Strafverteidigertag Rechtspolitik

36. Strafverteidigertag, Hannover 16. - 18. März 2012

Alternativen zur Freiheitsstrafe

Historisch stellte die Durchsetzung der Freiheitsstrafe einen Fortschritt dar: Sie löste (als Strafe der menschengemachten Republik) die peinlichen Strafen der gottgewollten Monarchie ab und ersetzte die körperliche Züchtigung und Zerstörung des Unterthanen durch die Einschränkung der Freiheit von (wenigstens theoretisch) Gleichen unter Gleichen. Dies entsprach dem aufziehenden bürgerlichen Zeitalter. Die Idee der Freiheitsstrafe wirkte als (rechts)theoretischer Überbau zu Dampfmaschine und Stechuhr.

Seitdem hat sich am System der Freiheitsentziehung als vorrangiger Strafe wenig geändert. Während sich um das Strafrecht herum ein umfassender gesellschaftlicher und technologischer Wandel vollzogen hat, bleibt das strafrechtliche Sanktionssystem unerschüttert - und dies nicht nur im Grundsatz, sondern allzu oft auch in seiner ganz konkreten Ausprägung: Viele Haftanstalten sind überfüllt und in einem kläglichen Zustand. Solcher Strafvollzug kann seinem Resozialisierungsauftrag nicht nachkommen. Während in der postindustriellen Gesellschaft viel von Vernetzung, Datenautobahnen und Nanotechnologie die Rede ist, befindet sich der Strafvollzug weiter auf dem Niveau früher Industrialisierung.
Dadurch wird ein Widerspruch deutlich, welcher der Freiheitsstrafe immer schon innewohnte. Denn zwar sollte der Freiheitsentzug die körperliche Züchtigung ersetzen, doch war sie in der Realität immer auch Züchtigung und körperliches Leid. Und während sie einerseits für sich in Anspruch nahm, nur letztes Mittel gegen normabweichende Bürger zu sein, sammelten sich in den Haftanstalten andererseits vor allem die Armen und Gestrandeten. Auch daran hat sich wenig geändert.

2008 befanden sich in der BRD rund 73.000 Personen in Haft. Zwar sind die Zahlen – nach dem sprunghaften Anstieg Mitte der 90er Jahre – wieder leicht rückläufig. Die Verweildauer aber ist gestiegen; die Zahl der nach § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachten ist stark angestiegen, diejenige der Sicherungsverwahrten hat sich seit Ende der 90er Jahre verdreifacht; für Verurteilte nach dem Jugendstrafrecht ist mittlerweile auch die Möglichkeit der Sicherungsverwahrung eingeführt worden. Ein Blick auf die Gefängnispopulation zeigt, dass nach wie vor überwiegend jene eingesperrt werden, die aufgrund schlechter Bildung, Armut und Sucht draußen wenig Chancen haben. Ausschluss durch Einschließen ist ein weithin akzeptiertes Instrument politischer und sozialer Steuerung.
Der Strafverteidigertag stellt dieser Entwicklung die Suche nach Alternativen zur Freiheitsstrafe entgegen.

 

Das Programm des 36. Strafverteidigertages als PDF-Download.

Die Ergebnisse der Arbeitsgruppen im Detail

Arbeitsgruppe 1: Die Bestrafung der Armen / die Verteidigung der Armen

Die Arbeitsgruppe stellt eine bedenkliche zunehmende soziale Unausgewogenheit bei der Administration und Anwendung kriminalrechtlicher Sanktionen fest.

Zum einen wird durch die Auslagerung von Sanktionsbereichen ins Polizei- und Verwaltungsrecht Punitivität in Bereiche verlagert, die bisher faktisch aus dem Konzept der notwendigen Verteidigung herausfallen. Zum anderen ist »Armenkriminalität« häufig Bagatellkriminalität, die mit Geldstrafen belegt wird - ein Teufelskreis.
Um der genannten Unausgewogenheit zu begegnen, wäre die Umsetzung der folgenden Maßnahmen erforderlich:

a) Entkriminalisierung von Bagatellkriminalität (z.B. Beförderungserschleichung, Besitz von BtM zum Eigenbedarf, Hausfriedensbruch nach Platzverweisen)
b) Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe,
c) Reform des Strafbefehlsverfahrens (erforderliche Zustimmung des Betroffenen, Ermittlung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse vor Festsetzung der Tagessatzhöhe, Anwendung der Mindesthöhe von 1 Euro bei Verhältnissen am Existenzminimum).

Zugang zum Recht ist Verfassungsrecht – daher sind Verfahrenskosten einschließlich der notwendigen Auslagen vom Staat zu tragen, dies gilt auch für die Vertretung in Polizei- und sonstigem Verwaltungsrecht als Folge der punitiven Ausweitung dieser Bereiche.

Auf strafrechtliche Verurteilungen gestützte Ausweisungen stellen faktisch eine Doppelbestrafung dar, die de lege lata keine angemessene Berücksichtigung findet.

Arbeitsgruppe 2: »Nebenklage und Opferschutz«

Der Gesetzgeber hat zuletzt mit dem 2. Opferrechtsreformgesetz, das am 1.10.2009 in Kraft getreten ist, den Anwendungsbereich der Nebenklage erheblich erweitert. Die Nebenklage gehört mittlerweile zum gerichtlichen Alltag. An einem vernünftigen rechtstheoretischen Konzept hierfür fehlt es bis heute. Durchgesetzt zu haben scheinen sich die Apologeten einer »viktimären Rechtspolitik« [Barton], die die Interessen des Opferschutzes um jeden Preis im Strafverfahren integriert sehen wollen. Dies führt notwendig zu einer Einschränkung von Beschuldigtenrechten. Die Aushöhlung der Unschuldsvermutung geht mit der Ausweitung der Informations- und Teilhaberechte des Verletzten Hand in Hand. Bereits durch den sakralen Begriff »Opfer« entstehen Friktionen. Schließlich soll und kann erst im Rahmen des Strafverfahrens darüber entschieden werden, ob und wer verletzt wurde, wer Täter, ob und wer »Opfer« einer Tat ist.

Es sprechen daher gewichtige Gründe dafür, die Nebenklage abzuschaffen und die Verletzten von Straftaten zur Durchsetzung ihrer Rechte auf ein noch zu schaffendes Institut eines isolierten Opferschutzverfahrens zu verweisen, bei dem umgekehrt die »Verletztenvermutung« (von Galen) gilt.

Zeuge/innen sind der Wahrheit verpflichtet. Der gesetzgeberischen Konzeption nach aber dürfen (und sollen) Zeug/innen als Nebenkläger/innen auch das Interesse an Sühne verfolgen. Die Wahrnehmung erweiterter Informationsrechte (z.B. frühe Akteneinsicht) von Verletzten und/oder Nebenklägern, die zugleich zeuge sind, führt auch unter aussagepsychologischer Sicht zu einer empfindlichen Beeinträchtigung der »Wahrheitsfindung«. Kenntnis und Lektüre des Inhalts der eigenen polizeilichen Vernehmung machen eine Beurteilung der Erinnerung von Zeuginnen und Zeugen nahezu unmöglich. Die mit dem StORMG beabsichtigte Abschaffung der Mehrfachvernehmung verhindert eine sinnvolle Überprüfung der Aussagekonstanz.

Das tradierte Selbstverständnis der Verteidigung, selbst niemals die Rolle der Nebenklage einnehmen zu wollen, ist in der Praxis weitgehend überkommen. Tatsächlich agieren mittlerweile viele Kolleginnen und Kollegen auch auf dem Feld der Nebenklage. Die Tabuisierung dieses Phänomens führt dazu, dass sich eine zumindest rechtsstaatliche orientierte Ethik der Nebenklage, nicht gut, d.h. immer auch selbstreflexiv, entwickeln kann. Neuere Untersuchungen [Barton] kommen zu dem Ergebnis, dass ausgerechnet der »Typus Strafverteidiger«, nimmt er sich der Rolle des Nebenklagevertreters an, weitgehend frei von gesinnungsethischen Zweifeln und letztlich als der geflissentlichere Staatsanwalt agiert. Wir sind gehalten, uns mit diesen schlechten Zeichen (selbst)kritisch zu befassen.

Arbeitsgruppe 3: Jenseits von Afrika. Außenpolitische Ambitionen des deutschen Strafrechts

Interkulturalität stellt für Strafverfahren ggf. ein Problem dar, das die Strafrechtspraxis bereits erreicht hat, ohne dass ausreichendes Problembewusstsein in der Praxis besteht und ohne dass die Justiz hierauf eingerichtet ist. Um sich mit der bestehenden Interkulturalität und ihrer Auswirkung auf Strafverfahren angemessen beschäftigen zu können, muss diese in der Juristenausbildung zum Ausbildungsgegenstand gemacht werden. Ob Richter zu Fortbildungen in diesem Bereich verpflichtet werden sollten, ob derartige Fortbildungen als Voraussetzung für die Position eines Vorsitzenden etabliert werden sollen oder ob Richter vermehrt dazu angehalten werden sollen, Gutachten zu interkulturellen Fragen einzuholen, wurde nicht abschließend geklärt; Forderung an die Justiz ist jedoch, sich endlich bewusst mit dem Problem und der Tatsache zu beschäftigen, dass es in diesem Bereich erhebliche Wissensdefizite bei Richtern gibt. Auch die Aussagepsychologie muss sich mit dem Phänomen verstärkt beschäftigen.

Den neu geschaffenen materiell-rechtlichen Grundlagen für Verfahren mit überwiegendem Auslandsbezug (§ 129 b StGB, VStGB) steht keine konzeptionelle Änderung des Prozessrechts oder eine Prozessordnung gegenüber, die den veränderten Rahmenbedingungen Rechnung trägt. Die StPO ist für derartige Verfahren nicht ausgelegt. In der gegenwärtigen Situation von Verfahren mit überwiegendem Auslandsbezug besteht keine Waffengleichheit, die Ressourcen der Verteidigung müssen denen der Anklagebehörde gleichgestellt werden. Hierzu gehörte die Einrichtung eines Fonds oder einer Verwaltung ähnlich der registry beim ICC, so dass die Verteidigung wissenschaftliche Mitarbeiter, eigene Ermittler, Auslandsreisen für Ermittlungen vor Ort u.a. bezahlen kann. Die Rahmenbedingungen der Verteidigung beim ICC sind nicht 1:1 übertragbar, da die unterschiedlichen Rechtsordnungen (Parteiprinzip pp) eine schlichte Übertragung nicht zulassen. Gleichwohl gilt es, den Rechtsgedanken der Mindestausstattung der Verteidigung zu übernehmen.

Eine wissenschaftliche Begleitung und Auswertung der Verfahren nach dem VStGB und nach § 129 b StGB ist unbedingt im Hinblick auf die Bewertung der Einhaltung oder Nichteinhaltung rechtsstaatlicher Standards erforderlich, sowie im Hinblick auf die Forderung, das VStGB ggf. wieder abzuschaffen.

Die Praxis der Verfahren mit Auslandsbezug zeigt gewachsene außenpolitische Ambitionen: Das Strafrecht soll der überall in der Welt eingesetzten Bundeswehr folgen. Die Entscheidungen, ob in derartigen Verfahren ermittelt wird, ist eine rein politische Entscheidung, der die Justiz nur folgt.
Die Regelungen des VStGB begegnen in mehrfacher Hinsicht verfassungsrechtlichen Bedenken: Durch die zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe, Verweisungen und Blankettvorschriften liegen Verstöße gegen das Bestimmtheitsgebot, des Analogieverbots und des Verbots des strafbestimmenden Gewohnheitsrechts vor. Zahlreiche Probleme des internationalen Völkerrechts, die nicht gelöst sind, lassen viele Fragen der Strafbarkeit offen. In Fällen, in denen neben den Vorschriften des StGB auch Vorschriften des VStGB zur Anklage gekommen sind, sperrt das Ergebnis, die Taten seien nicht nach dem VStGB strafbar die Anwendung des allgemeinen StGB.

Für die Verteidigung ist neben der Vernetzung von Verteidigern, die in Verfahren mit überwiegendem Auslandsbezug tätig sind, ein Erfahrungsaustausch und die Nutzung von Veröffentlichungen sehr wichtig, um auf die bestehenden Probleme in diesen Verfahren hinzuweisen. Die Themen der Arbeitsgruppe, die Probleme in Verfahren mit überwiegendem Auslandsbezug sind kein Spezialistenthema, sondern werden alle Verteidiger in den nächsten Jahren zunehmend beschäftigen.

Arbeitsgruppe 4: Sicherungsverwahrung

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 04.05.2011 die Vorschriften über die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und längstens bis zum 31.05.2013 für anwendbar erklärt. Der Senat hat dem Gesetzgeber aufgegeben ein Gesamtkonzept der Sicherungsverwahrung zu entwickeln und festzuschreiben, das dem verfassungsrechtlichen Abstandsgebot »Rechnung trägt«, wonach sich der Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vom Vollzug der Strafhaft deutlich zu unterscheiden hat.

Der Gesetzentwurf des Bundesministeriums der Justiz, den das Kabinett inzwischen bestätigt hat, greift nur einen Teil der verfassungsrechtlichen Vorgaben auf und bietet gerade kein Gesamtkonzept der Sicherungsverwahrung. Dies wird bereits im Namen - »Entwurf eines Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung« - deutlich.

Erforderlich wäre gewesen, den Anwendungsbereich der Sicherungsverwahrung einzuschränken. Eine Beschränkung auf schwere Gewalt- und Sexualdelikte für den Anwendungsbereich der Sicherungsverwahrung lässt sich dem vorliegenden Referentenentwurf jedoch gerade nicht entnehmen. Insofern hätte es zur Umsetzung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung mindestens einer Einschränkung des Katalogs in § 66 StGB und der Anordnungsvoraussetzungen insgesamt bedurft.

Stattdessen setzt der Entwurf nur einen Teil der verfassungsrechtlichen Vorgaben um. Er wird insbesondere nicht die strukturellen Probleme bei der Anordnung und dem Vollzug der Maßregel beseitigen oder entschärfen.

Die Sicherungsverwahrung widerspricht den Grundprinzipien eines rechtsstaatlichen Strafrechts, in dem sie eine schuldunabhängige Sanktion und mit ihr durch die Hintertür einer Maßregel die endgültige Haft wieder einführt. Die Sicherungsverwahrung muss deshalb abgeschafft werden. Dies gilt sowohl für die originäre, die vorbehaltene als auch die nachträgliche Sicherungsverwahrung - und erst recht für den Bereich des Jugendstrafrechts.

Kriminalpolitisch vermittelt das Instrument der Sicherungsverwahrung eine nur scheinbare Sicherheit. Ihre Anordnung beruht häufig auf einer fehlerhaften Kriminalprognose, nach einschlägigen Untersuchungen fällt die Gefährlichkeitsprognose häufig zu Lasten der Betroffenen zu negativ aus.

Bei gleichzeitiger Abschaffung der Sicherungsverwahrung und Ausbau der Behandlungs-, Resozialisierungs- und Nachsorgeangebote für alle Gefangenen wäre eine wesentlich effektivere Rückfallvermeidung zu erreichen, als durch das oft populistisch benutzte Instrument der Sicherungsverwahrung.

Durch die Bindung von immensen finanziellen Ressourcen durch den Umbau bzw. Ausbau von Anstalten für die Sicherungsverwahrung steht zu befürchten, dass die Mittel im allgemeinen Strafvollzug fehlen.

Arbeitsgruppe 5: Strafbare Strafverteidigung?

Die Arbeitsgruppe sieht eine gefährliche und völlig ungerechtfertigte Tendenz der Staatsanwaltschaften und Gerichte, Ermittlungsverfahren gegen Rechtsanwälte wegen ihrer Verteidigertätigkeit einzuleiten oder zu fordern.

1. Jeglichen Einschüchterungsversuchen von Seiten der Gerichte und Staatsanwaltschaften, die Strafverteidigung zu kriminalisieren, ist entschieden entgegen zu treten. Die Furcht vor Strafverfolgung behindert den Strafverteidiger bei der ordnungs- und pflichtgemäßen Ausübung seiner Tätigkeit und beeinträchtigt so seine Rechte und die seiner Mandanten auf unerträgliche Weise.

2. Einem angeblichen Missbrauch von Verteidigerrechten ist mit prozessrechtlichen Mitteln und nicht mit dem Strafrecht zu begegnen. Das Prozessrecht – z.B. die Regeln über die Ablehnung von Beweisanträgen – ist dazu bestimmt und ausreichend, auf Anträge der Verteidigung zu antworten.

3. Die Verteidigung ist beauftragt, mit allen rechtlichen Mitteln eine Verurteilung zu verhindern oder weitestgehend abzumildern. Dabei ist natürlich auch Unerhörtes zu Gehör zu bringen.

4. Die Verteidigung ist nicht unter Strafe verpflichtet, daran mitzuwirken, dass eine prozessordnungsgemäße Entscheidung zustande kommt. Es ist vielmehr die Aufgabe der Gerichte und der Staatsanwaltschaft, die Prozessordnungsgemäßheit zu überwachen und für deren Einhaltung zu sorgen.

5. Die Verteidigung ist Teilhaber und nicht Gegner der Strafrechtspflege. Ihr ist es verboten, absichtlich oder wissentlich falsche Urkunden vorzulegen oder selbst bewusst die Unwahrheit zu sagen.

6. Die sogenannte Vereitelung um geraume Zeit ist ein unerträgliches, weil unbestimmtes Merkmal, das für die Annahme einer Strafvereitelung ungeeignet ist.

8. Für die Verteidigung spricht eine Vermutung, stets von der Richtigkeit des eigenen Vortrags und des Vortrags des Mandanten auszugehen.

9. Es darf keine Bevorzugung von Gerichten und Staatsanwaltschaft bei der strafrechtlichen Bewertung einer verantwortbaren Verzögerung des Prozessfortgangs geben. Gerichte und Staatsanwaltschaft sollten erst vor der eigenen Tür kehren und Missstände in der Bearbeitung beseitigen, bevor sie dies der Verteidigung vorwerfen.

Arbeitsgruppe 6: Die Beteiligung von Laienrichtern am Strafprozess

Zur Frage der Beteiligung von Laienrichtern bestehen unterschiedliche Auffassungen. Diese reichen von der Beibehaltung des bisherigen Systems ohne Akteneinsichtsrecht der Schöffen bis hin zur Abschaffung des Schöffenamtes.
Die Teilnehmer sehen die Probleme, die sich aus der Teilhabe der Schöffen an Entscheidungen im Verständigungsverfahren (§ 257c StPO) und der fehlenden Aktenkenntnis ergeben, zumal Akteneinsicht durch Schöffen in größeren Verfahren ohnehin wenig praktikabel erscheint. Das geltende Recht ist in sich widersprüchlich und sieht eine Lösung für dieses Dilemma nicht vor. Praktisches Ergebnis ist, dass die Schöffen ohne ausreichende Tatsachengrundlage und meist nur auf Grund der Tatsachenvermittlung durch die Berufsrichter an Urteilen mitwirken, die auf einer Verständigung beruhen.
Einigkeit besteht darüber, dass die Auswahl der Schöffen sorgfältiger zu erfolgen hat als bisher geschehen. Es sollen nur noch Schöffen gewählt werden können, die für das Amt geeignet sind, etwa der deutschen Sprache ausreichend mächtig, und die die Tätigkeit als Schöffe selbst wünschen.

Arbeitsgruppe 7: Gefängnisse – rechtsfreie Räume im Namen des Volkes?!

Auch wenn es dem rechtspolitischen Zeitgeist widerspricht, die schrittweise Abschaffung des Gefängnisses zu fordern, muss der Strafverteidigertag dazu aufrufen, alle Anstrengungen zur Verrechtlichung und Zivilisierung des Gefängnisses zu unternehmen sowie alle Anstrengungen, diese Institution letztlich abzuschaffen.

Zum Thema »Gewalt im Strafvollzug«

Gewalt ist Teil des Systems Strafvollzug. Aufgabe humaner Strafvollzugsgestaltung ist es, das Maß der Gewalt im Vollzug soweit wie möglich zu reduzieren. Dies betrifft sowohl die von den Gefangenen ausgeübten Gewalttätigkeiten als auch Akte, die von Seiten des Systems ausgehen. In einer »totalen Institution« wie dem Strafvollzug ist auch die von den Gefangenen ausgeübte Gewalt - unabhängig von der Frage individueller Verantwortlichkeit – ein von der Vollzugsgestaltung abhängiger Aspekt. Es ist daher auch hoheitliche Verantwortung, für Bedingungen zu sorgen, die diese Gewalt so umfassend wie möglich reduziert. Während den Machtlosen nur die körperliche Gewalt bleibt, können illegitime Übergriffe durch Bedienstete bzw. »die Anstalt« vielfältige Formen annehmen. Sie reichen von nicht gerechtfertigter unmittelbarer physischer Gewalt, über die Überschreitung rechtlich erlaubter Eingriffe bis hin zu apokryphen Sicherungs-, Zwangs- und Disziplinarmaßnahmen. Zu fordern ist deshalb:

•Grundsätzlich Einzelunterbringung, Zusammenlegung nur mit Zustimmung der Betroffenen
•Verbot der Überbelegung
•Wohngruppenvollzug als Regelvollzug mit einer Gruppengröße von maximal 10 Gefangenen im Jugendstrafvollzug bzw. 12 im Erwachsenenstrafvollzug, einschließlich fest zugeordneten Personals
•Gut ausgebildetes und ausreichendes Personal mit fester Zuordnung
•regelmäßige Mediationsverfahren für vollzugsinterne Konflikte
•detaillierte Dokumentation aller besonderen Sicherungsmaßnahmen
•Abschaffung der Fixierung aus nichtmedizinischen Gründen
•weiterer Ausbau der zivilgesellschaftlichen Öffnung der Anstalten durch Beiräte, Landesvollzugsbeauftragte bzw. Ombudsleute und internationale und nationale Präventionsmechanismen
Zum Thema »Verbesserung des Rechtsschutzes für Inhaftierte«

Eine Verbesserung des Rechtsschutzes der Inhaftierten erfordert das Tätigwerden des Gesetzgebers. Eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe in den Strafvollzugsgesetzen, die zu einem weiten Beurteilungsspielraum für die Anstalten führen, schwächt die Rechtsposition des Gefangenen. Hinzu tritt der Umstand, dass es an einem Instrumentarium fehlt, die Anstalten zur Beachtung gerichtlicher Entscheidungen zu zwingen. Vor diesem Hintergrund sind insbesondere nachfolgende konkrete Mindeststandards vom Gesetzgeber zu fordern:

•Keine Vollzugsplankonferenzen ohne persönliche Anwesenheit des betroffenen Gefangenen sowie eines Verteidigers;
•Präzisierung der Rechte der Gefangenen (z.B. Anspruch auf Vollzugslockerungen);
•eine Verbesserung des gerichtlichen Rechtsschutzes (Abschaffung des Verwaltungsvorverfahrens; Einführung einer zwingenden mündlichen Verhandlung bzw. Anhörung des Gefangenen);
•die Schaffung von Zwangsvollstreckungsmöglichkeiten bei Renitenz der Justizverwaltung (z.B. durch die Möglichkeit der Verhängung von Zwangsgeldern entsprechend § 172 VwGO);
•die Schaffung starker informeller Kontrollgremien (Strafvollzugsbeauftragte/ Anstaltsbeiräte);
•die Ausweitung der Pflichtverteidigung in Strafvollstreckungssachen (gem. § 140 Abs. 2 StPO analog);
•der Anspruch der Gefangenen auf PKH in Strafvollzugssachen bereits bei positiver Schlüssigkeitsprüfung eines Antrags;
•die Abschaffung der Kostenpflicht in Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG.

Zum Thema »Resozialisierung«

Eine Entlassungsvorbereitung findet in vielen Fällen überhaupt nicht statt. Ein gelungener Übergang aus dem Gefängnis in die Freiheit muss bereits während der Haft beginnen. In diesem Zusammenhang fordern wir insbesondere
• die Anhebung des Personalschlüssels für Sozialarbeiter und Psychologen in den Gefängnissen und
•einen Anspruch auf Therapie für therapiebedürftige Gefangene;
•die seit langem geforderte angemessene Entlohnung für Gefangene und deren Einbeziehung in die Kranken- und Rentenversicherung muss endlich praktiziert werden;
•der offene Vollzug muss wieder Regelvollzug werden;
•einen Ausbau der Strafaussetzung zur Bewährung durch sorgfältige Vor- und Nachsorge;
•die Schaffung von sinnvollen Ausbildungs-, Qualifizierungs- und Arbeitsmöglichkeiten innerhalb der Anstalten sowie
•die Gesetzliche Neuregelung der Entlassungsvorbereitung (z.B. Anspruch auf Ausführungen zur Arbeits- und Wohnungssuche)

Eröffnungsvortrag:

Rechtsanwalt Dr. habil jur. Helmut Pollähne: Alternativen zur Freiheitsstrafe

»Was sind Alternativen zur Freiheitsstrafe? Schon der Plural irritiert, denn es wird durchaus vertreten, es gebe immer nur eine Alternative … dieser linguistische und etymologische Streit muss hier nicht ausgetragen werden, aber es sei doch der Hinweis gestattet, dass die eine Alternative zur Freiheitsstrafe lautet: keine Freiheitsstrafe.«