Strafverteidigertag Rechtspolitik

42. STRAFVERTEIDIGERTAG, MÜNSTER 2018

Am 4. März 2018 ging der 42. Strafverteidigertag mit einer Podiumsdiskussion zur Situation der verfolgten Strafverteidiger*innen in der Türkei zuende. Mehr als 800 Gäste haben an der Tagung in Münster teilgenommen.

 

Resolution zur Situation der verfolgten Anwält*innen in der Türkei

Angenommen vom Plenum des 42. strafverteidigertages am Sonntag, 4. März 2018

Bereits vor einem Jahr hat der Strafverteidigertag auf die untragbare Situation der Kolleginnen und Kollegen in der Türkei hingewiesen. 300 Anwält*innen, fast ausnahmslos Strafverteidiger*innen, befanden sich damals in Haft. Heute sind es fast doppelt so viele, gegen mehr als anderthalb Tausend wird strafrechtlich ermittelt.

Angesichts dessen stoßen Äußerungen der Bundesregierung auf Unverständnis, man »hoffe auf rechtsstaatliche Verfahren«, wenn es um inhaftierte deutsche Staatsbürger geht. Der Strafverteidigertag stellt fest: Ohne Strafverteidigung und ohne freie Advokatur kann es keinen Rechtsstaat geben.

Mit großer Sorge betrachten die Teilnehmer*innen des 42. Strafverteidigertages den weitgehenden Abbau von Verteidigungs- und Beschuldigtenrechten in der Türkei. Per Dekret wurden zentrale Verteidigungsrechte abgeschafft: Verteidigergespräche dürfen mitgeschnitten, Post geöffnet, unliebsame Verteidiger nach Gutdünken abgesetzt werden; Beschuldigten wird der Zugang zu einer anwaltlichen Vertretung ihrer Wahl verwehrt, die Untersuchungshaft wurde auf bis zu sieben Jahre ausgedehnt, Polizeibeamte bei körperlichen Übergriffen gegen Verhaftete straffrei gestellt.

Viele Anwält*innen in der Türkei haben Angst, einen Mandanten zu verteidigen, dem die Werbung für oder die Mitgliedschaft in einer »terroristischen Vereinigung« vorgeworfen wird, weil dies regelhaft die Ausweitung des Vorwurfs auf die Verteidigung mit sich bringt. Eine Anwältin aber, die einen Mandanten verteidigt, dem die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen wird, ist deshalb genauso wenig »Terroristin«, wie ein Journalist, der über ein Verbrechen berichtet, deshalb ein Verbrecher ist. Wo diese einfache Feststellung nicht gilt, da gibt es auch kein rechtsstaatliches Verfahren.

Nicht weniger besorgt den Strafverteidigertag die weitgehende Tatenlosigkeit der Bundesregierung. Das Verhältnis zur Türkei ist von besonderer Bedeutung für die gesamte deutsche Gesellschaft - nicht nur für die Exportindustrie. Wenn in der Türkei Anwälte, Richter, Journalisten, Künstler und Schriftsteller zusammen mit Politikern der Opposition zu tausenden als vermeintliche »Terroristen« verfolgt werden, kann dies weder uns noch der Bundesregierung egal sein. Weder der fragwürdige Flüchtlingsdeal noch die Inhaftierung deutscher Staatsbürger als Geiseln können das Schweigen rechtfertigen.

Konkret fordern die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 42. Strafverteidigertags daher
• die sofortige Einstellung des polizeilichen und nachrichtendienstlichen Informationsaustauschs zwischen Deutschland und der Türkei.
• die Überprüfung der Erteilung von Verfolgungsermächtigungen gegen sog. »ausländische terroristische Organisationen« aus der Türkei, denen nicht strafbare Handlungen in Deutschland, sondern in der Türkei zur Last gelegt werden. Der Schutz eines Staates, der in derart umfassender Weise Menschenrechte missachtet, kann keine Strafverfolgung rechtfertigen.

Die Bundesregierung wird gefordert, sich wirkungsvoll einzusetzen für
• die sofortige Freilassung der inhaftierten Rechtsanwält*innen sowie
• aller anderen unter rechtsstaatswidriger Beschneidung ihrer Beschuldigtenrechte inhaftierten Personen,
• die umgehende Einstellung der gegen sie geführten Ermittlungsverfahren und
• die Aufhebung der Verbote gegen die Anwaltsvereinigungen in der Türkei.

 

Türkiye’de Tutuklu Bulunan Meslektaşlarımıza Yönelik Karar
Karar, 42. Ceza Hukukçuları Kurultayı’nın 4 Mart 2018 tarihli Genel Kurul Toplantısında alınmıştır:

Ceza Hukukçuları Kurultayı Türkiye’deki meslektaşların içinde bulundukları tahammül edilemez duruma bir yıl önce dikkat çekmişti. O dönemde hemen hepsi müdafi olmak üzere 300 avukat cezaevinde yatmaktaydı. Günümüzde tutuklu olan meslektaşlarımızın sayısı neredeyse iki katına çıkmıştır ve bin beş yüzden fazla avukat hakkında da soruşturma ve kovuşturma yürütülmektedir. 

Bu durum göz önüne alındığında, Federal Hükümetin tutuklu Alman vatandaşlarına yönelik verdiği demeçlerdeki „adil bir yargılama umut etmekteyiz“ ifadelerine ise anlam verilememektedir. Ceza Hukukçuları Kurultayı şu tespitte bulunmuştur: Müdafiler olmazsa ve avukatlık mesleği özgürce icra edilmezse hukuk devleti de var olamaz.

42. Ceza Hukukçuları Kurultayı’nın katılımcıları, Türkiye’de savunma ve şüpheli haklarının kapsamlı bir şekilde kısıtlanmasını endişeyle izlemektedir. Kanun hükmünde kararnamelerle asli savunma hakları ortadan kaldırılmıştır: Müdafi- müvekkil görüşmelerinin ses ve görüntü kayıtları yapılabilmekte, mektuplar okunabilmekte ve istenmeyen müdafiler keyfi bir biçimde görevlerinden azledilmektedirler. Şüphelilerin özgürce avukat seçebilme olanakları ellerinden alınmıştır, tutukluluk süresi yedi yıla kadar uzatılmış, cezaevindeki tutuklu ve hükümlülere karşı fiziki müdahalede bulunan polislere cezasızlık getirilmiştir.

Türkiye’de çalışan çok sayıda avukat, „bir terör örgütüne“ üye olmakla veya ona yardım etmekle suçlanan kişilere vekillik yapmaktan korkmaktadır çünkü bu durumlarda müdafiler mesleklerini icra ederken sistematik bir şekilde aynı suçlamayla karşı karşıya kalmaktadırlar. İşlenen suçları haber yapan bir gazeteci nasıl olayın faili değilse, terör örgütü üyesi olmakla suçlanan birini savunan bir avukat da terörist değildir. Bu denli basit bir tespitin geçerliliğini yitirdiği bir yerde adil bir yargılamanın olması da mümkün değildir.

Ceza Hukukçuları Kurultayı, Federal Hükümetin büyük oranda hareketsiz kalmasından da bir o kadar endişe duymaktadır. Türkiye ile olan ilişkiler, yalnızca ihracat endüstrisi için değil tüm toplum için özel bir öneme sahiptir. Türkiye’de binlerce avukat, hakim, gazeteci, sanatçı ve yazar muhalif siyasetçilerle birlikte sözde „teröristler“ olarak kovuşturmaya uğruyorsa bu hem bizi hem de hükümeti ilgilendirmektedir. Yaşanan suskunluğu ne tartışmalı mülteci anlaşması ne de Alman vatandaşlarının rehin alınması haklı kılabilmektedir. 

Bu nedenlerden dolayı 42. Ceza Hukukçuları Kurultayı’nın katılımcıları şu somut taleplerde bulunmaktadır:

• Almanya ve Türkiye'nin polis ve istihbarat teşkilatları arasındaki bilgi alışverişinin derhal durdurulması.
• Bakanlığın, Türkiye'de bulunan sözde "yurtdışındaki terör örgütleri"ne yönelik -Almanya'da değil Türkiye'de suç işlemiş olmaları isnadıyla- verdiği soruşturma ve kovuşturma izinleri yeniden gözden geçirilmelidir. İnsan haklarını bu derece hiçe sayan bir devletin korunması hiçbir ceza kovuşturmasını haklı kılamaz.

Federal Hükümetten talebimiz;
. tutuklu avukatların ve
. şüpheli hakları hukuk devletine aykırı bir şekilde sınırlandırılan tüm tutuklu kişilerin derhal serbest   bırakılması,
. soruşturmaların derhal takipsizlikle sonuçlandırılması ve
. avukat örgütlerine verilen yasakların derhal kaldırılması için yoğun bir çalışma içine girmesidir.

 

Ergebnisse der Arbeitsgruppen

Ergebnisse der AG 1
Die Haftanstalt als gefährlicher Ort

1. Auch wenn das Vollzugsziel ‚Resozialisierung‘ als Verfassungsprinzip verankert ist, gibt es erheblichen Handlungsbedarf, um den Anspruch des Einzelnen auf Wiedereingliederung durchzusetzen. Die Einführung von Resozialisierungsgesetzen, die dem Einzelnen einen Rechtsanspruch auf Wiedereingliederung geben und die »Lücke« zwischen Justizvollzug und Bewährungshilfe schließen, müssen in allen Bundesländern eingeführt werden.
2. Auch wenn eine völlige Abschaffung der Freiheitsstrafe insgesamt nicht möglich erscheint, solange keine Abschaffung des geltenden Schuldstrafrechts erfolgt, müssen die Strafverteidiger weiterhin kritisch diskutieren, ob (Freiheits-)Strafe dauerhaft als Reaktionsmöglichkeit auf strafrechtliche Verfehlungen in unserer Strafrechtsordnung bestehen bleiben muss oder alternative Reaktionen zur Verfügung stehen.
3. Bestrebungen einzelner Bundesländer, den Schutz der Allgemeinheit als Ziel des Strafvollzugs unter Zurückdrängung des Resozialisierungsgedankens zu etablieren, lehnen wir ab. Die Strafverteidiger lehnen ein solches »Marketing« mit nur angeblicher Resozialisierung im Vollzug ab.
4. Politische Bestrebungen jedweder Art, den Anwendungsbereich des offenen Strafvollzugs zurückzudrängen, lehnen wir ab. Angesichts der bundesweit extrem geringen Missbrauchsquoten bei Vollzugslockerungen besteht dazu kein Anlass. Im Gegenteil muss eine Erweiterung des offenen Vollzugs erfolgen.
5. Der Vollzug von Freiheitsstrafen muss auf ein Mindestmaß reduziert werden. In Sinne eines solchen reduktionistischen Ansatzes müssen folgende Maßnahmen durch den Gesetzgeber umgesetzt werden:
- Stärkung der Verwarnung mit Strafvorbehalt;
- Vermeidung der Vollstreckung kurzer Freiheitsstrafen, Ersetzung von Freiheitsstrafe bis 1 J. durch gemeinnützige Arbeit;
- Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe, hilfsweise deren Vermeidung durch gemeinnützige Arbeit;
- generelle Halbstrafentlassung bei Ersttätern, § 57 Abs. 2 StGB, und Regelaussetzung bei neutraler oder unsicherer Prognose, § 57 Abs. 1, 2 StGB);
- Einschränkungen des Widerrufs bei Strafaussetzung zur Bewährung bei bloßen Weisungs- und Auflagenverstößen.
6. Um die Suizidrate in den Justizvollzugsanstalten zu senken, muss die Kontaktmöglichkeit zwischen JVA und Anwalt verbessert werden. Die Bereitschaft dazu wird nur wachsen, wenn in jeder JVA geeignete Suizidpräventionsräume vorhanden sind, die »besonders gesicherte Hafträume« ersetzen, in denen ein menschenwürdiger Strafvollzug unmöglich ist. Auch der Kontakt zum Haftrichter aus der JVA heraus muss zwecks Suizidprävention in der Untersuchungshaft verbessert werden (kurzfristige Aufhebung von Beschränkungen, sofern erforderlich).

Ergebnisse der AG 2
Führungsaufsicht

Führungsaufsicht hat positive Potentiale, wenn sie ihre Funktion zu helfen und zu begleiten mit angemessener Ausstattung erfüllen kann.
Besorgnis bereitet, dass die repressiven Ziele der Führungsaufsicht überhand nehmen und somit das eigentliche Ziel zu helfen und zu begleiten in den Hintergrund tritt.
Es ist eine Entwicklung zu beobachten, dass im Einzelfall ein Weisungscocktail gemixt wird, der rechtlich nicht mehr mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu vereinbaren ist. Kriminologisch setzt dieser die Mitwirkungsbereitschaft der Probanden herab und führt zu Überforderungssituationen.
Die Rolle der Polizei ist im Zusammenspiel zwischen Führungsaufsicht und Überwachungskonzepten der Länder (z.B. HEADS oder KURS) vollkommen ungeregelt. Die Führungsaufsicht muss als gesetzlich geregelte Maßregel den als bloße Verwaltungsvorschrift ausgestalteten Überwachungskonzepten vorgehen. Die Führungsaufsicht darf nicht durch polizeiliche Entscheidungen konterkariert werden.
Die Führungsaufsicht darf nicht durch Ausgestaltungen als Hausarrest zur kleinen Schwester der Sicherungsverwahrung verkommen.
Vergleichbar zur Regelung des § 67e StGB ist auch bei der Führungsaufsicht eine regelmäßige Überprüfung des Fortbestands im Rahmen einer gerichtlichen Anhörung erforderlich. Das ist ein Fall der notwendigen Verteidigung.
Die Wirkungsweise und Berechtigung der Strafvorschrift des § 145a StGB ist nicht belegt und bedarf einer wissenschaftlichen Überprüfung. Hinsichtlich der Legitimierung bestehen erhebliche Zweifel.

Ergebnisse der AG 3
Die Wirklichkeit lebenslanger Freiheitsstrafen

Die lebenslange Freiheitsstrafe kommt einer Vernichtungsstrafe gleich, die in ihrer Absolutheit einen Fremdkörper im System des Strafzumessungsrechts darstellt. Die notwendige Reform erscheint dabei mit einer ebenfalls zwingend notwendigen Reform des Mordtatbestandes untrennbar verknüpft.
Die »Lebenslänglichen« bilden trotz relativ geringer Verurteilungszahlen eine vergleichsweise große Gruppe im Strafvollzug. Mehr als zehn Prozent der »Lebenslänglichen« versterben im Vollzug, viele werden zum Sterben entlassen.
Der Vollzug einer lebenslangen Freiheitsstrafe führt in der Regel zu einer irreparablen Schädigung der Persönlichkeit oder der Gesundheit der Gefangenen. Bei sogenannten Langzeitgefangenen ist ein körperlicher und seelischer Verfall festzustellen; insbesondere die unbestimmte Dauer der absoluten Strafe hat schwerwiegende psychische Auswirkungen auf die von einer solchen Strafe Betroffenen.
Die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe findet keine rechtspolitische oder kriminologische Rechtfertigung. Sie zerstört die Verurteilten eher, als sie auf ein Leben ohne Straftaten nach Verbüßung des Freiheitsentzugs vorzubereiten.
Die lebenslange Freiheitsstrafe gehört daher abgeschafft.

Ergebnisse der AG 4
Pre-Crime, Crime und Überwachung

In den letzten Jahren ist eine deutliche Zunahme digitaler Ermittlungs- und Überwachungsmethoden in- und außerhalb des Strafverfahrens festzustellen. Die Bestrebungen der Sicherheitsbehörden gehen dahin, Straftaten mit Hilfe von technischen Mitteln nicht nur im Nachhinein zu verfolgen, sondern bereits im Vorfeld zu verhindern. In diesem Zusammenhang werden immer neue Rechtsgrundlagen für erweiterte Grundrechtseingriffe geschaffen, die technische Ausstattung der Sicherheitsbehörden aufgerüstet und immer mehr Daten gesammelt und verarbeitet.
Diese Entwicklung erfordert eine kritische Begleitung und eine breite gesellschaftliche Diskussion. Es gilt zu verhindern, dass die Freiheitsrechte zugunsten eines vermeintlichen Mehr an Sicherheit immer weiter eingeschränkt werden. Der Weg zu anlasslos erfolgenden oder flächendeckend durchgeführten Maßnahmen der automatisierten Erfassung und Auswertung von Daten muss weiterhin versperrt bleiben.
Für den Anwendungsbereich der Online-Durchsuchung ist zu fordern:
- Ziel muss eine verfassungsrechtliche Überprüfung der Norm sein;
- Beschränkung des Katalogs der Straftaten, die eine Online-Durchsuchung ermöglichen sollen auf die Vorgaben des BVerfG;
- strikte Beachtung der gesetzlichen Vorgaben wie Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips;
- keine umfassende Untersuchung des informationstechnischen Systems,
- Beschränkung der gewonnenen Daten auf diejenigen, die für das jeweilige Strafverfahren relevant sind;
- Sicherstellung durch eine vorgelagerte Prüfung, dass die Erfassung von »kernbereichsrelevanten Informationen« ausgeschlossen ist;
- deutliche Ausweitung der Protokollierungspflicht bezüglich der Durchführung der Maßnahme
Für die Anwendung der Quellen-TKÜ ist zu fordern:
- Streichung des § 100a Abs. 1 Satz 3 StPO
Für die Vorratsdatenspeicherung ist zu fordern:
- Die durch das Gesetz zur verdachtslosen Vorratsdatenspeicherung ermöglichte Massenerfassung sämtlicher Kontakte und Bewegungen der gesamten Bevölkerung ist nicht mit den Grundrechten vereinbar und verstößt eklatant gegen europäisches Recht. Das Gesetz ist deshalb aufzuheben.
Für den Anwendungsbereich des Predective Policing ist festzustellen:
- Die Wirksamkeit der aktuell bereits in mehreren Bundesländern angewendeten Systeme ist fraglich. Die Gefahr einer immer weiteren Ausweitung der Methoden des Predictive Policing unter Einbeziehung auch von personenbezogenen Daten in diesen Systemen drängt sich im Sicherheitsstaat auf.
- Ein Blick in die USA zeigt, dass diese Systeme geeignet sind, massive Eingriffe in Freiheitsrechte einer Vielzahl von Personen zu bewirken und sich einer normativen Kontrolle entziehen.
- Abweichendes Verhalten kann nicht mit Algorithmen beantwortet werden, sondern bedarf eines verantwortungsbewussten Umgangs der Gesellschaft mit den sozialen Ursachen der Kriminalität.

Ergebnisse der AG 5
Die Aufweichung des Erziehungsprinzips im Jugendstrafrecht durch schuld- und feindstrafrechtliche Tendenzen

1. Der Zurückdrängung des Erziehungsgedankens bei der Verhängung von Jugendstrafen wegen Schuldschwere ist entschieden entgegenzutreten. Die insoweit uneinheitliche und widersprüchliche höchstrichterliche Rechtsprechung sollte auf ein einheitliches und nachvollziehbares Konzept des Erziehungsgedankens rekurrieren. Die Regelung des § 105 Abs. 3 Satz 2 JGG, durch den das Höchstmaß verhängbarer Jugendstrafe auf 15 Jahre angehoben wurde, ist abzuschaffen, da die Regelung verfassungsrechtlich bedenklich ist und die Gefahr einer Sogwirkung im Hinblick auf die weitere Eskalation der Höhe verhängter Jugendstrafen birgt.
2. Für straffällig gewordene jugendliche und heranwachsende Flüchtlinge sind ihrer Situation angemessene ambulante Maßnahmen zu entwickeln und zur Verfügung zu stellen, um auch für diese Gruppe den Erziehungsgedanken effektiv zur Geltung zu bringen.
3. Für die Umsetzung der Richtlinie EU 2016/800 über Verfahrensgarantien in Strafverfahren für Kinder, die verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafverfahren sind, ist in erster Linie zu fordern, dass die einzuführenden Verfahrensrechte unterschiedslos auf Jugendliche und Heranwachsende Anwendung finden. Im Hinblick auf die umzusetzende Ausweitung der Voraussetzungen der Pflichtverteidigung und die Vorverlegung des Bestellungszeitpunkts auf das Ermittlungsverfahren ist sicherzustellen, dass jugendstrafrechtlich spezifisch qualifizierte Verteidiger bestellt werden. Die Anwaltschaft muss diesbezüglich Verantwortung übernehmen und ein Konzept zur Bereitstellung entsprechend qualifizierter Verteidiger entwickeln, welches auch die Transparenz der Auswahlentscheidung sicherstellt.
4. Unbedingte Jugendstrafen dürfen erst dann verhängt werden, wenn alle anderen Reaktionsmöglichkeiten auf strafrechtliches Verhalten vollständig ausgeschöpft sind. Jugendstrafvollzug kann dabei nur dann zielführend sein, wenn die Qualität der erzieherischen Angebote im Strafvollzug kontinuierlich erhöht wird und den individuellen Bedürfnissen der straffällig gewordenen Jugendlichen und Heranwachsenden Rechnung trägt.
5. Die in den letzten Jahrzehnten in das Jugendstrafverfahren implementierten Opferschutzrechte bedürfen der einschränkenden Interpretation und sind in ihrer Geltung dem Maßstab des § 2 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 2 Abs. 2 JGG zu unterwerfen. Sie müssen endlich kritisch empirisch evaluiert und gegebenenfalls revidiert werden. Die Einziehung von Wertersatz ist mit dem Erziehungsgedanken unter keinem Gesichtspunkt in Einklag zu bringen, weshalb diese aus dem Jugendstrafrecht zu entfernen ist.

Ergebnisse der AG 6
Entkriminalisierung und Entrümpelung

Der Strafverteidigertag 2017 hatte das Motto »Schrei nach Strafe« und befasste sich viel mit der Verteidigung gegen die immer neu hinzukommenden Strafvorschriften sowie gegen die Verschärfungen bereits bestehender Straftatbestände.
Wir wollen deshalb nicht immer nur defensiv und rückwärtsgewandt diskutieren, sondern offensiv für Entkriminalisierung in die gesellschaftliche Debatte eintreten. Aus einem »Schrei nach Strafe“ der Repression solle ein »Schrei nach Freiheit« der Entkriminalisierung werden.
Im Anschluss an die »Bremer Erklärung« des Strafverteidigertages 2017 haben wir aus bereits geführten Entkriminalisierungsdebatten gelernt, Alternativen zur Durchdringung unserer Gesellschaft mit Sanktionen überdacht und letztlich konkrete Vorschläge für die Abschaffung von Straftatbeständen aus dem StGB und aus Nebengesetzen diskutiert und erarbeitet.
Wir fordern, folgende Vorschriften unbedingt
abzuschaffen:
- § 89 a StGB, Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat
- Widerstand gegen
und tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte (§§ 113, 114 StGB)
- unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, § 142 

- exhibitionistische Handlungen, § 183
- Ausübung der verbotenen Prostitution, § 184 f 

- Sexuelle Belästigung aus Gruppen, 184 i und j 

- Schwangerschaftsabbruch, § 218 - § 219 a
- Bedrohung, § 241 

- Diebstahl geringwertiger Sachen, unbefugter Gebrauch eines KfZ, Entziehung von elektr. Energie, §§ 248 a bis c (Owi reicht)- 

- Erschleichen von Leistungen, § 265a 

- § 29 BtMG 

- § 95, 96 AufenthG 

- § 4 AntiDopG 

auf den Prüfstand gehören
- § 30 I 3, 
§ 89b,
§ 89c
- § 90,
§ 104, § 109, § 121, § 127, § 129, § 129a, § 129b, § 133, § 134, § 136, § 138, § 140, § 145, § 145a
- § 152b, § 166,
§ 167,
§ 167a, § 168,
§ 172,
§ 173,
§ 177,
§ 184,
§ 184c, § 184g, § 185 ff., § 201a, § 217
- § 226a, § 237,
§ 238,
§ 244 IV, § 261
- § 264,
§ 264a,
§ 265,
§ 266b,
§ 288,
§ 289,
§ 292,
§ 293,
§ 297,
§ 303 II, III, § 316,
§ 316a,
§ 323a,
§ 323b,
§ 352,
§ 353,
§ 353a,
§ 353d

Ergebnisse der AG 7
StPO – nach der Reform ist vor der Reform

1. Ein „gesetzgeberischer Handlungsbedarf einer Rechtsgrundlage für die Tatprovokation“ (vgl. Koalitionsvertrag) besteht nicht – für ein gesetzliches Verbot der Tatprovokation dagegen aber sehr wohl. Ein gedanklicher Einstieg könnte hier die Regelung des § 5 Abs. 3 öStPO sein.
2. Die durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens erfolgte Einführung des (ab 1.1.2020) geltenden § 136 Abs. 4 StPO kann nicht mehr sein als ein „Einstieg“ in ein umfassendes gesetzliches Programm zur Dokumentation des Ermittlungsverfahrens [und der Hauptverhandlung].
a. Die Regelung greift mit der Beschränkung auf „vorsätzlich begangene Tötungsdelikte“ deutlich zu kurz; offensichtlich soll hier nur ein „Experimentierfeld“ etabliert werden, dieses muss ausgeweitet werden (mindestens auf alle Verbrechenstatbestände).
b. Art und Umfang der audiovisuellen Aufzeichnung sind gesetzlich näher auszuformulieren.
c. Die Tatbestände zur Einschränkung („und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen“) sind eng zu interpretieren. Dem Einwand einer fehlenden Aufzeichnungsmöglichkeit als „äußerer Umstand“ ist bspw. der (geplante) flächendeckende Einsatz von sog. „bodycams“ bei der Polizei entgegenzuhalten.
d. § 136 Abs. 4 StPO ist als harte Beweiserhebungsregelung zu interpretieren und stellt keine bloße „Ordnungsvorschrift“ dar. Jede andere Kategorisierung wäre dem Wesen des § 136 StPO (inzwischen) wesensfremd.
e. § 136 Abs. 4 StPO ist zu erweitern um konkrete Beweiserhebungs- und Beweisverwertungs-verbote. Insbesondere ist ein Umgehungsverbot („Vernehmung“) vorzusehen.
f. Mit dem fortgeschrittenen Verlust einer Trennung von Ermittlungs- und Hauptverfahren und verstärkten Transfers ist die Qualitätssicherung und Dokumentation der im Ermittlungsverfahren erfolgenden Beweiserhebungen geboten. Diese zwingt zur audiovisuellen Dokumentation der Beschuldigten- als auch Zeugenvernehmungen verbunden mit einem umfassenden Akteneinsichtsrecht des Verteidigers.
3. Zu der durch § 148 StPO geschützten Kommunikation zwischen Verteidiger und Beschuldigtem gehören auch die Anbahnungsgespräche. Hierzu bedarf es einer klarstellenden gesetzlichen Regelung in § 148 StPO [und § 160a StPO].
4. Das Recht auf umfassende Einsicht in den elektronischen Datenbestand und damit in den gesamten Metadatenstamm, um die Vollständigkeit zu prüfen. Hierfür muss die Stellung eines Beweisantrags ohne konkreten Verdacht („ins Blaue hinein“) zulässig sein, um eine etwaige Manipulation oder sonstige Veränderung des Datenstamms nachweisen zu können.
5. Insbesondere die diskutierten ersten drei Forderungen des zweiten Strafkammertages 2017 werden zurückgewiesen. Die Dichotomie für mehr Effizienz kann nicht mit der Beschneidung prozessualer Beschuldigtenrechte einhergehen. Die Grenzen des Rechtsstaats werden andernfalls überschritten.


Strafrecht in Zeiten des Populismus

Der Eröffnungsvortrag von Rechtsanwalt Dr. Frank Nobis als PDF.

 

Ergebnisse

Die Ergebnisse der Arbeitsgruppen 1 bis 7 des 42. Strafverteidigertages als PDF.

Resolution

Die Resolution des 42. Strafverteidigertages zur Situation der verfolgten Anwält*innen in der Türkei als PDF.