Strafverteidigertag Rechtspolitik

Dürfen die das?

Viele Strafverteidiger*innen lehnen das Institut der Nebenklage grundsätzlich ab - und treten dennoch immer wieder als Nebeklagevertreter auf. Doris Dierbach vertritt einen Nebenkläger im Münchener NSU-Prozess. Warum sie das tut und die erweiterten Rechte der Nebenklage im Strafverfahren dennoch kritisch sieht, erklärt sie hier.

 

Während noch in den 50er Jahren das Bild des Anwalts als »Organ der Rechtspflege« im Vordergrund stand und das Strafrecht zugleich als Schmuddelkind der anwaltlichen Arbeit galt, entwickelte sich in den späten 60er und 70er Jahren das Bild des »linken Strafverteidigers«, das vor allem durch eine dezidiert politische Sichtweise der Verteidigeraufgaben geprägt war und einherging mit einer selbstbewussten und offensiven Inanspruchnahme prozessualer Rechte. Der von Seiten der Justiz so gescholtene »Konfliktverteidiger« war geboren und hatte mit allerlei Widerständen – durchaus auch aus eigenen Reihen| – zu kämpfen.
Im Laufe der Jahre wurden nacheinander aber auch überschneidend intensive Diskussionen mit ganz unterschiedlichen Ergebnissen geführt über die Frage, ob »man« als (linker) Strafverteidiger eigentlich Sexualstraftäter, Drogenhändler, Nazis o.a. vertreten dürfe. Man sieht daran, dass unter den sich als Strafverteidigern verstehenden Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten nicht nur die Definition eigenen Tuns, sondern auch die Abgrenzung gegenüber jenen, die ihre Rolle nach Auffassung eines Teils dieser Gruppe nicht »richtig« verstanden, wichtig war.

Eine Diskussion über die Rolle des Nebenklägervertreters und dessen Selbstverständnis hingegen fand kaum statt. Die Nebenklägervertreter – oder öfter die Nebenklägervertreterinnen – wurden in der Kollegenschaft halb mitleidig, halb herablassend belächelt, wenn nicht verachtet in der Selbstgewissheit, als Verteidiger immer auf der richtigen Seite zu stehen, während die Nebenklage als eine Art Vertretung des Bösen betrachtet wurde.

Dass es gar nicht so einfach war und bis heute ist, als Strafverteidiger auf der »richtigen« Seite zu stehen, macht die Erinnerung an die Diskussionen deutlich, in denen die Verteidigung eines »Vergewaltigers« (diese unterfielen zeitweise in manchen politischen Kreisen aus grundsätzlichen Erwägungen nicht der Unschuldsvermutung) oder später eines »Drogenhändlers« (für die das gleiche galt) als »No-Go« galt. Auch heute gibt es dem Vernehmen nach noch Kanzleien, in denen die Verteidigung von der Vergewaltigung Beschuldigten als »verboten« im Sinne einer kanzleiinternen Absprache gilt, in anderen Kanzleien werden grundsätzlich keine wegen rechtsextremistischer Taten Beschuldigten verteidigt; wieder andere Kollegen lehnen es ab, beim Vorwurf von Straftaten in Zusammenhang mit kindlichen Geschädigten zu verteidigen; manche lehnen Fälle aus dem Wirtschaftsstrafrecht prinzipiell ab; sich selbst so verstehende Wirtschaftsstrafverteidiger wollen demgegenüber mitunter auf keinen Fall im Zusammenhang mit »gewöhnlichen« Kriminalfällen auffallen usw..

Die »Strafverteidigerszene« ist hinsichtlich ihres Selbstverständnisses eben mitnichten homogen, auch nicht bezogen – oder beschränkt – auf die Mitglieder der Strafverteidigervereinigungen. Vielmehr definiert letztlich jede/r für sich, ob grundsätzlich jedes Mandat übernommen wird oder ob bestimmte Deliktsbereiche ausklammert werden.

Wenn also bereits individuell entschieden wird, in welchem Deliktsbereich verteidigt wird und sich schon insoweit kein allgemein gültiges Dogma aufstellen lässt, stellt sich die Frage, ob die Tätigkeit als Strafverteidiger die Tätigkeit als Nebenkläger ausnahmslos verbietet, dies gar als eine Art »Policy« durch berufsständische Vereinigungen wie die Strafverteidigervereinigungen postuliert werden sollte oder darf.
Auch hierzu lohnt sich ein Blick zurück: Lange Zeit galt es gerade in der linken Anwaltschaft als absolut ehrenhaft, in strafrechtlichen Verfahren gegen Polizeibeamte wegen Verfehlungen im Rahmen polizeilicher Einsätze als Nebenkläger tätig zu sein. So fand 1988 aus Anlass des »Hamburger Kessels« ein Strafverfahren gegen führende Polizeibeamte wegen des Vorwurfs der Freiheitsberaubung zum Nachteil von etwa 800 Demonstrantinnen statt, in welchem eine Vielzahl sich als links definierender Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, von denen ein großer Teil »normalerweise« als Strafverteidiger tätig war, als Nebenklägervertreter auftraten. Die Anzahl der Nebenkläger zwang die Justiz, die Hauptverhandlung, die mit einer Verurteilung endete, in einem Behördensaal außerhalb der Gerichte stattfinden zu lassen. Auch Strafverteidigerinnen setzten sich in dem Ermittlungsverfahren vehement für eine strafrechtliche Verfolgung der Polizeibeamten ein, deren Verhalten das Verwaltungsgericht als rechtswidrig beurteilt hatte.
In dem berühmten Verfahren um den Brand in einer Asylbewerberunterkunft in der Lübecker Hafenstrasse 1998, in dem ein in der Unterkunft lebender Asylsuchender wegen Brandstiftung angeklagt und am Ende aufgrund des großen Engagements seiner Verteidigerinnen freigesprochen wurde, hielten diese rechtsradikale junge Männer aus Grevesmühlen für tatverdächtig und forderten die Staatsanwaltschaft immer wieder auf, gegen diese zu ermitteln – und setzten sich also ebenfalls massiv für die Strafverfolgung derjenigen ein, die aus Sicht der Verteidigung tatverdächtig waren.

Dies sind nur zwei der prominenteren Fälle. Immer wieder haben sich linke, sich als Strafverteidiger begreifende Kolleginnen in Verfahren gegen Polizeibeamte oder mutmaßliche Neonazis als Nebenklägervertreter betätigt. Begründet wurde dies in der Regel damit, dass es sich aus Sicht der Anwälte um Verfahren handelte, in denen die staatlichen Ermittlungsbehörden erfahrungsgemäß nicht mit demselben Aufklärungsinteresse arbeiten wie in anderen Verfahren. Es galt, in diesen Verfahren Verstöße gegen Freiheits- und Bürgerrechte seitens der Polizeibeamten, insbesondere im Rahmen von Demonstrationseinsätzen, aufzudecken und deutlich zu machen, das Grundsätze des Rechtsstaats einerseits durch die Beamten, andererseits durch die Art und Weise der geführten Ermittlungen eklatant verletzt werden. Bei Verfahren gegen mutmaßliche Neonazis ging es indessen vor allem darum aufzudecken, dass die Justiz ein ums andere Mal auf dem rechten Auge mit Blindheit geschlagen ist.

Es ging somit nicht um Verteidigung eines Beschuldigten, wohl aber um Verteidigung des Rechtsstaats. Ohne eine intensivere Auseinandersetzung mit der Rolle des Nebenklägervertreters wurde eine so verstandene Nebenklagevertretung als legitim, ja sogar notwendig erachtet, weil man davon ausging, »der Staat« habe an einer echten Aufklärung derartiger Straftaten kein Interesse.

Entzündet hat sich nun eine durchaus emotional geprägte Diskussion um die Nebenklage ausgerechnet am NSU-Prozess. Allein die Vielzahl der Nebenklägervertreter schwäche die Verteidigung. Als Verteidiger vertrete man grundsätzlich keine Nebenklage. Als Verteidiger trete man dem staatlichen Strafanspruch entgegen, in der Rolle des Nebenklägervertreters müsse man sich im Interesse der Nebenkläger für eine Bestrafung und damit für den staatlichen Strafanspruch einsetzen, das vertrage sich nicht mit dem Anspruch als Strafverteidiger.| Die Nebenklägervertreter verlagerten Ermittlungen, die durch Untersuchungsausschüsse zu leisten seien, in den Strafprozess und überfrachteten diesen damit.

Dies sind nach meiner Wahrnehmung die wesentlichen Argumente gegen die Nebenklage konkret in diesem Prozess. Nun kann in diesem Rahmen nur kursorisch auf diese Argumente eingegangen werden; dies soll aber versucht werden.

Grundsätzlich gilt für das Institut der Nebenklage das Folgende: Die Nebenklage ist eigentlich ein Fremdkörper in der Strafprozessordnung. Letztere regelt die Rechtsförmigkeit des Strafverfahrens, geführt durch den Staat gegen einen Bürger, in dessen Verlauf ein objektives Geschehen festgestellt und einer rechtlichen Bewertung, ggf. auch einer Sanktion, zugeführt werden soll.

Nach Abschaffung des Inquisitionsprozesses gilt der Strafprozess in seiner heutigen Form als Errungenschaft des modernen Rechtsstaats, in dem der Beschuldigte eine Subjektstellung erhält und nicht mehr bloßes Objekt staatlichen Handelns ist. Für die Führung dieses modernen Strafprozesses bedarf es eines Vertreters der Anklagebehörde, eines unabhängigen, die Staatsanwaltschaft und deren Ermittlungen kontrollierenden Gerichts und selbstverständlich einer starken, handlungsfähigen, weil mit wirksamen Beteiligungsrechten ausgestatteten Verteidigung. Einer weiteren Partei bedarf es nicht.

Folgerichtig widmet sich Meyer-Goßner in seiner Einleitung zum StPO-Kommentar auch nur mit dürren Worten dem Nebenkläger, der sich als »ein mit besonderen Rechten ausgestatteter Verfahrensbeteiligter der öffentlichen Klage anschließt«| und der »in der Regel [...] persönliche Genugtuung für erlittenes Unrecht durch Bestrafung des Beschuldigten« anstrebe.| Gleichzeitig ist Aufgabe des Strafprozesses, Rechtsfrieden herzustellen, und zwar »auf dem Weg des gewissenhaften Strebens nach Gerechtigkeit«.| In diesem Rahmen stellt die Nebenklage eine »umfassende Beteiligungsbefugnis für diejenigen Verletzten, die besonders schutzbedürftig erscheinen«| dar.

Bereits an diesem Postulat darf man getrost zweifeln, lässt sich hierdurch doch kaum die Nebenklagebefugnis des angeblich Beleidigten oder durch Verstöße gegen Patentgesetze Verletzten begründen (§ 395 Abs. 1 Nr 6, Abs. 3 StPO). Festzustellen ist vielmehr, dass unter dem Deckmantel des »Opferschutzes« eine faktische Einschränkung zahlreicher Verteidigungsmöglichkeiten und –rechte erfolgt ist, ohne hierdurch letztlich wirksam die Belastungen, mit denen ein durch eine Straftat Verletzter zu kämpfen hat, vermeiden oder auch nur minimieren zu können.

Beispielhaft erwähnt seien neben dem Anspruch auf Akteneinsicht hier nur die Widerspruchsmöglichkeit des Zeugen gegen die Überlassung einer Aufzeichnung seiner Vernehmung an den Verteidiger (§ 58a Abs. II,III StPO), die Möglichkeit zur Vernehmung eines Zeugen getrennt von den Verfahrensbeteiligten (§ 168e StPO), die Vernehmung kindlicher Zeugen allein durch den Vorsitzenden (§ 241a StPO), die Möglichkeit des Ausschlusses des Angeklagten gem. § 247 StPO und die Erhebung der Anklage vor dem Landgericht, um dem Zeugen Vernehmungen in verschiedenen Instanzen zu ersparen
(§ 24 Abs. I Nr. 3 GVG).

Von besonderer Bedeutung ist auch, dass der Verletzte neben den verschiedenen Möglichkeiten der Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe auch die Anwesenheit einer Vertrauensperson gem. § 406 f Abs. 2 StPO in Anspruch nehmen kann. Diesem Recht steht kein entsprechendes Pendant auf Seiten des Angeklagten gegenüber. Wenn dieser nicht das Glück hat, einen Ehegatten oder Lebenspartner gem. § 149 StPO als Beistand hinzuziehen zu können, muss er sich mit einem Verteidiger begnügen. Einen Anspruch auf psychosoziale Unterstützung hat der Angeklagte im Gegensatz zum Verletzten nicht, steht also ganz offenkundig schlechter da als dieser, was aus dem eklatanten Missverständnis herrühren dürfte, das in Fällen psychiatrischer Begutachtung des Angeklagten der psychiatrische Sachverständige auf der Seite des Angeklagten zu verorten sei.

Auch ein durch ein unter Umständen traumatisierendes Geschehen Verletzter aber bleibt im Strafprozess ein Beweismittel, dieser bleibt Zeuge und ist damit auch immer Gegenstand einer Untersuchung, die erst an ihrem Ende festzustellen hat, ob es die behauptete Straftat überhaupt gegeben hat und ob sie im Falle ihres Erwiesenseins auch dem jeweiligen Angeklagten als Täter nachzuweisen ist.

Durch die diversen Regelungen, die angeblich dem Schutz des Verletzten dienen sollen, wird nicht zuletzt die Unschuldsvermutung ausgehöhlt: Einen »Verletzten« kann es unter Beachtung der Unschuldsvermutung erst mit dem (rechtskräftigen) Abschluss des Verfahrens geben, bereits die Zuschreibung der Eigenschaft als »Verletzter« einer – erst noch festzustellenden – Tat steht in unauflöslichem Widerspruch zur Unschuldsvermutung.

Mit einer sich dauernd fortsetzenden Fortschreibung und Stärkung der Rechte des angeblich Verletzten geht also zwangsläufig eine Schwächung der Verteidigungsposition einher.

Indes ist es äußerst fraglich, ob die vom Gesetzgeber geschaffenen »Opferrechte« überhaupt geeignet sein können, die mit einem Strafverfahren für einen Geschädigten einhergehenden Belastungen unter Beibehaltung des Prinzips der Unschuldsvermutung und der Wahrheitserforschung, deren schwierigster Gegner nun einmal der Zeuge als das schlechteste aller Beweismittel ist, zu vermeiden. Jedenfalls ist festzuhalten, dass dem massiven Verlust der Rechte des Beschuldigten ein nur äußerst begrenzter Gewinn aufseiten des potentiell Verletzten gegenübersteht, wohl aber ein Verlust an Möglichkeiten der Wahrheitsfindung, weil wichtige Komponenten des kontradiktorischen Verfahrens mit der Rechtfertigung des Opferschutzes abgeschafft wurden, indem beispielsweise allein durch die Regelung des § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG das Kriterium der Aussagekonstanz faktisch nur noch eingeschränkt der Überprüfung zugänglich ist. Dass es dadurch schwieriger geworden ist, ein lügendes Opfer auch als solches zu enttarnen, liegt auf der Hand.

Die Frage ist nun, ob nach einer solchen Bestandsaufnahme, die hier rudimentär bleiben muss, die Führung der Nebenklage durch einen Strafverteidiger möglich ist. Diese Frage wird man grundsätzlich verneinen müssen.
Der konsequente Eintritt für die Rechte des Beschuldigten bedingt eine äußerst kritische Haltung gegenüber den vermeintlichen Ergebnissen der Ermittlungsbehörden, gegenüber ihren Vertretern und den eingesetzten Ermittlungsmethoden. Hieran hat ein mutmaßliches Opfer in einem »normalen« Strafverfahren häufig kein Interesse.

Als Strafverteidiger streiten wir an der Seite des Beschuldigten für dessen Rechte und ihre Stärkung, für den Zweifel, die Unschuld, letztlich für die Bürgerrechte und gegen deren fortschreitende Einschränkung durch Ausweitung der Befugnisse der Ermittlungsbehörden, für das Zurückdrängen staatlicher Macht und nichts weniger als den Rechtsstaat. Wenn wir unsere Glaubwürdigkeit nicht aufs Spiel setzen wollen, können wir nicht heute Zweifel an der Seriosität der Ermittlungen, konkret womöglich an bestimmten Ermittlern festgemacht, formulieren und diese am nächsten Tag für die Qualität ihrer Arbeit loben. Das wird nicht gehen, man kann sich nicht jeden Tag einen anderen Hut aufsetzen, will man nicht der absoluten Beliebigkeit anheimfallen.

Nun gibt es die Nebenklage aber und es ist nicht zu erwarten, dass sich an diesem Zustand in absehbarer Zeit trotz der berechtigten Forderung nach ihrer Abschaffung etwas ändert. Die Frage ist also, ob man – ausnahmsweise - unter Beibehaltung des Anspruches, den man als Strafverteidiger hat, die Nebenklage vertreten kann. Ich nehme das Ergebnis vorweg und behaupte, in einem Verfahren wie dem sog. NSU-Verfahren ist das möglich und nötig.

Zu den Kritikern der Nebenklage in diesem Verfahren ist zu bemerken, dass die reine Anzahl der Nebenklägervertreter die Position der Verteidigung nur potentiell, faktisch aber nicht schwächt. Wie es auch meiner Erfahrung als Verteidigerin entspricht, verhält sich der größte Teil der Nebenklägervertreter auch im sog. NSU-Verfahren absolut passiv, ca. 80 Prozent haben sich in diesem Verfahren außer bei der Feststellung ihrer Anwesenheit noch niemals zu Wort gemeldet.|

Dass andererseits die Aktivitäten der verbliebenen Nebenklägervertreter zu einer Verfahrensverlängerung geführt haben mag, soll nicht in Abrede gestellt werden. Allerdings standen aus Sicht der Nebenklage Yozgat die meisten der von uns gestellten Beweisanträge auch im Interesse der Verteidigung, weil sie der Aufklärung einer möglichen Verstrickung staatlicher Behörden bzw. einer Verhinderung der Aufklärung durch staatliche Behörden, konkret die Behörden des Verfassungsschutzes, dienen sollten.|

»Überfrachtung der Hauptverhandlung«?

Gerade die sich politisierenden Teile der Anwaltschaft, die sich ausdrücklich als »linke« Strafverteidiger verstanden und verstanden wissen wollten, sahen im Strafprozess der 70er Jahre gegen Angehörige der RAF auch ein politisches Forum, in dem durch die Anwälte entsprechend politische Statements abgegeben wurden und sich gegen die Begrenzung des Prozessstoffes allein auf den durch die Anklageschrift vorgegebenen Umfang gewehrt wurde.| Aus dieser Tradition entstanden Aktivitäten der Verteidigung, die auf die Aufklärung von Tatsachen abzielten, die über Aufklärung zum Tat- und Schuldvorwurf nach traditionellem Verständnis hinausgingen. Durch die Tätigkeit von Rechtsanwälten entwickelte sich die Rechtsprechung zum Agent Provocateur, zum lange Zeit nicht gesetzlich normierten Verdeckten Ermittler etc.. Rechtsanwälte verstehen sich seit langer Zeit also auch als Verteidiger des Rechtsstaats, auch im Rahmen ihrer Tätigkeit als Verteidiger gegen den staatlichen Strafanspruch, der ja mitnichten immer mit rechtsstaatlichen Mitteln durchgesetzt werden soll.

Die Aufklärung von Umständen, die Versäumnisse der Behörden betreffen, die rechtsstaatliche Defizite von staatlichen Einrichtungen wie den Verfassungsschutzämtern der Länder und des Bundes offenlegen, die einmal mehr sich mit dem unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten überaus problematischen Umgang mit V-Leuten im Allgemeinen und denen im rechtsextremistischen Milieu im Besonderen und ihrer Finanzierung durch staatliche Behörden beschäftigen, steht m.E. in absolut keinem Widerspruch zu denjenigen Standpunkten, die wir als Strafverteidiger vertreten. Ihnen kommen eine absolute Relevanz und ein absoluter Wert zu, unabhängig von unserer Position im Strafprozess. Es ist m.E. wichtig, diese Fragen in der öffentlichen Hauptverhandlung eines Strafprozesses zu erörtern, weil dieser auch die Öffentlichkeit deutlich besser erreicht als es bei Untersuchungsausschüssen der Fall ist, deren Tätigkeit für große Teile der Öffentlichkeit weder in ihrer Bedeutung noch in ihrem Inhalt verständlich ist. Für eine demokratische Auseinandersetzung, der die Öffentlichkeit des Strafprozesses auch dient, ist die Aufklärung dieser Umstände gerade im Rahmen einer strafprozessualen Hauptverhandlung von Bedeutung. Von einer Überfrachtung kann damit keine Rede sein.
Ebensowenig kann von einer unnötigen oder verfahrensfremden »Politisierung« des Strafverfahrens die Rede sein: Ein Verfahren, das u.a. die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gem. § 129a StGB zum Gegenstand hat, ist per se ein politisches Verfahren, ob man das will oder nicht.

Wird die Nebenklage so verstanden, geht damit auch keineswegs zwangsläufig ein Engagement für eine (hohe) Bestrafung der Angeklagten einher. Vielmehr gilt es, mit Mandanten – wie im Rahmen einer Verteidigung auch – ein Ziel zu definieren. Dass die Rechtsprechung dieses Ziel dergestalt definiert, dass »dem Nebenkläger Gelegenheit gegeben (werde), seine persönlichen Interessen auf Genugtuung zu verfolgen«| bedeutet nicht zwangsläufig, dass jeder Nebenkläger sein Interesse auf Genugtuung in einer möglichst hohen Bestrafung findet oder zu finden hat. Vielmehr darf der Nebenkläger im Rahmen seiner Beteiligungsrechte das Ziel seiner Nebenklage eigenständig definieren.

Verfolgt ein Mandant das Ziel, im Rahmen der Nebenklage entsprechend der Mutmaßung des Bundesverfassungsgerichts (s.o.) durch eine hohe Bestrafung Genugtuung zu erzielen, halte ich ein solches Engagement für einen Strafverteidiger für problematisch und würde selbst eine solche Vertretung ablehnen.
Zielt allerdings das Interesse des Nebenklägers – wie in dem von uns vertretenen Fall – darauf ab, kritisch die Versäumnisse der Ermittlungsbehörden zu beleuchten und zu ermitteln, inwieweit derartige Versäumnisse Taten (mit-)ermöglicht haben, so steht das nicht im Widerspruch zum Berufsverständnis des Strafverteidigers. Dies gilt umso mehr, als die von uns vertretenen Nebenkläger selbst im Fokus der Ermittlungen standen und aufgrund eines institutionellen Rassismus nicht als Hinterbliebene eines Mordopfers, sondern als potentiell Verstrickte behandelt und mit Ermittlungsmaßnahmen überzogen wurden. Die Aufklärung derartiger Missstände muss Aufgabe eines Strafprozesses sein. Sie müssen öffentlich diskutiert werden, um eine demokratische Öffentlichkeit mit ihnen zu konfrontieren und zu sensibilisieren. Hinzu kommt, dass es zwischen den (laut Angaben der Angeklagten Zschäpe) Tätern und den Opfern keinerlei Beziehung gab und die Hinterbliebenen der Opfer absolut nichts zur Überführung der Täter beitragen können, was diesen Prozess fundamental von den »üblichen« Verfahren, in denen es eine Nebenklage geben kann, unterscheidet.
Eine so verstandene Nebenklage steht meiner Überzeugung nach nicht im Widerspruch zur Tätigkeit als Strafverteidiger. Sie dient dem Rechtsstaat. Der funktionierende Rechtsstaat aber dient vor allem auch dem Schutz des Beschuldigten.

Doris Dierbach ist Strafverteidigerin und Mitglied der Hamburger Arbeitsgemeinschaft für Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger e.V.. Im Münchener NSU-Verfahren ist sie als Nebenklagevertreterin tätig.

Anmerkungen:

1 : Der DAV grenzte sich in den 70er Jahren von den sog. »RAF-Verteidigern« massiv ab und unterstützte seine Verbandsmitglieder und deren Mandanten auch dann noch nicht, als die Verteidigungsrechte massiv beschnitten wurden.

2 : Ob die Tätigkeit als Strafverteidiger*in eine grundsätzliche Ablehnung strafrechtlicher Sanktionen an sich bedingt, sei hier dahingestellt, es sei aber auf Hassemer, »Warum Strafe sein muss« (2009) verwiesen. Das Thema könnte aber Gegenstand einer Arbeitsgruppe auf einem der nächsten Strafverteidigertage sein.

3 : Meyer-Goßne

4 : BVerfGE 26, 66,70=NJW 69, 1423 r StPO, 59. Aufl., Einl. Rz 89

5 : Meyer-Goßner, Einl, Rz. 4

6 : Meyer-Goßner, vor § 395, Rz.1

7 : Dass der Grund hierfür vereinzelt in einem real gar nicht vorhandenen bzw. in einem vom Vertreter nicht bemerkten Ableben des Mandanten bestanden haben kann, soll hier nicht näher beleuchtet werden.

8 : Die Verteidigung hatte zu Beginn des Verfahrens mit u.a. dieser Begründung einen Einstellungsantrag gestellt.

9 : Vgl. nur R. Lang/N. Werning über einen Vortrag von Brunn über die »Rückkehr der Strafverteidiger« Freispruch Heft 8, 2016

 

Doris Dierbach: Dürfen die das?, in: Freispruch, Heft 9, September 2016

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