Strafverteidigertag Rechtspolitik

Kein Respekt vor der Uniform

Kurz bevor die Legislaturperiode zu Ende geht, haben auch die Polizeigewerkschaften noch eine Schutzlücke anzumelden, die dringend geschlossen gehört. Es ist ihr Lieblingsthema: Die angeblich zunehmende Respekt-losigkeit gegenüber Polizeibeamten, die sich in Angriffen und Straftaten gegen die Vollstreckungsbeamten Ausdruck verschaffe. Dahinter verbirgt sich ganz unverhohlen der Wunsch nach einem starken Staat, meint Angela Furmaniak.

 

Seit Jahren machen sich die Interessenvertreter der Polizei stark für eine Änderung und Ausweitung insbesondere der §§ 113 StGB ff und 125, 125a StGB|1 und ihre Hartnäckigkeit wird aller Voraussicht nach noch vor den Wahlen belohnt. Die Bundesregierung hat einen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften vorgelegt, der die Forderungen der polizeilichen Interessenvertreter weitgehend übernimmt. In einer lesenswerten und überzeugenden Stellungnahme hat sich der Strafrechtsausschuss des DAV bereits kritisch mit den geplanten Neuregelungen befasst.|2 An dieser Stelle sollen deshalb nur die wesentlichen Kernpunkte betrachtet werden.

So sollen die Regelbeispiele des § 113 Abs. 2 StGB erweitert werden. Wenn jemand bei der Begehung einer Widerstandshandlung eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, soll es für die Strafbarkeit künftig nicht mehr erforderlich sein, dass er beabsichtigt, diese bei der Tat zu verwenden. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs soll damit die durch Waffen oder gefährliche Werkzeuge abstrakt erhöhte potentielle Gefahr der Rechtsgutverletzung adäquat bestraft werden, unabhängig davon, ob eine körperliche bzw. tatsächliche Konfrontation mit einer anderen Person beabsichtigt ist.|3 Ausdrücklich bezieht sich der Entwurf dabei auf die erhöhte Strafandrohung in § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB (Diebstahl mit Waffen). Dabei wird ignoriert, dass das genannte Tatbestandsmerkmal in § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB in der Praxis zu erheblichen Auslegungsschwierigkeiten und deshalb zu viel Kritik auch in der Rechtsprechung führt.
Zudem soll der Katalog der Regelbeispiele erweitert werden um den Fall der gemeinschaftlichen Tatbegehung, da dadurch die Gefahr für die betroffenen Polizistinnen und Polizisten erheblich erhöht sein soll.|4

Als Kernstück der gesetzlichen Neuregelung soll ein neuer § 114 StGB geschaffen werden, der einen tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte unter Strafe stellt. Diese Tatbegehungsform soll aus dem bisherigen § 113 StGB herausgelöst und im neuen § 114 StGB als selbstständiger Straftatbestand mit erhöhtem Strafrahmen (Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren) ausgestaltet werden. Dabei verzichtet der neue Straftatbestand auf den bisher erforderlichen Bezug zu einer Vollstreckungshandlung. Künftig sollen auch schon tätliche Angriffe auf Polizisten, die lediglich allgemeine Diensthandlungen wie Streifenfahrten oder -gänge, Befragung von Straßenpassanten, Radarüberwachungen, Reifenkontrollen, Unfallaufnahmen und bloße Ermittlungshandlungen vornehmen, unter Strafe gestellt werden.|5 Da ein tätlicher Angriff keinen Körperverletzungserfolg voraussetzt, genügt somit bereits das Schubsen eines Polizeibeamten, um zu einer Mindestfreiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt zu werden. Nach der ursprünglichen Intention des Gesetzgebers stellte § 113 in der Grundversion des Abs. 1 einen privilegierenden Sonderfall des Nötigungsverbots dar, denn er senkte den Sanktionsspielraum gegenüber § 240 um ein Drittel ab. Damit sollte Taten eines Bürgers, die in einer affektiv stark besetzten Situation, wie sie die Konfrontation mit Polizeibeamten darstellt, die eine Vollstreckungshandlung begehen, mit besonderer Nachsicht begegnet werden.|6 Von diesem liberalen Verständnis ist nun nichts mehr übrig. Der neue § 114 erweist sich als Sondertatbestand, der zugunsten von Polizeibeamten eine opferbezogene Differenzierung auf der Tatbestandsebene vornimmt. Obwohl die körperliche Unversehrtheit aller Personen ausnahmslos geschützt werden soll, können nur bestimmte Personen Geschädigte des neuen § 114 StGB werden. Eine rechtlich nachvollziehbare und mit dem Gleichheitsgrundsatz zu vereinbarende Notwendigkeit einer solchen Differenzierung ist nicht ersichtlich. Der Wunsch nach einer symbolischen Gesetzgebung reicht als Rechtfertigung nicht aus.|7

Begründet wird die Notwendigkeit einer Gesetzesänderung mit einem Verweis auf die Polizeiliche Kriminalstatistik, die angeblich in den letzten Jahren eine gestiegene Zahl von Straftaten gegen Polizisten ausweise. Dabei wird davon ausgegangen, dass Angriffe auf Vollstreckungsbeamte sowie Rettungskräfte diese nicht nur als Individualpersonen, sondern als Repräsentanten der staatlichen Gewalt träfen.|8 Ziel des Gesetzentwurfs ist somit neben dem individuellen Schutz von Polizisten die Steigerung der staatlichen Autorität. Diesem Ziel liegt ein Verständnis des Verhältnisses von staatlicher Gewalt zum Individuum zugrunde, das durchaus problematisch ist. Die Gewerkschaft der Polizei formuliert das in einer Stellungnahme vom 25. März 2015 so:
»Vor vielen Jahren schützte die Uniform den Polizeibeamten, denn sie verlieh Autorität und stellte so klar, wer das Sagen hat, auf der Straße, in jedem Einsatz.«|9

In diesem Bedauern des angeblichen Ansehensverlusts der Polizei schwingt die unverhohle Sehnsucht nach einem starken und autoritären Staat mit, dessen Exekutive gegenüber dem als potentiellen Unruhestifter verstandenen Bürger besonders geschützt werden muss. Tatsächlich ignoriert diese Haltung alle gesellschaftlichen Entwicklungen und Verwerfungen der letzten Jahre, die zu einer zunehmenden Entfremdung zwischen Bürgern und Polizei geführt haben und die Grundlage jener Konflikte sind, um die es geht.|10 Eine kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten, mit einem überkommenen Rollenverständnis und mit den Anforderungen einer sich wandelnden Gesellschaft an die polizeiliche Arbeit findet nicht statt. In der Ausweitung von Straftatbeständen und einer erhöhten Strafandrohung die Lösung für die sich verschärfenden gesellschaftlichen Konflikte zu suchen, ist verfehlt und redet solchen gesellschaftlichen Strömungen das Wort, die einen autoritären Staat mit einem starken Mann für ein erstrebenswertes Ziel halten.

Bei Geschehensabläufen, die in Widerstandshandlungen enden, handelt es sich in aller Regel um komplexe Konfliktsituationen, die meist auf beiden Seiten mit gewaltsamen Mitteln ausgetragen werden. Für die Polizei schafft § 113 StGB in dieser Interaktion die Möglichkeit, Folgsamkeit zu erzwingen und eigene Gewaltanwendung auch im Nachhinein zu legitimieren.|11 Durch die weite Fassung des neuen § 114 StGB erhöht sich diese Gefahr noch deutlich.|12 Dieser Umstand ist umso problematischer als seit Jahren von Bürgerrechtsbewegungen und Kriminologen Kritik am Umgang der Polizei mit Gewalt aus den eigenen Reihen geäußert wird. Schon 2010 kam amnesty international im Bericht »Täter unbekannt« zu dem Ergebnis, dass u.a. die fehlende Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte, nicht vorhandene unabhängige Beschwerdestellen sowie die nur unzureichende Unabhängigkeit und Unparteilichkeit polizeilicher Ermittlungen in Fällen von angezeigter Polizeigewalt dazu führen, dass es nur in seltenen Fällen zu strafrechtlichen Verurteilungen kommt.|13 [mehr dazu in FREISPRUCH, Heft 6, Februar 2015] Hinzu kommt, dass Betroffene, die nach polizeilichen Übergriffen Strafanzeige erstatten, in aller Regel mit einer Gegenanzeige wegen Widerstands gem. § 113 StGB rechnen müssen.|14 Hier kommt der Polizei eine nahezu vollständige Definitionsmacht zu. Mangels Sachbeweisen liegt in solchen Verfahren oftmals eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vor, wobei zumeist den Angaben der Polizeibeamten Glauben geschenkt wird, da diese als neutral und objektiv gelten. Dies ist allerdings in Verfahren nach § 113 StGB gerade nicht der Fall.|15

Wer immer das Recht hat, neues materielles Recht zu setzen, hat damit auch die Macht, gesellschaftliche Zielsetzungen zu ändern.|16 Die Änderungen der §§ 113 bis 115 StGB und 125 und 125a StGB machen dies deutlich. Mit ihnen findet eine Verschiebung des Verhältnisses von staatlicher Macht und bürgerlichen Freiheitsrechten statt hin zu einer Ausweitung staatlicher Autorität. Insofern reiht sich das neue Gesetz ein in die derzeit in ganz Europa und darüber hinaus zu beobachtende Entwicklung einer zunehmenden Entdemokratisierung.

Angela Furmaniak ist Mitglied im Vorstand der Vereinigung Baden-Württembergischer Strafverteidiger und aktiv in der AG Fanrechte.

Anmerkungen:

1 : https://www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/de_gdp_fordert_115_gegen_uebergriffe_auf_polizisten
2 : Stellungnahme des Ausschuss Strafrecht im DAV zu den geplanten Änderungen der §§ 113 bis 115, 125, 125a StGB, Januar 2017 (Stellungnahme Nr. : 5/17)
3 : Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs – Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften, Stand 30.01.2017, S.8
4 : Referentenentwurf, a.a.O. , S.8
5 : Referentenentwurf, a.a.O, S. 9
6 : Paeffgen in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 4. Auflage 2013, § 113, Rdnr. 3
7 : DAV-Stellungnahme Nr.: 5/17, S. 8
8 : Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs – Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften, Stand 30.01.2017
9 : https://www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/de_gdp_fordert_115_gegen_uebergriffe_auf_polizisten
10 : »Respekt entsteht nicht durch Drohungen«, Tobias Singelnstein, SZ online, 02.02.2017
11 : DAV-Stellungnahme Nr. 5/17, S. 7
12 : »Respekt entsteht nicht durch Drohungen«, Tobias Singelnstein, SZ online, 02.02.2017
13 : http://www.amnestypolizei.de/sites/default/files/imce/pfds/Polizeibericht-internet.pdf
14 : Singelnstein/Puschke, NJW 2011, 3477 m.w.N.
15 : Singelnstein/Puschke, NJW 2011, 3477 m.w.N.
16 : Otto Kirchheimer, Politische Justiz in: Politik und Verfassung, edition suhrkamp 95, S. 97

Angela Furmaniak: Kein Respekt vor der Uniform, in: Freispruch, Heft 10, März 2017

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