Strafverteidigertag Rechtspolitik

gefährliche »sicherheitskooperation«

Zur Problematik deutsch-türkischer Geheimdienst-, Polizei- und Justiz-Zusammenarbeit im »Antiterror-Kampf«.

Mit dem »menschenverachtenden Flüchtlingsdeal« (Pro Asyl) haben sich Europäische Union (EU) und Deutschland von der autokratisch regierten Türkei stark abhängig und erpressbar gemacht. Der milliardenschwere Deal, der den Europäern Flüchtlinge aus Afrika und Nahost »vom Hals halten« soll, kam zustande, als sich die Türkei bereits in einer menschenrechtlich katastrophalen Entwicklung befand. Um diesen schmutzigen Deal nicht zu gefährden, reagieren Bundesregierung und EU nur selten wirklich angemessen auf Menschenrechtsverletzungen in der Türkei. Wo blieben die politischen Konsequenzen angesichts des eskalierenden Kriegs gegen die kurdische Bevölkerung, angesichts der politischen Verfolgung Andersdenkender, angesichts der personellen Säuberung des Staatsapparats, angesichts der massenhaften Eingriffe in Presse- und Meinungsfreiheit sowie der willkürlichen Inhaftierungen wegen nebulöser Terrorvorwürfe – und nicht zuletzt angesichts des völkerrechtlichen Angriffskrieg gegen Afrin in Syrien, der auch mit deutschen Panzern geführt wird? Schließlich ist die Türkei doch Mitglied der NATO und des Europarats, immer noch EU-Beitrittskandidat sowie EU-Vertragspartner. Mit ihrer Handels- und Beschwichtigungspolitik begeben sich Europa und die Bundesrepublik in Widerspruch zu ihren eigenen Werten, die sie gegenüber der Türkei und dem Rest der Welt unentwegt hochhalten.
Die Bundesrepublik setzt sich schon seit Jahren und Jahrzehnten nicht nur unzureichend von der ausufernden Terrordoktrin des türkischen Staatsapparates ab, die seine Repressionspolitik ja legitimieren soll – sie hat sich in diese »Antiterror«-Strategie regelrecht einbinden lassen. Tatsächlich haben Bundesrepublik und EU allzu lange mit der Türkei eng, unkritisch, teils willfährig kooperiert – gerade im »Antiterrorkampf«. Sie haben damit Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen geleistet und die kriegerische Kurdenpolitik flankiert: so mit dem Verbot der kurdischen PKK in Deutschland und ihrem Eintrag in die EU-Terrorliste, so mit zahlreichen Strafermittlungen und »Terrorismus«-Prozessen gegen kurdische Aktivisten und Vereinigungen hierzulande, so mit heikler Militär-, Polizei- und Geheimdienstkooperation sowie mit milliardenschweren Waffenlieferungen an die Türkei – trotz prekärer Menschenrechtslage, trotz mutmaßlicher Kriegsverbrechen, trotz türkischer Unterstützung islamistischer Terrormilizen, trotz mehrfach verlängerten Ausnahmezustands nach dem Putschversuch eines Teils des türkischen Militärs (2016).
Die Geschichte deutsch-türkischer »Sicherheitskooperation« ist lang und folgenschwer. Hier ein paar Schlaglichter auf die unterschiedlichen Kooperationsbereiche:
pkk-verbot, eu-terrorliste, 129b-terrorismusverfahren und die folgen
Das vor 24 Jahren von der Bundesregierung erlassene Betätigungsverbot für die kurdische Arbeiterpartei PKK und andere kurdische Organisationen hat viel Unheil gestiftet. Mit diesem Verbot und der Aufnahme der PKK in die Terrorliste der Europäischen Union folgten Bundesrepublik und EU dem Drängen des NATO-Partners Türkei – eines Staates, der sich selbst gravierender Menschenrechtsverletzungen schuldig macht und der sich daraufhin legitimiert fühlen konnte, rücksichtslos mit Unterdrückung und Staatsterror gegen Kurden und ihre Organisationen vorzugehen und allzu lange eine zivile und friedliche Lösung der kurdischen Frage zu torpedieren.
Trotz des Wandels, den die einst gewaltorientierte Kaderpartei PKK in Europa in Richtung einer friedlich-demokratischen Lösung des Konflikts vollzogen hat, besteht ihr Verbot in der Bundesrepublik bis heute fort, ist sogar 2017 noch ausgeweitet worden - auf Symbole bislang legaler Gruppen. Dies hat Zigtausende politisch aktiver Kurden, die vor Verfolgung und Folter aus der Türkei geflohen waren, hierzulande kriminalisiert - oft genug nur wegen verbaler oder symbolischer »Taten« -, hat sie zu potentiellen Gewalttätern und gefährlichen »Terroristen« gestempelt und damit zu innenpolitischen Feinden erklärt und ausgegrenzt. Mit diesem Verbot werden die Grundrechte der Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, der Meinungs- und Pressefreiheit und damit die freie politische Betätigung massiv beschränkt. Demonstrationsverbote und Razzien, Durchsuchungen von Privatwohnungen, Vereinen, Druckereien und Redaktionen, Beschlagnahmen und Inhaftierungen waren und sind immer wieder an der Tagesordnung genauso wie geheimdienstliche Ausforschung und Infiltration durch Staats- und Verfassungsschutz.
Auf Grundlage des europaweit einmaligen PKK-Verbots werden Geld- und Freiheitsstrafen verhängt, Einbürgerungen abgelehnt, Staatsbürgerschaften aberkannt, Aufenthaltserlaubnisse nicht verlängert, Asylanerkennungen widerrufen oder Ausweisungen verfügt. Doch längst ist das Verbot zum kontraproduktiven Anachronismus geworden und gehört, auch nach Auffassung namhafter Bürger- und Menschenrechtsorganisationen, schleunigst aufgehoben – ebenso die exekutive Ermächtigung durch die Bundesregierung zur Strafverfolgung der PKK als ausländische »terroristische Vereinigung« nach § 129b StGB.1 Geht es um Gewaltausübung, dann reichen die traditionellen Strafnormen völlig aus. Erst Ende 2017 hat ein belgisches Berufungsgericht entschieden, dass die PKK keine terroristische Organisation sei, sondern eine legitime Partei in einem innerstaatlichen Konflikt in der Türkei; sie könne deshalb auch nicht mit Antiterror-Gesetzen verfolgt werden, genauso wenig wie deren Mitglieder und Unterstützer.
deutsch-türkische polizei-kooperation und der missbrauch von interpol
Mitte 2017 stellte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) die bisherige polizeiliche Zusammenarbeit mit der Türkei endlich in Frage – eine Polizeikooperation, die sich auf allen Ebenen recht intensiv gestaltete, ob Polizeiausbildung, -ausstattung, -einsatztaktik, Terrorbekämpfung, Grenzsicherung oder Datenaustausch. Zwar ist diese Zusammenarbeit seit 2017 zurückgefahren worden, doch angesichts der prekären Entwicklung und der katastrophalen Menschenrechtslage in der Türkei hätte diese Zusammenarbeit schon längst einer eingehenden kritischen Überprüfung und stärkeren Korrektur unterzogen werden müssen.
Wie missbrauchbar eine solche Kooperation sein kann, zeigen die Fälle des Schriftstellers Doğan Akhanli aus Deutschland und des Journalisten Hamza Yalçin aus Schweden - beide ursprünglich aus der Türkei stammend. Die türkische Regierung instrumentalisierte Interpol, um die beiden Regimekritiker in Spanien mit dem Ziel festnehmen zu lassen, sie an die Türkei auszuliefern. Interpol ist die größte Polizeiorganisation der Welt für grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit. Sie ist ein privatrechtlicher Verein, ohne völkerrechtliche Legitimation und demokratische Kontrolle. Derzeit hat Interpol 190 Mitgliedstaaten, darunter zahlreiche Diktaturen und autokratische Regime. Trotz politischer Neutralitätspflicht wird Interpol zunehmend von korrupten und autoritären Staaten dazu missbraucht, politische Dissidenten weltweit aufzuspüren, festnehmen und ausliefern zu lassen. Es ist allerhöchste Zeit, diesen gefährlichen Missbrauch des Interpol-Systems zu politischer Verfolgung zu stoppen und Interpol einer unabhängigen Kontrolle zu unterziehen, um künftig willkürliche Verhaftungen und Auslieferungen zu verhindern.
Darüber hinaus sollten Interpol-Fahndungslisten systematisch nach Fahndungsersuchen der Türkei durchsucht werden, die Bundesbürger*innen und hier lebende Migranten betreffen; diese müssten dann durch die Sicherheitsbehörden vor möglicher Repression und Reisen ins Ausland gewarnt werden – was im Fall Doğan Akhanli offenbar unterblieben ist.
deutsch-türkische geheimdienst-kooperation
Die bundesdeutschen Geheimdienste arbeiten traditionell eng und intensiv, wenn auch nicht immer reibungslos, mit den Geheimdiensten der Türkei zusammen – handelt es sich doch unter NATO-Partnern um befreundete Dienste. Im gemeinsamen Fokus befinden sich vor allem PKK sowie kurdische Vereine und Aktivisten als angebliche Terroristen und Terrorhelfer.
Erst 2016 ist dem bundesdeutschen Inlandsgeheimdienst »Verfassungsschutz« ein engerer Datenaustausch mit ausländischen Sicherheits- und Geheimdienstbehörden der EU- und NATO-Staaten gesetzlich eingeräumt worden sowie das Einrichten gemeinsamer Antiterror-Dateien und Datenpools. Es geht dabei um den erleichterten Austausch von Daten über mutmaßliche Terror-Verdächtige und deren mögliche Kontakt- und Begleitpersonen – mit weitreichenden Folgen für das Informationelle Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen, über die auf diese Weise Personen-, Bewegungs- und Kontaktprofile erstellt und grenzüberschreitend nutzbar gemacht werden. Hochproblematisch wird diese kaum kontrollierbare Kooperation spätestens dann, wenn Daten von Partnerdiensten, etwa der Türkei, menschenrechtswidrig erfoltert wurden und dann hierzulande gerichtlich genutzt werden; oder wenn die vom »Verfassungsschutz« übermittelten Daten in der Türkei zur politischen Verfolgung missliebiger Personen und Gruppen missbraucht werden.
Statt einer noch engeren bilateralen Kooperation ist aktuell zu fordern, die Zusammenarbeit mit türkischen Geheimdiensten auszusetzen – zumal sich inzwischen selbst Polizei und »Verfassungsschutz« türkischen Infiltrationsversuchen ausgesetzt sehen. Die gesamte »Sicherheitskooperation« mit der Türkei gehört auf den Prüfstand und sollte auf ein unerlässliches Minimum reduziert werden.
türkisches agentennetz gegen kurden und türkische regimegegner
Im Januar 2018 wurde auf der Autobahn von Aachen Richtung Köln aus einem Auto mehrmals auf den deutsch-türkischen Fußballprofi Deniz Naki geschossen. Zwei Kugeln schlugen in seinem Fahrzeug ein, er selbst wurde nicht verletzt. Seitdem wird gerätselt, wer hinter dem Mordanschlag steckt. Waren es Agenten des türkischen Geheimdienstes?
Deniz Naki ist in der Bundesrepublik aufgewachsen. Der Kurde gilt vielen türkischen Nationalisten als Verräter, weil er das autokratische Regime unter Recep Tayyip Erdoğan offen kritisiert. In der Türkei wurde er 2017 wegen seines Einsatzes gegen den Krieg der Regierung in Kurdistan als »Terroristenunterstützer« zu anderthalb Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Seit dem Anschlag lebt Naki in Deutschland an einem geheimen Ort.
Schon seit langem ist der kurdische Politiker Yüksel Koç aus Bremen im Visier des türkischen Geheimdienstes MIT. Und er kennt seinen Peiniger. Es ist der auf Koç und sein politisches Umfeld angesetzte Agent Mehmet Fatih S., der im Oktober 2017 wegen Spionage für den türkischen Geheimdienst mit einer milden Bewährungsstrafe von zwei Jahren davongekommen ist – obwohl er in ein Mordkomplott gegen Koç und andere verwickelt gewesen sein soll. Dieser Verdacht blieb in dem Spionage-Prozess vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht unberücksichtigt. Wegen akuter Bedrohung muss Koç auch nach dem Urteil immer wieder seine Bleibe wechseln.
Der türkische Geheimdienst MIT, der in letzter Zeit erheblich aufgerüstet wurde und auch polizeiliche Befugnisse hat, soll hierzulande mit zahlreichen Agenten Oppositionelle und Regimekritiker sowie Vereine, Schulen und sonstige Einrichtungen in großem Umfang ausspionieren, ja sogar bedrohen. Nach Einschätzung von Sicherheitsexperten sollen es bis zu 6 000 Agenten und auch zahlreiche freiwillige Spitzel sein, in deren Visier insbesondere angebliche Anhänger der PKK sowie der Gülen-Bewegung sind, die die türkische Regierung für den Militär-Putschversuch 2016 verantwortlich macht. Nachdem der Geheimdienst MIT dem bundesdeutschen Auslandsgeheimdienst ‚Bundesnachrichtendienst‘ (BND) 2017 schwarze Listen mit Hunderten von Ausforschungszielen übergeben hatte, darunter auch Firmen, sind manche Betroffene von hiesigen Sicherheitsbehörden in sog. Gefährdeten-Ansprachen informiert und vor Repressionen und Reisen in die Türkei gewarnt worden.
Diese Reaktion ist gut und richtig. Auch, dass die Bundesanwaltschaft wegen des Verdachts geheimdienstlicher Agententätigkeit für türkische Geheimdienste Ermittlungen führte – die allerdings weitgehend eingestellt wurden. Die wenigen und auch verspäteten Spionageermittlungen werden jedoch der Dimension geheimdienstlicher Ausforschung und der Bedrohung keineswegs gerecht. Hier müssten die Sicherheitsorgane weit konsequenter intervenieren, um das illegale türkische Spitzelsystem in der Bundesrepublik zu zerschlagen – eigentlich Aufgabe der Spionageabwehr des »Verfassungsschutzes«. Und sie müssten dabei auch Hinweisen auf Anschlagspläne nachgehen – zum Schutz der (potentiell) Betroffenen, für den Polizei, Justiz und Regierungen Verantwortung tragen.
In diesem Zusammenhang lässt die besorgniserregende Aussage eines Abgeordneten in der Türkei aufhorchen, der zufolge eine Todesliste existiere, auf der die Namen von Kurden und anderen Oppositionellen stehen sollen, die aus der Türkei stammen und im europäischen Exil leben. Todeskommandos sollen bereits nach Europa geschickt worden sein, um Jagd auf sie zu machen. Diese Information ist angesichts der bisherigen Vorkommnisse sehr ernst zu nehmen. Sie erinnert daran, dass bereits 2013 in Paris drei kurdische Aktivistinnen von einem mutmaßlichen türkischen Verbindungsmann des MIT ermordet worden sind.
Es kann nicht angehen, dass Kurden, Kritiker und Gegner des autokratischen türkischen Regimes hierzulande in einem Klima der Angst leben müssen, in Angst vor Bespitzelung, Verfolgung und Bedrohung – oder gar um ihr Leben fürchten müssen, wie Yüksel Koç oder Deniz Naki und viele andere. Diese akute Bedrohungslage müssen Bundesregierung, Polizei und Justiz weit ernster nehmen als bislang.
Ein neueres Dekret erlaubt der türkischen Regierung, in der Türkei inhaftierte Ausländer gegen Türken im Ausland auszutauschen, die dort verhaftet oder verurteilt wurden – etwa Geheimdienst-Mitarbeiter, die sich im »nationalen Interesse« der Türkei in der Bundesrepublik strafbar gemacht hatten. Vor diesem Hintergrund ist die willkürliche Inhaftierung von zahlreichen Deutschen in der Türkei besser zu verstehen: nämlich als Geiselnahmen mit dem erpresserischen Ziel des Austauschs gegen inhaftierte Türken in der Bundesrepublik oder gegen hier Schutzsuchende, die vom türkischen Staat des Terrorismus‘ verdächtigt werden. Deshalb gilt umso mehr: keine Auslieferung von Kurden, Oppositionellen und Regimekritikern an die Türkei – zumal dort rechtsstaatlich-menschenrechtliche Mindeststandards nicht gewährleistet sind.
politische konsequenzen
Auch wenn derzeit immer wieder Signale der »Entspannung« aus der Türkei zu vernehmen und einige politische Gefangene freigekommen sind: Die menschenrechtliche Situation in der Türkei hat sich nicht verbessert, der Ausnahmezustand besteht nach wie vor, zahlreiche Oppositionelle und Regimekritiker sind weiterhin inhaftiert. Deshalb ist von der kommissarischen und der neuen Bundesregierung eine unmissverständliche Haltung gegenüber der Türkei einzufordern.
Angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs des NATO-Staats Türkei gegen Afrin (Syrien), angesichts des Kriegs und der Repression gegen die kurdische Bevölkerung sowie der katastrophalen Menschenrechtslage in der Türkei, angesichts eines menschenrechtlich inakzeptablen Flüchtlingsdeals, angesichts auch der neuen Rolle der Kurden als stabilisierender Faktor im Nahen und Mittleren Osten und im Abwehrkampf gegen den IS-Terror, kommen der EU und Deutschland eine gesteigerte Verantwortung zu: im Verhältnis zur Türkei, zu ihren Sicherheitsbehörden sowie für eine gerechte Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, bedarf es eines radikalen Wandels der europäischen Türkei- und Kurdenpolitik. Und dazu gehört: endlich die Kriminalisierung, Verfolgung und Ausgrenzung von Kurden, ihren Organisationen und Medien in Europa und Deutschland zu beenden sowie die Menschenrechtslage in der Türkei und die kurdische Frage mit Nachdruck auf die Agenda der EU zu setzen. Einstweilen gilt: die Reduzierung der deutsch-türkischen »Sicherheitskooperation« auf ein Minimum, keine Auslieferung von Kurden und Regimegegnern sowie ein sofortiger Stopp aller deutschen Rüstungs- und Waffenexporte in die Türkei, die im Krieg gegen die kurdische Bevölkerung bereits eine verheerende Rolle spielten.
zu fordern wäre...
1. die Aufhebung des PKK-Verbots und Löschung der PKK von der EU-Terrorliste. Keine exekutive Ermächtigung durch die Bundesregierung zur Strafverfolgung der PKK als ausländische terroristische Vereinigung nach § 129b Strafgesetzbuch.
2. die weitgehende Aussetzung der bundesdeutschen Kooperation und des routinemäßigen Datenaustauschs mit Geheimdiensten, Polizei und Militär der Türkei. Die deutsch-türkische »Sicherheitskooperation« gehört in allen Bereichen auf den Prüfstand und auf ein unerlässliches Minimum reduziert, da grundlegende menschenrechtliche und rechtsstaatliche Prinzipien in der Türkei nicht gewährleistet sind.
3. eine Reform und unabhängig-effektive Kontrolle des Interpol-Systems, um künftig willkürliche Verhaftungen und Auslieferungen und den Missbrauch der Interpol-Fahndungen zu politischer Verfolgung zu verhindern. Untersuchung der Interpol-Fahndungsliste nach Fahndungsersuchen der Türkei, die Bundesbürger*innen und in der Bundesrepublik lebende Migranten betreffen und in Trefferfällen entsprechende Warnungen der Betroffenen durch die Sicherheitsbehörden.
4. die Konsequente strafrechtliche Verfolgung geheimdienstlicher Agenten- und Spitzeltätigkeit der Türkei in der Bundesrepublik mit dem Ziel, das türkische Spionage- und Spitzel-Netz in Deutschland zu zerschlagen und die Betroffenen wirksam vor Ausforschung, Bedrohungen und Attentaten zu schützen.
5. Schutz und Asyl in der Bundesrepublik für politisch Verfolgte aus der Türkei sowie keine Auslieferung von Kurden, Oppositionellen und Regimekritikern im Exil an die Türkei.
6. die Aufkündigung des menschenverachtenden EU-Flüchtlingsdeals mit der Türkei – flankiert von Maßnahmen zur Eröffnung legaler Fluchtwege. Stattdessen sollten unter Mithilfe des UNHCR wirksam kontrollierte Direkthilfen für Geflüchtete in der Türkei treten.
7. die temporäre Aussetzung bzw. das Einfrieren der EU-Beitrittshilfen an die Türkei. Temporäre Aussetzung - nicht Abbruch - der EU-Beitrittsverhandlungen, bis sich in der Türkei eine Kehrtwende in Richtung Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaat entsprechend der Kopenhagener Kriterien abzeichnet und der Friedensprozess zu einer zivil-demokratischen und gerechten Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts offiziell wieder aufgenommen wird.
8. ein sofortiger Stopp aller deutschen Rüstungs- und Waffenlieferungen an die Türkei und in Krisen- und Kriegsgebiete. Eine bloße Reduzierung reicht nicht.
9. sofortige internationale Maßnahmen, insbesondere auf UN, EU und NATO-Ebene, mit dem Ziel, den völkerrechtswidrigen Angriff der Türkei auf Afrin/Syrien zu beenden und für die Kriegsfolgen und Zerstörungen aufzukommen.

Dr. Rolf Gössner ist Rechtsanwalt, Publizist und Vorstandsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte (Berlin) und Mitherausgeber des jährlich erscheinenden ‚Grundrechte-Reports. Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland‘ (Fischer-TB).
Mehr zum Autoren finden Sie auch unter www.rolf-goessner.de.

Der Beitrag ist die aktualisierte Langfassung einer Rede, die im September 2017 im Schauspiel Köln während der Solidaritätsveranstaltung für Doğan Akhanli (»Keine Geduld mehr!«) gehalten wurde.

anmerkungen

1 Ausführlicher dazu und zur EU-Terrorliste: Gössner, Dialog statt Kriminalisierung, in: Ossietzky Nr. 10/2016 vom 7. Mai 2016: http://www.ossietzky.net/10-2016&textfile=3513

Rolf Gössner: Gefährliche Sicherheitskooperation, in: Freispruch, Heft 12, März 2018

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