Strafverteidigertag Rechtspolitik

Pilotverfahren im Blindflug

Zum ersten VStGB-Verfahren vor dem OLG Stuttgart
Andrea Groß-Bölting & Ricarda Lang

 

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Vor dem OLG Stuttgart wird seit mehr als zwei Jahren an über 160 Hauptverhandlungstagen das erste deutsche VStGB-Verfahren gegen zwei Angeklagte verhandelt. Den Angeklagten wird vorgeworfen, als Präsident und Vizepräsident einer ausländischen terroristischen Vereinigung Kriegsverbrechen als militärische Befehlshaber des bewaffneten Armeezweigs im Kongo nicht verhindert zu haben.

Zehn Jahre nach Inkrafttreten des VStGB muss das erste Verfahren nach dem VStGB erfolgreich unbedingt abgeschlossen werden - geopfert werden rechtsstaatliche Grundsätze. Die politischen Erwartungen, u.a. das Verfahren zur Wahrung der Reputation der Bundesrepublik Deutschland unter Beobachtung der Vereinten Nationen, unzähliger Hilfsorganisationen und des ruandischen Staates zum Erfolg zu führen, ist offensichtlich. Es kann im Folgenden nur auf einige wenige Punkte eingegangen werden, die aus Sicht der Verteidigung aufzeigen sollen, dass dieses Pilotverfahren gescheitert ist.

Die rechtliche Konstruktion der Anklage basiert auf einem Unterlassensvorwurf. Die Angeklagten sollen strafrechtlich verantwortlich sein, Verbrechen unmittelbar rechtswidrig und schuldhaft handelnder Soldaten nicht verhindert zu haben. Der aktuelle Haftfortdauerbeschluss wird gegen den Vizepräsidenten rechtlich u.a. mit einer psychischen Beihilfe zum mittelbaren Unterlassen des Präsidenten begründet. Eine nicht höchstrichterlich entschiedene Rechtskonstruktion. Materiellrechtlich führt das Verfahren damit die deutsche Strafrechtsdogmatik zu Täterschaft und Teilnahme sowie aktivem Tun und Unterlassen an ihre Grenzen. Der Präsident soll weiterhin dringend verdächtig sein, entgegen einer Vielzahl von Aussagen ehemaliger Kämpfer in der Hauptverhandlung, die u.a. bekundet haben, dass Soldaten nur Befehlen von Soldaten folgen, die angeblichen Kriegsverbrechen nicht verhindert zu haben.

Die Beweisaufnahme weist zahlreiche gravierende verfahrensrechtliche Mängel auf. So ist zum Beispiel die Darstellung von Kriegsverbrechen durch die Sperrung von Namen der sogenannten Opferzeugen, durch Schwärzung von Tatorten, Zeugennamen, Namen des behandelnden Krankenhauses und der betreuenden Opferschutzorganisation geprägt. Auch ist den Ermittlungsakten nicht zu entnehmen, wie der Generalbundesanwalt die Opferzeugen gewonnen hat. Jeglicher Ansatz zur Objektivierung des Vorwurfs oder zur Aufklärung der Aussageentstehungsgeschichte ist daher unmöglich. Bei Vergewaltigungsvorwürfen gegen Armeeangehörige im Kongo haben die in Deutschland lebenden Angeklagten damit nicht einmal die Möglichkeit, - z.B. durch die Ermittlung des unmittelbaren Täters anhand der Angaben von Tatort und Tatopfer - eine Situation Aussage-gegen-Aussage zu schaffen.

Weil erhebliche Ungleichgewichte, systematische Informationssperrung und fehlende Möglichkeiten, Entlastungsbeweise zu präsentieren, das Verfahren prägen, ist es aus Sicht der Verteidigung strukturell unfair und damit verfassungs- und konventionswidrig. Das Maß der Beschränkungen der Verteidigung geht dabei deutlich über die bekannten Einschränkungen in Staatsschutzverfahren hinaus.

In diesem Pilotverfahren mit reinem Auslandssachverhalt sind der Verteidigung dringend erforderliche eigene Ermittlungen vor Ort nicht möglich. Sämtliche vorgeworfene Taten betreffen ein Kriegsgebiet, in das man – auch als engagierter Verteidiger – nicht reisen kann, ohne sein Leben und das der Kontaktpersonen und Zeugen vor Ort zu gefährden. Entlastende Dokumente pp können nicht beschafft werden. Die strukturell nicht waffengleiche Schieflage in Staatsschutzverfahren wird noch verschärft. BKA und GBA können filtern, was das Gericht und die übrigen Verfahrensbeteiligten wissen können sollen und was nicht. Uns liegen weder die in einem Parallelverfahren gegen einen dritten Beschuldigten vor dem ICC vorhandenen dortigen Verfahrensakten, noch die Erkenntnisse aus den UN-Archiven vor. Aktenvermerke über Gespräche, die der GBA unter Beteiligung von Zeugen der UN und verschiedenen Ministerialvertretern in Berlin geführt hat, liegen nicht vor und werden seitens des Gerichts auch nicht angefordert. Monika Harms bezeichnete das Verfahren als eine sogenannte »Grüne Kreuz-Sache«, das heißt der GBA ist verpflichtet, dem Justizministerium Bericht zu erstatten und vorzulegen. Auch hierzu gibt es keine Aktenvermerke. Die ehemaligen Soldaten werden als Zeugen aus Ruanda eingeflogen, vom BKA betreut, eingekleidet, nur wenigen wurde ein Zeugenbeistand bestellt.

In dem Parallelverfahren vor dem ICC wegen der gleichen Vorwürfe ist die Eröffnung des Verfahrens rechtskräftig abgelehnt und der Haftbefehl aufgehoben worden, weil die Vorwürfe trotz – oder gerade wegen – einer größeren Anzahl von wörtlich aufgezeichneten Aussagen pp nicht hinreichend belegt waren.

Das OLG Stuttgart hätte die Chance, ebenso rechtsstaatlich zu entscheiden.

Die Autorinnen verteidigen in dem beschriebenen VStGB-Verfahren.

Andrea Groß-Bölting/Ricarda Lang:
Pilotverfahren im Blindflug, in: Freispruch, Heft 3, August 2013

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