Mögliche Auswirkungen der Ermittlungsakte auf die Informationsverarbeitung und die Entscheidungsbildung im Strafverfahren

Professorin Dr. Barbara Blum

 

Beitrag zum 35. Strafverteidigertag, Berlin 2011

I. Einleitung

Schon vor einem Vierteljahrhundert wurde auf dem 10. Strafverteidigertag in Bremen unter dem Thema »Die Polizei – Herrin des Strafverfahrens?«|1 problematisiert, inwieweit im Vorverfahren die Weichen für die spätere Hauptverhandlung gestellt werden. Auch von vielen Strafprozessrechtlern wurde die grundsätzliche Gefahr gesehen, dass »die Würfel über den Angeklagten nicht in der Hauptverhandlung, sondern im Ermittlungsverfahren fallen«|2. Die Hauptverhandlung laufe »meistens nur noch auf die aufwändig inszenierte Absegnung der bereits im Ermittlungsverfahren erzielten Ergebnisse hinaus«|3.

Im Strafverfahren erfolgt die Informationsaufnahme regelmäßig auf aufeinanderfolgenden zeitlichen Stufen von jeweils mehreren Akteuren, bei denen jeder eine rollenspezifische Bewertung vornimmt, die wiederum als weitere Information den Verfahrensbeteiligten zu Verfügung steht. Nachdem die Polizei im Rahmen ihrer Ermittlungstätigkeit ihrer Sicht der Dinge über den vermutlich strafrechtlich relevanten Vorgang in der Ermittlungsakte (ggf. unter Zuhilfenahme weiterer externer Datensammlungen) Format verliehen hat, kommt deren gesamter Inhalt nebst Abschlussvermerk zunächst zur Staatsanwaltschaft, die spätestens jetzt von dem Dokument Kenntnis nimmt und – falls es nicht zu einer Einstellung des Verfahrens kommt – Anklage erhebt, weil sie vom hinreichenden Tatverdacht des Beschuldigten aufgrund der Ermittlungsergebnisse ausgeht. Nachfolgend erlangt der Richter im Zwischenverfahren die Anklage der Staatsanwaltschaft nebst gesamtem Aktenmaterial, um auf Grundlage des so erlangten Wissens über die Eröffnung der Hauptverhandlung zu entscheiden.

Bejaht er den hinreichenden Tatverdacht, heißt das, dass auch er eine Verurteilung für wahrscheinlich hält. Nach dieser (Vorab-) Entscheidung hat er sein Urteil aus dem »Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpften Überzeugung« (§ 261 StPO) zu bilden und auf dieser Grundlage die Schuld oder Unschuld des Beschuldigten festzustellen. Ist ein menschliches Wesen – wie der Richter – aber überhaupt in der Lage, diesem anspruchsvollen Programm zu folgen? Kann er unbeeinflusst eine solche isolierte Betrachtung eines Sachverhaltes vornehmen, wenn er schon im Vorfeld detaillierte Informationen aufgrund der Ermittlungsakte und der Anklageschrift verarbeiten und auf Grundlage dieser Informationen eine Entscheidung über die Eröffnung der Hauptverhandlung treffen musste?

Spektakuläre Wiederaufnahmeverfahren wie die Fälle »Fall Wörz«|4 und »Bauer Rupp«|5 lassen daran zweifeln. Hier hat doch wieder einmal – wie Stefan König es nennt, dass »Pappenheimer-Syndrom«|6 seine faktische Wirkung hinterlassen. Es handele sich hierbei um

»jenes wirkmächtige Gestaltungs- oder Behauptungselement des Vorurteils, das sich über den Verdacht bis ins Urteil erhält«|7.

So seien

»die Tatsachen, auf die ein Verdacht gestützt wird, die ihn im Laufe des Verfahrens erhärten oder zerstreuen (…) umgeben von einem Weichbild des Informellen: von Vermutungen, Erfahrungen, Ahnungen, vom Hörensagen, Besserwissen und Immerschongewussthaben – und von Identifikationen, die in der Regel dem vermeintlich Verletzten, dem ‚Opfer’ gelten«|8.

Schnell entlade sich

»dieses Gemisch in eine Überzeugung, die (…) schließlich zu einem Urteil« führe, »bei dem die festgestellten Tatsachen nur rhetorische Folie«|9 seien.

Das Phänomen des »Pappenheimer-Syndroms« ist allgegenwärtig und grundsätzlich überall zu finden; nicht nur Polizeibeamte, Staatsanwälte, Richter, Verteidiger – auch ich bin davon betroffen.

Im Folgenden wird es darum gehen, wie sich Informationen – natürlich auch Fehlinformationen bzw. möglicherweise fragliches Hintergrundwissen – auf jeder Verfahrensstufe auswirken, auf den weiteren Verlauf des Verfahrens abfärben, zu Fehleindrücken bei den Verfahrensbeteiligten führen und auf der letzten Entscheidungsstufe im Ergebnis das Urteil beeinflussen können.
Da es hier vorrangig um die Kenntnisnahme von Informationen geht, die auf Grundlage des Ermittlungsverfahrens in den weiteren Prozess einfließen und ggf. subtil die nachfolgende Informationsinterpretation der Verfahrensbeteiligten beeinflussen, wird sich der Beitrag zunächst grundlegend mit dem verzerrungsanfälligen sozialen Prozess der Informationsverarbeitung beschäftigen. Letztendlich geht es allen Akteuren darum, Informationen zu generieren und Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Da wir es gerade in Bezug auf die Ermittlungsakte überwiegend mit versprachlichten Informationen zu tun haben, wird es anschließend darum gehen, welcher Einfluss durch die spezifische sprachliche Codierung bei der Beschreibung von Sachverhalten und Personen erwartbar ist. Grundsätze der Eindrucksbildung werden angesprochen. Nach dieser allgemeinen Hinführung erfolgt eine intensivere Betrachtung des sog. »Perseveranz- bzw. Inertiaeffektes«|10, der sich mit der sozialpsychologischen »Theorie der kognitiven Dissonanz«|11 erklären lässt. Aufgrund der bestimmten Struktur der Informationsverarbeitung in unserem Strafverfahrensprogramm muss mit dem Eintreten eines solchen Effektes gerechnet werden – und zwar bei Polizei, Staatsanwaltschaft und Richterschaft. Ich werden dazu drei ausgewählte Untersuchungen|12 darstellen, die den Effekt für das deutsche Strafverfahren bei der Urteilsbildung belegen. Meine Ausführungen werden mit möglichen Schlussfolgerungen abschließen.

II. Die kognitiven Stufen der sozialen Informationsverarbeitung

Zunächst soll der Versuch gemacht werden, den kognitiven Prozess der Informationsverarbeitung anhand eines kleinen Falles von Pendry|13 verständlich bzw. für einige von Ihnen sogar erfahrbar zu machen. Ich bitte Sie deshalb, sich Gedanken über den folgenden Sachverhalt zu machen und die an dessen Ende gestellte Frage zu beantworten.

»Ein Vater und sein Sohn wurden in einen Autounfall verwickelt, bei dem der Vater starb und der Sohn schwer verletzt wurde. Der Vater wurde am Unfallort für tot erklärt und sein Leichnam ins örtliche Leichenschauhaus gebracht. Der Sohn wurde mit einem Unfallwagen ins nächste Krankenhaus transportiert und sofort in den Operationssaal der Notfallabteilung gerollt. Es wurde ein Mitglied des Chirurgenteams gerufen. Als es eintraf und den Patienten sah, rief es aus: ‚Oh Gott, das ist mein Sohn!’

Haben Sie eine Erklärung dafür?«|14

Durchschnittlich konnten nach Pendry|15 in ihren informellen Langzeitstudien weit über 40 % der Studierenden die Frage nicht beantworten. Die einfache Begründung, dass nämlich das Mitglied des chirurgischen Teams nur die Mutter des Verletzten gewesen sein kann, zeigte sich als kognitiv nur schwer zugänglich, weil »das automatisch aktivierte Stereotyp (Chirurgen sind im Allgemeinen Männer)«|16 nicht überwunden werden konnte. Wieso aber besteht bei den Menschen die grundsätzliche Tendenz, Stereotypen oder auch Schemata zu aktivieren?

Bekommt man Daten über eine Person oder Informationen über einen personenbezogenen Sachverhalt, lassen sich die dabei automatisch erfolgende Prozesse über die Forschung zur sozialen Kognition verständlich machen. Gerade das gefährliche Phänomen des »Immerschongewußthabens«, des »Besserwissens« und der »Ahnung« lässt sich erklären, wenn man sich die kognitiven Stufen der menschlichen Informationsverarbeitung näher anschaut.

Sie sehen hier eine schematische Darstellung der kognitiven Informationsverarbeitung aus sozialpsychologischer Sicht, die in grober Weise natürlich auch einen Teilschritt der Urteilsbildung im Strafprozess abbildet. Auch bei Letzterer geht es selbstverständlich um Prozesse der Informationsverarbeitung.

Zunächst müssen wir überhaupt einem Reizereignis ausgesetzt sein und es wahrnehmen|17. Die Reizereignisse können dabei völlig beliebig sein. Es können beispielsweise Geräusche, Gerüche oder auch optische Reize sein, auf die der Mensch grundsätzlich seine Aufmerksamkeit richten kann. Einem optischen Reiz entspricht auch das Zur-Verfügung-Haben einer Ermittlungsakte, die bei dem Richter auf seinem Schreibtisch liegt. Für eine Informationsverarbeitung folgt sodann die Phase der Wahrnehmung und Aufmerksamkeit. Da die Kapazität der menschlichen Informationsaufnahme begrenzt ist, kann mir eine Wahrnehmung nur gelingen, wenn ich dem Reizereignis Aufmerksamkeit schenke bzw. schenken kann. Wie wir noch sehen werden, fokussieren wir unsere Aufmerksamkeit insbesondere auf die Reize, die für die Verfolgung unserer derzeitigen Ziele besonders wichtig zu sein scheinen|18. Wenn beispielsweise ein Polizist einen Verdächtigen observiert, wird er seine Wahrnehmung i.d.R. bevorzugt auf diese Person richten und scheinbar unwichtigeren peripheren Reizen weniger Aufmerksamkeit schenken. Die Reizereignisse, die wahrgenommen wurden, müssen in einem nächsten Schritt enkodiert werden, damit ihnen eine Bedeutung verliehen werden kann und es setzt ein interpretativer Vorgang ein. Dieser Vorgang ist schon in erheblichem Maße von unserem gespeicherten Vorwissen abhängig|19. Der Reiz wird sozusagen in ein konvenables oder auch stimmiges Format übersetzt. Dies geschieht dadurch, dass

»der neue Stimulus zu dem, was wir bereits wissen, in Beziehung gesetzt wird. (…) Wenn der Stimulus erst einmal einer sinnhaften Kategorie zugeordnet ist, wird die Wahrnehmung mit einem vom Stimulus unabhängigen Wissen über diese Kategorie angereichert«|20.

Sowohl die Mischung aus den neuen, enkodierten Informationen als auch das ältere schon vorher bestehende und aktivierte Wissen im Gedächtnis bilden dann die Grundlage für die weitere Verarbeitung, die zu Schlussfolgerungen und schließlich zu einem (End-) Urteil führt|21.

Die unterschiedlichen Verarbeitungsstufen sind voreinander abhängig und durch verschiedene Rückkopplungsschleifen gekennzeichnet.

Im Allgemeinen bauen die späteren Stufen bei neuer Information auf den früheren auf (sog. »Bottom-up-Verarbeitung« neuer Information)|22. Darüber hinaus können auch sog. »Top-down-Prozesse« während des Wahrnehungsprozesses ablaufen. In vielen Fällen kann und wird man schon ein Identifizieren sowie Einordnen von wahrgenommenen Informationen bzw. Daten dadurch unterstützen, indem man auf bereits verwendbare Informationen zurückgreift. Beispielsweise beeinflussen bestimmte Schemata und Erwartungen wie sogar auch Emotionen die Aufnahmebereitschaft einer Person gegenüber bestimmten Reizen, was zu einer selektiven Wahrnehmung führen kann|23. Auch der jeweilige Kontext einer Situation spielt hierfür ebenfalls eine Rolle. Bei einer Safari in Afrika werde ich eher darauf vorbereitet sein und von der Hypothese ausgehen, eine Giraffe zu sehen, als in einem Stadtpark in Deutschland. Der Strafrichter wird eher Anzeichen einer Traumatisierung bei dem Opfer eines Sexualdeliktes erwarten, als bei dem Opfer eines einfachen Diebstahles. Diese sog. »Top-down-Verarbeitung« kann demnach mit einer hypothesengeleiteten Informationsverarbeitung gleichgesetzt werden|24.

Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass unsere Informationsverarbeitung in einem erheblichen Ausmaß auf bereits vorhandene Wissensstrukturen zurückgreift. Das Fallbeispiel von Pendry|25 konnte dies demonstrieren. Der »Wissensbestand« vieler Studierenden sah nur die Information »Chirurgen sind normalerweise Männer« vor. Deshalb hatten sie so große Schwierigkeiten, die Informationen des obigen kleinen Falles in ein »verarbeitbares Format« zu übersetzen.

III. Das Denken in Schemata

Ein essentielles Hilfsmittel, das wir benutzen, um die Umwelt zu strukturieren, also Situationen oder Personen einzuordnen, stellen Schemata dar. Hierbei handelt es sich um Wissensstrukturen, die uns in jedweden Situationen des Lebens dienlich sind bzw. sein können. Dabei werden Schemata allgemein besonders wichtig, wenn wir mit Informationen bzw. Reizen konfrontiert werden, die auf verschiedene Art und Weise interpretiert werden können, da sie uns die Möglichkeit geben, diese Vieldeutigkeit zu reduzieren und handlungsfähig zu werden. Schemata helfen uns deshalb in ausgeprägter Weise bei der Einordnung neuer Reizerlebnisse|26. Wenn ein neuer Reiz eine Information darstellt, die mit einem bereits abgespeicherten Schema übereinstimmt und es sich damit um eine schemakongruente Information handelt,

»wird diese Information, der entsprechenden Kategorie zugeordnet und steht in Zukunft bei Abrufprozessen als weitere Ausprägung dieser Kategorie zur Verfügung«|27.

In der Folge können wir den kognitiven Aufwand bei der Verarbeitung von Information erheblich reduzieren, da die neue Information unmittelbar und stimmig in unseren Wissensbestand eingeordnet werden kann. Grundsätzlich lassen sich Schemata|28 auf unterschiedlichste Inhalte beziehen|29. Es können Personenschemata oder auch Stereotype (»sozial geteilte Meinungen über Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltensweisen von Mitgliedern einer sozialen Kategorie«|30) sein; sie können aber auch die standardisierte Abfolge von Ereignissen oder Handlungen repräsentieren|31.

In einer Studie von Carli|32 wurde Probanden eine Geschichte zum Lesen gegeben. Es handelte sich um eine Beziehungsgeschichte von einer Frau und einem Mann. Das Paar war schon längere Zeit zusammen, als es über ein Wochenende einen Ausflug zu einer Skihütte machte. Den Probanden in der Studie wurde unter den experimentellen Bedingungen allerdings jeweils eine von zwei unterschiedlichen Endversionen der Geschichte gegeben. Eine Version endete damit, dass der Mann der Frau einen Heiratsantrag machte und die andere damit, dass der Mann die Frau vergewaltigte. Die Leser der Version »Heiratsantrag« neigten im Ergebnis dazu, sich fälschlicherweise an Aussagen zu erinnern, die mit dem Schema »Heiratsantrag« übereinstimmen (so z.B., dass der Mann die Frau bei seinen Eltern vorstellen wollte oder er ihr Rosen mitgebracht habe), wobei keiner dieser Inhalte in der Geschichte wiederzufinden war. Ein gleicher Effekt trat bei den Versuchspersonen mit der gelesenen Endversion »Vergewaltigung« auf. Auch hier wurde auf das Schema »Vergewaltigung« zurückgegriffen. So wurde behauptet, dass der Mann gerne trank und bei den Frauen unbeliebt war, obwohl in der Geschichte kein diesbezüglicher Hinweis gegeben worden war.

Es ist naheliegend, dass Schemata mit der Zeit stärker und änderungsresistent werden|33. Auch wenn wir versuchen, uns an etwas zu erinnern, helfen uns Schemata dabei, Wissenslücken auszufüllen. Zudem kommt es dazu, dass wir Informationen unbewusst unserer Erinnerung ergänzend hinzufügen, ohne dass diese wirklich vorhanden waren. Es kommt zu Fehlrekonstruktionen und Plausibilitätsannahmen, die mit dem benutzten Schema konsistent sind|34.

Schemata stellen regelmäßig auch in einer Gesellschaft geteiltes Wissen dar und sind für viele Personen zugänglich. Aus diesem Grunde ermöglichen schemakongruente Informationen zusätzlich eine wirksame Kommunikation. Durch das kognitive Anstoßen des Schemas werden dazugehörige Eigenschaften gleichzeitig aktiviert und stehen involvierten Kommunikationspartnern für eine sinngebende Interpretation zur Verfügung35.

IV. Der Einfluss durch sprachliche Codierung

Die Information, die beispielsweise ein Polizeibeamter aufgrund von polizeilichen Datensammlungen erhält, erfolgt in der Regel durch ein Schriftstück. Die Informationen, die die Staatsanwälte oder auch Richter zu einem Ermittlungsverfahren bekommen, werden durch die zur Verfügung gestellte Ermittlungsakte nebst Abschlussvermerk vermittelt, die detailliert den vermeintlichen Hergang des strafrechtlich relevanten Geschehens, den Ermittlungsverlauf und dessen Ergebnis in (subjektiv gefärbter) i. d. R. schemagesteuerter sprachlicher Fassung wiedergibt. Der Richter bekommt zudem noch die auf dem Ermittlungsergebnis fußende sprachlich codierte Anklageschrift zur Durchsicht und Entscheidung über die Eröffnung der Hauptverhandlung.

Sprache ist grundsätzlich

»ein Zeichensystem, welches von allen Mitgliedern einer Kultur geteilt wird und sachliches, soziales und ethisches Wissen verbindet«|36.

Geteiltes soziales (Schemata-)Wissen ist in der Sprache mit eingebaut|37. Einig ist man sich, dass Sprache eine effiziente und unmissverständliche Kommunikation ermöglicht, indem »einerseits die Tiefe der Wortbedeutungen und andererseits die Verwendungsregeln«|38 so zusammengesetzt werden, dass das Gegenüber den Inhalt problemlos erfassen kann, da in der Regel auf von den Kommunikationsmitgliedern geteiltes Schemata-Wissen mit entsprechenden semantische Inhalten zurückgegriffen werden kann. Kurz gesagt: Mit wenig Worten kann man viel sagen. Speziell verwendete Prädikate können verschiedene Schlussfolgerungen und Bewertungen eines beschriebenen Verhaltens suggerieren|39.

Fiedler/Semin|40 haben im Rahmen des von ihnen entwickelten linguistischen Kategorienmodells vier Wortklassen differenziert, die verschiedene semantische Merkmale aufweisen und in unterschiedlicher Art geeignet sind, den Empfänger einer sprachlichen Codierung kognitiv zu beeinflussen. Es lassen sich hiernach die folgenden Wortklassen finden, deren jeweiliger Gebrauch mit sozialpsychologischen Konsequenzen beim Empfänger der Informationen verbunden ist|41.

Als erstes können die tendenziell »harmlosen« rein deskriptiven Handlungsverben (z.B. Auto fahren, lesen, telefonieren, küssen) genannt werden|42. Ein solches Handlungsverb hat grundsätzlich einen überwiegend neutral beschreibenden Charakter und enthält relativ wenig Wertung und Interpretation. Das Verb ist auch nicht besonders aussagekräftig im Hinblick auf die Person und deren Persönlichkeit. Ob die beschriebene Handlung stattgefunden hat, kann grundsätzlich objektiv überprüft werden|43.

Interpretative Handlungsverben (z.B. helfen, behindern, angreifen, verletzen) hingegen bezeichnen zwar auch eine abgeschlossene Handlung, enthalten allerdings ein weit höheres Maß an semantischer Interpretationsfähigkeit. Der lediglich beschreibende Charakter der Handlung wird verlassen und es werden zusätzliche Schlussfolgerungen angeregt. So enthalten die Handlungsverben »betrügen« oder »verletzen« eine eindeutige negative Wertung und bergen eine »kausale Attribution an das Subjekt«|44 in sich. Andere Beteiligte bleiben dagegen tendenziell in der Opferrolle. Zudem wird durch die Verwendung des interpretativen Handlungsverbs suggeriert, dass die Handlungsausführung unter willentlicher Kontrolle und mit Absicht erfolgte. Hinzu kommt, dass es von einer genauen Handlungsausführung abstrahiert|45.

Zudem gibt es Zustandsverben (wie z.B. jemand mögen, hassen, bewundern, verachten)|46. Diese beschreiben tendenziell beständigere affektive Zustände, die keine konkrete Handlung bezeichnen. Es wird etwas Verborgenes und für einen Außenstehenden Unsichtbares ausgedrückt. Bei der Verwendung von Zustandsverben ist deren Vorliegen besser bestreitbar und weniger beweisbar. Zudem unterstellen sie weniger eine bewusste Kontrolle oder einen Willen|47.

Schließlich gibt es noch die Wortklasse der Adjektive (z.B. freundlich, brutal, aggressiv, emotionslos, schlau), welche eine dauerhafte Eigenschaft nahelegen und hochgradig wertenden Charakter haben|48. Die Zuschreibung erfolgt losgelöst von einer einzelnen Handlung. Die Verwendung eines Adjektivs impliziert, dass die zugeschriebene Disposition in unterschiedlichsten situativen Bezügen zum Ausdruck kommt|49.

Hinsichtlich der auch für uns interessanten Frage, welcher Wortklassengebrauch sich besonders gut für eine Beeinflussung durch sprachliche Codierung eignet, konnte festgestellt werden, dass die Dimensionen »Dispositionalität« und »Locus der Kausalität« eine besondere Rolle spielen|50. Eine Steuerung unter der Dimension »Dispositionalität« ist entweder durch Auswahl einer abstrakten dauerhafte Disposition (Adjektiv) oder eines weniger dispositionalen Ausdrucks (interpretatives Handlungsverb) möglich|51. Wird beispielsweise behauptet, eine Person sei »unehrlich«, ist diese Ausdrucksweise wegen der Zuschreibung einer beständigen (und kaum falsi- oder verifizierbaren) Disposition erheblich negativer belastet, als wenn gesagt wird, »die Person habe gelogen«|52.
Bei der letzten Behauptung wird lediglich ein einmaliges und konkretes Fehlverhalten beschrieben, »was in der Regel nach Verifikation verlangt (Welche Lüge denn?)«|53. Eine ganz wesentliche beeinflussende Kraft kommt ebenfalls der Dimension »Locus der Kausalität« zu. Eine Steuerung ist unter diesem Gesichtspunkt durch eine indirekte Zuschreibung von Verhaltensursächlichkeit sehr wirkungsvoll|54. In diesem Zusammenhang wird auch von der »impliziten Verbkausalität«|55 gesprochen. Die unterschiedlich fokussierte Beschreibung eines Verhaltens, z.B. »A greift B an« (interpretatives Handlungsverb) oder »A verachtet B« (Zustandsverb), kann eine Verhaltensursächlichkeit suggerieren. Das interpretative Handlungsverb drückt hier eine (willentlich gesteuerte) Verursachung auf Seiten des Subjektes des Satzes aus; das Zustandsverb hingegen vermittelt tendenziell den Eindruck, dass das Verhalten des Subjektes im Satz (A) kausal, »als emotionale Reaktion auf die Stimulierung durch das Objekt«|56 hervorgerufen wurde.

Der Einfluss der sprachlichen Codierung gerade im Strafverfahren sollte nicht unterschätzt werden. Bei den sprachlich verfassten Informationen in der Ermittlungsakte kann der Leser nicht auf die Informationen einer selbst wahrgenommenen Originalbeobachtung zurückgreifen. Die Informationsvermittlung hängt demnach ganz entscheidend »von der Sprachform ab, und durch die Verwendung bestimmter Prädikate wird die Interpretation und Bewertung entscheidend beeinflusst«|57. Durch das Nutzen bestimmter Wortklassen (z. B. seitens der Polizei in der Ermittlungsakte oder seitens der Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift) können gleiche Sachverhalte entweder »verharmlost« (möglicherweise bei der Beschreibung eines angeblichen Verhaltens seitens des vermeintlichen Opfers) oder »verbösert« (möglicherweise bei der Beschreibung eines vorgeworfenen Verhaltens des noch als unschuldig anzusehenden »Täters«) werden.

Dass grundsätzlich genau damit gerechnet werden muss, zeigt eine deutsche Untersuchung von Schmid/Fiedler|58, bei der subtile aber wirksame Unterschiede in der Sprache bei Personen in der Rolle des Anklägers bzw. Verfolgers im Vergleich zu Personen in der Rolle des Verteidigers feststellt werden konnten. Der eigentliche Untersuchungsgegenstand war hierbei die unterschiedliche rhetorische Strategie, die bei Plädoyers im Strafverfahren rollenspezifisch gewählt wurde.
Den Versuchsteilnehmern (insg. 32 Personen, bei denen 2 Gruppen mit je 16 Versuchspersonen gebildet wurden, die jeweils aus Heidelberg oder aus Mannheim kamen) wurden vorab Informationen in Form eines schriftlichen Berichtes über tatsächliche Strafverfahren (Tatbestand, besondere Umstände, Zeugenaussage, weitere Beweismittel) gegeben. Teilnehmer waren entweder Rechtsreferendare oder Psychologie-Studenten. Jeder Gruppe wurden zwei Fälle gegeben. Im Anschluss wurden die Probanden aufgefordert, »ein Schlussplädoyer vor einer simulierten Gruppe von Richtern und Juroren zu sprechen, wobei sie entweder die Perspektive des Verteidigers oder Anklägers einzunehmen hatten«|59. Die Testpersonen hatten im Vorfeld 45 Minuten Vorbereitungszeit. Die Länge der gehaltenen Plädoyers dauerte durchschnittlich 18 Minuten. Alle Vorträge wurden auf Video aufgezeichnet, transkribiert und für die Untersuchung ausgewertet. Die einzelnen gesprochenen Sätze jedes Plädoyers unterzog man einer spezifischen Codierung, bei der das gewählte Prädikat entsprechend der vier Wortkategorien des Linguistischen Kategorienmodells, die Referenz des Subjektes im Satz und die Valenz der einzelnen Aussagen (positiv, negativ, neutral) ermittelt werden konnten.

Hinsichtlich einer von den jeweiligen Testpersonen verwendeten typischen rollenspezifischen Strategie, die Bewertung des Angeklagten in eine bestimmte Richtung zu lenken, konnte das Folgende festgestellt werden. Während die »Verteidiger« vorzugsweise auf abstraktem Niveau positive Adjektive benutzten (dauerhafte Disposition)|60, sprachen die »Ankläger« nicht nur grundsätzlich häufiger über negative Gesichtspunkte im Hinblick auf den Angeklagten. Sie verwendeten bei ihren Ausführungen insbesondere die zweite Dimension (»Lokus der Kausalität«), um die Schuld des Angeklagten herauszustellen. Es wurden seitens der »Ankläger« deshalb strategisch besonders viele interpretative Handlungsverben für die Beschreibung negativer Verhaltensweisen eingesetzt. Falls auf tatsächliche Beweise zurückgegriffen werden konnte, wurden diese entsprechend ausdrucksstark bewertend auf der Stufe der interpretativen Handlungsverben dargestellt|61.

Dass eine spätere Beurteilung des Angeklagten durch die verwendeten sprachlichen Strategien beeinflusst wurde, konnte im Rahmen einer Folgestudie bewiesen werden|62, bei der die Plädoyers der 16 Rechtsreferendare aus der vorherigen Studie als Stimulusmaterial verwendet wurden. Es handelte sich hierbei konkret um 8 Filme, die jeweils vier Plädoyes (zwei der Verteidigung und zwei der Anklage) beinhalteten. Die Versuchspersonen (insgesamt 96 Studenten), denen die entsprechenden Informationen des Ausgangsfalles vorlagen und die anschließend den vorher erzeugten Plädoyers ausgesetzt wurden, sollten in die Rolle des Schöffen treten und u. a. eine Beurteilung zu dem angemessenen Strafmaß und der Schuld des Angeklagten abgeben. Es zeigte sich hierbei im Ergebnis der folgende signifikante Effekt:

»Je mehr in einem Plädoyer insbesondere der sprachliche Lokus der Kausalität auf den Angeklagten gelenkt wurde (durch Verwendung von negativen IAVs) und je mehr die Sprache auf dispositionale negative Eigenschaften hinwies (negative ADJs), desto strenger fielen die Beurteilungen aus. Das heißt, desto größer war die wahrgenommene Schuld und das für angemessen erachtete Strafmaß«|63.

Insgesamt kann festgestellt werden, dass Personen in der Rolle des Anklägers in wirksamer, beeinflussender Weise (mehr oder weniger unbewusst) insbesondere dazu tendieren, subtile sprachliche Strategien anzuwenden, die – weniger befangend wirkend – bevorzugt auf der Dimension des »Lokus der Kausalität« beruhen, da diese Strategie weniger plump und im Ergebnis überzeugender erscheint, als dies durch vorrangige Verwendung von negativen Adjektiven der Fall wäre. Es ist sehr naheliegend, dass dieser Effekt auch durch eine rollenspezifische sprachliche Ausrichtung des Inhaltes der Ermittlungsakte und der Anklageschrift eintritt und schon deswegen der Leser der entsprechenden Lektüre (insbesondere der Richter) alleine durch die Wortwahl zu Lasten des Beschuldigten beeinflusst wird. Dabei darf nicht vergessen werden, dass schon

»allein die vorübergehende Betrachtung einer Person im semantischen Lichte bestimmter Wortklassen (…) einen konstruktiven Gedächtniseffekt, der die Person mit diesen semantischen Merkmalen verknüpft«|64, erzeugt.

Durch das Lesen der sprachlich getönten Prädikate wird – sprichwörtlich gesagt – dem Richter, der sich mit der Ermittlungsakte beschäftigen muss, (schon früh) »ein Floh ins Ohr gesetzt«.

V. Zwei grundlegende Experimente zur Eindrucksbildung

Wie werden aber nun einzelne (auch sprachliche) Informationen als Ganzes zusammengesetzt? Hat jede singuläre Benutzung von Adjektiven oder interpretativen Handlungsverben (z. B. in der Ermittlungsakte) ein und dieselbe Kraft der Beeinflussung im Hinblick auf einen Gesamteindruck, den sich der Empfänger über den (vermeintlichen) Sachverhalt und insbesondere der beschriebenen Akteure (z.B. den Beschuldigten) macht? Wir können davon ausgehen, dass wir verfügbare Informationen wie »Mosaiksteinchen«|65 zusammenfügen und sie zueinander in Beziehung setzen, bevor wir zu irgendeiner Schlussfolgerung kommen, auch wenn wir uns nicht bewusst sind, einen solchen Prozess zu durchlaufen|66.

Bei den nach wie vor bemerkenswerten Reihenexperimenten zur Eindrucksbildung konfrontierte Asch|67 Versuchspersonen (i.d.R. Studenten) mit Listen von Adjektiven jeweils einer oder mehrerer (erdachten) Person/en. Im Anschluss wurden die Probanden darum gebeten, eine Beschreibung von der jeweiligen Person abzugeben und sie anhand einer Persönlichkeitscheckliste zu bewerten, so z.B. ob die Person intelligent ist oder nicht|68.

In einem der ersten Versuche legte Asch den Versuchspersonen zwei Listen von Adjektiven einer (hypothetischen) Person vor, die mit Ausnahme eines Eigenschaftswortes identisch waren|69. Die Adjektive der ersten Liste lauteten: »intelligent, geschickt, fleißig, warm, entschlossen, praktisch, vorsichtig«|70. In der zweiten Liste war lediglich das Merkmal »warm« durch das Merkmal »kalt« ausgetauscht. Im Anschluss wurden die Probanden gebeten, ergänzende Eigenschaften der beschriebenen Personen abzugeben|71. Im Ergebnis wurde die in der ersten Liste beschriebene Person seitens der Versuchspersonen durchweg positiver dargestellt als die charakterisierte Person in der zweiten Liste. Dies geschah, obwohl von sieben völlig identischen Adjektiven nur eines (nämlich »warm« durch »kalt«) ersetzt worden war|72.

Es zeigte sich im Rahmen von Folgeexperimenten, dass gerade der Austausch von »warm« durch »kalt« diesen eindeutigen Effekt hervorgerufen konnte, obwohl die Begriffe jeweils nur ein kleines Teilstück der Gesamtinformation ausmachten. »Kalt« oder »warm« stellten demnach zentrale Persönlichkeitsmerkmale|73 dar, die einen entscheidenden Einfluss auf die Eindrucksbildung haben. Bei einem zentralen Persönlichkeitsmerkmal handelt es sich um

»eine dispositionale, hervorstechende Eigenschaft, die von dem sozial wahrnehmenden als integraler Bestandteil der Organisation der Persönlichkeit angesehen wird«|74.

Die Zuschreibung einer solchen Eigenschaft führte letztendlich zu einer »schemagesteuerten« Gesamtinterpretation der Persönlichkeit. So wurde die »kalte Persönlichkeit« typischerweise beschrieben, als

»eine ziemlich überhebliche Person, die meint, dass sie sich vom Durchschnittsmenschen durch ihren Erfolg und ihre Intelligenz abhebt. Berechnend und teilnahmslos«|75.

Bei dem Austausch anderer eher peripherer Persönlichkeitsmerkmale (z.B. »höflich« durch »plump«) konnte Asch keinen vergleichbar starken Einfluss feststellen|76. Es erwies sich jedoch ebenfalls, dass die Zentralität eines Persönlichkeitsmerkmales immer auch in Abhängigkeit mit dem Kontext der anderen Eigenschaftsbegriffe steht, also zudem davon abhängt, welche anderen Zuschreibungen in der Liste vorkommen|77.

In weiteren Folgeexperimenten zeigte sich darüber hinaus, dass ein Persönlichkeitsmerkmal, welches zu Anfang auf der Liste aufgeführt war, einen deutlich stärkeren Effekt auf die Urteilsbildung hatte, als die Merkmale, die ihm folgten (sog. Primacy Effekt)|78. Die zuerst gegebene Information über eine Person dient demgemäß offensichtlich als Grundlage für die Einordnung der nachfolgenden Informationen. So wurde eine Person als kompetent und ehrgeizig angesehen, wenn als erste Information (in einer Liste mit insgesamt identischen Persönlichkeitsmerkmalen) »intelligent« gewählt wurde. Wenn im Gegensatz dazu das Merkmal »neidisch« bei der Reihenfolge der Darbietung zuerst genannt wurde, hielt man die Zielperson hingegen für emotional überspannt und fehl angepasst|79. Frühe Informationen scheinen demnach eine außerordentlich große Macht auf die Eindrucksbildung auszuüben|80.

»Das erste Attribut schafft gewissermaßen ein Klima, welches auf die Wahrnehmung und Interpretation der nachfolgenden Begriffe abfärbt«|81.

Es ist offensichtlich so, dass Menschen aus irgendwelchen Gründen nicht abwarten,

»bis alle Belege eingegangen sind, bevor sie anfangen, sie zu einem Gesamtbild zu vereinen«|82.

Die erste eingehende sprachlich codierte Botschaft regt einen spezifischen Bereich der Netzwerkstruktur des Gedächtnisses an, wodurch die Informationsverarbeitung von gerade den Inhalten erleichtert wird, die mit der Information in Verbindung stehen. Zudem kommt es gleichzeitig zu einer Erschwerung, hiermit nicht konsistente Informationen aufzunehmen|83.

In der klassischen Studie von Kelly|84 ging es um einen Gastdozenten, der im Vorfeld seiner Vorlesung bei den Studenten angekündigt wurde. Dabei wurde den Studenten eine Kurzbeschreibung über seine Person gegeben. Einer Gruppe der Studierenden wurde mitgeteilt, dass der Gastdozent ziemlich »warmherzig« und der anderen Gruppe wurde gesagt, dass er ziemlich »kalt« sei. Alle weiterhin abgegebenen Kurzinformationen über seine Person waren bei beiden Gruppen identisch (Alter, Familienstand etc.)|85. Nach dem Abschluss der Veranstaltung sollten die Studenten ihren erlangten Eindruck vom Dozenten wiedergeben. Der Dozent mit der vorgegebenen Zuschreibung »kalt« wurde dabei nicht nur weniger positiv eingeschätzt|86 – »die Studierenden interagierten auch weniger mit ihm und stellten ihm während der Veranstaltung weniger Fragen«|87. Alleine schon die schlichte Erwartungshaltung wirkte sich demnach bei den Gruppen auf deren Gesamteindruck von der Zielperson und die Interaktionsbereitschaft aus|88. Die jeweilige (Vorab-)Beschreibung des Dozenten als »warm« oder »kalt« führte im Ergebnis also auch hier dazu, dass die Studierenden gerade das jeweils passende Schema anwendeten|89.

Wir müssen aufgrund der Forschungsergebnisse davon ausgehen, dass der erste Eindruck von einer Person, der aufgrund der Vorinformation der Ermittlungsakte zwangsläufig entsteht, zu einer frühen prägenden kognitiven Orientierung führt und unsere Wahrnehmung von der Person (sowie unser Verhalten) auch bis hinein in die Hauptverhandlung steuern kann. In der Folge kann zudem sogar der Effekt der »selbsterfüllenden Prophezeiung«|90 entstehen. Deshalb ist die erste Information, die insbesondere der Richter über die Ermittlungsakte vom Beschuldigten erhält, für die spätere Urteilsfindung von ganz besonderer Bedeutung.

VI. Der Perseveranzeffekt und die kognitive Dissonanztheorie

Bislang konnten wir u.a. feststellen, dass ein schemaorientierter kognitiver Prozess bewirken kann, den Gesamteindruck, den man über eine Person oder einen vermeintlichen Sachverhalt hat, mit schemakonsistenten Informationen anzureichern und auszuschmücken, auch wenn es hierfür keinerlei objektive Grundlage gibt. Was geschieht aber, wenn die schemaorientierte Vorabbeurteilung im Widerspruch zu neuen Informationen steht? Wenn sich z. B. der Richter das Bild vom Angeklagten (»Angeklagter ist schuldig«) gemacht hat, stellt sich entsprechend die Frage, wie er im Nachhinein (z.B. in der Hauptverhandlung) mit Informationen umgehen wird, die den Angeklagten entlasten (können).

Wir müssen nach der sozialpsychologischen Forschung grundsätzlich davon ausgehen, dass eine einmal erlangte Überzeugung in der Regel weiter wirkmächtig andauert. So können

»Schemata (…) weiterbestehen, auch wenn sie sich als völlig haltlos erwiesen haben«|91.

Diese Feststellung wird als Perseveranzeffekt (oder auch Inertia-Effekt) bezeichnet. Es handelt sich hierbei um

»den Umstand, dass Überzeugungen über sich selbst und über die soziale Welt fortbestehen, selbst wenn die Grundlagen für diese Annahmen widerlegt worden sind«|92.

Generell kann gesagt werden, dass bei schemainkongruenten Informationen die Person die mangelnde unmittelbare Passung mit dem gespeicherten Schema registriert und eine genauere Analyse erfolgt, bevor die Information in das schon vorhandene Schema eingefügt werden kann. Erst wenn sich schemainkongruente Informationen ansammeln, kann es zu einer Veränderung des Schemas kommen oder es wird eine untergeordnete Kategorie gebildet|93.

Welche kognitiven Mühen Menschen unternehmen, um an ihrer einmal gebildeten Überzeugung festzuhalten, lässt sich anhand der »Theorie der kognitiven Dissonanz« erhellen, die als eine der einflussreichsten Theorie der Sozialpsychologie gilt und in zahlreichen Experimenten ihre Bestätigung gefunden hat|94. Ihr Ursprung geht auf Leon Festinger|95 zurück.

Nach der kognitiven Dissonanz-Theorie|96 führt eine vorgefasste Meinung regelmäßig dazu, dass die Betroffenen ein Verhalten zeigen, das – von affektiven Prozessen begleitet – alle von der »Wahrhypothese« abweichenden Informationen und Auffassungen leugnet. Ein Umdenken ist infolge der änderungsresistenten Einstellung dann unwahrscheinlich bis ausgeschlossen. Das so hypothesengeleitete Denken führt zu einer »systematischen Einengung des kognitiven Feldes«|97 und sogar noch zur Verfestigung von Einstellungen. Die Einengung verfestigt sich sogar um so nachhaltiger, je mehr der einzelne mit gegenteiligen Informationen konfrontiert wird|98.

Die Theorie der kognitiven Dissonanz baut auf dem grundlegenden Gedanken auf, »dass Menschen nach einem Gleichgewicht in ihrem kognitiven System streben«|99, das Individuum also nach Konsistenz seiner Bewusstseinsinhalte strebt. Dabei treten insbesondere die motivationalen Konsequenzen eines vom Individuum empfundenen Ungleichgewichts in den Fokus der Betrachtung. Das Registrieren von Umweltgegebenheiten und der Erkenntnisvorgang des Individuums folgt hier eigenen Gesetzmäßigkeiten, die zu einem in sich schlüssigen widerspruchsfreien Abbild der »Wirklichkeit« drängen.

Beim Empfinden des dissonanten Zustandes, welcher als aversiv erlebt wird und zu einen psychischen Unbehagen beim Individuum führt, entsteht ähnlich wie bei einem Trieb- oder Bedürfniszustand die Motivation, die Dissonanz zu reduzieren oder zu beseitigen|100. Das Individuum strebt sodann die Veränderung des kognitiven Zustandes an, mit der Zielsetzung, die Dissonanz zu reduzieren.

Hierbei stehen dem Einzelnen mehrere Möglichkeiten offen|101:

1. Es kann neue konsonante Kognitionen dem kognitiven System hinzufügen (Addition).
2. Bestehende dissonante Kognitionen können von ihm substrahiert werden, in Form von Verdrängung, Verleugnung, Ignoranz etc. (Subtraktion).
3. Es kann bei gleichzeitiger Subtraktion dissonanter Kognitionen neue konsonante Elemente in sein kognitives System etablieren (Substitution).

Bezogen auf das Ausgangsproblem könnte sich der mit der Theorie der kognitiven Dissonanz beschriebene Prozess idealtypisch beispielsweise folgendermaßen zeigen. Der Richter, der auf aufgrund der Vorinformation in der Ermittlungsakte die Meinung entwickelt hat, dass die Schuld des Angeklagten so gut wie feststeht, erwartet grundsätzlich eine zu dieser Kognition konsonante Botschaft des Zeugen. Die entsprechende Vermutung ist demnach, dass der Zeuge den Angeklagten in der Hauptverhandlung belasten wird. Tritt jetzt der Zeuge in der Hauptverhandlung auf und entlastet mit seiner Aussage wider Erwarten den Angeklagten, entsteht beim Richter ein unbehagliches Gefühl|102. Ihm stehen jetzt mehrere Alternativen zur Verfügung, um diesen unangenehmen Zustand zu beseitigen und sein kognitives Gleichgewicht wieder herzustellen.

Die Strategie der Addition konsonanter Kognitionen könnte so aussehen|103, dass der Richter die neue Kognition »Der Zeuge ist unglaubwürdig« in seinen Wissensbestand aufnimmt. Im Rahmen der Subtraktion ist es auch möglich, dass der Richter z.B. den Standpunkt entwickelt, dass die entlastende Aussage des X letztendlich nicht relevant ist, da die Aussagen anderer Belastungszeugen für den Nachweis der Schuld ausreichend sind|104. Als dritte Strategie hätte er auch noch die Möglichkeit der Substitution, indem er die ursprüngliche Kognition verwirft und durch die Kognition »Der Angeklagte ist unschuldig« ersetzt|105.

VII. Ausgewählte empirische Studien zum Perseveranzeffekt im Strafverfahren

Im Zusammenhang mit dem grundsätzlich zu erwartenden Perseveranzeffekt und auf Grundlage der kognitiven Dissonanztheorie sowie der im Rahmen dieser Theorie aufgeführten Strategien zur Dissonanzreduktion bei der Konfrontation mit neuen dissonanten Informationen wurden unterschiedlichste Experimente durchgeführt. Für unsere Ausgangsfragestellung sind hier von höchstem Interesse gerade die Experimente, die sich mit der Informationsaufnahme im Strafverfahren und der Urteilsfindung beschäftigen. Auch wenn die Experimente vor über 20 Jahren durchgeführt wurden, haben sie ihre Aussagekraft bis heute nicht verloren.
In einem bekannten computergestützten Hauptverhandlungsexperiment von Schünemann|106 wurde insbesondere das Entscheidungsverhalten im Strafverfahren in Abhängigkeit zur Aktenkenntnis untersucht. Für die Untersuchung wurde Stimulusmaterial verwendet, welches aus einem wirklichen Strafverfahren (Vorwurf: Gefangenenbefreiung) erarbeitet wurde. Ohne Kunstfehler zu begehen, hätte die abschließende Entscheidung Freispruch oder Verurteilung lauten können|107.

Untersuchungsteilnehmer waren insgesamt 58 Personen, die sich aus 35 Strafrichtern und 23 Staatsanwälten aus dem ganzen Bundesgebiet zusammensetzten. Es wurden zunächst zwei Gruppen gebildet. Die aufbereitete Ermittlungsakte lag nur einer der Gruppen als Schriftstück vor. Das Hauptverhandlungsprotokoll wurde am Computerbildschirm dargeboten. Letzteres wurde allen Probanden – also auch der anderen Gruppe – »in einer vom Gesamtinhalt der Information identischen Form«|108 vorgelegt. Da für die Hälfte der Versuchspersonen aus der ersten und der zweiten Gruppe zusätzlich die Möglichkeit der Zeugenbefragung im Rahmen der Hauptverhandlung vorgesehen war, wurde der Verlauf des Informationsflusses bei diesen beiden Untergruppen entsprechend angepasst. In den Fällen, in denen die Möglichkeit der eigenen Zeugenbefragung existierte,

»wurde zunächst nur die eigene Schilderung des Zeugen, der sog. Bericht, eingespielt, und die Versuchsperson hatte nunmehr die Möglichkeit, eigene Fragen an den Zeugen zu formulieren, auf die der Zeuge dann auch über den Bildschirm antwortete, weil der Versuchsleiter nämlich aus dem im Computer gespeicherten Frage- und Antworten-Pool die vorgesehene Antwort produzierte«|109.

Nach Abschluss der Befragung wurde den Personen aus dieser Untergruppe die gesamte zusätzliche Information aus dem vorgefertigten Frage-Antworten-Pool (als Zeugenvernehmung der übrigen Verfahrensbeteiligten) dargeboten. Den anderen Versuchspersonen, denen eine eigene Zeugenvernehmung nicht eingeräumt wurde, wurde von Anfang an das komplette Frage- und Antworten-Material auf dem Bildschirm zur Verfügung gestellt. In der Folge hatten somit alle Probanden die deckungsgleichen Informationen über die Hauptverhandlung. Der Unterschied zur mündlichen Hauptverhandlung bestand letztendlich nur darin, dass »das Medium der Mündlichkeit durch das der Schriftlichkeit ersetzt wurde«|110. Bei den Versuchsteilnehmern mit eingeräumter Möglichkeit der Zeugenvernehmung, wurde im Rahmen des Experimentes noch ergänzend die Fragehäufigkeit registriert. Nach der simulierten Hauptverhandlung wurden schließlich alle Probanden aufgefordert, ein Urteil abzugeben und dieses zu begründen. Weiterhin wurde mittels spezifischer Fragen überprüft, wie gut die Versuchspersonen die wesentlichen Inhalte der Hauptverhandlung wahrgenommen hatten bzw. erinnern konnten|111.

Im Ergebnis zeigte sich, dass die 17 Richter, denen die vorherige Aktenkenntnis gewährt worden war, zu einer Verurteilung kamen. Die Kenntnis der Akte führte also dazu, dass Richter – auch nach einer ambivalenten Hauptverhandlung – ausnahmslos verurteilen. War hingegen keine Aktenkenntnis vorhanden, kam es bei den Richtern nur in acht Fällen zu einer Verurteilung und immerhin in zehn Fällen zu einem Freispruch. Wenn die Möglichkeit der Zeugenvernehmung vorhanden war, verurteilten die Richter mit Aktenkenntnis achtmal (kein Freispruch bei Aktenkenntnis, siehe schon oben), ohne Aktenkenntnis allerdings nur dreimal (8 Freisprüche)|112.

Ein weiteres Ergebnis dieser Studie veranschaulicht, wie sich »der inertia-Effekt (die ‚Entscheidungsperseveranz’) im einzelnen vollzieht«|113. Durchschnittlich konnten nur 6,59 von 11 Fragen hinsichtlich der Zeugenaussagen in der Hauptverhandlung von den Personen mit Aktenkenntnis korrekt erinnert werden; bei den Personen ohne Aktenkenntnis waren hingegen über 7,69 richtige Antworten zu verzeichnen (Unterschied ist signifikant). Eine noch deutlichere Differenz zeigte sich bei einem Vergleich der »Verurteiler mit Aktenkenntnis« mit den »Freisprechern ohne Aktenkenntnis«. Letztere konnten durchschnittlich 7,63 korrekte Antworten geben; die »Verurteiler« mit Aktenkenntnis hingegen nur 6,35|114.

»Hier hat sich also der inertia-Effekt in der Weise ausgewirkt, dass die Richter mit Aktenkenntnis den Entlastungsgehalt der Hauptverhandlung gar nicht richtig wahrgenommen und gespeichert hatten, weil sie nur die ihnen bereits aus der Ermittlungsakte bekannten (‚redundanten’) belastenden Informationen apperzipierten und später erinnerten«|115.

Es konnte also gezeigt werden, dass vorrangig nur die Inhalte der Hauptverhandlung wahrgenommen wurden, die mit der durch die Information der Ermittlungsakte vorab gebildete Hypothese »Der Angeklagte wird schuldig sein!« identisch waren.
Interessant war auch das zusätzliche Ergebnis, dass die Mehrheit der Fragen von den Verurteilenden mit Aktenkenntnis und die wenigsten von den Freisprechenden gestellt wurden, die ja keinerlei Aktenkenntnis hatten. Dennoch konnte die Gruppe mit den meisten Fragen (»Verurteiler mit Aktenkenntnis«) – wie schon oben erwähnt – die Inhalte der Hauptverhandlung am schlechtesten erinnern. Schünemann kommt deshalb zu der Einsicht, dass

»die Quantität der Fragen nichts mit der Qualität der Informationsverarbeitung zu tun zu hat und dass die Stellung von Fragen eher der Selbstbestätigung der Ausgangshypothese als der Verbesserung der Informationsverarbeitung dient«|116.

Zwei weitere Experimente stellen Bandilla/Hassemer|117 vor. In dem ersten Experiment wurde als Stimulusmaterial ein Fall verwendet, der sich einige Jahre zuvor tatsächlich zugetragen hatte und mit einem Freispruch endete. Die Ermittlungsakte und die Hauptverhandlungsniederschrift mitsamt umfangreichen Vernehmungsprotokollen wurden für das Experiment verwendet. Die Beweissituation war sehr ambivalent; sachliche Beweismittel fehlten gänzlich. Die Zeugenaussagen waren z. T. widersprüchlich und kontrovers. Der Angeklagte bestritt den ihm vorgeworfenen Sachverhalt in Gänze|118. Die Versuchspersonen der Studie waren 34 Rechtsreferendare, die schon eine abgeschlossenen strafrechtlicher Station absolviert hatten. Es wurden eine Experimentalgruppe (15 Probanden) und eine Kontrollgruppe (19 Probanden) gebildet, denen in einem ersten Schritt unter gleichen Bedingungen die Ermittlungsakte und anschließend das Protokoll der Hauptverhandlung zur Verfügung gestellt wurde, sodass die Ausgangsbedingungen für beide Gruppen grundsätzlich identisch waren|119. Eine wesentliche Abweichung bestand jedoch darin, dass

»bei der Experimentalgruppe am Ende der Beweisaufnahme auf Antrag der Verteidigung als ‚Überraschungseffekt’ ein weiterer Zeuge auftrat, dessen Aussage zwar keine ‚harten’ Informationen brachte, den zuvor vernommenen Hauptbelastungszeugen jedoch in nachvollziehbarer Weise der Lüge zieh und diesen als von Rachebedürfnissen motivierten Initiator eines gegen den Angeklagten geschmiedeten Komplotts bezeichnete«|120.

Das (nur zunächst) erstaunliche Ergebnis war hierbei, dass sich die Probanden in der Gruppe, die mit der Zusatzinformation des Entlastungszeugen zum Ende der Hauptverhandlung konfrontiert wurden, häufiger als die Teilnehmer in der Kontrollgruppe für einen Schuldspruch aussprachen. Während die Experimentalgruppe zu 80 % verurteilte, waren es bei der Kontrollgruppe hingegen nur 68 %. Trotz mehrdeutiger Beweislage führte die Einführung eines Entlastungszeugen also dazu, dass sich die Entscheider dazu veranlasst sahen, häufiger den Angeklagten zu verurteilen; d. h. ohne Entlastungszeugen in dem späten Verfahrensstadium, wäre die Freispruchquote höher gewesen. Dass es zu einer derartigen Verfestigung der Einstellung der Urteiler kam, ließ sich auch hier mit der Theorie der kognitiven Dissonanz erklären. Die Versuchspersonen in der Experimentalgruppe, die den Entlastungszeugen präsentiert bekamen, werteten aufgrund ihrer Vor-Verurteilung die nachfolgende Information des Entlastungszeugen systematisch ab und werteten zugleich die Aussagen der Hauptbelastungszeugen entsprechend auf, um trotz neuer Information an dem schon festgelegten Urteil festzuhalten (Substraktion). Letzteres wurde auch im Rahmen einer anschließenden Befragung deutlich. Die Versuchspersonen hatten dabei u. a. auch die Glaubhaftigkeit und die Sachdienlichkeit des Überraschungszeugen zu bewerten. Die Aussage des Überraschungszeugen wurde seitens der Experimentalgruppe »zwar als glaubhaft, jedoch wenig sachdienlich«|121 angesehen. Auch im Vergleich zu der Kontrollgruppe, die mit dem Entlastungszeugen nicht konfrontiert wurde, wurde der Aussage des Hauptbelastungszeugen signifikant mehr Glaubhaftigkeit und Sachdienlichkeit zugeschrieben|122. Der hierbei zum Ausdruck kommende grundsätzliche Verharrungseffekt

»dürfte im Prozess der Überzeugungsbildung eines urteilenden Richters umso wirksamer werden, je später eine den Angeklagten entlastende Aussage präsentiert wird«|123.

Ein interessantes Ergebnis zeigt sich auch bei einem weiteren Folge-Experiment von Bandilla/Hassemer|124. Mittels Durchführung einer Computer-Simulation wurde hierbei 35 Strafrichtern (z. T. mit langjähriger Berufserfahrung) eine Hauptverhandlung dargeboten. Das Protokoll der Hauptverhandlung wurde auf einem Bildschirm präsentiert. Wenn eine Bildschirmseite gelesen wurde, musste per Mausklick eine neue Seite aufgerufen werden. Vergleichbar mit der Situation in der Hauptverhandlung konnte die Information nur einmal abgerufen werden, da ein Zurückholen des Textes nicht möglich war. Einige Tage vor der simulierten Hauptverhandlung wurde nur der Experimentalgruppe die gesamte Ermittlungsakte als Schriftstück zur Verfügung gestellt|125. Das Besondere des Experimentes lag im Folgenden darin, dass gegen Ende der Hauptverhandlung ein auf Antrag der Verteidigung geladener Zeuge auftrat, der den Angeklagten mit seiner Aussage stark entlastete. Für die Experimentalgruppe war der Auftritt dieses Entlastungszeugens|126 besonders überraschend, weil sich seine Aussagen nicht in der Ermittlungsakte wiederfanden. Für die Kontrollgruppe dürfte sein Auftritt hingegen keinen besonderen Überraschungseffekt auslöst haben, da mangels Aktenkenntnis, »alle in der Hauptverhandlung auftretenden Zeugen ‚neu’ sein mussten«|127.

Im Ergebnis zeigte sich, dass auch im Rahmen dieses Experimentes die Kenntnis der Ermittlungsakte dazu führte, dass die Mitglieder der Experimentalgruppe signifikant häufiger zu einem Schuldspruch kamen. So wurde der Angeklagte von den Richtern, die im Vorfeld Kenntnis von der Ermittlungsakte hatten, ohne Ausnahme (100 %) für schuldig befunden; die Mitglieder der Kontrollgruppe, die keine Kenntnis vom Inhalt der Ermittlungsakte hatten, waren hingegen mehrheitlich von seiner Unschuld überzeugt, so dass immerhin 56 % der Richter den Angeklagten freisprachen. Im Rahmen einer anschließenden Befragung der Richter mittels Fragebogen zeigte sich zudem, dass die Richter der Experimentalgruppe, die im Vorfeld Kenntnis von der Ermittlungsakte hatten, die Zeugenaussage des für sie überraschend auftretenden Entlastungszeugen nur zu 24 % (4 Richter) fehlerfrei erinnern konnten; von den restlichen 76 % der Richter aus dieser Gruppe wurden dem Entlastungszeugen nicht zutreffende Aussagen zugeschrieben. Die Teilnehmer der Kontrollgruppe (ohne vorherige Aktenkenntnis) erinnerten hingegen bei dem zuletzt präsentierten Zeugen dessen Aussage zu 100 % fehlerfrei|128.

Auch im Rahmen dieses Experimentes zeigte sich also erneut, dass gerade in unklaren Entscheidungssituationen von einem bedenklichen Effekt der vorherigen Kenntnis der Ermittlungsakte auszugehen ist. Zudem wirkte sich ihre Einsicht auf die Wahrnehmungs- und Erinnerungsleistungen der Versuchsteilnehmer aus. Die hohe Fehlerquote bei der Erinnerung an den Überraschungszeugen bei den Richtern, die vorherige Akteneinsicht hatten, kann sich wiederum mit dem Perseveranzeffekt erklären lassen. Aufgrund eines dadurch gebildeten Vorab-Urteils wurde seitens der Richter der entlastenden Zeugenaussage weniger Aufmerksamkeit geschenkt.

Zusammengefasst müssen wir davon ausgehen, dass die Kenntnis der belastenden Ermittlungsakte einen zentralen Einfluss auf das nachfolgende Urteil hat, da bei der Urteilsbildung fortwährend psychologische Verharrungsstrategien wirksam werden, die die Theorie der kognitiven Dissonanz oder auch die Schematheorie plausibel machen.

»Die Kenntnis der den Angeklagten überwiegend belastenden Informationen aus der Ermittlungsakte ‚steuert’ gleichsam die Informationsaufnahme während der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung«|129.

VIII. Schlussfolgerungen

Ein Blick auf die kognitiven Stufen der sozialen Informationsverarbeitung hat uns gezeigt, dass der Mensch bei der Wahrnehmung und Verarbeitung neuer Reizereignisse bevorzugt auf schon vorhandenes Wissen zurückgreift. Dieses Wissen besteht insbesondere aus Schemata, die es uns ermöglichen, die Reizereignisse einzuordnen und ihnen einen (auch sozial geteilten) Sinn zu verleihen.

Reizereignisse stellen auch sprachlich codierte Informationen (z. B. in der Ermittlungsakte) dar, wobei durch die Benutzung der Wortwahl spezifisches – gesellschaftlich intersubjektiv geteiltes – Schematawissen beim Informationsempfänger aktiviert wird. In diesem Zusammenhang konnte u. a. das auf der Hand liegende Ergebnis festgestellt werden, dass Personen in der Rolle des »Anklägers« verständlicherweise dazu tendieren, eine spezifische sprachliche Strategie zu verwenden, die das Anklagevorbringen dem Informationsempfänger plausibel erscheinen lässt. Ein weiteres Ergebnis war, dass sich gerade diese Strategie in beeinflussender Weise beim Empfänger der Botschaft mit Erfolg durchsetzen kann.

Es hat sich ebenfalls gezeigt, dass zeitlich zuerst gegebene Informationen tendenziell einen besonderen Einfluss auf die nachfolgende Bewertung von Personen oder eines Sachverhaltes haben, da im Rahmen der Informationsverarbeitung auf ein mit der Erstinformation passendes Schema zurückgegriffen wird, welches auch nachfolgend wahrnehmungs- bzw. interpretationsleitend sein kann. Eine solche »Verharrungstendenz« ließ sich auch mit dem Perserveranzeffekt und der kognitiven Dissonanztheorie plausibel machen. Empirische Studien konnten belegen, dass die frühen Informationen, denen der Richter aufgrund der Ermittlungsakte ausgesetzt ist, einen ganz entscheidenden Einfluss auf die nachträgliche Informationsaufnahme im Strafverfahren haben.

Insgesamt ist demnach die Sorge, dass die in der Ermittlungsakte äußerst verzerrungsanfälligen Vorabinformationen im Ergebnis zu einer robusten subjektiven Hypothese beim Richter führen können, der Angeklagte sei schuldig, durchaus begründet. Eine solche Vorabhypothese kann sich über den Eröffnungsbeschluss bis hin zum Strafurteil auswirken. Wir sollten aber auch bedenken, dass bei Schöffen und Berufsrichtern, die nicht Berichterstatter sind, keine Aktenkenntnis vorgesehen ist, und bei diesen Urteilern das Auftreten eines Perseveranzeffektes nicht ohne weiteres in einer ausgeprägten Form erwartbar ist|130. Auch in den Fällen, in denen die Beweislage eindeutig ist und sozusagen »hard facts« vorliegen, ist der Einfluss der Informationen durch die Ermittlungsakte ggf. nur noch für das Strafmaß relevant|131. Zudem gibt es eine Vielzahl weiterer Faktoren, die sich auf die Urteilsbildung im Strafverfahren auswirken können|132 .
Dennoch sollten diese Einwände nicht zu einer Verharmlosung des Problems der Beeinflussung durch die Ermittlungsakte führen und gezielt Anstrengungen unternommen werden – soweit wie möglich – Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Unabhängig von einer theoretisch grundsätzlich denkbaren und häufig diskutierten Reformierung des Strafverfahrens|133 lassen sich die folgenden Denkansätze bilden.

Vorrangiges Ziel der Verteidigung kann es in der Regel bei ambivalenten Beweissituationen nur sein, eine Vorurteilsbildung erst gar nicht aufkommen zu lassen bzw. diese abzumildern|134. Deshalb sollten vom Grundsatz her entlastende Informationen so früh wie möglich dargelegt werden|135.

Eine Schemaveränderung tritt bei den betroffenen Richtern (oder auch anderen Verfahrensbeteiligten) in der Regel nicht alleine deshalb ein, weil sie mit widersprechenden Informationen konfrontiert werden. Vielmehr muss die Barriere der subjektiven Sicherheit erschüttert werden. Die Betroffenen selbst müssen eine intrinsische Motivation für das Generieren von Gegenargumenten entwickeln. Die Bereitschaft dazu kann durch eine gezielte Fortbildung der Richter gefördert werden, um auf diese Weise eine spezifische Sensibilität und Selbstreflexion zu erleichtern.

Anmerkungen:

* Die Vortragsform des Beitrags wurde weitgehend beibehalten.
1 Vgl. hierzu Bericht der Arbeitsgruppe VI: Die Polizei als Richter, in: Vereinigung Berliner Strafverteidiger e.V. u. a. (Hrsg.), 10. Strafverteidigertag vom 25. – 26. April 1986, Bremen 1987, S. 30-31.
2 Schünemann, Bernd, Polizei- und Staatsanwaltschaft – Teil 2, Kriminalistik 1999, S. 146-152 (148) mit weiteren Hinweisen.
3 Schünemann a.a.O. Kriminalistik 1999, Seite 148.

4 Vgl. hierzu Friedrichsen, Gisela, Triumph des Richters, Spiegel online vom 22. Oktober 2009, 17:58 Uhr.
5 Vgl. hierzu Friedrichsen, Gisela, »Schämt sich denn keiner?« Viel Überzeugung, kein Beweis: Der Justizskandal im Fall des Bauern Rupp endet mit einen drittklassigen Freispruch, Der Spiegel 9/2011, S. 37-38, Friedrichsen, Gisela,»Man braucht Geständnisse«, Spiegel online vom 24. Februar 2011, 16:18 Uhr.
6 König, Stefan, Das Pappenheimer-Syndom in: Barton, Stephan (Hrsg.), Beziehungsgewalt und Verfahren, Baden 2004, S. 49-59.
7 König a.a.O. S. 53
8 König a.a.O. S. 52
9 König a.a.O. S. 52

10 Bei dem Perseveranzeffekt handelt es sich um »den Umstand, dass Überzeugungen über sich selbst und über die soziale Welt fortbestehen, selbst wenn die Grundlagen für diese Annnahmen widerlegt worden sind«, Aronson, Elliot, Wilson, Thimothy. D., Akert, Robin. M., Sozialpsychologie, München u. a. 2008, 6. Aufl., S. 65.
11 Vgl. grundlegend dazu Festinger, Leon, Die Theorie der kognitiven Dissonanz, Bern u. a. 1978 (Hrsg. von Irle, Martin, Möntmann, Volker).
12 Hierbei handelt es sich um eine Untersuchung von Schünemann (vgl. hierzu: Schünemann, Bernd, Der Richter im Strafverfahren als manipulierter Dritter? Zur empirischen Bestätigung von Perseveranz- und Schulterschlusseffekt, in: Bierbrauer, Günter, Gottwald, Walter, Birnbreier-Stahlberger, Beatrix (Hrsg.), Ver-fahrensgerechtigkeit, Köln 1995, S. 215-232 sowie Schünemann, Bernd, Der Richter im Strafverfahren als manipulierter Dritter? Zur empirischen Bestätigung von Perseveranz.- und Schulterschlusseffekt, Strafverteidiger 2000, Seiten 159-165 und um zwei Untersuchungen von Bandilla, Wolfgang, Hassemer, Raimund, Zur Abhängigkeit strafrichterlicher Beweiswürdigung vom Zeitpunkt der Zeugenvernehmung im Hauptverfahren, Strafverteidiger 1989, S. 551-554.
13 Vgl. Pendry, Louise, Soziale Kognition, in: Jonas, Klaus, Stroebe, Wolfgang, Hewstone, Miles (Hrsg.) Sozialpsychologie. Heidelberg 2007, 5. Aufl., S. 111-145 (115).
14 Pendry a.a.O. S. 115
15 Vgl. Pendry a.a.O. S. 115
16 Pendry a.a.O. S. 115
17 Vgl. hierzu Fiedler, Klaus, Bless, Herbert, Soziale Kognition, in: Jonas, Klaus, Stroebe, Wolfgang, Hewstone, Miles (Hrsg.) Sozialpsychologie, Heidelberg 2002, 4. Aufl., S. 125-163 (132 u. 136).
18 Vgl. Fiedler/Bless a.a.O. S. 137
19 Vgl. zu diesen Prozessen Fiedler/Bless a.a.O. S. 133 u. 138
20 Fiedler/Bless a.a.O. S. 138
21 Vgl. Fiedler/Bless a.a.O. S. 133
22 Vgl. Fiedler/Bless a.a.O. S. 133
23 Vgl. Zimbardo, Philip G., Gerring, Richard J., Psychologie, München u. a. 2008, 18. Aufl., S. 152 f.
24 Vgl. Zimbardo/Gerring a.a.O. S. 152
25 Siehe oben: Pendry a.a.O. S. 115
26 Vgl. Bieneck, Steffen, Soziale Informationsverarbeitung in der juristischen Urteilsfindung: Experimentelle Untersuchungen zur Ankerheuristik, Potsdam 2006, Seite 10. Ausführungen zur schemagesteuerten Verarbeitung von Informationen finden sich im Zusammenhang mit dem strafrechtlichen Kontext ebenfalls bei Bandilla, Wolfgang, Kontextabhängige Informationsverarbeitung in bundesdeutschen Strafverfahren, Mannheim 1986, Seiten 36 ff. Vgl. zu der allgemeinen Thematik »Schemata« auch Aronson, Elliot, Wilson, Thimothy D., Akert, Robin M., Sozialpsychologie, München u. a. 2008, 6. Auflage, S. 58 f.
27 Bieneck a.a.O. S. 10
28 Zu der uneinheitlichen Verwendung des Schemabegriffs in der Psychologie vgl. Bless, Herbert, Schwarz, Norbert, Konzeptgesteuerter Informationsverarbeitung, in: Frey, Dieter, Irle, Martin (Hrsg.), Theorien der Sozialpsychologie. Band III: Motivations-, Selbst- und Informationsverarbeitungstheorien, Bern u. a. 2002, 2. Aufl. S. 257-278 (259).
29 Vgl. Aronson/Wilson/Akert a.a.O. (Fn. 27), S. 58
30 Fiedler/Bless a.a.O. S. 134
31 Vgl. Bieneck a.a.O. S. 10

32 Carlie (1999) zit. n. Aronson/Wilson/Akert a.a.O. S. 62. Wegen des Untersuchungsdesigns und des Ergenisses vgl. ebenda S. 62.
33 Vgl. Aronson/Wilson/Akert a.a.O. S. 62
34 Vgl. Aronson/Wilson/Akert a.a.O. S. 62
35 Vgl. zum Ganzen Bieneck a.a.O. S. 11
36 Fiedler, Klaus, Semin, Grün R., Das linguistische Kategorienmodell, in: Frey, Dieter, Irle, Martin (Hrsg.), Theorien der Sozialpsychologie. Bd. III, Motivations-, Selbst- und Informationstheorien, Bern u. a. 2002, 2. Aufl., S. 334-351 (334).
37 Vgl. Fiedler/Bless a.a.O. S. 156
38 Fiedler/Semin a.a.O. S. 334
39 Vgl. Fiedler/Semin a.a.O. S. 335
40 Vgl. Fiedler/Semin a.a.O. S. 334-351
41 Eine Ermittlungsakte sowie auch jeder andere Text könnten insoweit nach diesem von Fiedler/Semin (Fn. 37) entwickelten linguistischen Kategorienmodell analysiert werden.
42 Fiedler, Klaus, Freytag, Peter, Sprachliche Kommunikation, in: Bierhoff, Hans-Werner, Frey, Dieter (Hrsg.), Handbuch der Sozialpsychologie und Kommunikationsspychologie, Göttingen u.a. 2006,
S. 545-554 (550).
43 Vgl. Fiedler/Semin a.a.O. S. 335
44 Fiedler/Semin a.a.O. S. 336
45 Vgl. Fiedler/Semin a.a.O. S. 336
46 Vgl. Fiedler/Semin a.a.O. S. 336 f., Fiedler/Freytag a.a.O. S. 550, Fiedler/Bless a.a.O. S. 158
47 Vgl. Fiedler/Semin a.a.O. S. 336
48 Vgl. Fiedler/Freytag a.a.O. S. 550, Fiedler/Semin a.a.O. S. 336 f.
49 Vgl. Fiedler/Freytag a.a.O. S. 550, Fiedler/Semin a.a.O. S. 336 f.
50 So Fiedler/Semin a.a.O. S. 339
51 Vgl. Fiedler/Semin a.a.O. S. 339
52 Fiedler/Semin a.a.O. S. 339
53 Fiedler/Semin a.a.O. S. 339
54 Vgl. Fiedler/Semin a.a.O. S. 340
55 Fiedler/Semin a.a.O. S. 340, Fiedler/Bless a.a.O. S. 157. Es handelt sich hierbei um die »Tendenz, im Fall von Handlungsverben die Ursachen im Subjekt des Satzes begründet zu sehen und im Fall von Zustandsverben die Ursachen auf das Objekt des Satzes zurückzuführen«, Fiedler/Bless a.a.O. S. 157. Zum Beispiel: Die Umschreibung »A hilft B« impliziert ein Verhalten, welches auf das Handlungssubjekt zurückzuführen ist. Die Beschreibung »A mag B« weist vornehmlich kausal auf eine Attribution hin-sichtlich B hin.
56 Fiedler/Semin a.a.O. S. 339 f. – hier findet sich auch ein weiteres Beispiel.
57 Fiedler/Semin a.a.O. S. 340
58 Vgl. zu den folgende Ausführungen Schmid, Jeannette, Fiedler, Klaus, The backbone of closing speeches: The impact of prosecution versus defense language on juridical attributions, Journal of Applied Social Psychology, 1998, 28, S. 1140-1172 (Studie 1) sowie Fiedler/Semin a.a.O. S. 340 ff. (Hier findet sich ebenfalls eine Darstellung der Untersuchung.).
59 Fiedler/Semin a.a.O. S. 341
60 Fiedler/Semin a.a.O. S. 341 f.
61 Fiedler/Semin a.a.O. S. 342: Die Forscher weisen aber auch darauf hin, dass dieses Ergebnis bei den Plädoyers der Rechtsreferendare im Vergleich mit den Plädoyers der Novizen in etwas abgeschwächterer Form zu verzeichnen war, vgl. Schmid/Fiedler, Journal of Applied Social Psychologie, 1998, 28, S. 1159 (zu Studie 1) und auch Fiedler/Semin a.a.O. S. 342, wobei gemutmaßt wird, dass »die juristische Ausbildung dazu beiträgt, den Sprachgebrauch zu standardisieren und damit eine Quelle der sprachlichen Manipulation zu vermindern« (ebenda S. 342).
62 Vgl. Schmid/Fiedler, Journal of Applied Social Psychologie, 1998, 28, S. 1159 ff. (Studie 2). Eine Kurzdarstellung dieser Studie findet sich auch bei Fiedler/Semin a.a.O. S. 342 f.
63 Fiedler/Semin a.a.O. S. 343
64 Fiedler/Semin a.a.O. Seite 346. In diesem Zusammenhang wird von Fiedler/Semin (ebenda) auf eine Studie von Fiedler/Armbruster/Nickel/Walter/Asbeck (1996) hingewiesen. Den Probanden wurde hierbei die Videoverfilmung einer Talkshow (mit Alfred Biolek) vorgeführt, bei der sich eine Gruppendiskussion entwickelt hatte. In diesem Zusammenhang wurden sie mit unterschiedlichen Fragenlisten konfrontiert, die sich auf das von ihnen beobachtete Verhalten einer bestimmten Zielperson in der Talkshow bezog. Je nach experimenteller Bedingung beinhalteten diese Fragen negative interpretativen Handlungsverben, positive interpretativen Handlungsverben, positive Zustandsverben oder negative Zustandsverben. »Die Ergebnisse bestätigen, dass das bloße Nachdenken über verbal codierte Verhaltensweisen die nachfolgenden Urteile signifikant verändern. Allein das Nachdenken darüber, ob positive IAVs auf eine Person zutreffen – ohne weitere Evidenz dafür, dass sie zutreffen – führt zu positiveren Eindrücken von dieser Person als das bloße Nachdenken über negative IAVs. Da IAVs intern verursachtes Verhalten anzeigen, färbt die Valenz der Verben, die mit einer Person in Verbindung gebracht werden, direkt auf die Personenbeurteilung ab«, Fiedler/Semin a.a.O. S. 346.
65 Parkinson, Brian, Soziale Wahrnehmung und Attribution, in: Jonas, Klaus, Stroebe, Wolfgang, Hewstone, Miles (Hrsg.), Sozialpsychologie. Eine Einführung, Heidelberg 2007, 5. Aufl., S. 69-109 (71).
66 Vgl. Parkinson a.a.O. S. 73
67 Vgl. zu den Experimenten, Abele, Andrea, Eindrucksbildung: die Experimente von Asch, in: Frey, Dieter, Greif, Siegfried (Hrsg.), Sozialpsychologie, Weinheim 1997, 3. Aufl., S. 434-438, Abele, Andrea, Alltagsspychologie und motiviertes Denken, in: Bierhoff, Hans-Werner, Frey, Dieter, Handbuch der Sozial-psychologie und Kommunikationsspychologie, Göttingen u. a. 2006, S. 396-403, (396 f.), Parkinson a.a.O. S. 71 f., Herkner, Werner, Lehrbuch Sozialpsychologie, Bern u. a. 2004, 2. Auflage, S. 298 f., Kanning, Uwe Peter, Die Psychologie der Personenbeurteilung, Göttingen u. a. 1999, S. 200 ff.
68 Vgl. Parkinson a.a.O. S. 71 f., vgl. auch Herkner a.a.O. S. 298
69 Vgl. Parkinson a.a.O. S. 72, Fiedler/Bless a.a.O. S. 136
70 Abele 1997 a.a.O. S. 435, Parkinson a.a.O. Seite 72
71 Vgl. Parkinson a.a.O. S. 72, Herkner a.a.O. S. 298
72 Abele 1997 a.a.O. S. 435, Herkner a.a.O. S. 298, Parkinson a.a.O. S. 72
73 Vgl. Abele 1997 a.a.O. S. 435, Henker a.a.O. S. 299, Parkinson a.a.O. S. 72
74 Parkinson a.a.O. S. 72
75 Ash (1946, S. 263) nach der wörtlich zitierten Übersetzung von Parkinson a.a.O. S. 72
76 Vgl. Herkner a.a.O. S. 298 f., Abele 1997 a.a.O., S. 435, Parkinson a.a.O. S. 72
77 Vgl. Abele 1997 a.a.O. S. 435, Parkinson a.a.O. S. 72, Kanning a.a.O., S. 200
78 Vgl. Parkinson a.a.O. S. 72, Abele 1997 a.a.O. S. 435 f. Der Primacy-Effekt bezeichnet »die Tendenz, dass früher eingehende Informationen einen stärkeren Einfluss auf die eigenen Urteile oder die Erinnerung an Personen, Objekte oder Themen haben als später eingehende Informationen«, Fiedler/Bless a.a.O. S. 136. Es trat unter spezifischen Bedingungen ein »Recency-Effekt« auf, bei dem die letzte genannte Information die Beurteilung stärker beeinflusst. Dieser war insbesondere dann zu verzeichnen, wenn den Probanden mitgeteilt wurde, dass sie sich die gesamten Informationen merken sollen, vgl. Abele 2006 a.a.O. S. 397.
79 Vgl. Parkinson a.a.O. S. 72 f., vgl. hierzu auch: Abele 1997 a.a.O. S. 435 f.
80 Vgl. Parkinson a.a.O. S. 72.
81 Kanning a.a.O. S. 201
82 Parkinson a.a.O. S. 73
83 Vgl. Kanning a.a.O. S. 201
84 Vgl. zu dem Experiment (Kelly 1950 zit. nach) Bierbrauer, Günter, Sozialpsychologie, Stuttgart 2005, 2. Aufl., S. 76 ff. sowie Parkinson a. a. O. Seite 73, Abele 2006 a.a.O. S. 398, Aronson/Wilson/Akert a.a.O. S. 60 f., die ebenfalls auf die Untersuchung eingehen.
85 Vgl. Bierbrauer a.a.O. S. 76
86 Er wurde als »signifikant stärker selbstzentriert, formaler, unsozialer, unpopulärer, irritierbarer, hu-morloser, rücksichtsvoller« (Bierbrauer a.a.O. S. 77) erlebt.
87 Parkinson a.a.O. S. 73
88 Vgl. Bierbrauer a.a.O. S. 77. Dass dem so war, lässt sich entweder auf den Primacy-Effekt oder auf den zentralen Charakter des Persönlichkeitsmerkmales (»kalt bzw. warm«) zurückführen, vgl. Parkinson a.a.O. S. 73.
89 Vgl. Aronson/Wilson/Akert a.a.O. S. 61
90 Vgl. hierzu nur Aronson/Wilson/Akert a.a.O. S. 445 f. »Mit einer solchen haben wir es zu tun, wenn Person A (1) eine Erwartung davon hat, wie eine andere Person B ist, die (2) das Verhalten gegenüber dieser Person B beeinflusst, was wiederum (3) Person B dazu veranlasst, sich auf eine Art und Weise zu verhalten, die den ursprünglichen Erwartungen von Person A entspricht«, ebenda S. 445
91 Aronson/Wilson/Akert a.a.O. S. 65
92 Aronson/Wilson/Akert a.a.O. S. 65
93 Vgl. Bieneck a.a.O. S. 10 m.w.N.
94 Vgl. Frey, Dieter, Gaska, Anne, Die Theorie der kognitiven Dissonanz, in: Frey, Dieter, Irle, Martin (Hrsg.), Theorien der Sozialpsychologie, Band I: Kognitive Theorien, Bern u.a. 2001, 2. Aufl., S. 275-321 (275).
95 Vgl. Festinger, Leon, Die Theorie der kognitiven Dissonanz, Bern u. a. 1978 (hrsg. von Irle, Martin, Möntmann, Volker).
96 Vgl. ausführlicher auch schon Blum, Barbara, Gerichtliche Zeugenbetreuung im Zeichen des Opferschutzes, Münster 2006, S. 174 ff.
97 Schade, Burkhard, Der Zeitraum von der Erstaussage bis zur Hauptverhandlung als psychologischer Prozess. Folgerungen für die Glaubwürdigkeitsbegutachtung am Beispiel der Wormser Prozesse über sexuellen Kindesmissbrauch, Strafverteidiger 2000, S. 165-170 (166).
98 Vgl. Schade Strafverteidiger 2000, S. 166.
99 Schulz-Hardt, Stefan, Realitätsfurcht in Entscheidungsprozessen. Vom Groupthink zum Entschei-dungsautismus, Bern u. a. 1997, S. 58, vgl. auch Frey/Gaska a.a.O. S. 276.
100 Vgl. Festinger a.a.O. S. 30, Schulz-Hardt a.a.O. 1997, S. 59
101 Vgl. hierzu Festinger a.a.O. S. 33 ff., Irle, Martin, Lehrbuch der Sozialpsychologie, Göttingen u. a. 1975, S. 315.
102 Vgl. Schünemann, Bernd, Experimentelle Untersuchungen zur Reform der Hauptverhandlung in Strafsachen, in: Kerner, Hans-Jürgen, Kury, Helmut, Sessar, Klaus (Hrsg.), Deutsche Forschungen zur Kriminalitätsentsteheung und Kriminalitätskontrolle, Köln u.a. 1983, S. 1109-1151 (1117).
103 Vgl. Schünemann 1983 a.a.O. S. 1117
104 Vgl. Schünemann 1983 a.a.O. S. 1118
105 Vgl. Schünemann 1983 a.a.O. S. 1118
106 Vgl. hierzu Schünemann, Bernd, Der Richter im Strafverfahren als manipulierter Dritter? Zur empirischen Bestätigung von Perseveranz- und Schulterschlusseffekt In: Bierbrauer, Günter (Hrsg.), Verfahrensgerechtigkeit. Rechtspsychologische Forschungsbeiträge für die Justizpraxis, Köln 1995, S. 215-232 (217 ff.), Schünemann, Bernd, Der Richter im Strafverfahren als manipulierter Dritter? Zur empirischen Bestäti-gung von Perseveranz.- und Schulterschlusseffekt, Strafverteidiger 2000, S. 159-165.
107 Vgl. Schünemann Strafverteidiger 2000, S. 160, Schünemann 1995 a.a.O S. 219
108 Schünemann 1995 a.a.O. S. 219, Schünemann Strafverteidiger 2000, S. 160
109 Schünemann 1995 a.a.O. S. 219, Schünemann Strafverteidiger 2000, S. 160
110 Schünemann 1995 a.a.O. S. 220, Schünemann Strafverteidiger 2000, S. 160
111 Vgl. Schünemann 1995 a.a.O. S. 220, Schünemann Strafverteidiger 2000, S. 161.
112 Vgl. Schünemann 1995 a.a.O. S. 221, Schünemann Strafverteidiger 2000, S. 161. Die hier dargestellten Ergebnisse beziehen sich nur auf die Versuchspersonen der Richter. Die Ergebnisse, die bei dem Entscheidungsverhalten der Staatsanwälte ermittelt werden konnten, wiesen durchgängig erheblich mehr Freisprüche auf. Der negative Effekt der Ermittlungsakte (Perseveranzeffekt) trat bei diesen Versuchspersonen nicht deutlich hervor. Schünemann sieht als Grund für dieses Ergebnis, »dass Staatsanwälte ambivalente Ermittlungsverfahren zum größten Teil einstellen und hier also durchaus kritische Arbeitsstile praktizieren«, Schünemann 1995 a.a.O. S. 228, Schünemann Strafverteidiger 2000, S. 163.
113 Schünemann Strafverteidiger 2000, S. 161, Schünemann 1995 a.a.O. S. 222.
114 Vgl. Schünemann Strafverteidiger 2000, S. 161, Schünemann 1995 a.a.O. S. 222.
Schünemann 1995 a.a.O. S. 222.
115 Schünemann 1995 a.a.O. S. 222
116 Schünemann Strafverteidiger 2000, S. 162, Schünemann 1995 a.a.O. S. 223
117 Siehe hierzu und zu den nachfolgenden Ausführungen Bandilla, Wolfgang, Hassemer, Raimund, Zur Abhängigkeit strafrichterlicher Beweiswürdigung vom Zeitpunkt der Zeugenvernehmung im Hauptverfahren, Strafverteidiger 1989, S. 551-554. Eine komprimierte Darstellung der Experimente findet sich auch bei Barton, Stephan, Der Zeitpunkt des Beweisantrages unter Berücksichtigung des Inertia-Effektes, Strafverteidiger-Forum 1993, S. 11-19 (14 f.).
118 Vgl. Bandilla/Hassemer Strafverteidiger 1989, S. 552
119 Vgl. Bandilla/Hassemer Strafverteidiger 1989, S. 552
120 Bandilla/Hassemer Strafverteidiger 1989, S. 552
121 Schünemann Strafverteidiger 2000, S. 162, Schünemann 1995 a.a.O. S. 223
122 Siehe hierzu und zu den nachfolgenden Ausführungen Bandilla, Wolfgang, Hassemer, Raimund, Zur Abhängigkeit strafrichterlicher Beweiswürdigung vom Zeitpunkt der Zeugenvernehmung im Hauptverfahren, Strafverteidiger 1989, S. 551-554. Eine komprimierte Darstellung der Experimente findet sich auch bei Barton, Stephan, Der Zeitpunkt des Beweisantrages unter Berücksichtigung des Inertia-Effektes, Strafverteidiger-Forum 1993, S. 11-19 (14 f.).
123 Vgl. Bandilla/Hassemer Strafverteidiger 1989, S. 552
124 Vgl. Bandilla/Hassemer Strafverteidiger 1989, S. 552
125 Bandilla/Hassemer Strafverteidiger 1989, S. 552
126 In Bezug auf den nachteiligen Effekt, den ein plötzlicher Überraschungszeuge auslösen kann, ist auch noch das nachfolgende Experiment (Pennington/Hastie 1988 zit. n. Aronson/Wilson/Akert a.a.O. S. 538 f.) interessant. Es ging hierbei um die Frage, welcher Aufbau eines Plädoyers am meisten Erfolg verspricht. Grundsätzlich ist es möglich, chronologisch sein Plädoyer aufzubauen, in dem der Verteidiger die Beweise in derselben Abfolge vorbringt, »wie sie am ehesten der Geschichte entsprechen, von der sie die Ge-schworenen überzeugen wollen«, ebd. S. 539 . Andererseits kann die Reihenfolge einer Darlegung der Beweise in einem Plädoyer auch hierarchisch erfolgen, mit dem erstrebten Ziel, dass »damit der Prozess mit einem dramatischen Zug endet, der sich gut ins Gedächtnis prägt«, ebd. S. 538. Den Testpersonen wurde im Rahmen dieses Experimentes aufgegeben, in die Rolle von Geschworenen in einem Mordprozesses zu treten. Dabei differierte der Aufbau der Plädoyers der Verteidigung und der Anklage, mit denen die Probanden konfrontiert wurden, nach den unterschiedlichen experimentellen Bedingungen. Im Ergebnis zeigte sich, dass 78 % der Versuchsteilnehmer zu einem Schuldspruch kamen, wenn die Anklage das Plädoyer chronologisch und die Verteidigung das Plädoyer hierarchisch aufbaute. Im umgekehrten Fall, »drehte sich das Ergebnis um – nur 31 % stimmten dann für einen Schuldspruch«, ebd. S. 538. Es zeigt sich hier, dass auch die Geschworenen schon frühzeitig ein kognitive Schema entwickeln, an denen sie festhalten (wollen); deshalb war die Präsentation der Beweise in chronologische Abfolge am erfolgreichsten (ebd. S. 538). An dieser Stelle wird einschränkend darauf hingewiesen, dass die Geschworenen, wie bei uns bspw. auch die Schöffen, über keine Aktenkenntnis verfügen.
127 Bandilla/Hassemer Strafverteidiger 1989, S. 553.
128 Vgl. Bandilla/Hassemer Strafverteidiger 1989, S. 553
129 Bandilla/Hassemer Strafverteidiger 1989, S. 554
130 Vgl. hierzu schon Barton a.a.O. S. 15
131 Vgl. Barton a.a.O. S. 16
132 Vgl. hierzu Oswald, Margit E., Richterliche Urteilsbildung, in: Steller, Max, Volbert, Renate (Hrsg.), Psychologie im Strafverfahren, Bern u. a. 1997, S. 248-269 m. w. N.. Vgl. zum »Ankereffekt« Englich, Birte, Ankereffekte im juristischen Kontext, in: Bierhoff, Hans-Werner, Frey, Dieter (Hrsg.), Handbuch der Sozialpsychologie und Kommunikationspsychologie, Göttingen u. a. 2006, S. 309 – 313 und zum »Schulterschlusseffekt« Schünemann 1995 a.a.O. S. 223 ff.
133 Vgl. hierzu beispielsweise Rolinski, Klaus, Alternativ-Entwurf zur Reform der Hauptverhandlung, in: Rechtsstaat und Menschenwürde, Kaufmann, Arthur, Mestmäcker, Ernst-Joachim, Zacher, Hans F. (Hrsg.), FS für Werner Maihofer zum 70. Geburtstag, Frankfurt a. M. 1988, S. 371-388 (374 f.), Schünemann 1983 a.a.O. S. 1145.
134 Vgl. Barton a.a.O. S. 17 f.
135 Vgl. Bandilla/Hassemer Strafverteidiger 1989, S. 554. Zu den grundsätzlich sinnvollen Verteidigungsstrategien vgl. Barton a.a.O. S. 17 f.

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