Strafverteidigertag Rechtspolitik

Klein, schwierig, Fotograf

In Hamburg wurde ein Verfahren wegen Beleidigung gegen den Strafverteidiger Martin Lemke eröffnet, weil dieser die Persönlichkeitsrechte seines Mandanten gegen einen Presse-fotografen verteidigte. Über das Verfahren und die Hintergründe berichtet Annika Hirsch.

 

Am 9. Juni 2016 zogen Dr. Florian Melloh und ich als Verteidiger des Kollegen Martin Lemke in einen Kampf vor dem Amtsgericht Hamburg, der keiner werden sollte.

Aufgrund des großen Andrangs von Kolleginnen und Kollegen musste die Hauptverhandlung spontan in den großen Plenarsaal des Strafjustizgebäudes verlegt werden. In diesem Saal sollte das versammelte Fachpublikum von einem Fotografen der lokalen Boulevardpresse endlich erfahren, wie man ihn künftig davon abhalten kann, Angeklagte gegen ihren Willen zu fotografieren. Seine Antwort als Zeuge auf diese Frage lautete: »Eigentlich nur durch Androhung körperlicher Gewalt.« Dem angeklagten Strafverteidiger wurde vorgeworfen, eben diesen Fotografen mit den Worten »kleiner schmieriger Fotograf« bedacht zu haben. Um diesen schwerwiegenden Vorwurf ging es also in einem der größten Verhandlungssäle Hamburgs, wo man sich gegenseitig nur unter Zuhilfenahme von Mikrofonen versteht. Wie waren wir in diese absurde Situation geraten?

Im Juni 2015 verteidigte ich gemeinsam mit Martin Lemke einen jungen Mann, dem vorgeworfen wurde, eine nicht geringe Menge Opium von Köln nach Hamburg transportiert zu haben. Auf dem Gang vor dem Sitzungssaal war ein Pressefotograf anwesend, dem mein Mitverteidiger gleich zu Beginn mitteilte, dass weder er selbst noch der Angeklagte fotografiert werden wollten. Das fehlende Einverständnis mit der Fertigung von Fotoaufnahmen sei ihm egal, teilte dieser mit, schließlich sei Martin Lemke nicht das Gericht und er werde den Angeklagten und auch die Verteidiger fotografieren. Daraufhin sagte der Kollege: »Wenn Sie das machen, sind Sie ein kleiner, schmieriger Fotograf.« Kurze Zeit später platzte ein uniformierter Polizist in die Verhandlung und fragte in die Runde, wer Martin Lemke sei. Er wolle dessen Personalien feststellen, weil er Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung sei.

Der ‚beleidigte‘ Fotograf, der seit Jahren für die wenig rücksichtsvolle Bildberichterstattung der Hamburger Morgenpost verantwortlich ist, hatte bei Anzeigeerstattung verschwiegen, dass der beanstandeten Äußerung ein Konflikt über die Befugnis vorangegangen war, den damaligen Angeklagten zu fotografieren. Dies ergab sich aber aus den Angaben der Morgenpost-Kollegin des Anzeigeerstatters, die Zeugin der Situation gewesen war. Weitere Einzelheiten waren streitig.

Mit Fragen der Beweiswürdigung oder gar verfassungsrechtlichen Erwägungen hielt sich die Staatsanwaltschaft allerdings nicht auf. Auch die §§ 153 ff. und die §§ 374 ff. StPO kamen den Strafverfolgern offenbar nicht in den Sinn. Nr. 229 RiStBV, wonach der Staatsanwalt von der Erhebung der öffentlichen Klage regelmäßig absehen soll, wenn eine »wesentliche Ehrenkränkung« nicht vorliegt, blieb entweder unbeachtet oder wurde beschuldigtenfeindlich ausgelegt.

Und so nahm das Verfahren seinen Lauf. In ihrem unbedingten Verfolgungswillen orientierte sich die Staatsanwaltschaft fortan ausschließlich an den Angaben des Anzeigeerstatters und blendete die streitigen wie unstreitigen Begleitumstände aus. Anders ist nicht erklärbar, weshalb das Verfahren nicht mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt und – mal abgesehen von den Möglichkeiten einer Verfahrenseinstellung wegen Geringfügigkeit oder einer Verweisung auf den Privatklageweg – eine Hauptverhandlung für erforderlich gehalten wurde. Denn beantragt wurde letztlich der Erlass eines Strafbefehls über 20 Tagessätze. In den Augen der Strafverfolger war also die Äußerung »kleiner schmieriger Fotograf« – ganz unabhängig von dem Kontext, in dem sie gefallen war – eine wesentliche Ehrenkränkung und damit ein Fall, der ausnahmsweise nicht auf den Privatklageweg zu verweisen war, weil dessen Verfolgung im öffentlichen Interesse lag. Dass das Verfahren tatsächlich von einem Oberstaatsanwalt geführt wurde, die zuständige Amtsanwältin also nicht ganz für sich allein der Verzückung erlegen war, endlich mal – aus den vollen Ressourcen der Strafjustiz schöpfend – einen renommierten Strafverteidiger zu verfolgen, sei nur am Rande bemerkt.

Beim Amtsgericht Hamburg hielt man in Anbetracht des Strafbefehlsantrags kurz inne dachte über § 153a StPO nach. Hieran hatte nun aber die Verteidigung kein Interesse und beantragte, den Erlass des Strafbefehls abzulehnen. Das Gericht übermittelte der Staatsanwaltschaft diesen Verteidigungsschriftsatz mit Gelegenheit zur Stellungnahme und den Worten: »Nach vorläufiger Bewertung des Akteninhalts bestehen hier unter Berücksichtigung aller Begleitumstände Bedenken am Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Ehrverletzung.« Besagte Amtsanwältin nahm dazu Stellung, indem sie die Sachverhaltsschilderung des Kollegen Lemke, die er bereits im Opium-Verfahren schriftlich niedergelegt und zur Akte gereicht hatte, als Schutzbehauptung bezeichnete und außerdem sinngemäß mitteilte, es liege so oder so eine Beleidigung vor, auf die Begleitumstände komme es nicht an. Da die Vorsitzende Richterin aber Bedenken hatte, beraumte sie Hauptverhandlung an.

In der Hauptverhandlung wurde schnell deutlich, dass sämtliche Verfahrensbeteiligte auf einen Freispruch hinarbeiteten, und zwar insbesondere auch der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, der schon beim Opening Statement der Verteidigung eifrig mitschrieb, anstatt die Vorwegnahme des Plädoyers zu kritisieren. Manchmal ist es von Vorteil, wenn – wie in Hamburg am Amtsgericht üblich – nicht der zuständige Sachbearbeiter, sondern irgendein anderer Staatsanwalt Sitzungsvertreter ist. Es kann gemutmaßt werden, dass dieser sich angesichts der Anwesenheit von rund 50 Anwälten im Publikum für den Riesenwirbel schämte, den seine Kollegen verursacht hatten. Besonders eifrig schrieb er mit, als wir anregten, einen Ausdruck von der Webseite »OpenThesaurus« zu dem Begriff »schmierig« zu verlesen. Dort würden nämlich mehrere Deutungsmöglichkeiten angeboten, die von »schmutzig« über »unanständig« und »aufgesetzt freundlich« bis hin zu einer Synonymgruppe reichten, in der folgende Begriffe aufgeführt seien:

»zudringlich (Hauptform)  · (sich) anbiedernd  · anhänglich  · aufdringlich  · bedrängend  · belästigend  · drängelnd  · drängend  · gewalthaft  · Grenzen ignorierend  · Grenzen verletzend  · grenzüberschreitend (Jargon)  · in (bester) Stalker-Manier  · indiskret  · lästig  · nicht abzuschütteln  · peinlich indiskret  · penetrant  · schmierig  · übergriffig (akademisch)  · übertrieben zuvorkommend  · unangenehm  · unangenehm vertraulich  · von peinlicher Indiskretion  · lästig wie eine Klofliege (ugs.)  · nicht (wieder) loszuwerden (ugs.)«

Als Krönung konnten wir noch die dort aufgeführten Assoziationen zum Begriff »schmierig« zitieren, zu denen auch das Wort »Paparazzi« zählte.

Die sich hieraus ergebenden Deutungsmöglichkeiten nahmen Gericht und Staatsanwaltschaft dankend entgegen, obwohl sie zugegebenermaßen ausschließlich in besagtem Open-Source-Wörterbuch auftauchen.
Der Anzeigeerstatter selbst sorgte dann im Zeugenstand dafür, dass im Mittelpunkt dieses überzogenen Gerichtsverfahrens keine mögliche Ehrverletzung stand, sondern der ständige Kampf der Verteidigung um Wahrung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unserer Mandanten und gegen Stigmatisierung durch Bildberichterstattung. Jedem Anwesenden war klar, dass die Dreistigkeit gewisser Pressevertreter der Nährboden für den Konflikt war, um den es in diesem Verfahren ging. Dem Staatsanwalt war dessen Fassungslosigkeit deutlich anzumerken, als der Fotograf sein gesetzwidriges Verhalten hartnäckig als normale Berufsauffassung darstellte und wiederholt offenbarte, dass Persönlichkeitsrechte von Angeklagten ihn nicht die Bohne interessierten.

Weitere Zeugen wollte dann auch keiner mehr hören. Als der Sitzungsvertreter beantragte, den Angeklagten freizusprechen, weil er sich in Wahrnehmung berechtigter Interessen geäußert habe, verließen die Morgenpostzeugen schimpfend den Zuschauerraum.

Ein Bericht der Hamburger Morgenpost über den Prozess blieb aus.

Annika Hirsch ist Strafverteidigerin in Hamburg und Mitglied im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Hamburger Strafverteidigerinnen u. Strafverteidiger e.V..

Annika Hirsch: Klein, schwierig, Fotograf, in: Freispruch, Heft 9, Oktober 2016

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