zugegeben, das ist wahrscheinlich eine politische Frage, zu der die Anzeigeerstatter nichts beitragen sollen. Und: Wozu bedarf es eigentlich einer Rechtshilfe mit einem nicht existierenden staatlichen libyschen Gefüge, wenn sich Beschuldigte auf Fotos (siehe Bild) identifizieren lassen? Und sollte es nicht möglich sein, Beschuldigte dann noch auf Kriegsschiffen unter EU Flagge festzunehmen?

Jens Janssen ist Strafverteidiger in Freiburg und Mitglied der Vereinigung Baden-Württembergischer Strafverteidiger. In Heft 7/2015 schrieb er zur Frage, ob man Nazis verteidigen darf.

Jens Janssen: Piraten in Uniform, in: Freispruch, Heft 10, März 2017

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