Strafverteidigertag Rechtspolitik

Strafverteidigung im Konflikt mit dem Zeitgeist

Strafverteidigung im Konflikt mit dem Zeitgeist ist aufreibend
und ungesund. Warum sie dennoch notwendig ist und wie man
sie allen Anfeindungen zum Trotz durchsteht erklärte im März 2012
auf dem 36. Strafverteidigertag Dr. Heinrich Hannover.

Heinrich Hannover

Bild: Heinrich Hannover auf dem Strafverteidigertag

 

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Als das Dritte Reich mit seiner militärischen Niederlage im Mai 1945 endete, hat ein wesentlicher Teil des bis dahin herrschenden Zeitgeistes überlebt, nämlich das antikommunistische Feindbild. Und auch die Verfechter dieses Feindbildes saßen bald wieder in alten Machtpositionen, nicht zuletzt in der Justiz. Das sollte ich bald zu spüren bekommen, als ich kurz nach meiner Zulassung als Rechtsanwalt in Bremen im Oktober 1954 die Pflichtverteidigung eines Kommunisten zugewiesen bekam. Damals ahnte ich nicht, dass dieses Mandat prägend für 41 Jahre Berufstätigkeit als Strafverteidiger
werden sollte.

Es ging um eine Anklage wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt in Tateinheit mit versuchter Gefangenenbefreiung, die auf der Strafanzeige eines Polizeibeamten beruhte. Der Polizeibeamte hatte auf Menschen, die gegen eine polizeiliche Straßensperrung verbal protestierten, mit dem Gummiknüppel eingeschlagen und dabei meinen
Mandanten am Auge schwer verletzt. Die Darstellung des schlagenden Polizisten, mein Mandant habe versucht, die Festnahme einer Person zu verhindern, war offenbar eine Schutzbehauptung, da er eine Strafanzeige wegen schwerer und gefährlicher Körperverletzung zu befürchten hatte. Seine Behauptung wurde nur durch die Aussage eines
seiner Kollegen gestützt, während mehrere von mir benannte Zeugen den Vorgang anders schilderten. Sie hatten nur einen Fehler, sie waren, bis auf einen, Kommunisten, die, wie nicht zu übersehen war, vom Staatsanwalt und vom Gericht als Menschen minderen Rechts behandelt wurden. Kaum hatte ich sie als Entlastungszeugen benannt, hatte der Staatsanwalt sie nach dem damals noch existierenden Paragraphen über »Auflauf«, der jeden mit Strafe bedrohte, der sich nach dreimaliger polizeilicher Aufforderung nicht entfernte, ebenfalls angeklagt. Und so saßen sie jetzt neben meinem Mandanten auch auf der Anklagebank und waren als Zeugen ausgeschaltet. Da ihre Darstellung aber auch durch den nichtkommunistischen Zeugen bestätigt wurde, den der Staatsanwalt nicht wegen Auflauf angeklagt hatte, rechnete ich mit einem Freispruch meines Mandanten. Doch das Gericht überging auch seine Aussage mit dem Zauberstab freier Beweiswürdigung und verurteilte meinen Mandanten zu zwei Monaten Freiheitsstrafe.

Es musste auch einem Anfänger im Anwaltsberuf auffallen, dass Kommunisten offenbar keine Gerechtigkeit zu erwarten hatten. Schon in der Anklageschrift war mit dem Ausdruck »kommunistische Wühlarbeit« gegen die Angeklagten Stimmung gemacht worden. Dass man gegen den prügelnden Polizisten wegen Körperverletzung und gegen ihn und seinen Kollegen auch wegen Meineids Strafanzeige erstatten müsse, hielt ich damals für selbstverständlich, wurde aber von meinem kommunistischen Mandanten und dessen Freunden, die sich mit deutscher Justiz wohl schon besser auskannten, belehrt, dass es klüger war, sich mit polizeilichen Gewalttaten und Falschaussagen abzufinden.

Ich lernte aus diesem Verfahren, dass prügelnde Polizisten, die Strafanzeigen wegen Körperverletzung erwarten, sich durch Strafanzeigen gegen die Opfer ihrer Gewaltanwendung zu schützen wissen. Denn sie können mit der Kameraderie ihrer als Zeugen fungierenden Kollegen rechnen und wissen, dass Uniformträger bei deutschen Gerichten in der Regel einen enormen Glaubwürdigkeitsvorsprung gegenüber zivilen Zeugen genießen. Und zwar insbesondere dann, wenn es sich beim Angeklagten und den Entlastungszeugen um Kommunisten handelt.

Auch machte ich die Erfahrung, dass die damals herrschende öffentliche
Meinung die Verteidiger von Kommunisten mit ihren Mandanten identifizierte, was im konkreten Fall dazu führte, dass ich von potentiellen bürgerlichen Mandanten, die mir nach meiner Herkunft eigentlich näher standen, gemieden wurde und die durch glücklichen Zufall gewonnene Stellung als Hausanwalt des Bremer Haus- und Grundbesitzervereins bald wieder los wurde.

Auch bei den Gerichten blieb die Verteidigung von Kommunisten nicht ohne Folgen. Bei meiner ersten Pflichtverteidigung konnte mir als erkennbar naivem Anfänger noch niemand unterstellen, dass ich die politischen Überzeugungen meines Mandanten teilte. Aber das änderte sich, als ich durch weitere Mandate aus der politischen Opposition mit einer gerichtsbekannten forensischen Vergangenheit belastet war. Und ich machte die erstaunliche Erfahrung, dass auch bei zum Richteramt befähigten Juristen, die es eigentlich besser wissen mussten, die Nichtunterscheidung zwischen Mandant und Anwalt gängige Münze war. Unversehens war man selbst zum Teil des herrschenden Feindbildes geworden.

Die Pflichtverteidigung von 1954 war der Beginn einer oft von Misstrauen und Hass begleiteten Existenz, deren Belastungen bis in die letzten Jahre meiner Anwaltstätigkeit andauerten und noch verstärkt wurden, als in den 70er Jahren das alte antikommunistische Feindbild durch das Terroristenfeindbild ersetzt wurde. Wenn man an Richter und Staatsanwälte geriet, die mit Fehlinformationen und Verallgemeinerungen über »Kommunistenanwälte« und »Terroristenverteidiger« vollgesogen waren, musste man sich darauf gefasst machen, nicht als Organ der Rechtspflege, sondern als Komplize von Verbrechern behandelt zu werden.
Vor allem Verfahren mit politischem Hintergrund setzten die Verteidiger regelmäßig physischen und psychischen Belastungen aus, die sich viele auf anderen Rechtsgebieten tätige Kollegen, die dann später als Ehrenrichter amtierten, überhaupt nicht vorstellen konnten.

Bei der Vorbereitung dieses Vortrags kam die Erinnerung an Niederträchtigkeiten, Schikanen und Menschenwürdeverletzungen hoch, die ich, um meine Nachtruhe zu schonen, längst verdrängt hatte. Schon im Ermittlungsverfahren waren Anwälte und Mandanten unglaublichen Schikanen ausgesetzt.
So wusste der im Verfahren gegen den zu Unrecht als Terrorist verdächtigten Arzt Karl Heinz Roth als Vorsitzender Richter fungierende Dr. Draber meinen ersten Besuch bei dem in Untersuchungshaft befindlichen Mandanten drei Wochen lang zu verhindern. Einmal ließ er mich die Fahrt von Bremen nach Düsseldorf machen und mir erst an der Gefängnispforte mitteilen, dass ich meinen Mandanten nicht sprechen dürfe, weil meine Vollmacht unvollständig sei – es fehlte das Datum. Das Telefon wurde von Herrn Dr. Draber in diesem Fall nur benutzt, um bei der Verwaltung des Landgerichts Bremen anzufragen, ob ich überhaupt ein unbeschränkt zugelassener Anwalt sei.

In einem anderen Terroristenverfahren wurde meine in Untersuchungshaft befindliche Mandantin nach jedem Anwaltsbesuch nackt ausgezogen und in allen Körperöffnungen auf Waffen untersucht, obwohl ich schon beim Betreten der Anstalt auf Waffen durchsucht worden war. Diese Mandantin war schon bei ihrer Festnahme von Polizeibeamten gewaltsam entkleidet worden, um ihre Kaiserschnittnarbe zu besichtigen, was angeblich zu ihrer Identifizierung nötig war. Hierbei wurde die Frau mit beiden Händen an einen Bettpfosten gefesselt. Ich wurde vom Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs drei Tage lang mit erlogenen Begründungen daran gehindert, die Mandantin aufzusuchen. Was dieser Mandantin dann in der fast elf Monate andauernden Isolationshaft in der JVA Köln-Ossendorf widerfuhr, habe ich in meinem Buch »Die Republik vor Gericht 1954 - 1995« geschildert. Der Kampf gegen diese mörderischen Haftbedingungen, die von medizinischen Sachverständigen als sensorische Deprivation bezeichnet wurden, hatte zwar schließlich Erfolg, aber die gesundheitlichen Folgen waren bleibend. Es endete mit Verhandlungsunfähigkeit und Selbstmord. Ja, die Rede ist von meiner am häufigsten genannten Mandantin Ulrike Meinhof, deren Verteidigung in der Stammheimer Hauptverhandlung ich ablehnen musste, weil ich ihr Konzept des bewaffneten Widerstands nicht mitverteidigen konnte. Ihr Justizschicksal hat mich trotzdem nicht kalt gelassen.

Höhepunkt des juristischen Krieges gegen die als Terroristen Angeklagten und deren Verteidiger bildete regelmäßig die Hauptverhandlung. Das begann mit schikanösen Terminierungen, die so gelegt wurden, dass man monatelang kein anderes Mandat wahrnehmen konnte. Man konnte aber auch nicht aus dem Verfahren aussteigen, ohne horrende Schadenersatzforderungen der Staatskasse auf sich zu nehmen.
Vor Beginn jeder Sitzung fanden entwürdigende Durchsuchungen der Kleidung und des Gepäcks statt, die nur uns Anwälte betrafen, nicht aber die übrigen Gerichtspersonen und die zahlreichen jungen Polizisten, die ihre Waffen im Gerichtssaal offen zeigten und für bedrohliche Atmosphäre sorgten.

Es bedurfte manchmal einiger Selbstbeherrschung, um nicht selbst zum Terroristen zu werden. Einmal konnte ich meinen Zorn über die entwürdigende Durchsuchung nur in der Weise ableiten, dass ich einen lauten Gesang anstimmte. Eine Form des gewaltlosen Widerstands, die in der Dienstvorschrift des Beamten offenbar nicht vorkam. Er kürzte jedenfalls die Prozedur ab. Diese Durchsuchungen gab es wohlgemerkt schon zu einer Zeit, als noch keine Beweise dafür konstruiert waren, dass Anwälte Waffen in Justizvollzugsanstalten einschleppen. Es handelte sich also um eine üble vorweggenommene Verdächtigung, die in den Medien jahrelang kolportiert wurde. Das höchst fragwürdige Urteil gegen die Anwälte Müller und Newerla folgte erst viel später.

Die Hauptverhandlung setzte uns dann oft feindseligen Beschimpfungen und Provokationen seitens der Anklagevertreter aus, die vom Gericht nicht gerügt wurden. So musste ich mir zum Beispiel einmal anhören, dass ich ein »untaugliches Subjekt« sei und »weder objektiv noch subjektiv den Verteidigungs-interessen des Angeklagten gedient« hätte. Einmal sprach mir ein Vertreter der Bundesanwaltschaft das Recht ab, gegen einen medizinischen Sachverständigen, der an den Massenmorden der Nazis an geisteskranken Menschen mitgewirkt hatte, einen Ablehnungsantrag zu stellen. Begründung: ich sei ja als 17jähriger selbst ein Nazi gewesen. Auch diese Ungezogenheit, die der Bundesanwaltschaft keine gute Presse einbrachte, wurde vom Gericht schweigend hingenommen. Andererseits wartete man nur darauf, dass wir die Grenzen der anwaltlichen Redefreiheit nach Ansicht des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft überschritten. Es kam vor, dass in politischen Strafprozessen gerichtsseitig bestellte Stenografinnen jedes Wort der Verteidiger mitschrieben, um Material für das regelmäßig nachfolgende Ehrengerichtsverfahren zu sammeln.

Um nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, dass den von mir erlebten Flegeleien von Staats- und Bundesanwälten vielleicht unangemessene Äußerungen der Verteidiger zugrunde gelegen haben könnten, möchte ich den Berichterstatter der Frankfurter Rundschau, Peter Henkel, zitieren, der in den 80er Jahren zwei Hauptverhandlungen in Stuttgart-Stammheim monatelang begleitet hat, in denen ich zusammen mit Wolf Römmig, Johann Schwenn und Sebastian Cobler einen Angeklagten verteidigt habe, der seine Anwälte, wie sich nachträglich herausstellte, über das wirkliche Ausmaß seiner Straftaten frech belogen hatte. Die Bundesanwaltschaft ermöglichte diese Täuschung der Verteidiger dadurch, daß sie ein wichtiges, aus den Akten nicht ersichtliches Beweismittel für die Täterschaft des Angeklagten erst im 9. Prozessmonat vorlegte. Ein eklatanter Verstoß gegen die Regeln eines fairen Verfahrens.

Peter Henkel schrieb:

Zu den Lichtblicken dieses Prozesses zählt das menschliche und juristische Format, das auf der Verteidigerbank durchgehalten worden ist.

Und über die Anklagevertreter:

Eine subtilere Anklagevertretung hätte nicht über die »Kotzkübel« gejammert,
die die Verteidiger bei ihrer sogenannten Medienkampagne über ihr ausgeleert haben sollen.

Auch diesem Stammheimer Verfahren hätte nach dem Wunsch der damals von Herrn Rebmann geleiteten Bundesanwaltschaft ein Ehrengerichtsverfahren gegen mich folgen sollen. Aber inzwischen hatte sich wohl auch in der Kollegenschaft herumgesprochen, was in diesen Verfahren ablief, und so wurde dem Antrag der Bundesanwaltschaft nicht entsprochen. Doch allzu lange
hatte es eine mehrheitlich konservative, die Besonderheiten politischer Justiz ignorierende Anwaltschaft gegeben, die sich etwas darauf zugutehielt, unbequeme Kollegen mit Ehrengerichtsverfahren wegen angeblich standeswidrigen Gebrauchs der anwaltlichen Redefreiheit zu tyrannisieren. Jahrelang begleitete mich ein äußerst lästiges zeitraubendes Ehrengerichtsverfahren, in dem mir vorgeworfen wurde, dass ich von Klassenjustiz gesprochen und Isolationshaft als Folter bezeichnet hatte. Und obwohl ich von U. K. Preuß und Otto Schily engagiert verteidigt wurde, verurteilten die Ehrenrichter mich zu einer Bußezahlung von 3.000 DM. Zuvor hatte ich übrigens Otto Schily, dem ein Strafverfahren wegen angeblicher Beleidigung von Polizisten angehängt wurde, durch mehrere Instanzen erfolgreich verteidigt.

Um wenigstens vor falschen Beschuldigungen dieser Art gesichert zu sein, begann ich schon in den 60er Jahren, meine Plädoyers in politischen Strafsachen mit Genehmigung des Gerichts auf Tonband aufzunehmen. Was mich heute in die Lage versetzt, auch Tondokumente einiger im Deutschen Rundfunkarchiv in Frankfurt archivierter Plädoyers als Anlage zu meinem Buch »Reden vor Gericht« vorzulegen.

Hand in Hand mit der Diskriminierung des Verteidigers ging die Behinderung seiner Arbeit. Besonders drastisch erfuhr ich das in der Hauptverhandlung gegen führende Persönlichkeiten des Friedenskomitees der Bundesrepublik Deutschland, die angeklagt waren, sich als »Rädelsführer« in einer verfassungsfeindlichen Organisation nach dem damaligen § 90 a StGB betätigt zu haben. In der ab November 1959 beim Landgericht Düsseldorf fünf Monate lang andauernden Hauptverhandlung lernte ich als Jüngster auf der Verteidigerbank einiges über die Rechtsblindheit in Zeiten des militanten Antikommunismus hinzu. Damals herrschte im öffentlichen Bewusstsein die von Konrad Adenauer und den diesem Bundeskanzler hörigen Medien jahrelang erzeugte Angst, dass eine bis an die Zähne bewaffnete Sowjetunion den freien Westen überfallen wolle. »Die Russen kommen!« und Adenauers böser Ausspruch von unseren Todfeinden im Osten gehörten zu den millionenfach verbreiteten Parolen, die damals geglaubt wurden. Eine unverantwortliche Volksverdummung, die den Gang der deutschen Geschichte nachhaltig beeinflusst hat.

Nach dem damals herrschenden Zeitgeist konnte eine für Abrüstung und friedliche Koexistenz der beiden unterschiedlichen Gesellschaftssysteme eintretende Weltfriedensbewegung, in der auch, wie es nicht anders sein konnte, Kommunisten mitarbeiteten, nur dem Ziel dienen, die Bundesrepublik dem Einmarsch der Roten Armee wehrlos auszuliefern und die Diktatur des Proletariats herbeizuführen. Und so lehnten die im Namen des Volkes judizierenden Düsseldorfer Richter und Schöffen alle Beweisanträge der Verteidigung ab, mit denen wir die Arbeit des Friedenskomitees und die wahren Kriegsgefahren und deren Interessenten aufzeigen wollten. Grundtenor einiger unserer Anträge war die mit Urkunden und Zeugen schlüssig begründete These, dass Kriegsgefahren nicht von der Sowjet-union, sondern von den USA ausgingen. Die Geschichte hat die Richtigkeit unserer damaligen Beweisbehauptungen in vielen Punkten bestätigt. Beim damaligen Stand der desinformierten öffentlichen Meinung aber handelte es sich um Thesen, die von den Düsseldorfer Richtern und Schöffen als kommunistische Propaganda abgetan wurden.

Eine korrekte Anwendung der StPO hätte eine Durchführung der von uns beantragten Beweisaufnahme unabdingbar verlangt. Das Gericht ignorierte sogar die in § 245 StPO verankerten Regeln über präsente Beweismittel und weigerte sich, die von uns vorgelegten Urkunden zur Kenntnis zu nehmen. Nur die Anhörung von etwa 50 von der Verteidigung vorschriftsmäßig geladenen Zeugen – darunter Persönlichkeiten wie Gustav Heinemann und Martin Niemöller – konnten wir dem Gericht aufzwingen. Deren Aussagen wurden jedoch mit geringem Interesse zur Kenntnis genommen. Für die Düsseldorfer Richter und Schöffen waren alle diese mit der Weltfriedensbewegung verbundenen Zeugen nur nützliche Idioten der Kommunisten, die sich über die wahren Ziele der Bewegung hatten irreführen lassen.

Der 3. Senat des BGH unter Vorsitz von Herrn Jagusch segnete die Ablehnung unserer Beweisanträge mit der Begründung ab, dass unsere Beweisbehauptungen mit dem Anklagevorwurf in keinem noch so entfernten Zusammenhang stünden, denn es liege auf der Hand und sei überdies allgemeinkundig, dass eine Organisation aus taktischen Gründen öffentlich so tun könne, als ob sie nur für Frieden und Wiedervereinigung und gegen »Remilitarisierung« und Atombewaffnung einträte, und daß sie dennoch eine gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtete kommunistische Tarnorganisation sein könne. Eine juristische Peinlichkeit aus der bis 1968 andauernden ersten Phase der Kommunistenprozesse, über die sich auch konservative Juristen wie Siegfried Buback, den ich 1973 bei einer Podiumsdiskussion in Frankfurt kennen und bei aller sonstigen Meinungsverschiedenheit als mutigen Mann achten lernte, entrüstet geäußert haben.

Wie eine Verteidigung überhaupt möglich sein sollte, wenn die von der Anklage behauptete These als allgemeinkundig behandelt und die Gegenbeweise der Verteidigung nicht zur Kenntnis genommen werden, hat der BGH nicht verraten. Der 17. Band seiner Entscheidungssammlung, in dem dieses schändliche Revisionsurteil auszugsweise, nämlich unter Weglassung bösartiger antikommunistischer Ausfälle gegen den DDR-Kollegen Kaul, abgedruckt ist, wurde seinerzeit zum Standardgepäck von Staatsanwälten, wenn es darum ging, unerwünschte Informationen und Meinungsäußerungen justizförmig zu unterdrücken.

Nach den vom BGH gebilligten Verfahrensregeln hätte es einer Hauptverhandlung überhaupt nicht bedurft. Der englische Kollege Denis Nowell Pritt, der neben Walther Ammann, Friedrich Karl Kaul, Diether Posser und mir zum Verteidigerteam gehörte, gab auf die Frage eines Journalisten, welches Urteil er erwarte, die lakonische Antwort: »Das Urteil des ersten Sitzungstages«. Und Posser, an sich ein Mann der maßvollen Rede, der später Justiz- und Finanzminister in Nordrhein-Westfalen wurde, äußerte seine Empörung in dem unvergesslichen Satz:

»Wenn Sie alle unsere Beweisanträge ablehnen, würde ich es ehrlicher finden, unsere Mandanten durch Verwaltungsakt ins KZ einzuweisen, anstatt uns Verteidiger als rechtsstaatliches Dekor zu missbrauchen.«

Unbeeindruckt von jeglichem Verteidigervorbringen sprachen die Düsseldorfer Richter und Schöffen ihr Urteil über die »Rädelsführer« der westdeutschen Friedensbewegung, nämlich drei Mitglieder der damals noch legalen KPD, einen aus der KPD ausgetretenen Pazifisten und zwei parteilose Christen. Den im Namen des Volkes judizierenden Herren war eine Verbeugung vor dem damals herrschenden Zeitgeist und seinen Machern wichtiger als die Wahrheitsfindung.

Im Friedenskomitee-Prozess war Strafverteidigung zum Kampf um die Veröffentlichung von Informationen geworden, die im öffentlichen Bewusstsein fehlten und von der Übermacht verlogener Massenmedien mit falschen Bedrohungslegenden und falschen Feinderklärungen zugemüllt wurden. Die von der Verteidigung präsentierten Tatsachen waren nicht nur für die Herren hinter dem Richtertisch gedacht. Aber das westdeutsche Medieninteresse richtete sich nur auf einen Mordprozess, der in einem anderen Saal stattfand, und das große Echo, das unser Prozess in der DDR und im östlichen Ausland fand, schien nur die antikommunistischen Vorurteile zu bestätigen, mit denen dieser Prozess geführt wurde. Vielleicht wären der Menschheit einige der nach 1960 geführten Kriege erspart geblieben, wenn die von der Verteidigung mit großem Aufwand vorbereitete Aufklärung über Bedrohungslegenden und Angriffskriegsplanungen, Massenvernichtungsmittel und Rüstungsinteressen zur Kenntnis der deutschen und der Weltöffentlichkeit gelangt wären. Auch das historische Interesse an diesem Prozess, dessen Ausgang wahrscheinlich zur allmählichen Auflösung der Weltfriedensbewegung beigetragen hat, war in der Bundesrepublik gering. Die Prozessakten sind nicht, wie das bei historisch wertvollen Akten üblich ist, ins Staatsarchiv gekommen, sondern mit den etwa 600 von uns überreichten Urkunden vernichtet worden.

Weitere Beispiele für die Behinderung einer dem herrschenden Zeitgeist widersprechenden Verteidigung bieten Fälle, in denen kritische Informationen und Meinungsäußerungen als Beleidigung kriminalisiert wurden, wenn sie sich gegen die ehrenwerte Gesellschaft der Militärs, der Politiker und der Wirtschaftsbosse richteten. Dabei wurde regelmäßig gegen den in der höchstrichterlichen Rechtsprechung seit jeher geltenden Grundsatz verstoßen, dass auch bei ehrenkränkenden Werturteilen - ausgenommen Fälle von Schmähkritik - die zugrundeliegenden Tatsachen aufgeklärt werden müssen. Dafür drei Beispiele, die ich wegen der durch den Zeitrahmen gebotenen Kürze leider nur unvollständig mitteilen kann:

Der Publizist Lorenz Knorr hatte 1961 in einer Rede einige Generäle der Bundeswehr als Hitler-Generäle bezeichnet und ihnen Massenmord vorgeworfen. Die sachliche Berechtigung dieser Vorwürfe konnte Knorr aufgrund sorgfältiger Archivforschungen belegen. Aber eine Wuppertaler Strafkammer befand unter Mitwirkung von Juristen, die an Justizverbrechen der Nazizeit beteiligt waren, dass eine strafbare Ehrenkränkung der Generäle vorliege, ohne das Beweismaterial über deren Kriegsverbrechen zur Kenntnis zu nehmen. Als das Urteil wegen dieser Rechtsverletzung vom OLG Düsseldorf aufgehoben wurde, ließen die Wuppertaler Richter die Akten jahrelang liegen und stellten das Verfahren schließlich mit einer Knorr belastenden Kostenentscheidung ein. Die große Öffentlichkeit hat von den Kriegsverbrechen der von Knorr bloßgestellten Bundeswehrgeneräle nichts erfahren. Sie blieben dafür zuständig, die politische Gesinnung junger Wehrpflichtiger zu prägen und sie auf zukünftige Kriegsverbrechen vorzubereiten.

In dem ereignisreichen Jahr 1968, in dem ich viele aufmüpfige junge und alte Leute zu verteidigen hatte, gab es auch einen Prozess wegen eines Plakats, durch das sich der Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger beleidigt fühlte. Das Plakat beschuldigte Kiesinger der Beihilfe zum organisierten Völkermord in Vietnam. Mein Mandant Hermann Sittner, der für das Plakat verantwortlich zeichnete, hatte gegen Kiesinger Strafanzeige erstattet, die von dem Leitenden Oberstaatsanwalt in Bonn, einem Herrn Pfromm, durch Einstellung des Verfahrens erledigt wurde. Erst später erfuhr man aus einem Artikel von Ingrid Müller-Münch in der Frankfurter Rundschau, dass es sich bei Pfromm um einen früheren nationalsozialistischen Führungsoffizier handelte.
Von ihm hatte Herr Kiesinger, dieser wegen seiner Nazivergangenheit von Beate Klarsfeld geohrfeigte Bundeskanzler, nichts zu befürchten. Hermann Sittner aber wurde verurteilt, ohne dass sich das Gericht für die dem Plakat zugrundeliegenden Tatsachen interessierte. Das auf 500 DM Geldstrafe lautende Urteil wurde von den etwa 60 jugendlichen Zuhörern im Sitzungssaal mit Zischen und Pfuirufen quittiert. Das war die Zeit, in der es, wenn ich so sagen darf, einen gespaltenen Zeitgeist gab.

Mitte der 70er Jahre hatte ich Bolko Hoffmann, den Herausgeber der Aktionärszeitschrift »Effekten-Spiegel«, vor dem Landgericht Bochum gegen die von der Staatsanwaltschaft als Offizialverfahren übernommenen Strafanzeigen von Spitzenbossen dreier Großbanken zu verteidigen, die sich durch den von meinem Mandanten zu verantwortenden Ausdruck »mafiavergleichbare Gestalten« beleidigt fühlten. Auch da verfuhr das Gericht nach dem rechtswidrigen Prinzip, die dem Werturteil zugrundeliegenden Tatsachen, die wir in Beweisanträgen vorgetragen hatten, nicht zur Kenntnis zu nehmen. Mag sein, dass der Ausdruck »mafiavergleichbare Gestalten« angreifbar war, deshalb empfahl ich dem Mandanten nach der gegen Bußezahlung erfolgten Einstellung des Verfahrens, in Zukunft die Spitzen der Großbanken schlicht als Mafia zu bezeichnen. Bolko Hoffmann, ein Wirtschaftsfachmann, der übrigens frühzeitig vor der Einführung des Euro gewarnt hat, ist leider verstorben, bevor er von meinem Rat Gebrauch machen konnte. Heute würde er wohl nicht einmal mit dem Zeitgeist in Konflikt geraten, wenn er die Spitzen der Großbanken als Mafia bezeichnen würde.

Im Jahr 1991 wurde ich beauftragt, ein Bundesvorstandsmitglied der GRÜNEN, die damals noch eine pazifistische Partei waren, zu verteidigen, dem die zusammen mit anderen Vorstandsmitgliedern veröffentlichte Aufforderung zur Fahnenflucht im Golfkrieg als strafbare Handlung vorgeworfen wurde. Auch da weigerten sich die Gerichte, die von uns vorgebrachten Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen, die sich mit den deutschen Rüstungsexporten ins Kriegsgebiet befassten. Dass ganz andere Leute auf die Anklagebank gehörten, wollte man nicht hören.

In den 1970er Jahren war das antikommunistische Feindbild durch ein anderes Feindbild abgelöst worden, nachdem sich aus der sogenannten Studentenbewegung mehrere Gruppen gebildet hatten, die vom Protest zum bewaffneten Widerstand übergingen und als Terroristen bezeichnet wurden. Diese Entwicklung begriff ich als verhängnisvollen Irrweg. Ich hielt eine bewaffnete Auseinandersetzung mit der Übermacht des staatlichen Gewaltapparats für sinnlos und politisch unverantwortlich und habe das auch mit meiner späteren Mandantin Ulrike Meinhof heftig diskutiert. Deshalb lehnte ich die mir auch aus diesen Kreisen angetragenen Mandate ab, es sei denn, dass es um unerträgliche Haftbedingungen ging, wie im Fall Ulrike Meinhof, oder um klassische Verteidigung gegen offensichtliche Rechtsbrüche und Falschbeschuldigungen.

So habe ich 1972 zusammen mit dem Kollegen Wolf Dieter Reinhard den Aufnahmeleiter-Praktikanten Werner Hoppe beim Landgericht Hamburg gegen den Anklagevorwurf verteidigt, durch Pistolenschüsse auf Polizeibeamte mehrere Mordversuche begangen zu haben. Dieser Vorwurf konnte nach der glaubwürdigen Darstellung unseres Mandanten und dem aktenmäßigen Befund nicht stimmen. Hoppe hatte nachweislich nur durch seine Liebesbeziehung zu Petra Schelm mit der RAF zu tun, wurde aber in den Medien als Terrorist bezeichnet. Er war mit seiner Freundin in eine Fahrzeug- und Personenkontrolle geraten, der sich die den Wagen lenkende Petra Schelm durch die Flucht entziehen wollte. Sie wurden eingeholt und in eine Schießerei mit Polizeibeamten verwickelt, bei der Petra Schelm getötet wurde. Hoppe wurden mehrere Pistolenschüsse als Tötungsversuche angelastet, obwohl trotz Einsatz von Metallsuchgeräten nur eine einzige Patronenhülse gefunden wurde, die seiner Pistole zugeordnet werden konnte. Auch konnten nach dem Gutachten eines Sachverständigen aus seiner Waffe nicht so viele Schüsse abgegeben worden sein, wie die polizeilichen Zeugen behaupteten. Die aufgefundenen Patronenhülsen stammten entweder aus Polizeiwaffen oder aus Petra Schelms Waffe, während Hoppes angebliche Schüsse nach unserer Überzeugung von den polizeilichen Zeugen phantasievoll erfunden waren. Der Staatsanwalt wollte Hoppe am Ende der Hauptverhandlung nur noch einen Schuss, der eine Beule im Wagendach eines Polizeiwagens verursacht hatte, als versuchten Totschlag anlasten, was fragwürdig genug war. Aber das Gericht folgte den belastenden Aussagen der Polizeibeamten, von denen mehrere behaupteten, dass Hoppe auf sie geschossen habe, und verurteilte den Angeklagten, weit über den Antrag des Staatsanwalts hinausgehend, zu zehn Jahren Freiheitsstrafe.

In diesem Verfahren erlebte ich zum ersten Mal auch andere Fremdeinwirkungen aus rechtsfeindlich gesinntem Umfeld. Die Medien hatten die Öffentlichkeit und das Gericht darauf vorbereitet, dass einem höchst gefährlichen Terroristen der Prozess gemacht werden müsse. Und aus Kreisen, die offensichtlich nicht an einer nüchternen Prüfung des Sachverhalts und einem gerechten Urteil interessiert waren, kamen Drohungen gegen Richter und Schöffen, die mehrere Schöffen veranlassten, sich für befangen zu erklären und das Schöffenamt aus Angst um ihr Leben und das ihrer Familie abzulehnen. Schon bei Betreten des Gerichts beeindruckte die massive bewaffnete Polizeipräsenz und ließ das Schlimmste befürchten. Während der Hauptverhandlung gab es eine Bombendrohung, die zur Unterbrechung der Sitzung und zum Verlassen des Gerichtsgebäudes nötigte. Selbstverständlich herrschte in der von den Medien aufbereiteten Öffentlichkeit und in den Köpfen der Richter und Schöffen die Vorstellung, dass alle diese Gefährdungen von den Terroristen ausgingen, denen man den Angeklagten zurechnete. Inzwischen hat wohl zumindest das Loch in der Mauer der Justizvollzugsanstalt in Celle den Blick auf andere Urheber eröffnet.

Es gab Terroristenprozesse, in denen mit klassischer Verteidigung gegen falsche Polizistenaussagen tatsächlich Freisprüche erzielt werden konnten. So 1977 in dem Verfahren gegen den Arzt und Historiker Dr. Karl Heinz Roth, das vor einer Strafkammer des Landgerichts Köln verhandelt wurde. Die Hauptverhandlung wurde zunächst von einem gegen Roth und seine Verteidiger äußerst feindlich eingestellten Vorsitzenden mit vielen Schikanen und willkürlicher Handhabung der Strafprozessordnung geleitet, was auch in der Presse, insbesondere von Gerhard Mauz im SPIEGEL, kritisch vermerkt wurde. Doch gelang es der Verteidigung, an der noch die Kollegen Klaus Dethloff, Armin Golzem, Wolfgang Heiermann und Frank Niepel beteiligt waren, seine Befangenheit so schlüssig nachzuweisen, daß er nach wochenlangem Gezerre endlich selbst die Waffen streckte.

Karl Heinz Roth und seinem Mitangeklagten Roland Otto wurde Mord und zweifacher Mordversuch vorgeworfen. Roth hatte auf dem Wege zu einem nächtlichen Patientenbesuch zwei Personen in seinem Wagen mitgenommen. Sie wurden von einer Polizeistreife angehalten, die eine Ausweiskontrolle vornahm und nach einem Kontakt mit der Leitstelle zum Aussteigen aufforderte. Als erster stieg der auf dem Beifahrersitz mitgenommene Werner Sauber aus und machte, da er als Terrorist gesucht wurde, einen Fluchtversuch. Ein Polizist, der mehrere Schüsse auf Sauber abgegeben hatte, wurde von diesem durch einen Herzschuss getötet, ein weiterer Beamter und unser Mandant Karl Heinz Roth wurden durch weitere Schüsse aus Saubers Waffe schwer verletzt. Roth wurde von dem zu dieser Zeit wohl schon schwer verletzten Sauber sicher versehentlich getroffen, während ein weiterer Schuss auf den bereits schwer verletzt am Boden liegenden Roth von einem Polizeibeamten gezielt abgegeben wurde und eine zweite lebensgefährliche Verletzung unseres Mandanten verursachte. Dieser Polizeischütze rechtfertigte seinen Schuss mit der von uns widerlegten Lüge, Roth habe versucht, auf einen anderen Polizisten zu schießen.

Die Anklage gegen Roth beruhte auf dieser falschen Aussage und unterstellte weiter, dass Saubers Schüsse mit den Angeklagten vereinbart gewesen seien.

Der Verteidigung gelang es, die Unschuld unserer Mandanten glaubhaft zu machen. Dabei leisteten Fotos eines Journalisten gute Dienste, der zufällig kurz nach dem Vorfall am Tatort war. Auch die Polizei kannte die Fotos, hatte aber entscheidend wichtige Fotos zurückgehalten, die ihre Zeugen, die eine Pistole in Roths Hand gesehen haben wollten, widerlegten. Das Gericht erfuhr erst durch die Verteidigung von diesen Bildern und kam zum Freispruch.

Auch in dieser Sache versuchten gewisse Massenblätter, durch sensationelle Lügenberichte auf das Verfahren einzuwirken. So erschien Axel Springers »Bild am Sonntag« am 15. Mai 1977 mit der Schlagzeile auf der ersten Seite: »Terroristen verurteilen Kölner Richter zum Tode«.
Im dazugehörenden Text hieß es, dass ein rotes Femegericht das Todesurteil gegen den Vorsitzenden Richter des Prozesses gegen »die Terroristen Karl Heinz Roth und Roland Otto« gesprochen habe. Daneben Fotos dieser beiden »Terroristen«. Dass die Nerven aller Prozessbeteiligten bloß lagen, ist wohl zu verstehen. Die Leser der »Bild«-Zeitung kamen sicher zu einem anderen Urteil als das Gericht. Aus dem Mund eines Polizeibeamten war nach dem Freispruch der Ausspruch zu hören: »Die Kollegen haben schlecht geschossen, die hätten alle drei kaputt sein müssen.«

Dass auch ein »Terroristenprozess« von Anfang an ganz anders, gewissermaßen im Konflikt mit dem herrschenden Zeitgeist, geführt werden konnte, lernte ich in den 40 Verhandlungstagen des Strafprozesses gegen die Fotografin Astrid Proll kennen. Die Hauptverhandlung fand von September 1979 bis Februar 1980 vor einer Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main statt und wurde von der konsequent rechtsstaatlich eingestellten Vorsitzenden Richterin Johanna Dierks geleitet. Astrid Proll hatte sich schon vor Jahren von der RAF getrennt und wurde von mir zusammen mit dem Berliner Juraprofessor Ulrich K. Preuß und dem Frankfurter Kollegen Johannes Riemann u.a. gegen den Anklagevorwurf des versuchten Mordes verteidigt. Der Berliner Verfassungsschutzbeamte Grünhagen hatte behauptet, dass Astrid Proll nach einer von ihm zusammen mit dem Polizeibeamten Simons durchgeführten Personenkontrolle mehrere Schüsse auf ihn abgegeben habe. Grünhagen, der unangenehmen Fragen der Verteidigung ausgesetzt gewesen wäre, wurde von seiner Behörde durch Verweigerung der Aussagegenehmigung geschützt. Was von der couragierten Vorsitzenden ungewöhnlich kritisch vermerkt wurde. Auch die Aussage des Kriminalobermeisters Simons, der Grünhagens Darstellung bestätigte und behauptete, auch er sei von Astrid Proll beschossen worden, wurde nicht so unkritisch aufgenommen, wie das der Zeuge wohl erwartet hatte. Die größte Sensation war jedoch der überraschende Auftritt eines Tatzeugen, dessen Anwesenheit am Tatort aus den Akten nicht hervorging und von Grünhagen und Simons geleugnet worden war. Es handelte sich um einen sehr seriös wirkenden Beamten des Bundesamts für Verfassungsschutz, der den ganzen Vorgang als Unbeteiligter beobachtet hatte, aber von seiner Behörde als Zeuge gesperrt worden war mit der Begründung, dass er nichts Wesentliches aussagen könne. Der liberale Bundesinnenminister Gerhart Baum ließ sich durch diese wahrheitswidrige Auskunft des Behördenleiters nicht verblüffen und hob die Verweigerung der Aussagegenehmigung auf. Damit wurde eine Behinderung der Wahrheitsfindung beendet, die zu einem für Astrid Proll katastrophalen Fehlurteil hätte führen können. Der Zeuge bekundete, dass Astrid Proll weder geschossen noch überhaupt eine Waffe gehabt habe, und entlarvte damit Grünhagen und Simons als Lügner. Astrid Proll wurde vom Vorwurf des versuchten Mordes freigesprochen.

Nach der Vereinnahmung der DDR unter dem Namen »neue Bundesländer« lebte die Kommunistenverfolgung, die seit der Justizreform von 1968 eingeschlafen war, wieder auf. Die Zeit, in der in der Bundesrepublik der rote Teppich für Erich Honecker ausgerollt wurde, war vorbei. Und bundesdeutsche Juristen, die es im Einklang mit dem herrschenden Zeitgeist versäumt hatten, je an einem antifaschistischen Feindbild zu arbeiten, vielmehr keine Mühe gescheut hatten, sich juristische Wohltaten für Nazi-Verbrecher auszudenken, um sie gerechter Strafe zu entziehen, beeilten sich, das alte antikommunistische Feindbild wieder aus der Schublade zu holen. DDR-Bürger, die die in ihrem Staat geltenden Gesetze befolgt oder selbst Staatsgewalt ausgeübt hatten, fanden sich plötzlich als Kriminelle wieder. Der Ost-Berliner Kollege Friedrich Wolff, der in beiden deutschen Staaten als Verteidiger tätig war, hat in seinem Buch »Verlorene Prozesse« Justizerfahrungen hüben und drüben detailliert geschildert, die einen erschütternden Anschauungsunterricht über rechtsstaatliche Defizite und den unter gegensätzlichen politischen Vorzeichen geschürten deutsch-deutschen Hass bieten.

Zusammen mit dem Kollegen Friedrich Wolff habe ich Hans Modrow, den vorletzten Ministerpräsidenten der DDR, im April/Mai 1993 beim Landgericht Dresden verteidigt. Ihm wurde nach der Wende der Prozess nach neuem Recht gemacht, weil er als Bezirksleiter der SED in Dresden in die vom ZK angeordnete Fälschung der Kommunalwahlen vom Mai 1989 eingebunden war, gegen die er vergeblich protestiert hatte. Mit diesem Vorwurf hatte man einen Vorwand gefunden, den populären Politiker Modrow, der vor der Wende auch im Westen als Hoffnungsträger galt, und von dem man wusste, dass die Betonköpfe im ZK der SED ihn hassten, als Kriminellen abzustempeln und als politischen Konkurrenten auszuschalten.

In der Hauptverhandlung traten als Ankläger zwei nassforsche junge Wessis auf, deren undifferenzierter Antikommunismus davon zeugte, dass sie wenig darüber wussten, wieviel Opposition in der DDR möglich war. Aber die Sache wurde in Dresden vor einer Strafkammer verhandelt, deren Richter und Schöffen den Konflikt mit dem Zeitgeist nicht scheuten. Zwei Richter, nämlich der souverän und liberal amtierende Vorsitzende Rainer Lips und ein Beisitzer, stammten aus dem Westen, eine Richterin und die beiden Schöffen hatten in der DDR gelebt. Sie alle waren, wie sich zeigte, frei von antikommunistischen Vorurteilen gegen den politisch und menschlich integren Angeklagten Modrow. Die Strafkammer kannte die Schwächen der Anklage und deren politische Hintergründe, konnte sich aber weder mit dem Vorschlag, das Verfahren einzustellen, noch mit einem auf Verwarnung mit vorbehaltener Geldstrafe lautenden Urteil gegen die antikommunistischen Eiferer bei der Staatsanwaltschaft und beim BGH durchsetzen. Erst mit einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe für den einstigen Hoffnungsträger gaben die Herren in Karlsruhe sich zufrieden.

Von rühmlichen Ausnahmen abgesehen herrschte in den Verfahren, in denen es um die Verteidigung von Kommunisten und Terroristen ging, in der Regel eine Atmosphäre der Feindseligkeit und der willkürlichen Machtentfaltung, die, um mit Posser zu sprechen, den Verteidiger zum rechtsstaatlichen Dekor degradierte. Das waren auf die Dauer unerträgliche, entwürdigende und gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen. Man musste sich dem entziehen, um nicht physisch und psychisch kaputtzugehen. Und so sind Anwälte, die von den Bedingungen der Strafverteidigung im Konflikt mit dem Zeitgeist zermürbt wurden, nach und nach aus diesem Geschäft ausgestiegen. Zwei weiß ich, die zu Unrecht als Komplizen der RAF verurteilt wurden und sich darauf aus diesem Metier zurückzogen. Zwei oder drei weiß ich, die wirklich zu Komplizen der RAF wurden, nachdem sie lange genug als solche verdächtigt und behandelt worden waren. Zwei oder drei weitere weiß ich, die sich in hohe Staatsämter wählen ließen und dabei mehr oder weniger ins konservative Lager wechselten. Einen weiß ich, der sich eine Kugel in den Kopf schoss. Ich zog es vor, Kindergeschichten zu schreiben, eine erholsame Alternative, die mich schon während der ganzen Zeit meiner Anwaltschaft begleitet und mir manche unerwarteten Sympathien eingebracht hat. So habe ich einem meiner Kinderbücher sicher einen Freispruch beim Landgericht Aurich zu verdanken, wo ich eine Frau zu verteidigen hatte, die in anderer Sache für ihren wegen eines Verkehrsdelikts angeklagten Ehemann als Zeugin objektiv falsch ausgesagt hatte. Ich legte die Möglichkeit eines Irrtums meiner Mandantin dar und plädierte auf Freispruch. Der Vorsitzende der kleinen Strafkammer ließ durchblicken, dass er die Angeklagte verurteilen wollte. Doch nach langer Beratung musste er widerwillig einen Freispruch verkünden, er war offensichtlich von seinen Schöffinnen überstimmt worden. Als ich das Gericht verließ, erwartete mich eine der Schöffinnen mit meinem Kinderbuch »Das Pferd Huppdiwupp« und bat um ein Autogramm. Möglicherweise hatte ihr Herz bei dem Freispruch mitgesprochen. Aber auch bei dem einen oder anderen Richter konnte ich ein wohlwollendes Prozessklima erwarten, wenn ich mit der Frage begrüßt wurde: »Wann schreiben Sie Ihr nächstes Kinderbuch?«

Auch im öffentlichen Bewusstsein scheint ein Wandel eingetreten zu sein. Seit 30 Jahren wohne ich ein paar Kilometer außerhalb von Bremen auf dem Dorfe und bekam auch dort zunächst das dem Kommunisten- und Terroristenverteidiger geltende Misstrauen zu spüren. Aber nach Überwindung anfänglicher Bedenken galt ich bald wieder als der harmlose Bürger, der ich vor vielen Jahren bei meiner ersten Pflichtverteidigung gewesen war, und wurde sogar in den Heimatverein aufgenommen. So hat die Zeit einige Wunden geheilt, die mir die Strafverteidigung im Konflikt mit dem Zeitgeist geschlagen hatte.

Der Text wurde als Vortrag auf dem 36. Strafverteidigertag im März 2012 in Hannover gehalten.

Heinrich Hannover:
Strafverteidigung im Konflikt mit dem Zeitgeist, in: Freispruch, Heft 1, Sommer 2012

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