Strafverteidigertag Rechtspolitik

Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe

Policy Paper der Strafverteidigervereinigungen

Autoren: Thomas Uwer & Jasper von Schlieffen

Berlin, September 2016

 

Download PDF-Version

 

Einleitung

Die lebenslange Freiheitsstrafe gilt heute weithin als alternativlos. Selbst Kritiker*innen der Sanktion sind vielfach der Auffassung, dass unter den gegebenen Bedingungen eine Abschaffung unrealistisch wäre, weil »ein System, das von vornherein nur zeitige Strafen kennt, [...] der Öffentlichkeit zum jetzigen Zeitpunkt nicht vermittelbar« wäre.|1|

Gegen menschenrechtliche Bedenken wird gerne ins Feld geführt, Lebenslang sei längst – spätestens seit Einführung des § 57a StGB (Strafaussetzung zur Bewährung nach Mindestverbüßungsdauer) – nicht mehr lebenslang, sondern de facto eine Zeitstrafe.

Befürworter*innen der lebenslangen Freiheitsstrafe betonen auch gerne den »normfestigenden Charakter« der Sanktion. Die ultimative Strafe sei unverzichtbar, um den besonderen Wert der durch sie ‚geschützten‘ Rechtsgüter zu verdeutlichen. Lebenslang gilt hier als »Flaggschiff« des Strafrechts und »zumindest derzeit noch unerlässlich für die Verwirklichung der Kommunikationsaufgabe, die das Strafrecht hat«.|2 In den Empfehlungen der vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz 2014 ins Leben gerufenen Expertenkommission zur Reform der Tötungsdeliktsnormen heißt es sogar, die lebenslange Freiheitsstrafe sei »sozialethisch gleichsam die ‚Leitwährung‘ des Strafrechts«.

Die Strafverteidigervereinigungen sehen dies anders: Die lebenslange Freiheitsstrafe ist eine Vernichtungsstrafe. Als Totalverfügung des Staates über den von ihr betroffenen Bürger macht sie ihn zum Objekt von Strafe. Sie fügt damit den von ihr Betroffenen wie auch dem Rechtssystem einen anhaltenden und schwer zu heilenden Schaden zu. Aufgrund ihres grenzenlosen Charakters passt sie nicht in das Strafe begrenzende System des Schuldstrafrechts. Die lebenslange Freiheitsstrafe macht das Leben auch nicht sicherer. Vor allem im Bereich der Tötungsdelikte zeigt sich die völlige Wirkungslosigkeit der generalpräventiven Abschreckung durch Strafe. Und: Die lebenslange Freiheitsstrafe ist keineswegs alternativlos. Die Strafverteidigervereinigungen sind daher der Ansicht, dass die lebenslange Freiheitsstrafe abgeschafft werden muss.

 

1. Ursprung im NS-Täterstrafrecht

»Ihrer Konstruktion nach ist die lebenslange Freiheitsstrafe eine elastisch gemachte Todesstrafe«.|3

In der (bundes-)deutschen Rechtsgeschichte sind Mordparagraph und lebenslange Freiheitsstrafe untrennbar miteinander verbunden. Zwar kommt eine lebenslange Freiheitsstrafe – optional – auch bei anderen Delikten in Betracht,|4 in der Praxis wird sie allerdings fast ausnahmslos bei Mordverurteilungen ausgesprochen.|5
Mit Abschaffung der Todesstrafe durch Art. 102 GG im Jahr 1949 wurde die lebenslange Freiheitsstrafe in § 211 StGB als Surrogat der Todesstrafe in das StGB aufgenommen. Während § 211 StGB unberührt blieb, wurde die Rechtsfolge äußerlich an die Zivilisierung der Gesellschaft angepasst und die körperliche durch die soziale Vernichtung – den gesellschaftlichen Ausschluss durch Einschluss »bis zum Tode« – ersetzt. Im Kern blieb die Sanktion dem Gehalt des nationalsozialistischen Mordparagraphen aber gemäß: Sie stößt den seinem Wesen nach niedrigen und besonders verwerflichen Täter für immer aus. Die Rechtsfolge des § 211 StGB ist dem Wesen nach also eine Vernichtungsstrafe. Dies entspricht der in den Mordmerkmalen enthaltenen Tätertypisierung.

»Es war das erklärte Ziel des Gesetzgebers, mit der Einführung des § 211 RStGB durch das ‚Gesetz zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuches‘ vom 4.9.1941 das bis dahin den Mord prägende Überlegungskriterium – laut Freisler ‚ein echtes Kind einer hauptsächlich auf den Intellekt eingestellten Zeit‘ – zu ersetzen durch eine sittliche Wertung, die die Abgrenzung zwischen Mord und Totschlag nunmehr kennzeichnen sollte. [...] Freisler, Staatssekretär im Reichsjustizministerium und Mitglied der damaligen Strafrechtskommission, erläuterte zur Bedeutsamkeit einer sittlichen Bewertung im Strafrecht, ‚jede strafrechtliche Mißbilligung [setze] die gemeinschaftsittliche Mißbilligung‘ voraus und ‚das Strafrecht [habe] in der staatlich-autoritativen Feststellung einer gemeinschaftsittlichen Mißbilligung überhaupt seine Grundlage‘.«|6
Die aus dem RStGB übernommene Unterscheidung zwischen Totschlag und Mord beruht auf Merkmalen, die dem Täter zugeschrieben werden, sie begründet sich nicht rein tatbestandlich. Der spätere Vorsitzende des Volksgerichtshofs Roland Freisler, der an der Formulierung der Tatbestandsmerkmale von Mord und Totschlag im Sinne der Tätertypenlehre mitgewirkt hat, hob den Unterschied in der Deutschen Justiz (DJ) wiefolgt hervor:
»Der Mörder ist von grundsätzlich anderer Wesensart als derjenige, der einen Totschlag begeht. [...] Der Mord zeigt gegenüber dem Totschlag eine besonders gemeine Gesinnungsart, die im besonders verwerflichen Motiv oder in dem angewandten, besonders gemeinen Mittel Anwendung findet.«|7

Auf diesem Unterschied gründet auch die verschiedene Rechtsfolge: hier zeitige Freiheitsstrafe, dort absolute Strafe (lebenslang bzw. damals: Todesstrafe). Das darin enthaltene (Un-)Werturteil zielt – wie § 211 StGB – nicht auf die Tat, sondern auf den Täter und dessen Beweggründe.|8 Die (soziale oder körperliche) Liquidierung des Verurteilten rechtfertigt sich, wenn überhaupt, nur mittels der Vorstellung einer in seinem Wesen liegenden Schuld, die in der Abkehr von der »Gemeinschaftssittlichkeit« liegt. Denn setzt Strafe am Wesen des Täters an, statt an seinem Handeln, dann ist folgerichtig auch das Ziel der Strafe nicht eine (Verhaltens-)Korrektur, sondern die Bekämpfung des wesenhaft gefährlichen Täters. Auf der tatbestandlichen Ebene wurden in der Neufassung des Mordparagrafen der reinen Tätertypisierung zwar weitere Tatbestandsmerkmale zur Seite gestellt, die aber normativ (an der Gemeinschaftssittlichkeit) ausgerichtet sind und die Beurteilung der Tat – »wie die Betrachtung des Täters« – »im Sinne der Einheit von Recht und Sitte für außergesetzliche Wertungen« öffnet.|9 Täter und Tat werden als (unsittliche) Einheit definiert.

An dieser normativ-sittlichen Bewertung des Täters und der seinem Wesen adäquaten Tat wurde in § 211 StGB auch nach 1945 festgehalten. Immer wieder erhobene Forderungen nach einer rein sprachlichen Reform der Tötungsdeliktsnormen (»Mörder ist ...«) greifen schon deshalb offenkundig zu kurz, weil tätertypisierende Mordmerkmale und absolute Strafe zusammengehören.|10 Denn eben weil der Tatbestand am Wesen des Täters statt an der schuldhaft begangenen Tat anknüpft,|11 setzt folgerichtig auch die Rechtsfolge beim Täter an und schafft ihn aus dem Leben. »Die Tätertypenlehre«, schrieb der NS-Jurist Friedrich Schaffstein über den Mordparagrafen, begreift »im Leitbild des ‚Typs‘ Tat und Täter als Ganzes ...«|12 Die absolute Strafe ist die logische Rechtsfolge dieses ganzheitlichen Tat/Täter-Verständnisses. In der lebenslangen Freiheitsstrafe lebt so die Tätertypisierung des Nationalsozialismus bis heute fort.

2. Vernichtungsstrafe

An dem Charakter der lebenslangen Freiheitsstrafe als Vernichtungsstrafe ändert auch § 57 a StGB im Grundsatz nichts. Die mitunter vertretene Auffassung, wonach die lebenslange Freiheitsstrafe mit Schaffung der Möglichkeit einer Aussetzung n. § 57 a StGB de facto zu einer zeitigen Freiheitsstrafe geworden sei, lässt sich weder anhand der Zahlen zur Entwicklung der Verbüßungszeiten bestätigen, noch wird sie dem besonderen Charakter der Unbestimmtheit gerecht, der die lebenslange Freiheitsstrafe auszeichnet.|13 Betrug die durchschnittliche Verbüßungszeit vor Einführung des § 57 a StGB 20 Jahre,|14 so lag sie in der Folgezeit immer noch bei etwa 19 Jahren, um mittlerweile (2013) auf über 20 Jahre (20,3) anzusteigen.|15 Zwischen zehn und 20 Prozent der Verurteilten sterben in Haft – jene nicht eingerechnet, die aufgrund schwerer Krankheit vorzeitig entlassen werden und kurz darauf versterben.|16 Hinzu kommt, dass mit Einführung des § 57 a StGB die Zahl der zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten angestiegen ist, was i.d.R. damit erklärt wird, dass die Hemmschwelle für Richter gesunken sei, lebenslänglich zu verhängen.

Dabei darf nicht übersehen werden, dass § 57 a StGB nicht nur die Möglichkeit auf Strafrestaussetzung zur Bewährung bietet, sondern auch eine Mindestverbüßungsdauer von 15 Jahren festschreibt. Lebenslang ist damit 15 Jahre plus X, wobei im »X« die Absolutheit der Strafandrohung enthalten bleibt als (nicht nur theoretische) Möglichkeit, dass der Freiheitsentzug tatsächlich bis zum Lebensende andauert.

§ 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 normiert zugleich, dass ein zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilter nur dann Aussicht auf eine Strafaussetzung zur Bewährung hat, wenn »nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet«. Die Feststellung der »besonderen Schwere der Schuld« erfolgt durch das Tatgericht, die konkrete Höhe der Vollstreckungsdauer legt dann im zweiten Schritt die Strafvollstreckungskammer fest – viele Jahre nach der ursprünglichen tatgerichtlichen Entscheidung. Die Festlegung auf die konkrete Höhe der Vollstreckungsdauer erfolgt so »im Regelfall erst zehn bis 13 Jahre nach der Tat und damit nach langem Warten im Strafvollzug«.|17 Mindestens bis dahin bleibt die Drohung einer ganz real lebenslangen Strafe erhalten.

Selbst wenn die prinzipiellen Voraussetzungen zur Aussetzung der Reststrafe nach 15 Jahren vorliegen, lebt der Verurteilte also bis zur Entscheidung über den entsprechenden Antrag in völliger Ungewissheit sowohl darüber, ob die konkreten Voraussetzungen bei ihm als gegeben angesehen werden, als auch darüber, wie lange in seinem Fall die tatsächliche Freiheitsstrafe dauern wird. Letztlich kann die Strafrestaussetzung nach Ablauf der Mindestverbüßungszeit immer an der Hürde der Legalbewährungsprognose scheitern.

Insbesondere diese Unbestimmtheit der tatsächlichen Strafdauer wirkt sich wiederum in besonderer Weise auf die Betroffenen aus.|18 So ist bereits unabhängig von der konkreten Verbüßungszeit die völlige Unbestimmtheit der tatsächlichen Haftdauer von besonderem Übel und wirkt selbst als Strafe.|19

§ 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB schließlich macht mit Verweis auf die Prognoseklausel des § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB die (prognostizierte) »Ungefährlichkeit« des Verurteilten zur Voraussetzung. Wird eine anhaltende Gefährlichkeit des Verurteilten prognostiziert, so kann dieser alleine aufgrund einer vermuteten Rückfallgefahr prophylaktisch mit unbestimmter Dauer weggesperrt werden. Die weitere Vollstreckung der Haft hat nunmehr reinen Maßnahmencharakter – sie dient der Sicherung vor der prognostizierten Tätergefährlichkeit und hat sich von der eigentlichen Tat weitgehend gelöst.

»Tatsächlich handelt es sich bei der gefährlichkeitsbedingten Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe um eine hybride Variante, die Elemente der Strafe und einer sichernden Maßregel vereinigt. Ausgangspunkt bleibt die Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Doch ist die für das schuldhafte Verhalten ausgeworfene Strafe eben schon verbüßt.«|20

Jenseits aller berechtigten und vielfach geäußerten Zweifel an der Zuverlässigkeit von Prognosegutachten|21 zeigt sich hier ein Grundproblem der lebenslangen Freiheitsstrafe: Da sie an (vermeintlichen) Merkmalen der Täterpersönlichkeit statt alleine an der Tat anknüpft, löst sie sich vom Wesen der Strafe als Reaktion auf ein begangenes Unrecht und wird zur Sicherungsmaßnahme auf der Grundlage einer möglicherweise zu erwartenden Gefährlichkeit des Täters.|22 Daran ändert auch eine Regelung im Kern nichts, die die Verantwortung für die unbestimmte Fortdauer der Haft auf die gutachterliche Prognoseentscheidung verschiebt.

Derartige Sicherungsmaßnahmen werfen immer auch grund- und menschenrechtliche Bedenken auf. Anknüpfend an das Menschenbild der Aufklärung, wonach der Mensch niemals bloßes Mittel zum Zweck sein dürfe,|23 verbietet das im Grundgesetz verankerte Prinzip der Menschenwürde es, den Menschen zum reinen Objekt staatlichen Handelns zu machen.|24 Der Entzug der persönlichen Freiheit bedarf daher einer besonderen Legitimation, die über die konkret zumessbare individuelle Schuld hergestellt wird [ausführlich zum Schuldstrafrecht ab S. 15].|25 Hier wirft nicht nur die weitere Vollstreckung der Haft nach Verbüßung der im Taturteil festgestellten Schuld regelmäßig Bedenken auf, auch wenn das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass auch die rein auf Gefährlichkeit beruhende Fortdauer der Haft die Menschenwürde nicht verletze.|26
Nur scheinbar ungeklärt bleibt seit der Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1977 auch die Frage, ob und in welchem Ausmaß der Vollzug der lebenslangen Freiheitstrafe zu schweren und mitunter irreparablen Haftschäden führt. In seinem Urteil vom 21. Juni 1977 hat das Gericht (auf der Grundlage sich widersprechender Gutachten) im 2. Leitsatz zwar festgehalten, dass
»[n]ach dem gegenwärtigen Stand der Erkenntnisse [...] nicht festgestellt werden [kann], dass der Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe [...] zwangsläufig zu irreparablen Schäden psychischer und physischer Art führt, welche die Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG) verletzen.«|27

Zwei der vier eingeholten Gutachten kamen allerdings sehr wohl zu dem Schluss, dass »nach einer gewissen Haftdauer erhebliche Schädigungen sowohl körperlicher Art als auch im seelisch-geistigen Bereich aufträten, die kaum zu beheben« seien,|28 während wiederum zwei weitere Gutachten nicht bestätigten, dass der Vollzug lebenslanger Freiheitstrafe »in der Regel eine irreparable Schädigung der Persönlichkeit oder der Gesundheit der Gefangenen zur Folge habe« [Hervorh. d. Verf.].|29

Die Folgen langer Freiheitsstrafen sind erforscht und weithin bekannt:|30 Lange Freiheitsstrafen führen bei vielen Gefangenen zu einem Persönlichkeitsverfall, der durch Interesselosigkeit, Verlangsamung, Autoaggression und Feindseligkeit nach Außen gekennzeichnet ist.|31 Bei Langzeitgefangenen ist ein sukzessiver Wegfall von Außenkontakten, eine »Deprivation im sensoriellen Bereich« durch die sehr eingeschränkten Wahrnehmungsmöglichkeiten im Vollzug und den »Mangel an Zukunftsperspektive« festzustellen.|32 Mit zunehmender Haftdauer steige die Wahrscheinlichkeit von Haftschäden erheblich an.|33 Gefangene würden »lebensuntüchtig«, stumpften ab und »verfielen« körperlich und seelisch.|34 Etwas mehr als jede zehnte lebenslange Freiheitsstrafe wird nicht durch Entlassung (oder Ausweisung), sondern durch den Tod des Gefangenen beendet. Dessecker sieht in diesen »Todesfällen im Vollzug [einen Verweis] auf die Problematik von Haftschäden durch langjährige Freiheitsentziehungen«.|35

Im Hinblick auf die lebenslange Freiheitsstrafe fasst Kinzig zusammen, dass
»die unbestimmte Dauer der lebenslangen Freiheitsstrafe, insbesondere nach Verbüßung der (besonderen Schwere der) Schuld, [...] schwerwiegende psychische Auswirkungen haben, den Strafgefangenen demotivieren und ihn in Lethargie und Passivität führen [kann].«|36

Dies steht im Einklang mit internationalen Befunden:|37
»Prisoners sentenced to life imprisonment suffer from psychological and sociological problems that may cause de-socialisation and dependence, which are harmful to the health of the individual prisoner. [...] These problems are particularly compounded by the indeterminate nature of some life and long-term sentences, as the uncertainty of release makes it difficult for prisoners to envision a future outside the prison environment. [...] The prolongued deprivation of liberty and curtailment of basic rights can lead to numerous ill-effects, including increased social isolation, de-socialisation, the loss of personal responsibility, an identity crisis and an increased dependency on the penal institution.«|38

In Italien sorgte 2007 ein offener Brief von über 300 zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten für Aufsehen, der die Wiedereinführung der Todesstrafe forderte – als »humane Alternative« zum täglichen Dahinsterben der Lebenslangen.|39

Angesichts dessen wirft die Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts mehr Fragen auf, als sie Antworten liefert. Die dem Urteil zugrunde gelegte Analyse des Forschungsstands verweist zwar darauf, dass es keine einheitliche Bewertung möglicher Haftschäden durch den Vollzug lebenslanger Freiheitsstrafe gäbe. Kinzig allerdings weist darauf hin, dass die »Gruppe von Autoren, die ‚schwerwiegende Haftschäden behaupten‘ [...], die quantitativ bei weitem größte Gruppe« ist.|40 Das Bundesverfassungsgericht wertete diese »Unklarheiten« jedoch zu Lasten des Grundrechtsträgers (u.a. mit dem Hinweis darauf, dass die »volle Verbüßung der lebenslangen Freiheitsstrafe eine seltene Ausnahme« sei). Alleine daraus ergibt sich eine besondere Beobachtungspflicht des Gesetzgebers, mögliche Haftschäden infolge langer und/oder lebenslanger Freiheitsentziehung zu erforschen.|41 Diese Pflicht aber wird seit 1977 geflissentlich ignoriert. Seitdem sind praktisch keine neueren Studien in Deutschland durchgeführt, keine Untersuchung ist beauftragt worden.|42

3. Strafzwecke

»Den Menschen, der etwa zehn Jahre Gefängnis in Kauf nimmt, der sich aber von 15 Jahren erfolgreich vom Verbrechen abhalten läßt, gibt es wohl nur in der Vorstellung mancher Politiker.«|43

»Wir wissen heute durch rechtssoziologische, sozialpsychologische und kriminologische Untersuchungen, dass der Beitrag, den das Strafrecht zu der Verhütung von Straftaten leistet, relativ begrenzt ist... Die meisten Straftaten unterbleiben nicht, weil das Strafrecht sie verbietet oder die Strafdrohungen potentielle Täter abgeschreckt haben.«|44

Die Abschreckung potentieller Täter durch die Androhung von Strafe wird gerne als zentrale Aufgabe des Strafrechts gesehen. Dabei gilt seit längerem als fraglich, ob überhaupt ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Strafandrohung und Kriminalitätsentwicklung besteht.|45 In Bezug auf Gewaltdelikte jedenfalls überwiegen die Zweifel an der abschreckenden Wirkung der Strafandrohung deutlich. Dennoch hält sich die Vorstellung, dass besonders schwere Strafen besonders abschreckend wirken, hartnäckig.

Insbesondere bei Tötungsdelikten ist davon auszugehen, dass der Aspekt der Abschreckung weitgehend irrelevant ist. Wer einen Menschen tötet, wägt in der Regel nicht rational kalkulierend ab, ob die Tat die mögliche Strafe lohnt.|46 Vielmehr findet die Tat in der überwiegenden Zahl der Fälle als »krimineller Übersprung« statt.|47 »Das Tötungsdelikt ist ein Beziehungsdelikt«|48: »Der gefährlichste soziale Nahraum ist die Familie, in der etwa zwei von fünf Tötungen geschehen, mit einer besonderen Gefährdung von Mädchen und Frauen.«|49

Dementgegen richtet sich
»[d]ie negative Generalprävention [...] an den rational kalkulierenden Täter. Kriminologische Untersuchungen zeigen jedoch, dass ein rationales Kalkül der Tatfolgen keineswegs bei jeder Tat vorliegt, sondern eher die Ausnahme ist. Dies gilt insbesondere für die Fälle der erheblichen, oftmals im Affekt verübten Gewaltverbrechen...«|50

Vor allem aber muss als äußerst fraglich gelten, dass die Verlängerung der Dauer einer Freiheitsstrafe zugleich auch die abschreckende Wirkung verstärkt.|51 Kaiser fasste daher bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem BVerfG im März 1977 die ernüchternden Befunde zur präventiven Wirkung der lebenslangen Freiheitsstrafe wiefolgt zusammen:
»Meßbare verbrechensmindernde Wirkungen lassen sich bei der schwersten Gewaltkriminalität aus einer bestimmten Art der Sanktionsandrohung nicht herleiten. [...] Die Verbüßung längerer Strafzeiten führt bei erwachsenen Strafgefangenen nicht zu geringerer Rückfälligkeit als kürzere Verbüßungszeiten. [...] Eine präventive Wirkung der lebenslangen Freiheitsstrafe läßt sich beim Mord für den potentiellen Täterkreis nicht feststellen.«|52

Selbst wenn man entgegen kriminologischer Erkenntnisse eine Kosten-Nutzen-Kalkulation im Vorfeld der Tat unterstellte, so müsste in jedem Falle in die rationale Abwägung auch das Entdeckungsrisiko und damit die Bestrafungswahrscheinlichkeit einfließen.|53 Diese ist bei Tötungsdelikten mit über 90 Prozent sehr hoch.
»In dieser Konsequenz wird gelegentlich sogar von einer generalpräventiven Wirkungslosigkeit der Strafandrohung ausgegangen, denn ein Täter, der eine vorsätzliche Tötung begeht, würde in der Regel damit rechnen, dass er seiner Strafe nicht entgehen kann. Er würde töten, obwohl er mit Entdeckung rechnet«.|54
Die Zahl vorsätzlicher Tötungen bleibt in Deutschland seit Jahrzehnten in etwa gleich niedrig (mit einer deutlich abnehmenden Tendenz in den vergangenen Jahren)|55, während die Aufklärungsquote mit deutlich über 90 % (für § 211 StGB in 2015: 94,8 %) sehr hoch ist.|56 Der internationale Vergleich der festgestellten vorsätzlichen Tötungen nach Ländern legt zugleich nahe, dass die Mordrate (Morde pro 100.000 Einwohner) von anderen Faktoren als dem Ausmaß der Abschreckung durch Strafandrohung bestimmt wird. So lag die Mordrate in den USA, wo Tötungsdelikte in einigen Bundesstaaten mit der Todesstrafe geahndet werden, bei 4,6 und damit fast viermal so hoch wie in Deutschland (0,8 in 2012)|57. Andererseits lag sie in Ländern, die keine lebenslange Freiheitsstrafe kennen, nicht oder nicht signifikant höher (0,8 in Spanien|58, 0,6 in Norwegen|59, Portugal 1,2). Eine höhere Strafandrohung bedeutet also noch keinen besseren Schutz vor Tötungsdelikten.

Dies gilt auch im Hinblick auf die gerne unterstellte Sicherungsfunktion der lebenslangen Freiheitsstrafe. Dass, wer bis zum Lebensende weggesperrt ist, niemanden mehr töten kann, ist unzweifelhaft richtig. Genauso richtig aber ist, dass – legt man die Rückfallquoten zugrunde – fast alle der wegen Mordes verurteilten dies ohnehin nicht getan hätten.
»[Es] bleibt festzuhalten, dass die ‚einschlägige‘ Rückfallquote bei Tötungsdelikten extrem niedrig ist. [...] Insbesondere erneute Tötungen kommen hier fast überhaupt nicht vor.«|60

Innerhalb der Tötungsdelikte ereignen sich spezifische Rückfälle bei Mördern praktisch nicht.|61 Ganz folgerichtig stellte denn auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe vom 21. Juni 1977 fest, »daß der Sicherungszweck allein die ausnahmslose Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe bei Mord nicht rechtfertigt.« Denn entscheidend sei nicht, dass die lebenslange Verwahrung zur Sicherung geeignet, sondern ob sie notwendig ist. Das Gericht ging seinerzeit von einer Rückfallquote von fünf Prozent aus. Neuere Studien sehen die Rückfallquote bei den Tötungsdelikten bei etwa einem Prozent,|62 bei Mord deutlich unter einem Prozent.|63
Schlechter noch ist es um die spezialpräventiven Begründungen der lebenslangen Freiheitsstrafe bestellt. Bei allen widersprüchlichen Ergebnissen, zu denen Untersuchungen zu den Straffolgen (Haftschäden) kommen mögen, bleibt doch festzustellen, dass lange Freiheitsstrafen alles andere als resozialisierungsfördernd sind. Ziel der positiven Spezialprävention kann es aber nicht sein, dass ein aus der Haft entlassener nur noch gerade so lebensfähig ist. Er soll vielmehr befähigt sein, ein Leben in Freiheit ohne Straftaten zu führen – und sich also in einem in dieser Hinsicht besseren Zustand als zu Beginn der Haft befinden. Dies scheitert bereits bei zeitigen Freiheitsstrafen regelhaft an der Vollzugsrealität. Es ist ein ungelöster Widerspruch der Freiheitsstrafe, dass sie zwar ein Instrument der Vergeltung, aber keinesfalls ein gutes Mittel zur Besserung und Resozialisierung darstellt. Die lebenslange Freiheitsstrafe stellt den bekannten Negativfolgen langer Freiheitsstrafen bis hin zum Persönlichkeitsverfall den Verlust einer zeitlichen Perspektive auf eine Zukunft in Freiheit zur Seite. Die Möglichkeit, das eigene Leben planen und in die Zukunft hinein gestalten zu können, ist ein wesentlicher Bestandteil des Menschenbildes seit der Aufklärung. Strafe muss daher berechenbar, sie muss zeitig sein.

4. Normbekräftigung durch Strafe?

Es fällt also nicht ganz leicht, die lebenslange Freiheitsstrafe aus den anerkannten Strafzwecken heraus zu begründen. Allen, die dennoch an der lebenslangen Freiheitsstrafe festhalten möchten, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Leiturteil vom 21. Juni 1977 einen Ausweg gewiesen: die »normbestätigende Wirkung der Strafe«. Durch die Verhängung langer Freiheitsstrafen werde »der besondere Rang des Rechtsguts dokumentiert und damit das Wertgefüge zum Schutz des Rechtsguts stabilisiert«.|64 Im Urteil heißt es wörtlich:
»Gerade eine so schwerwiegende Strafe wie die lebenslange Freiheitsstrafe ist besonders geeignet, im Bewußtsein der Bevölkerung die Erkenntnis zu festigen, daß das menschliche Leben ein besonders wertvolles und unersetzliches Rechtsgut ist, das besonderen Schutz und allgemeine Achtung und Anerkennung verdient. Durch die Bildung dieses Bewußtseins wird in der Bevölkerung ganz allgemein die Hemmung erhöht, menschliches Leben zu gefährden, insbesondere aber vorsätzlich zu vernichten.«|65

Dass Freiheitsstrafen aber tatsächlich derart wirken, war (und ist) lediglich eine Vermutung. Denn ob das dahinterstehende Konzept einer Bekräftigung von Normen durch das Strafrecht überhaupt (empirisch) nachweisbar ist, wird seit langem bestritten,|66 die bewusstseinsbildende Wirkung wurde von den Verfassungsrichtern seinerzeit lediglich unterstellt. Damit einhergehen nicht nur rein begriffliche Unschärfen bei der Unterscheidung zwischen positiver und negativer Generalprävention.

»Strafe als Mittel der Abschreckung ist ein Grund für unfreiwillige Normbefolgung. Dagegen läßt sich die Idee der positiven Generalprävention darin sehen, daß staatliche Strafe ein Mittel sein kann, um zu freiwilliger Normbefolgung zu motivieren. Diese Charakterisierung erhellt die Schwierigkeit, um nicht zu sagen Merkwürdigkeit einer Theorie der positiven Generalprävention: Denn warum sollte ausgerechnet Strafe ein Grund sein, eine strafbewehrte Norm freiwillig zu befolgen?«|67

In Bezug auf vorsätzliche Tötungen hat Walter der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts dementsprechend entgegengehalten, dass »[d]as Tötungstabu [...] regelmäßig auf moralischen Überzeugungen und nicht auf einer Kenntnisnahme des Strafgesetzbuches« beruhe.|68

Die Vorstellung, die Bürger benötigten einer steten Normbekräftigung durch die Bestrafung der Normbrecher, zeugt zugleich von einem tiefen Misstrauen gegenüber den Bürgern,|69 das wenigstens für Tötungsdelikte historisch gänzlich unangemessen ist. Denn wann immer das kulturell tief verankerte Tötungstabu im vergangenen Jahrhundert in großem Maßstab aufgeweicht wurde, geschah dies nicht gegen den erklärten Willen des Staates und seiner Organe, sondern stand in der Regel im Einklang mit staatlicher oder parastaatlicher Gewalt.|70 Empirisch betrachtet kann – sowohl im Hinblick auf die Zahl als auch auf die Qualität vorsätzlicher Tötungen – kein ernstzunehmender Zweifel daran bestehen, dass die größte Gefahr für Leib und Leben der Bürger nicht von ihren Mitbürgern ausgeht, sondern von Staaten und ihren Institutionen. Auch deshalb ist das rechtsstaatliche Strafrecht an das Schuldprinzip gebunden, das die Gewalt des Staates auf ein konkret begründbares Minimum begrenzt und den Bürger schützt.

Andererseits zeugt die Vorstellung von Strafe als Volkserziehungsmaßnahme von einer paternalistischen Wahrnehmung von Bürgern als bestenfalls begrenzt einsichtsfähig, die sich auch in der wiederkehrenden Begründung spiegelt, ein Verzicht auf die lebenslange Freiheitsstrafe sei der Bevölkerung »nicht vermittelbar«,|71 eine Annahme, die sich empirisch nicht ohne weiteres bestätigen lässt.|72 Zweifel sollten jedenfalls dahingehend bestehen, dass es ausgerechnet der lebenslangen Freiheitsstrafe bedarf, um Menschen in ihrer Rechtstreue zu stärken.

Geht es nämlich nur oder vorwiegend darum, das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsordnung zu stärken, dann wären andere Mittel nicht nur milder, sondern möglicherweise sogar effektiver.
»Wenn es tatsächlich [...] nur darum geh[t], die Negativität des Verbrechens zu zeigen, so wäre es der modernen Gesellschaft viel eher angemessen, dies nicht durch die Strafrechtspflege, sondern im Wege der Fernsehwerbung zu zeigen.«|73

Begründet sich die (absolute) Strafe aber aus dem Zweck der Normbestätigung, so wird der Verurteilte zum Objekt der Strafe. »Der Täter wird für Bedürfnisse herangezogen, die außerhalb seines Verantwortungsbereiches liegen. Schließlich kann er nichts dafür, dass andere Bevölkerungsmitglieder nicht durch eigenen Vernunftsbeschluss erkennen, dass ein bestimmtes Verhalten falsch ist.«|74 Letztlich: Welchen besonderen Wert des menschlichen Lebens möchte der Gesetzgeber den Bürgern ins Bewusstsein bringen, wenn er dazu selbst über das Leben des Verurteilten verfügt, zumindest, wenn man unter Leben mehr als nur die rein körperliche Fortexistenz versteht?|75 Die absolute Strafe bekräftigt daher weniger den absoluten Wert des Rechtsguts Leben, als vielmehr die staatliche Verfügbarkeit über das Leben des Verurteilten zu Zwecken einer mehr schlecht als recht begründeten Generalprävention.

Selbst wenn das Konzept der positiven Generalprävention schlüssiger wäre und man der Begründung des BVerfG dahingehend folgte, dass eine normbestätigende Wirkung besteht, so stellte sich doch die Frage, warum die Rechtsfolgen des § 212 dann anders als in § 211 StGB gefasst sind. Es ist schwer nachzuvollziehen, warum die eine Tötung weniger »unwert« sein sollte, als die andere, wird der Wert des Rechtsguts Leben doch durch jede vorsätzliche Tötung in Frage gestellt.|76

5. Schuldstrafrecht

Strafe ist staatliches Übel, das einer Person nur wegen »eines dieser Person objektiv zurechenbaren rechtswidrigen Verstoßes gegen ein Strafgesetz, als Antwort bzw. Reaktion auf eine Tat zugefügt«|77 werden darf – und zwar nur dann, wenn »der Verstoß schuldhaft verübt worden ist«.|78 Dieses Schuldprinzip spielt – neben der Unschuldsvermutung und dem Verbot der Verdachtsstrafe – eine zentrale Rolle beim Schutz der Freiheit vor dem Staat und ist daher mit Verfassungsrang ausgestattet.|79 Das Schuldprinzip schützt den Bürger vor dem strafenden Staat. Strafe muss schuldangemessen sein. Die Schwere der Schuld spiegelt sich in der Schwere der Strafe wider. Wenn überhaupt, dann ist die konkret zurechenbare »Schuld« die »sozial-ethische Leitwährung« des Strafrechts, da sich an ihr alles weitere bemisst.

Strafe – auch Freiheitsstrafe – ist immer mehr als nur abstrakter Ausgleich einer Normverletzung. Sie ist ein konkretes Übel; sie bringt Leid über den Verurteilten. Zwar gilt auch hier, dass das Ausmaß des über ihn gebrachten Leids der Schwere seiner Schuld entsprechen muss. Dennoch darf Strafe – auch als bewusste Übelszufügung – nicht zerstörerisch sein. Auch derjenige, der die allerschwerste Schuld auf sich geladen hat, hat einen Anspruch auf eine Rückkehr in ein menschenwürdiges Leben. Eine analoge Aufrechnung von Schuld und Strafe ist unter Wahrung der Menschenwürde nicht möglich.

Das Schuldprinzip als Schutz vor dem willkürlich strafenden Staat, wirft zugleich erhebliche praktische Probleme auf. Schuld ist nicht physikalisch messbar oder mathematisch berechenbar, noch ist sie in konkrete Haftzeiten umrechenbar. Eine Formel, die das Maß der Schuld exakt bestimmte und im zweiten Schritt in eine adäquate Freiheitsstrafe umrechnete, existiert nicht. Dem wird über die Strafzumessung versucht Rechnung zu tragen. Hier kommen auch jene Aspekte zur Geltung, die nicht Merkmale des Tatbestandes sind: die Ausrichtung an den Strafzwecken, die persönlichen Hintergründe des Täters, die Auswirkungen der Tat, die Beweggründe und Tatziele, aber auch die Wirkung der Strafe auf den Täter und die damit verbundenen Resozialisierungsaussichten. Die Strafzumessung bewegt sich dabei in einem vorgegeben Koordinatensystem, dessen Skala von einem unteren (Mindeststrafe) bis zu einem oberen Ende (Höchststrafe) reicht. In dieses System lässt sich die absolute Strafe nicht sinnvoll einpassen.|80 Seit jeher wird deshalb der mit dem Tatbestand des § 211 StGB (Mord) einhergehende sog. »Sanktionensprung« kritisiert, der in Wirklichkeit kein »Sprung«, sondern ein Abgrund ist: Bei Erfüllung der Mordmerkmale wird die Strafzumessung obsolet, der Verurteilte stürzt in den Abgrund der lebenslangen Strafe.|81 Orientiert sich rechtsstaatliche Strafe aber zuvorderst an der schuldhaften Begehung der Tat, so lässt sich dieser Sanktionenabgrund nicht begründen. Welche endlose Schuld entspricht schon der endlosen Strafe? Oder anders formuliert: Welches (endlose) Mehr an Schuld unterscheidet die eine vorsätzliche Tötung eines Menschen, die als Totschlag qualifiziert wird, von der anderen, die aufgrund von rein auf die Motivation und Gesinnung des Täters abstellenden Merkmalen als Mord bezeichnet wird? Denn eben weil die Mordmerkmale der ersten und dritten Gruppe sich auf den Täter und seine Gesinnung beziehen, leitet sich die lebenslange Freiheitsstrafe nicht von der Tatschuld, sondern von der vermeintlichen Täterschuld ab. Während es aber eine schuldhafte Tat zweifelsohne gibt (die sich anhand der Tathandlung und des Ergebnisses der Tat bemessen lässt), kann es eine wesenshafte Schuld nicht geben.

Die gesellschaftliche Aufgabe des Schuldprinzips liegt in der Begrenzung des staatlichen Strafpotentials. Denn der Sinn rechtsstaatlichen Strafrechts besteht eben nicht allein im Strafen, sondern darin, die Möglichkeiten staatlicher Gewaltanwendung gegenüber dem Einzelnen auf das unbedingt notwendige Mindestmaß zu begrenzen und streng zu regulieren. Das Schuldprinzip leistet, indem es die individuelle Schuld an der Tat bemisst, einen wichtigen Beitrag zu dieser Begrenzung. Die sittliche Qualität menschlicher Persönlichkeit, Motive und Gesinnungen hingegen gehen den Staat nichts an und dürfen daher auch nicht Grund von Strafe sein. Der bestehende Mordparagraf und die damit untrennbar verknüpfte lebenslange Freiheitsstrafe konterkarieren dieses Freiheitsprinzip: Mit dem Leben bestraft wird die Lebensschuld des Täters.

Art. 102 GG reflektiert die Erfahrung nationalsozialistischen Unrechts: Die Todesstrafe als extremste Form der Totalverfügung des Staates über den Menschen ist abgeschafft. Darin ist eine Wertentscheidung über das Verhältnis zwischen Bürger und Staat enthalten, die sich gegen die »totale Verfügbarkeit des einzelnen Menschen zu Staatszwecken«|82 ausspricht. Wer diesen Wert teilt, der muss sich auch für die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe aussprechen. Denn in ihr lebt der totale Zugriff der Todesstrafe – »blutentleert und in die Länge gezogen«|83 – weiter.

Fazit

Die Strafverteidigervereinigungen lehnen die lebenslange Freiheitsstrafe daher seit Jahrzehnten ab. Neuere rechtspolitische Entwicklungen haben keinen Anlass gegeben, von dieser Haltung abzurücken – im Gegenteil. Die Gründe, die für die Beibehaltung der lebenslangen Freiheitsstrafe vorgebracht werden, können nicht überzeugen. Insbesondere die sog. positive Generalprävention kann keinen totalen Eingriff des Staates in das Leben von Bürgern rechtfertigen.

Die lebenslange Freiheitsstrafe ist nicht »Leitwährung« rechtsstaatlichen Strafrechts, sondern unterminiert geradezu das System schuldangemessener Strafe, deren eigentliche Leitwährung die individuell zurechenbare Schuld ist.

Sie ist trotz § 57a StGB nicht zur zeitigen Strafe verblasst, sondern bedeutet 15 Jahre + X – und in vielen Fällen tatsächlich Strafe bis zum Tode.

Lebenslange Strafen wirken weder empirisch nachvollziehbar abschreckend, noch dienen sie der Resozialisierung als Strafzweck.

Lebenslange Freiheitsstrafen sorgen nicht für mehr Sicherheit, als zeitige, noch bedürfen »normtreue Bürger« ihrer als Bestätigung des Tötungstabus.

Die lebenslange Freiheitsstrafe hat – als Surrogat der Todesstrafe – (in Deutschland) ihre Wurzeln im nationalsozialistischen Täterstrafrecht. Sie setzt – unabhängig von der täterstrafrechtlichen Terminologie des Mordparagraphen – die Vernichtungsstrafe inmitten eines Rechtssystems fort, dass die Vernichtung von Menschen insgesamt verbietet (und nicht nur deren körperliche Vernichtung).

Die lebenslange Freiheitsstrafe ist unmenschlich. Sie bringt gravierende Haftschäden mit sich, die vom Gesetzgeber seit Jahrzehnten geflissentlich ignoriert werden. Dem damit verbundenen Auftrag an den Gesetzgeber, die Folgen lebenslangen Freiheitsentzugs zu erforschen, ist dieser auch fast vier Jahrzehnte später nicht nachgekommen.

Auch der Verweis auf die Rechtslage in anderen Staaten reicht nicht aus, um das Festhalten an einer unvernünftigen und schädlichen Strafe zu rechtfertigen. Zwar ist richtig, dass die Bundesrepublik nicht durch internationalrechtliche Verpflichtungen gezwungen wäre, die lebenslange Freiheitsstrafe abzuschaffen. Es spräche zugleich aber auch nichts dagegen, wenn die Bundesrepublik in diesem Punkt einmal die Vorreiterrolle übernähme statt wichtigen rechtspolitischen Fortschritten hinterherzuhinken (vgl. bspw. die Entkriminalisierung homosexueller Handlungen unter Männern).

Die Strafverteidigervereinigungen fordern daher, die lebenslange Freiheitsstrafe endlich abzuschaffen und durch eine Strafobergrenze nicht über 15 Jahre zu ersetzen.

Anmerkungen:

1 Gabriele Kett-Straub, Die lebenslange Freiheitsstrafe, Tübingen 2011, 10
2 ebd.
3 Sebastian Scheerer: Die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe – ein Vorschlag, in: Hartmut Weber/Sebastian Scheerer (Hg.): Leben ohne Lebenslänglich. Bielefeld 1988, 125 (126)
4 § 80 StGB, § 81 Abs. 1 StGB, § 94 Abs. 2 StGB, § 97 a StGB, § 100 Abs. 2 StGB, § 176 b StGB, § 178 StGB, § 239 a Abs. 3 StGB, § 251 StGB, § 252 StGB, § 255 StGB, § 306 c StGB, § 307 Abs. 3 Nr. 1 StGB, § 308 Abs. 3 StGB, § 309 Abs. 4 StGB, § 313 Abs. 2 StGB, § 314 Abs. 2 StGB, § 316 a Abs. 3 StGB, § 316 c Abs. 3 StGB sowie §§ 7 Abs. 3, 8 Abs. 4, 11 Abs. 2 Satz 2 und § 12 Abs. 2 Satz 2 VStGB. Das VStGB kennt die lebenslange Freiheitsstrafe als absolute Sanktion jedoch auch in § 6 Abs. 1 VStGB, § 7 Abs. 1 Nr. 1 u. 2 VStGB und § 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB.
5 vgl. Kett-Straub, 2011, 73
6 Anette Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, Tübingen 2010, 39 f.
7 zit. nach Grünewald, a.a.O., 41
8 vgl. auch Kay Wagner, NS-Ideologie im heutigen Strafrecht, Frankfurt/Main 2007, 48: »Demnach werde der Täter nicht nur wegen seiner Tat bestraft, sondern weil er nach der Volksanschauung dem vom Gesetz vorgegebenen Täterbild entspreche.«
9 Wagner, 2007, 48
10 Mitunter wird auch darauf verwiesen, die Vorlage für die Fassung der Tötungsdeliktsnormen von 1941 gründe auf einem Vorentwurf des Schweizerischen Strafgesetzbuchs von 1894 und könne schon von daher nicht originär nationalsozialistisches Täterstrafrecht sein (so bspw. Michael Köhne, Immer noch reformbedürftig. Strafvorschriften zur vorsätzlichen Tötung, in: ZRP 21, 2014 22), eine Lesart, die die passgenaue Einbettung des § 211 RStGB in die NS-Strafrechtsreform geflissentlich übersieht, die sich bspw. auch durch die Unbestimmtheit der Mordmerkmale auszeichnete.
11 Zu den Folgen für das bei der individuell zurechenbaren Schuld anknüpfende Strafrecht siehe unter 5.
12 Schaffstein, DStrR 1942, 42
13 vgl. bspw. Kett-Straub, 2011, 10
14 Von 20 Jahren ging auch das BVerfG aus, BVerfGE 45, 187, 204.
15 vgl. Dessecker, 2014, 42
16 ausführliche Zahlen und Darstellung der Entwicklung auch bei Kett-Straub, 2011, 79 ff.
17 Jörg Kinzig/Benjamin Steinhilber, Lebenslange Freiheitsstrafe zwischen Mindestverbüßungsdauer und Dauerverwahrung, in: Helmut Pollähne/Irmgard Rode (Hg.), Probleme unbefristeter Freiheitsentziehungen, Münster 2010, 46
18 vgl. bspw. Snacken/van Zyl Smit, Europäische Standards zu langen Freiheitsstrafen: Aspekte des Strafrechts, der Strafvollzugsforschung und der Menschenrechte, NK 2009, 61
19 so auch Kett-Straub, 2011, 11 f.
20 Jörg Kinzig, Die Zukunft der lebenslangen Freiheitsstrafe, Gutachten für die Expertenkommission zur Neuordnung der Tötungsdeliktsnormen, Abschlussbericht der Expertengruppe zur Reform der Tötungsdelikte (§§ 211 – 213, 57a StGB), Berlin 2015, 587.
21 vgl. u.a. Helmut Pollähne, Kriminalprognostik, Berlin 2011, S. 229 ff.; Bernd Volckart, Praxis der Kriminalprognose, München 1997; ders., Zur Bedeutung der Basisrate in der Kriminalprognose, in: Recht & Psychiatrie, 2002, 105 – 114 (110); Mushoff 2007; Wilfried Rasch, Forensische Psychiatrie, 2. Aufl., Stuttgart 1999, 370 ff.; Hendrick Schneider, Die Kriminalprognose bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung. An den Grenzen der klinischen Kriminologie, StV 2006, 99 – 104 (102 ff.); Michael Bock, Das Elend der klinischen Kriminalprognose, StV 2007, 269 ff.; Jörg Kinzig, Die Legalbewährung gefährlicher Rückfalltäter, Berlin 2008, 200
22 vgl. hierzu ausführlich Grünewald, 2010, 52
23 Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Frankfurt/Main 2000 [1785], S. 429 f.
24 vgl. Günter Dürig, Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde, in: Archiv des öffentlichen Rechts, Heft 2, 1956 S. 127
25 vgl. Helmut Frister, Schuldprinzip, Verbot der Verdachtsstrafe und Unschuldsvermutung als materielle Grundprinzipien des Strafrechts, Berlin 1988, S. 28
26 BVerfGE 45, 187 (1977); BVerfGE 117, 71 (2006)
27 BVerfGE 45, 187
28 BVerfGE 45, 187, 237
29 Die mündlichen Gutachten wurden erstellt von Bresser (Köln) und Rasch (Berlin) sowie Einsele (Frankfurt) und Stark (Hamburg-Fuhlsbüttel), wobei letztere Haftschäden bestätigten, während erstere (Bresser und Rasch) Haftschäden im Sinne der Frage (»irreperabel« und »in der Regel«) verneinten. Rasch wies jedoch darauf hin, dass, wenn nicht regelhaft, so doch häufig gesundheitliche Schäden körperlicher wie psychischer Art einträten (vgl. Gutachten Rasch, in: Hans-Heinrich Jescheck/Otto Trifterer, Ist die lebenslange Freiheitsstrafe verfassungswidrig?, Dokumentation über die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht am 22. und 23. März 1977, Baden-Baden 1978, 36 f.). Vor allem Rasch äußerte sich gleichzeitig dezidiert kritisch zum Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe: »Die Frage ist [...] andersherum zu stellen: nämlich, wie weit nützt der Strafvollzug, wenn er schon nicht sehr viel schadet? [...] Man muß sich überlegen [...], ob diese Gruppe von hochgestörten Menschen, die wir als Mörder im Sinn des § 211 verurteilen und in unseren Haftanstalten verwahren, wirklich die Gruppe ist, die der Gesetzgeber ursprünglich im Auge hatte, als der § 211 in seiner jetzigen Form konzipiert wurde. Mit Sicherheit läßt sich sagen, daß es sich nicht hier Monstren handelt, die ihrer Gefährlichkeit wegen in Haft gehalten werden müßten, sondern vorwiegend um hilfsbedürftige Menschen.« (ebd., 41)
30 vgl. zusammenfassend Daniela Hosser, Prisonisierungseffekte, in Renate Volbert/ Max Steller: Handbuch der Rechtspsychologie, Göttingen 2008, 172 f. Studien zur Erforschung spezifischer Haftschäden als Folge lebenslanger Freiheitsstrafe liegen bis heute aber praktisch nicht vor. Allerdings ist davon auszugehen, dass aufgrund der überlangen Haftzeiten die Ergebnisse von Untersuchungen bei Langzeitgefangenen insgesamt anwendbar sind.
31 Snacken/van Zyl Smit, a.a.O., 61; bzw. Klaus Laubenthal, Strafvollzug, 3. Aufl. Berlin 2003, 106, Rn. 232
32 Laubenthal 2003, a.a.O. 96, Rn. 213 ff.
33 A.J.W. Taylor, Social Isolation and imprisonment, in Psychiatry: Interpersonal and Biological Processes, Vol. 24, Nr. 4, 1961, 373 ff.
34 vgl. Helga Einsele, Haftschäden durch den Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe, in Jescheck/Trifterer, 1978, 43 ff.
35 Axel Dessecker, Unbefristete Sanktionen und ihre Dauer. Daten zur lebenslangen Freiheitsstrafe und zur Sicherungsverwahrung, in: Britta Bannenberg/Jörg-Martin Jehle (Hg.), Gewaltdelinquenz, lange Freiheitsentziehung, Deliquenzverläufe, Mönchengladbach 2011, 325
36 Kinzig, 2015, 588; so auch Steinhilber: »Insofern geht von der lange schwelenden Ungewissheit für den Verurteilten ein persönlichkeitsschädigender Impuls aus, auch wenn freilich nach wie vor kontrovers diskutiert wird, ob langjähriger Strafvollzug die Persönlichkeit des Betroffenen zersetzt und damit gegen die Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG verstößt.« Benjamin Steinhilber, Entwicklungspotentiale der »Schwurgerichtslösung« – Strukturelle Defizite des Procedere bei lebenslanger Freiheitsstrafe mit besonderer Schwere der Schuld, in: ZIS 2013, 396
37 vgl. hierzu auch: UN Crime Prevention and Criminal Justice Branch, Life Imprisonment, Wien 1994, S. 6, Rn. 21 - 24
38 Rachael Stokes, A Fate Worse than Death? The problems of life imprisonment as an alternative to death penalty, in: Jon Yorke (Hg.): Against the Death Penalty, Surrey 2008, 289
39 siehe http://news.bbc.co.uk/2/hi/europe/6707865.stm
40 Kinzig, 2015, 588
41 vgl. auch Hillekamp, in: FS-Eisenberg, 2009, 301 ff.
42 Einzige Ausnahme stellt eine Studie von Konrad dar, in deren Rahmen die Daten von 62 zu einer Freiheitsstrafe verurteilten Probanden ausgewertet wurden (vgl. Norbert Konrad, Psychische Störung und lange Freiheitsstrafe, in: Heike Jung/Heinz Müller-Dietz, Langer Freiheitsentzug – wie lange noch?, Bonn 1994, 125 – 138). Die Studie wird von Konrad selbst aber als nicht repräsentativ bewertet. Die Studie kommt u.a. zu dem Schluss, dass bei den untersuchten Gefangenen »keine Anhaltspunkte für das zwangsläufige Auftreten psychischer Folgeschäden als Folge längerer Inhaftierungen« (125) [Hervorh. d. Verf.] zu finden seien. Deutlich kritisiert wird von Konrad allerdings die Fragestellung des BVerfG (»in der Regel«, »irreparabel«), die nach einem »uniformen phasenhaft verlaufenden (Haft-)Schädigungsbild« fragt, das in der Wissenschaft längst nicht mehr vertreten wird. »Wegen der erwähnten Einschränkungen erscheint es mir jedoch unzulässig, von den erhobenen Befunden auf ein allgemein verbessertes psychisches Befinden von Probanden im Verlauf der Verbüßung längerer Freiheitsstrafen zu schließen. Mit den Ergebnissen kann somit auch keine Rechtfertigung (lebens)langer Freiheitsstrafen abgeleitet werden.« (138)
43 Walter, a.a.O.
44 Wolfgang Frisch, Zum Zweck der Strafandrohung. Ein Beitrag zur Theorie von der positiven Generalprävention, in: FS-Schünemann, Berlin 2014, 60.
45 Zur empirischen Forschung zur Abschreckungswirkung strafrechtlicher Normen: Tobias Spirgrath, Zur Abschreckungswirkung des Strafrechts – Eine Metaanlyse kriminalstatistischer Untersuchungen, Berlin 2013, S. 30 ff.
46 So auch das Bundesverfassungsgericht: »Hierzu haben sich die Sachverständigen übereinstimmend dahin geäußert, daß eine abschreckende Wirkung der lebenslangen Freiheitsstrafe bei Mord für den potentiellen Täterkreis nicht festgestellt werden könne.« BVerfGE 45, 187 (255)
47 Bernd Ruediger Wulf, Kriminelle Karrieren von »Lebenslänglichen«. Eine empirische Analyse ihrer Verlaufsformen und Strukturen anhand von 141 Straf- und Vollzugakten, München 1979, 219 f..
48 Grünewald, 2010, 21
49 Rasch, zitiert nach Grünewald, 2010, 21
50 Tobias Mushoff, Strafe – Maßregel – Sicherungsverwahrung. Eine kritische Untersuchung über das Verhältnis von Schuld und Prävention, Bielefeld 2008, 121
51 vgl. Michael Walter, Aufforderung zur Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe, in: Werner Nikolai/Richard Reindl (Hg.): Lebenslänglich. Zur Diskussion um die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe, Freiburg 1993, 98.; m.w.N. Snacken/van Zyl Smit, Europäische Standards zu langen Freiheitsstrafen: Aspekte des Strafrechts, der Strafvollzugsforschung und der Menschenrechte, NK 2009, 59
52 Gutachten Prof. Dr. Günter Kaiser, in: Hans-Heinrich Jescheck/Otto Trifterer, 1978, 124
53 »Bei der Beurteilung der abschreckenden Wirkung des Faktors Strafe wurde festgestellt, dass für den abwägenden Täter nicht die Strafschärfe, sondern vielmehr Überlegungen hinsichtlich des Entdeckungs- und Verfolgungsrisikos ausschlaggebend sind.« Mushof, 2007, 121 m.w.N.
54 Kett-Straub, 2011, 35
55 vgl. Kinzig, 2015, 559: »Allein in den letzten 15 Jahren, also seit dem Jahr 1998, hat sich die Gesamtzahl der vorsätzlichen Tötungsdelikte um rund 27 % [...] verringert.«
56 Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) 2015, Zeitreihen Fälle, Grundtabelle ab 1987 (http://www.bka.de/DE/Publikationen/PolizeilicheKriminalstatistik/2015/2015Zeitreihen/pks2015ZeitreihenFaelleUebersicht.html) 57 UNODC, Global Study on Homicide 2013. Trends, Contexts, Data, Vienna 2014 (online unter: https://www.unodc.org/documents/gsh/pdfs/2014_GLOBAL_HOMICIDE_BOOK_web.pdf)
58 Spanien hat die lebenslange Freiheitsstrafe allerdings 2016 wieder eingeführt.
59 Für Norwegen wurde der UNODC-Bericht von 2011 herangezogen, da in den Berichtszeitraum des aktuellsten Berichts das Breivik-Attentat mit alleine 77 Todesopfern fällt.
60 Stefan Harrendorf; Rückfälligkeit und kriminelle Karrieren von Gewalttätern. Ergebnisse einer bundesweiten Rückfalluntersuchung, Göttingen 2007, 60 ff..
61 »Zunächst ist die Art des begangenen Gewaltdelikts von großer Bedeutung. Die niedrigste Rückfälligkeit zeigen die Tötungsdelinquenten. Insbesondere spezifische Rückfälle, d.h. die Begehung weiterer vorsätzlicher Tötungsdelikte, ist extrem selten. Nur 9 Täter (1,1 %) werden im Rückfallintervall spezifisch rückfällig. Überhaupt keine spezifischen Rückfälle ereigneten sich bei den Tätern der §§ 213, 217 StGB a.F. und bei Mördern. Überhaupt sind die Rückfallquoten beim Mord (noch) günstiger als beim Totschlag. Auch Sexualmörder und Raubmörder wurden nicht mit Tötungsdelikten rückfällig.« Harrendorf, 2007, 387
62 vgl. Harrendorf, 2007; Jörg-Martin Jehle/Hans-Jörg Albrecht/Sabine Hohmann-Fricke/Carina Tetal, Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen Eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2007 bis 2010 und 2004 bis 2010 Bundesamt für Justiz, BMJ/Berlin 2013.
63 Hartmut Weber, Die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe über Tatschuld und positive Generalprävention. MschrKrim 73 (1990), 65 ff..
64 Heike Jung: Zur Problematik der Legitimation längeren Freiheitsentzuges, in: dies./Heinz Müller-Dietz: Langer Freiheitsentzug - wie lange noch?, Bonn 1994, 36
65 BVerfGE, 45, 187, 256 f.
66 vgl. bspw. Winfried Hassemer, Generalprävention und Strafzumessung, in: ders./Klaus Lüderssen/Wolfgang Naucke (Hg.): Hauptprobleme der Generalprävention, 1979, 29 ff. (52); Frisch, a.a.O. 2014; ders., Schwächen und berechtigte Aspekte der Theorie der positiven Generalprävention, in: Bernd Schünemann/Andrew von Hirsch/Nils Jareborg (Hrsg.), Positive Generalprävention. Kritische Analysen im deutsch-englischen Dialog, Uppsala Symposium 1996, Heidelberg, 1998, 125 ff.; Bernd Schünemann, in: ebd. 1996, 109 ff.; Michael Bock, Recht ohne Maß. Die Bedeutung der Verrechtlichung für Person und Gemeinschaft, in: ZStW 103 (1991) Heft 3, 120 ff.; Jens Müller-Tuckfeld, Strafrecht und die Produktion von Anerkennung, in: Kai Bussmann/Reinhard Kreissl (Hg.), Kritische Kriminologie in der Diskussion, Wiesbaden 1996, 123 ff.
67 Michael Baurmann, Vorüberlegungen zu einer empirischen Theorie der positiven Generalprävention, in: Schünemann 1996, 1
68 Michael Walter, Aufforderung zur Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe, in: Werner Nikolai/Richard Reindl (Hg.): Lebenslänglich. Zur Diskussion um die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe, Freiburg 1993, S. 98.
69 Nicht ganz zufällig berufen sich Fürsprecher der Normbestätigung als Strafzweck gerne auch auf die Naturrechtsphilosophie und bemühen das Schreckbild einer »normativ grenzenlosen und nur durch die physische Gewalt jedes einzelnen begrenzte Freiheit [...], zu tun und zu lassen, was man will, so man nur kann.« (Günther Jakobs, zit. n. Thomas Uwer, Der unsichtbare Dritte. Günther Jakobs, Carl Schmitt und der ganz normale Ausnahmezustand, in: ders., Bitte bewahren Sie Ruhe. Leben im Feindrechtsstaat, Berlin 2006, 42)
70 Die Militärpsychologie bspw. zeigt, welch vielfältiger und komplizierter Mechanismen es bedarf, die tiefsitzende Tötungshemmung bei Soldaten aufzuheben (vgl. z.B. Dave Grossmann, Eine Anatomie des Tötens, in: Thomas Kühne & Peter R. Gleichmann, (Hg.), Massenhaftes Töten. Kriege und Genozide im 20. Jahrhundert, Essen 2004, 58 ff.).
71 vgl. bspw. Kett-Straub, 2011, 9: »Die Akzeptanz für diese Sanktion in der Bevölkerung ist hoch. Eine Abschaffung ist politisch weder gewollt noch durchsetzbar. [...] Man mag also über die großen Nachteile, die die lebenslange Freiheitsstrafe bei der Verhängung einer schuldangemessenen, individuellen Strafe [...] mit sich bringt lamentieren. Aber ein System, das von vornherein nur zeitige Strafen kennt, wäre der Öffentlichkeit zum jetzigen Zeitpunkt nicht vermittelbar.«
72 Forschungen zur sog. Punivität kommen hier zu widersprüchlichen Ergebnissen. Reuband bspw. bezeichnet »[d]ie These von einer steigenden Punitivität in der deutschen Bevölkerung (...) als ‚Mythos‘ und bemerkt für den Zeitraum zwischen 1998 und 2006 rückläufige Tendenzen, was die Forderungen der befragten Bundesbürger nach Gesetzesverschärfungen angeht.« - vgl. Christina Schlepper, Strafgesetzgebung in der Spätmoderne. Eine empirische Analyse legislativer Punitivität, Wiesbaden 2014, 29. Einer Studie von Sessar zufolge (Wiedergutmachen oder strafen. Einstellungen in der Bevölkerung und der Justiz, Pfaffenweiler 1992) zeigt sich die Justiz deutlich punitiver eingestellt, als die restliche Bevölkerung. »Dabei zeigten alle befragten Gruppen auf einer fünfstelligen Skala von ‚sehr restriktiv‘ bis ‚sehr punitiv‘ Mehrheiten bei ‚sehr punitiv‘: 66,1 Prozent der Staatsanwälte, 56,2 Prozent der Strafrichter, 43,6 Prozent der Zivilrichter und 34,2 Prozent der Bevölkerung.« vgl. Schlepper, 2014, 30.
73 Zieschang ZStW 107 (1995), 926 zit. n. Mushoff, 2007, 137
74 Mushoff, 2008, 133
75 Ähnlich auch Arzt in seinem Gutachten zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht im März 1977: »Welche Geringschätzung des Rechtsguts ‚Leben‘ liegt dem geltenden Recht ... zugrunde, wenn die vorsätzliche Lebensverletzung nur mit zeitiger Freiheitsstrafe bedroht ist, und welche Überschätzung der Mordmerkmale und der darin liegenden Schuld- und Unrechtssteigerung, wenn ihr Hinzutreten zur Anhebung der Strafe ... auf lebenslänglich führt.« [Hervorh. i. O.] (Gunther Arzt, Gutachten in: Jescheck/Trifterer, 1978, 149).
76 Ähnlich auch Kargl: »Weder die Verwerflichkeit der Gesinnung des Täters noch seine Gefährlichkeit charakterisieren Taten im Bereich der vorsätzlichen Tötung als besonders qualifiziertes Unrecht. Schon der Totschlag ist [...] durch eine verwerfliche Gesinnung des Täters gekennzeichnet und kann eine besondere Gefährlichkeit des Täters zum Ausdruck bringen. Umgekehrt gibt es zahlreiche Fallgestaltungen, bei denen trotz Verwirklichung eines oder mehrerer Mordmerkmale weder eine schlechthin sozial unerträgliche Tätereinstellung noch ein besonderes Risiko für die Allgemeinheit festgestellt werden kann.« (Walter Kargl, Zum Grundtatbestand der Tötungsdelikte, in: JZ 23/2003, 1146
77 Mushoff, 2008, 102 m.w.N.
78 ebd., sowie BVerfGE 109, 133, 168
79 BVerfGE 20, 323, 331
80 So auch Thomas Fischer: »In dieses schwierige, aber in sich sinnvolle Konzept bricht die ‚lebenslange Freiheitsstrafe‘ ein wie eine fremde, irrationale Idee: ‚Lebenslang‘ bedeutet ‚absolut‘ und ‚unermesslich‘. Dieses Maß hat nichts mit einer gleitenden ‚Skala von Schuld‘ zu tun: Diese ist nicht von ‚Sprüngen‘ bestimmt, sondern von einer unendlichen Vielzahl von Abstufungen, Schattierungen, Erwägungen. Sie passt nicht zu einer ‚absoluten‘ Strafe. Mit der lebenslangen Freiheitsstrafe transportieren wir also einen Begriff (und eine Wirklichkeit) aus den Tiefen des Vernichtungsstrafrechts mitten hinein in die Rationalität unseres Schuld-Strafrechts, und wundern uns über die dogmatischen Probleme, die das mit sich bringt.« Thomas Fischer, Schafft Lebenslang ab!, Kolumne für Zeit-Online v. 24. Februar 2015, online abrufbar unter: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-02/lebenslange-freiheitsstrafe-schuld
81 Daran ändert im Grundsatz auch die sog. Rechtsfolgenlösung (nach § 49 StGB) nichts, die in Einzelfällen contra legem von der lebenslangen Freiheitsstrafe absieht.
82 Scheerer, a.a.O., 129
83 ebd.

Thomas Uwer / Jasper von Schlieffen: Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe - Policy Paper der Strafverteidigervereinigungen: Berlin 2006 | ISBN: 978 - 3 - 946889 - 01 -4

Alle Rechte am Text liegen bei den Autoren - Nachdruck und Weiterverbreitung nur mit Zustimmung des Autoren.