Das System Moral
In einem von zahlreichen Prominenten unterstützten Appell fordert die Publizistin Alice Schwarzer »das System Prostitution« zu unterbinden und die Prostitution abzuschaffen. Auch die Große Koalition plant, das Prostitutionsrecht repressiver zu gestalten. Ein Fehler, meint Margarete von Galen
Dr. Margarete von Galen: Das System Moral, in: Freispruch, Heft 4, Januar 2014
Gegen Ende der vergangenen Legislaturperiode brodelte es schon. Mit dem Hefttitel »Bordell Deutschland« und einem großen Bericht unter der vielversprechenden Überschrift »Wie der Staat Frauenhandel und Prostitution fördert«|1 bestritt Der Spiegel sein Tagesgeschäft. Zeitgleich widmete sich »Die Story im Ersten« dem Thema: »Sex - Made in Germany« und in der ARD konnte man »Die fatalen Folgen des Prostitutionsgesetzes« sehen und hören. So wurde in der Presse allgemein der Eindruck vermittelt, das Prostitutionsgesetz sei die Ursache für eine Zunahme von freiwillig unfreiwilliger Armutsprostitution, für bestimmte Formen der Prostitution (z.B. Flatrate Bordelle) und schließlich auch für Zwangsprostitution; ein Übel, das im StGB als »Menschenhandel« bezeichnet und dort mit einer erheblichen Strafandrohung versehen ist.
Diese Entwicklung machte sich schließlich Alice Schwarzer zu nutze: Mit einem »Appell gegen Prostitution« forderte sie zusammen mit anderen Prominenten, denen man dies teilweise nicht zugetraut hätte, »der Deregulierung von Frauenhandel und Prostitution möglichst schnell Einhalt zu gebieten« sowie »Maßnahmen, die langfristig zur Abschaffung des Systems Prostitution führen«. »Die Reform des Prostitutionsgesetzes 2002« (das Prostitutionsgesetz trat zum 01.01.2002 in Kraft und bis heute nicht reformiert) trage die Handschrift der Frauenhändler. Deutschland toleriere mit der Prostitution allgemein eine moderne Form der Sklaverei, die – wie die Sklaverei – abzuschaffen sei.
Dieser Aufregung liegt offenbar ein Missverständnis über Regelungsgehalt und Reichweite des Prostitutionsgesetzes zugrunde. Mit dem Prostitutionsgesetz wurde weder etwas dereguliert, noch etwa wurde – wie es auch häufig zu lesen ist – Prostitution legalisiert. Der grundsätzliche Paradigmenwechsel von der Illegalität zur Legalität der Prostitution wurde in Deutschland bereits im Jahre 1927 mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten vom 18.02.1927|2 vollzogen. Bis dahin war Prostitution nur unter Polizeiaufsicht legal und ansonsten aber strafbar gewesen. Seit dem Gesetz aus dem Jahr 1927 war und ist die Ausübung von Prostitution grundsätzlich legal und nur noch an bestimmten Orten verboten. Dieser Rechtszustand hat sich bis heute nicht geändert: Prostitution ist legal und nur in Sperrbezirken, die regional festgelegt werden können (vgl. Art. 297 EGStGB) verboten und unter den Vorraussetzungen von § 184 e StGB im Sperrgebiet auch strafbar.
Die einzige Veränderung von der Illegalität zur Legalität, die das Prostitutionsgesetz gebracht hat, ist die Legalisierung der Beschäftigung von Prostituierten. Ziel des Prostitutionsgesetzes war es, sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse für Prostituierte zu ermöglichen.|3 Um dieses Ziel zu erreichen, wurde der Straftatbestand der Förderung der Prostitution in § 180 a Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. gestrichen und die Strafvorschrift der Zuhälterei in § 181 a StGB ein wenig abgeändert.|4 Das Ganze wurde von der Regelung in § 1 ProstG flankiert, wonach die Vereinbarung, sexuelle Handlungen gegen Entgelt vorzunehmen, eine »rechtswirksame Forderung« begründet. Von einer weit verbreiteten Meinung wurde dies als »Abschaffung« der Sittenwidrigkeit verstanden,|5 andere sind bis heute der Auffassung, dass das Prostitutionsgesetz an der Sittenwidrigkeit nichts geändert habe.|6
Die wichtigste Veränderung, die sich durch das Prostitutionsgesetz ergeben hat, besteht somit darin, dass durch die Abschaffung des Straftatbestandes der »Förderung der Prostitution« das Führen eines Bordells mit angenehmen Arbeitsbedingungen für den Bordellbetreiber nicht mehr strafbar ist. Ausbeutung von Prostituierten, Zuhälterei, mit der Prostituierte in Abhängigkeit gehalten oder ausgebeutet werden, und erst recht Zwangsprostitution waren und sind strafbar (§ 181 a StGB, §§ 232 ff. StGB). Wer das Prostitutionsgesetz kritisiert und die Entwicklung zurückdrehen will, plädiert für die Abschaffung der seit 2002 möglichen und von einigen Bordellbetreiberinnen geschaffenen guten Arbeitsbedingungen in der Prostitution.
Es ist zwar richtig, dass das Betreiben eines Bordells durch die strafrechtlichen Änderungen des Prostitutionsgesetzes erstmals legalisiert wurde. Vorher waren nur sogenannte Laufhäuser oder Eroscenter mit einer reinen Zimmervermietung an Prostituierte straffrei; jeder »normale« Bordellbetrieb erfüllte den Straftatbestand der Förderung der Prostitution (§ 180 a Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F.). Wie wir aber alle wissen, wurde auch vor Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes gegen Bordellbetriebe als solche nicht vorgegangen. Das Betreiben eines Bordells war zwar strafbar. Gegen Bordellbetreiber wurde jedoch nur vorgegangen, wenn Ausbeutung, Zwang, Verstöße gegen Ausländerrecht oder Ähnliches hinzukam. Die Rotlichtbezirke der deutschen Städte sind nicht erst nach Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes entstanden.
Es ist auch ein Irrtum, dass mit dem Prostitutionsgesetz eine Deregulierung der Bordellbetriebe einhergegangen wäre. Das Gegenteil ist der Fall: Nachdem das Führen eines Bordells legalisiert worden war, haben die kommunalen Bauämter die Bordelle entdeckt und eine Regulierung in bauplanungsrechtlicher Hinsicht begonnen. Vor Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes war eine Gewerbeanmeldung unter der Verbrämung »Zimmervermietung« beim Gewerbeamt in der Regel ausreichend. Wenn nicht Besonderheiten (Beschwerden von Nachbarn oder nach Außen ganz offensichtliche Unvereinbarkeit mit dem Baugebiet) vorlagen, haben sich die Bauämter um diese Betriebe nicht gekümmert, obwohl sie auch vor Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes dafür zuständig gewesen wären.
Seit Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes sind die nun legalen Betriebe in den Focus der Bauämter gerückt. Bau(nutzungs)genehmigungen nach den Maßstäben der BauNVO werden verlangt und nicht erteilt. Altbetrieben, die seit Jahrzehnten unbehelligt ohne eine solche Genehmigung wirtschaften konnten, wurde die Nutzung untersagt, weil sie gebietsunverträglich seien. Neubetriebe können nicht beginnen, ohne zuvor die entsprechende Genehmigung der Baubehörde einzuholen bzw. ein Genehmigungsfreistellungsverfahren durchzuführen. So reguliert z.B. die Stadt Stuttgart die Prostitution in Wohnungen und Gebäuden nicht etwa über eine Sperrgebietsverordnung sondern allein über das Bauplanungsrecht. Von einer Deregulierung kann also keine Rede sein.
Wenn dennoch in den letzten zehn Jahren Armutsprostitution aus einzelnen EU-Ländern oder Menschenhandel in Deutschland zugenommen haben sollten,|7 dann liegt das nicht am Prostitutionsgesetz, sondern am wirtschaftlichen Gefälle zwischen Deutschland und einigen EU-Ländern und anderen Staaten. Das mag auch daran liegen, dass Bürgern und Bürgerinnen aus Bulgarien und Rumänien bis Ende 2103 Freizügigkeit nur für selbständige Tätigkeiten gewährt wurde. Da die einzelne Prostituierte nach herrschender Meinung kein Gewerbe anmelden muss, ist die Prostitution ein Bereich, in denen man ohne jede weitere Voraussetzung selbständig tätig sein kann. Einfache Tätigkeiten in anderen Bereichen können in der Regel nur sozialversicherungspflichtig ausgeübt werden. Zu diesen Tätigkeiten war den neuen EU-Bürgerinnen der Zugang bis Ende 2013 verschlossen.
Ein Gutes hat die Debatte jedoch: Sie könnte dazu beitragen, das Prostitutionsgesetz weiterzuentwickeln. Das Prostitutionsgesetz war ein Anfang und ein Kompromiss innerhalb der damaligen rot-grünen Bundesregierung. Zehn Jahre Praxis verdienen eine genaue Betrachtung und man kann daraus lernen. Eine sinnvolle Weiterentwicklung wird allerdings nur gelingen, wenn der Gesetzgeber bereit ist, Prostitution nicht mit Menschenhandel gleichzusetzen und Frauen, die in der Prostitution arbeiten wollen, nicht von vorne herein die (Menschen)Würde abzusprechen, frei darüber zu entscheiden.
Alice Schwarzer und die Unterzeichner des Appells gegen Prostitution behaupten, »das System Prostitution« verletze die Menschenwürde von Männern und Frauen und zwar auch »die der sogenannten ‚freiwillig‘ Prostituierten«. Mit dieser arroganten Haltung, die sich aus dem wohl situierten Bildungsbürgertum heraus leicht vertreten lässt, schaden die angeblich Wohlmeinenden den Frauen, die in der Prostitution arbeiten wollen. Prof. Dr. Margot Käßmann|8 könnten die von dem Appell betroffenen Frauen in Abwandlung des kürzlich in deutschen Zeitungen abgebildeten Spruchs einer französischen Prostituierten entgegen halten: »Prostituierte ohne Arbeit suchen Anstellung bei der evangelischen Kirche«. (i.O.: »Putes sans clients cherchent poste au gouvernement. La politique est un bordel!«)
Wie geht es nun weiter? In der beliebten Vermischung von Prostitution und Menschenhandel hat das Thema Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden. In dem Kapitel »Zusammenhalt der Gesellschaft« werden unter der Überschrift »Menschenhandel und Prostitutionsstätten« Maßnahmen im Zusammenhang mit Menschenhandel angekündigt. Mitten im Text, der sich sonst nur mit Menschenhandel befasst, wird in einem Satz die Überarbeitung des Prostitutionsgesetzes angekündigt.|9 Man darf gespannt sein, ob dies als Basis für eine sinnvolle Überarbeitung des Prostitutionsgesetzes in der 18. Legislaturperiode ausreicht.
Der Gesetzgeber der 17. Legislaturperiode hatte es sich leicht gemacht. Mit einer Ergänzung von § 38 GewO sollten Prostitutionsstätten kurz vor Schluss der 17. Legislaturperiode in die Liste der überwachungsbedürftigen Gewerbe aufgenommen werden. Gleichzeitig sollten die Gewerbeämter die Möglichkeit erhalten, den Betrieb eines Bordells von Auflagen abhängig zu machen, »soweit dies zum Schutz der Allgemeinheit, der Kunden, der Prostituierten oder der Bewohner des Betriebsgrundstücks oder der Nachbargrundstücke vor Gefahren, erheblichen Nachteilen oder erheblichen Belästigungen erforderlich ist.«|10 Obwohl sich alle Sachverständigen gegen den Gesetzesentwurf ausgesprochen hatten,|11 wurde er zunächst mit der Regierungsmehrheit vom Bundestag beschlossen, scheiterte dann aber im Bundesrat.
Die Idee, bordellartige Betriebe gewerberechtlich stärker zu kontrollieren ist im Grundsatz vernünftig. Die geplante Neuregelung war aber problematisch, weil es allein den Gewerbeämtern und in der Folge den Verwaltungsgerichten überlassen gewesen wäre, zu entscheiden, was zum Schutz der Allgemeinheit, der Kunden und der Prostituierten erforderlich ist und was nicht. Wenn der Gesetzgeber sich für eine beschäftigten-, kunden- und nachbarfreundliche Prostitutionsausübung einsetzen will, kommt er nicht umhin, Parameter dazu festzulegen, wie dies aussehen soll. Voraussetzung dafür ist, dass der Gesetzgeber sich nicht nur mit Hilfsorganisationen, Polizei und Rechtsexperten, sondern auch mit den betroffenen Prostituierten zusammensetzt. Eine gewerberechtliche Regelung ist überfällig, sie wird aber nur praktikabel sein, wenn alle »Stakeholder« - und dazu gehören zuallererst die Prostituierten - in die Entwicklung einbezogen werden. Dabei darf nicht übersehen werden, dass in einzelnen Bundesländern im Bereich der Gewerbeämter weiterhin Widerstand gegen das nun seit 10 Jahren existierende Prostitutionsgesetz geübt wird. So dürfen bis heute in den Bundesländern Bremen, Baden-Württemberg, Bayern, Thüringen und Sachsen Bordellbetreiber kein Gewerbe anmelden, weil dort die Tätigkeit nicht als Gewerbe anerkannt ist. Diese Bundesländer verweigern also zurzeit jegliche gewerberechtliche Überwachung. Eine gewerberechtliche Regelung, an der niemand mehr vorbeikommt, wäre für diese Länder ein großer Schritt. Der Gesetzgeber sollte sich also frühzeitig auf den Weg machen.
Ein weiteres Thema der Großen Koalition ist die Bestrafung der Kunden von Prostituierten, die Opfer von Menschenhandel sind. Hierzu kann man rechtsstaatliche Überlegungen anstellen, die gegen einen solchen neuen Straftatbestand sprechen.|12 Entscheidend ist jedoch, dass diese Maßnahme die Gefahr birgt, sich gegen die Frauen zu richten, die man eigentlich schützen möchte. Frauen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind, würden bei einer solchen Gesetzeslage nur noch auf Kunden treffen, die sich strafbar machen – Kriminelle also. Der Gedanke, man könne die Frauen schützen, indem man ihre Kunden zu Kriminellen macht, scheint blauäugig und wenig realitätsnah. Zum einen würde die Situation dazu führen, dass Frauen sich hüten müssten, ihre Zwangslage einem Freier zu offenbaren, um unkontrollierbare Situationen zu vermeiden, wenn der Kunde darauf gestoßen wird, dass er sich gerade strafbar macht. Man muss nicht an das Mordmerkmal »um eine andere Straftat zu verdecken« denken, wenn man sich vorstellt, was die angestrebte Freierbestrafung an Drohpotential und Repressalien vom Freier gegen eine Prostituierte hervorbringen kann, wenn es darum geht, dass der Besuch bei dem Opfer von Menschenhandel nicht bekannt werden darf. Während der Proteste gegen das neue Prostitutionsrecht in Frankreich wurde genau dies kritisiert: »Clients pénalisés = putes assassinées!«
Die Politiker machen es sich zu leicht, wenn sie meinen, mit Freierbestrafung Einfluss auf Menschenhandel und Zwangsprostitution nehmen zu können. Viel effektiver wäre es, ausreichende Mittel für Beratungsstellen zur Verfügung zu stellen, die den Frauen dabei helfen können, aus der Zwangsituation herauszufinden. Die betroffenen Frauen brauchen eine Perspektive, die darüber hinausgeht, dass alle um sie herum – Menschenhändler und Freier – mithilfe ihrer Aussage einer Bestrafung zugeführt werden. Wer den Frauen wirklich helfen will, muss Geld in die Hand nehmen – mehr Strafrecht ist hier fehl am Platze.
Dr. Margarete von Galen arbeitet als Rechtsanwältin in Berlin. Sie war Geschäftsführerin des Organisationsbüros und 2004 bis 2009 Präsidentin der Berliner Rechtsanwaltskammer. Sie ist Mitglied in der Vereinigung Berliner Strafverteidiger e.V..
Anmerkungen:
1 : Der Spiegel Nr. 22 v. 27.05.2013
2 : RGBl. 1927, I S. 61 ff.
3 : Bundestagsdrucksache 14/5958 S. 5
4 : Vgl. BGBl. 2001, I, S. 3983 ff.
5 : Vgl. v. Galen, Rechtsfragen der Prostitution Rn 32 ff., MK-Armbrüster § 1 ProstG Rn 19
6 : Ellenberger in Palandt 2013, § 138 BGB, Rn 52
7 : Belastbare Zahlen scheint es zu dieser Frage nicht zu geben.
8 : Unterzeichnerin des Apells gegen Prostitution
9 : Koalitionsvertrag Seite 104
10 : Art. 2 des Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung des Menschenhandels und Überwachung von Prostitutionsstätten, Bundestagsdr. 17/13706 S. 4
11 : Anhörung des Rechtsausschusses am 24.06.2013, www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2013/45426181_kw26_pa_recht_bordelle/index.html 12 : Vgl. Mitteilung der Strafverteidigervereinigungen v. 13.12.2013 (http://www.strafverteidigertag.de/Material/Pressemitteilungen/prostitution_dez2013.htm)
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