Rettet den Wald!

Warum die »Reform« von Nr. 7000 VV RVG rückgängig gemacht werden muss - im Sinne der Verteidigung und des Waldes - erklären Björn Elberling und Martin Schaar.

Dr. Björn Elberling / Dr. Martin Schaar: Rettet den Walt! Zu Nr. 7000 VV RVG, in: Freispruch, Heft 7, September 2015, S. 4-5

Seit 2012 arbeitet das Justizministerium an der Einführung der elektronischen Akte im Strafverfahren, im September 2014 wurde ein Referentenentwurf eines entsprechenden Gesetzes vorgestellt.|1 Während die Einführung der elektronischen Akte in der Justiz noch einige Zeit auf sich warten lassen wird, arbeiten viele StrafverteidigerInnen bereits jetzt mit der elektronischen Akte, indem sie die von der Staatsanwaltschaft übersandten Papierberge zur leichteren Bearbeitung einscannen bzw. einscannen lassen. Bisher bestand unter den Gerichten weitgehend Einigkeit, dass diese Arbeit als Anfertigung von »Ablichtungen« i.S.d. Nr. 7000 VV RVG erstattungsfähig war.|2

Dies dürfte sich nach der RVG-Reform 2013 leider ändern. Denn dort wurde die Norm dahingehend geändert, dass nunmehr statt »Ablichtungen und Ausdrucken« nur »Kopien und Ausdrucke« erstattungsfähig sind, wobei der Gesetzgeber deutlich gemacht hat, dass mit »Kopien« in Zukunft nur körperliche Kopien gemeint sind. Für StrafverteidigerInnen, die mit elektronischen Aktenkopien arbeiten, bedeutet dies, dass ein ganz erheblicher technischer und personeller Aufwand in Zukunft schlicht nicht erstattet wird. Die Rückkehr zu Papierkopien ist keine wirkliche Alternative. Denn jedenfalls in Großverfahren mit Dutzenden bis Hunderten Bänden Akten sind Papierkopien nicht ansatzweise vernünftig handhabbar. Dies war ja gerade der Grund, dass viele VerteidigerInnen zu elektronischen Aktenkopien übergegangen sind. In unserem Büro etwa, wo fünf Strafverteidiger tätig sind, werden im Jahr über 120.000 Blatt Akten gescannt, was wahlweise bei Beibehaltung elektronischer Scans zwei bis vier nicht vergüteten Arbeitsstunden pro Tag, bei Rückkehr zur Papierkopie dem Gegenwert eines mittleren Baumes entspricht.

Begründung und zu erwartende Auslegung

Eine Begründung für diese – dem allgemeinen Trend zur elektronischen Akte vollständig entgegenstehende – Änderung bleibt der Gesetzgeber schuldig. Es spricht auch einiges dafür, dass ihm gar nicht ganz bewusst war, was er da änderte. Denn es findet sich in den Materialien zwar eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Begriffen »Ablichtung« und »Kopie«, die deutlich macht, dass der Gesetzgeber unter »Kopie« keine Scans verstanden wissen will – diese findet sich allerdings im Rahmen der Erläuterungen zu § 11 GNotKG über das Zurückbehaltungsrecht von NotarInnen an Urkunden bis zur Zahlung der Kosten.|3 Dass man hier ein Zurückbehaltungsrecht auch an eingescannten Urkunden ausschließen wollte, erscheint nachvollziehbar. Nun ist die Interessenlage bei Nr. 7000 VV RVG natürlich eine ganz andere – aber der Gesetzgeber verweist insoweit schlicht und ohne weitere Erklärungen auf die Ausführungen zu § 11 GNotKG.|4 Es entsteht der Verdacht, dass hier das Bedürfnis nach einer möglichst einheitlichen Terminologie dazu geführt hat, dass versehentlich ganz verschiedene Fälle einheitlich behandelt werden.

Angesichts dieser Gesetzgebungsgeschichte erscheint es jedenfalls gut vertretbar, trotz des eindeutigen Wortlautes der neuen Fassung dieser auch weiterhin »elektronische Kopien« zu subsumieren.|5 Zu dieser einheitlichen Auffassung gelangten auch die GebührenreferentInnen der Rechtsanwaltskammern auf ihrer 68. Tagung am 29. März 2014. Auch der dort anwesende zuständige Referent im Justizministerium, der auch für das Gesetzgebungsverfahren zuständig gewesen war, war insoweit einverstanden.

Allerdings ist zu erwarten, dass viele Gerichte – schon angesichts fiskalischer Erwägungen und unter den wachsamen Augen der BezirksrevisorInnen – anders entscheiden werden. So hat etwa das OLG Schleswig im März 2015 (nach unserer Kenntnis als erstes Oberlandesgericht) zu Nr. 7000 VV RVG Stellung genommen.|6 Dem OLG zu Folge schließt die Regelung nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte eindeutig elektronische Kopien aus und ist daher auch so auszulegen. Die geltend gemachten Bedenken an der so ausgelegten Regelung teilt der Senat, sieht sich aber angesichts der Notwendigkeit klarer Regelungen in den Nrn. 7000 ff. und des Grundsatzes, dass »allgemeine Geschäftskosten« nicht erstattet werden,|7 an den Wortlaut gebunden. Ein Verfassungsverstoß liege, gerade angesichts der Tendenz zur Pauschalierung im Kostenrecht, nicht vor. Unsere Verfassungsbeschwerde gegen diese Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht ohne nähere Begründung nicht zur Entscheidung angenommen.|8

Was bleibt?

Was bleibt? Klar scheint, dass eine rechtssichere Lösung des hier aufgezeigten Problems auf Dauer nur durch eine erneute Reform der Nr. 7000 VV RVG zu erreichen sein wird. Insofern sind die Berufsvereinigungen aufgerufen, Lobbyarbeit zu betreiben.

Und in der Zwischenzeit? Wie der Titel dieses Beitrags deutlich macht, plädieren wir nicht dafür, zur Papierkopie zurückkehren. Auch die wohl eher scherzhaft gemeinte Ankündigung einiger KollegInnen, dann halt die einmal eingescannten Akten noch einmal auszudrucken, dürfte nicht weit führen, ist doch ein solcher »Abrechnungsausdruck« wohl nicht »zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten« i.S.d. Nr. 7000 Nr. 1 a) VV RVG und damit nicht abrechnungsfähig. In Wahlmandaten besteht die Möglichkeit, eine konkrete Verabredung mit der Mandantschaft über die Vergütung von Aktenscans zu treffen – was aber natürlich einen ziemlich kleinlichen Eindruck vermitteln kann...

Wird die digitale Kopie (auch) deswegen angefertigt, um dem Mandanten eine Kopie per EMail oder DVD zur Verfügung zu stellen, kann hierfür nach Abs. 2 der Anmerkung zu Nr. 7000 VV RVG eine Vergütung nach den üblichen Sätzen verlangt werden mit dem Argument, dass »zum Zweck der Überlassung von elektronisch gespeicherten Dateien Dokumente im Einverständnis mit dem Auftraggeber zuvor von der Papierform in die elektronische Form übertragen« wurden. Es empfiehlt sich daher, dies bei Mandatsübernahme mit der Mandantin bzw. dem Mandanten zu besprechen. Allerdings ist auch hier nicht auszuschließen, dass den BezirksrevisorInnen und ihnen folgend den Gerichten eine »kostensparende« anderslautende Auslegung einfällt.|9

Schließlich können natürlich VerteidigerInnen aus den OLG-Bezirken, in denen noch keine obergerichtliche Entscheidung zu Nr. 7000 ergangen ist, versuchen, unter Verweis auf die oben dargestellten Auslegungsregeln eine Erstattung auch von elektronischen Aktenkopien zu erreichen. Um sich nicht dem Verdacht eines Betrugsversuchs auszusetzen, sollten dabei die Auslagen eindeutig als »elektronische Kopien« und/oder »Aktenscans« gekennzeichnet werden.

Dr. Björn Elberling und Dr. Martin Schaar arbeiten als Strafverteidiger in Kiel und sind Mitglieder der Schleswig-Holsteinischen Strafverteidigervereinigung e.V..

Anmerkungen :

1 : http://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/Gesetze/RefE_ElektronAkteStrafsachen.pdf?__blob=publicationFile 2 : So etwa OLG Bamberg, Beschl. v. 26. 6. 2006, 1 Ws 261/06; LG Dortmund, Beschl. v. 16.12.2009, 36 Qs 112/09.
3 : BT-Drs. 17/11471, S. 156.
4 : Ebenda, S. 284.
5 : Diese Auslegung haben wir in StraFo 2014, 195 ausführlich begründet, Meyer, JurBüro 2014, 127 sieht das ähnlich.
6 : OLG Schleswig, Beschluss vom 05.03.2015, 2 Ws 64/15 (42/15), nicht veröffentlicht.
7 : Vorb. 7 VV RVG.
8 : Beschluss vom 05.05.2015, 1 BvR 814/15.
9 : Näher zu den möglichen Auslegungen insoweit StraFo 2014, 196-197.
19 : Köhnken, Fehlerquellen in aussagepsychologischen Gutachten, in Deckers/Köhnken, Die Erhebung von Zeugenaussagen im Strafprozess, 2007

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