Deal und Öffentlichkeit

Durch Verfahrensabsprachen nimmt des Bild der Justiz in der Öffentlichkeit Schaden - von Gisela Friedrichsen

Vortrag, 37. Strafverteidigertag, Freiburg 2013

 

Dieser Tage findet in Deutschland der 37. Strafverteidigertag statt, an dem ich die Ehre habe, auch aus meiner, der journalistischen Perspektive, zu referieren. Die Veranstaltung steht unter dem Titel »Die Akzeptanz des Rechtsstaats in der Justiz«, was in meinen Augen ein ziemlich provozierender Titel ist. Denn wo sonst, wenn nicht in der Justiz, also bei den Richtern und Staatsanwälten und der Polizei sollte der Rechtsstaat doch fraglos akzeptiert werden können und müssen. Denn wenn der Staat, der sich Regeln gegeben hat, sich nicht einmal selbst mehr daran halten sollte - dann ist es mit dem Rechtsstaat ja wohl nicht mehr weit her.

Niemand wird bestreiten, dass die Bundesrepublik Deutschland ein Rechtsstaat ist. Der weite und steinige Weg dorthin wurde gestern beschrieben. Und doch: Gefahren lauern stets und an allen Ecken und Enden.

Ich will mit dem Punkt beginnen, der mir als Beobachterin die meisten Sorgen bereitet: die Absprache zwischen den Verfahrensbeteiligten über das Urteil, um den Prozess abzukürzen. Die meisten Juristen sprechen vom Deal, und es ist kein Zufall, dass in diesem umgangssprachlichen Wort immer auch das kriminelle Milieu mitschwingt, in dem Deals für gewöhnlich stattfinden. Dort - und in der Justiz - ist »Deal« Alltag. Ist das in Ordnung?

Ich kenne die Argumente, mit denen nicht nur Richter, sondern auch Sie, die Strafverteidiger, den Deal verteidigen:

- der besonders schutzbedürftige Opferzeuge, dem angeblich eine intensive Vernehmung nicht zuzumuten ist - obwohl er vielleicht gerne einmal alles erzählen würde, was ihm passiert ist;
- die unklare Beweislage, an der vermutlich auch eine langwierige Beweisaufnahme nicht viel ändern würde;
- die bestehende oder drohende Arbeitsüberlastung des Gerichts;
- unwillkommene Ergebnisse - wie z.B. in Verfahren gegen prügelnde Polizeibeamte -, die in einer öffentlichen Hauptverhandlung besser nicht zur Sprache kommen sollen;
- die in vielen Fällen niedrigeren Strafen, die bei den Angeklagten meist mehr Akzeptanz finden als endlos langes, streitiges Verhandeln mit einem ungewissen, wahrscheinlich aber bösen Ende. Hier kommen vor allem Sie, die Strafverteidiger, ins Spiel.

Denn Sie spielen dieses Spiel schließlich mit. Ich muß mir dazu nicht mal die Untersuchung von Altenhain anschauen. Wie viele Verteidiger haben schon zu mir gesagt: Natürlich dealen wir! Was bleibt uns denn anderes übrig? Sollen wir unseren Mandanten etwa sagen: »Nein, ich versuche nicht, Dich aus der U-Haft herauszubekommen gegen ein schlankes Geständnis, nein, wir nehmen das günstige Urteil nicht an, das der Richter in Aussicht stellt, nein, Du nennst keinen Mittäter, was eigentlich von Vorteil wäre für Dich, sondern du gehst länger als gedacht in den Bau - denn wir verteidigen hier den Rechtsstaat und nicht Deine Interessen«?

Hinter dem Motto dieser Arbeitsgruppe »Wer dealt, der sündigt nicht« steht im Programm dieser Veranstaltung ein Ausrufezeichen, kein Fragezeichen. Der Satz ist offenbar als Aufforderung, als Erlaubnis zu verstehen, dass das Dealen mittlerweile eben zur Strafverteidigung gehört wie das Anträgestellen und Plädieren. Bei allem Verständnis - das wohlfeile do ut des, um das Wort Kuhhandel zu vermeiden, auf dem Gerichtsflur oder im Hinterzimmer oder in welcher Lokalität auch immer, es kostet meiner Meinung nach einen sehr hohen Preis. Ich bin keine Freundin des Deals, daraus habe nie einen Hehl gemacht. Aber ich bin nicht Strafverteidigerin, bedenken Sie dies.

Ich sage dies als Journalistin, die nicht Teil der Justiz ist, sondern diese nur von außen beobachtet. Winfried Hassemer hat einmal gesagt: »Die Medien sind das zentrale Sprachrohr der Justiz.« Richtig: Denn wir Medien übersetzen und vermitteln nur der Öffentlichkeit, was in den Gerichten vor sich geht. Und wenn wir Glück haben, vermitteln wir den dort Tätigen auch, was die Öffentlichkeit über sie denkt. Denn die Justiz muß sich verständlich machen, will sie in einer Welt wie der unseren verstanden werden. Das heißt: Ich, die Berichterstatterin und Vermittlerin, muß zunächst einmal selbst verstehen, was warum geschieht, damit ich es in meinen Worten und auf meine Weise, die der Adressat akzeptiert, mitteilen kann.

Das ist das eine. Das andere ist, dass das, was mitzuteilen ist, mit dem Rechtsstaat in Einklang stehen sollte. Denn sonst gibt es, zumindest bei mir, Probleme mit der Vermittlung und mit der Akzeptanz. Wenn ich höre, dass die überwiegende Zahl der Absprachen informell abläuft, dass das Verständigungsgesetz daran nichts geändert hat - dass man also weiter macht, was man immer schon gemacht hat -, dass vieles, sehr vieles außerhalb der Hauptverhandlung stattfindet und der Angeklagte dabei überhaupt nichts zu melden hat, weil man dann schneller und ohne großen formellen Aufwand zum Schluß kommt; wenn ich höre - und ich erlebe es ja auch immer wieder -, dass Geständnisse immer öfter vom Verteidiger vorgetragen werden und wenn vom Angeklagten, dann in knapper, formalisierter Form - dann frage ich mich, ob Sie, die Strafverteidiger, die Sie einmal zum »Kampf ums Recht« angetreten sind, mit einer solchen neuen »Kultur« wirklich glücklich sind. Und ich frage mich, falls Sie glücklich sind, warum Sie das sind.

Von den Opfern einmal ganz abgesehen, die Sie ja auch bisweilen vertreten. Die Opfer, wenn sie im Gerichtssaal dem Angeklagten gegenübersitzen, können mit einem zielorientierten Geständnis meist nur wenig anfangen. Wenn der Verteidiger das Geständnis vorträgt, in juristisch genau kalkulierter Form und Dosis, können sie gar nichts damit anfangen. Will sagen: Zum Rechtsfrieden zwischen einem Täter und seinem Opfer tragen diese Geständnisse nichts bei. Sie verletzen das Opfer im Gegenteil oft von neuem. Doch ich will hier nicht von den Opfern reden.

Wie oft überprüfen Richter noch diese absprachegemäß generierten Geständnisse? Ich als Beobachterin kann das nicht beantworten. Wie hoch ist der Erkenntniswert solcher vereinbarter Geständnisse? Was sind sie denn überhaupt wert? Reicht es Ihnen, die Sie ja auch Organe der Rechtspflege sind, wenn es nur noch darum geht, dass alles möglichst schnell vorüber ist? Reicht es Ihnen, wenn der Rabatt 25 bis 30 Prozent beträgt im Vergleich zu der nach streitiger Verhandlung zu erwartenden Strafe? Wenn Begriffe wie Wahrheit und Gerechtigkeit nur noch wegen ihrer Altertümlichkeit belächelte Leerformeln sind?

Viele Richter lieben den Deal ja auch deshalb, weil sie sich dann nicht mit so genannten Konfliktverteidigern herumschlagen müssen. Na bravo, wenn Sie dabei mitmachen.

Wenn ich bei Altenhain lese, dass mehr als 55 Prozent der befragten Verteidiger sagen, sie hätten schon mal einen Fall erlebt, in dem der Angeklagte nach Drohung mit der Sanktionenschere ein falsches Geständnis abgelegt hat, dann überkommt mich, ehrlich gesagt, das Grausen. Können Sie es wirklich mit Ihrem Gewissen vereinbaren, wenn falsche Geständnisse abgelegt werden, nur damit das Gericht zufrieden ist? Ein Verteidiger, der dabei mitmacht, handelt in meinen Augen kriminell.

Eine intellektuell sehr einfache Frau wird mit dem Vorwurf konfrontiert, sie habe ihre vierjährige Tochter sexuell mißbraucht. Sie ist fassungslos und findet keine Worte. Ihr Verteidiger rät ihr zu einem Geständnis, weil das Jugendamt signalisiert, ohne Geständnis werde sie ihre Tochter nicht wiedersehen. Also nickt sie ein vom Verteidiger formuliertes Geständnis ab. Der auf Familiensachen spezialisierte Psychologe, der die Angaben des Kindes analysiert und das Mädchen begutachtet hatte (Ergebnis: mit höchster Wahrscheinlichkeit kein Mißbrauch, sondern nur dummes Herumgerede von Verwandten), dieser Psychologe also wurde von der Richterin ausgeladen, weil ja nun ein Geständnis vorlag. Dass die Frau in Windeseile verurteilt war - klar. Und dass sie ihre Tochter jetzt erst recht nicht wiedersieht, nachdem sie den Mißbrauch zugegeben hatte, ist ebenso klar. Der Verteidiger verzichtete auf Rechtsmittel. Die Sache ist rechtskräftig. Die Revisionsinstanz, die vielleicht Anstoß hätte nehmen können, weiß von diesem - ich meine - Skandal nichts.

Einen solchen Fall, er ist kein Einzelfall, wie Sie alle wissen, finde ich zum Verzweifeln. Eine solche Justiz sollte sich schämen. Für die Römer, die das Wort »iustitia« erfanden, verstand es sich von selbst, dass »Gerechtigkeit« und »Gerichtsbarkeit« dasselbe waren, sie hatten nur dieses eine Wort dafür. Im Englischen heißt der Richter »Mr. Justice«, Herr Gerechtigkeit. Wenn Justiz aber zum schreienden Unrecht wird, dann mögen die daran beteiligten Herrschaften einpacken. Ich versuchte in dem genannten Fall, den Verteidiger der Frau zu sprechen, um ihn zu fragen, warum er bei diesem schmutzigen Spiel mitgemacht hat. Er war trotz mehrfacher Nachfragen nicht zu sprechen. Die Richterin, die den Sachverständigen ausgeladen hatte, als das Geständnis auf dem Tisch lag, sowieso nicht. Kommentar überflüssig.

Wir leben in einer Mediengesellschaft. Das von den Medien vermittelte Bild der Justiz dürfte in weiten Teilen identisch sein mit dem Bild, das die Bürger von der Justiz haben. Wenn ich als Journalist meinen Lesern sagen muss: Liebe Leute, versteht bitte, dass es den Richtern und Staatsanwälten nicht mehr auf die Wahrheit ankommt; Recht und Gerechtigkeit sind nur noch eine Verfügungsmasse, je nachdem, ob ein Gericht sich einen längeren Prozess ersparen oder einen unbequemen Verteidiger vom Hals schaffen will; die Anwälte machen eh den Mund nicht auf, weil ja auch sie Vorteile davon haben. Was denken Sie, halten die Leute dann noch von einer solchen Justiz? Wundern Sie sich dann noch, wenn respektlos und unverschämt vom »Saustall Justiz« die Rede ist?

Erinnern Sie sich an den Prozess gegen einen Augenarzt in Passau wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, der von Polizisten niedergeprügelt worden war, nachdem er mit dem Fahrrad auf menschenleerer Straße nachts eine rote Ampel überfahren hatte? Der Fall ist in dem Materialheft zu dieser Tagung abgedruckt (S. 51).
In einem Rechtsstaat sollten alle Menschen gleich sein und nicht Polizeizeugen gleicher. Gegen sie stellt die Staatsanwaltschaft Ermittlungen nicht nur besonders rasch ein, wenn Normalbürger Anzeige erstatten wegen übergriffigen Verhaltens der Polizisten (95 Prozent!), nein, es landen auf der Anklagebank häufig die Opfer der Polizeigewalt. Und die Herren von der Polizei dürfen sich in der Zeugenrolle der besonderen Fürsorge des Gerichts und der Staatsanwaltschaft sicher sein. Doch darum geht es mir im Augenblick weniger, obwohl auch dies mit der Akzeptanz des Rechtsstaats in der Justiz zu tun hat.

Ich habe es wiederholt erlebt, dass hinter den Kulissen der Hauptverhandlung, in der es z.B. um prügelnde Polizisten ging, der Richter vorschlug, die Sache gegen die angeklagten Opfer »wegen geringer Schuld« einzustellen. Wieso geringe Schuld? Der Prozess in Passau ergab für den Zuschauer eindeutig, dass die Polizisten nicht nur geprügelt, sondern sich auch in einem Maß widersprochen hatten, dass man an ihrer Wahrheitsliebe große Zweifel haben mußte.

Ich kann meinen Lesern so etwas nicht vorsetzen, ohne die Dinge beim Namen zu nennen. Ich weiß nicht, was in den angeblichen Rechtsgesprächen im Richterzimmer oder wo auch immer passiert. Denn die Beteiligten verständigen sich in der Regel auf Stillschweigen. Ich erfahre als Berichterstatterin höchstens, man habe sich geeinigt, man verzichte auf eine weitere Strafverfolgung - der Opfer wohlgemerkt. Die Polizeizeugen, deren Aussage zuvor abgebrochen worden war, müssen nicht mehr erscheinen. Es kommt nicht mehr zur Sprache, was die Öffentlichkeit eigentlich unbedingt hätte erfahren müssen. Dass Polizisten gegen ihre eigenen Kollegen aussagen, kommt ohnehin so gut wie nie vor, eher ist das Gegenteil der Fall: Sie sagen zu ihren Gunsten aus. Und selbst wenn es noch so offenkundig ist, werden weder Richter noch Staatsanwalt dies so hinterfragen, wie sie es bei Normalzeugen tun. Hier akzeptiert der Rechtsstaat seine eigenen Spielregeln nicht mehr.

Aber ich wollte hier Ihr Augenmerk nicht so sehr auf die Verfahren lenken, in denen über Polizeigewalt oder den Widerstand dagegen verhandelt wird; damit beschäftigt sich eine andere Arbeitsgruppe dieser Veranstaltung. Sondern mir geht es um die zunehmende Unmöglichkeit für den Journalisten, über eine eigentlich öffentliche Hauptverhandlung wahrheitsgemäß zu berichten, wenn hinter den Kulissen gedealt wird und der Beobachter mit Sätzen wie »Es hat eine Einigung stattgefunden« abgespeist wird. Eine Lösung kann nicht sein, dass mir ein Anwalt hinter vorgehaltener Hand etwas »steckt«, worum es in dem angeblichen Rechtsgespräch ging.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich meine damit nicht die Wirtschaftsstrafverfahren, in denen man ja erfährt, für welche Gegenleistung der Angeklagte aus dem Verfahren herauskommt. Sondern ich meine jene Fälle, denen der haut gout der Mauschelei und der Unwahrheit anhaftet.

Denken Sie an die Schwierigkeiten, einen Wiederaufnahmeantrag durchzubringen. In der Regel sträubt sich die Justiz mit Händen und Füssen dagegen, Fehler zuzugeben. Ich erinnere nur an das unselige Verfahren um den angeblich von seiner Familie zerstückelten und von den Hofhunden aufgefressenen Bauern Rupp in Ingolstadt. Da fischte man nach Jahren einen nicht-zerstückelten und nicht-aufgefressenen Torso aus der Donau - die Leiche Rupps. Und dann versuchte die Landshuter Justiz mit allen Mitteln, einen Freispruch der seinerzeit wegen Totschlags verurteilten Familienmitglieder zu verhindern! Nach dem Motto: Auch wenn der Bauer nicht zerstückelt und nicht aufgefressen wurde, dann haben sie ihn halt irgendwie anders umgebracht. Denn tot ist er ja. Tot ist tot, egal wie. Und wir können doch unsere Kollegen nicht in ein schlechtes Licht bringen.

Eine solche Justiz verspielt jeden Kredit: sich selbst, dem Rechtsstaat und dem Bürger gegenüber. Wenn ein Strafverteidiger wie Gerhard Strate jetzt im Fall Mollath jenem Richter, der den unbequemen Mann seinerzeit in die geschlossene Psychiatrie hat stecken lassen, in seinem Wiederaufnahmeantrag zehnfache Rechtsbeugung nachweist - dann kann der Schluß nur lauten: Da müssen sich ja eine ganze Reihe von Personen abgesprochen haben - inklusive des ersten Verteidigers -, Augen und Ohren zu schließen und die Regeln des Rechtsstaats gemeinsam zu ignorieren.

Ein weiteres Thema: Die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung, 1848 mutig erkämpft wie die Pressefreiheit, gehört bekanntlich zu den Essentials des Rechtsstaats. Natürlich rede ich hier in eigener Sache, denn ich kann und will nur über das berichten, was ich mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört habe. Ich bin Reporterin und nicht Aktenauswerterin. Meine Aufgabe ist es, die Justiz zu beobachten, ob sie sich an die Spielregeln, die sie sich selbst gegeben hat, auch selbst hält. Doch ich kann dieser Aufgabe leider immer weniger nachkommen. Und das liegt auch an der Dealerei.

Ich frage zum wiederholten Mal: Wer dealt, sündigt nicht? Wir haben es beim Deal meiner Auffassung nach mit einem Sündenfall zu tun, der den Strafprozess ruiniert. Es geht nicht mehr um die Wahrheit - nicht einmal mehr um die prozessuale -, nicht um Aufklärung, nicht um eine gerechte Bestrafung, sondern um ein aus den verschiedensten Gründen möglichst rasch und problemlos zu erzielendes Ergebnis. Dass Strafverteidiger dies mitmachen - konsensual! -, ist ein Widerspruch in sich selbst.

Von der vielbeschworenen Transparenz, die auch bei einer Verständigung gegeben sein müßte, ist in der Realität nichts geblieben. Judex non calculat, hieß es einmal. Dass in Btm-Verfahren gewogen und gerechnet wird, das war schon immer so. Doch der Deal wuchert inzwischen wie ein bösartiger Tumor, wohin man schaut, daran hat auch die Legalisierung nichts geändert. Nichts von Dialog-Kultur, nichts von Transparenz. Mit dem Recht wird umgegangen wie mit einer beliebigen Handelsware. Die Richter lehnen sich zurück, ignorieren den Angeklagten und seinen Verteidiger, wissend, dass sie ohnehin die Trümpfe in der Hand haben. Was kann ihnen schon passieren?

Obsta initiis et respice finem! So praktisch und angenehm das Verkürzen, das Erleichtern und sich Einigen auch sein mag: Die jungen Anwälte verlernen dabei das Kämpfen, wenn sie es denn je gelernt haben sollten. Sie suchen nicht mehr die Auseinandersetzung mit dem Gericht. Sie buhlen um das Wohlwollen der Richter und mutieren dabei zu Managern des Rechts, denen das Ergebnis alles ist. Ich höre Sie schon sagen: »Aber wenn der Mandant es doch will...« Kann die Losung wirklich heißen: Weiter so? Sollten Sie nicht kämpfen um das Recht und die Pflicht, kämpfen zu dürfen um Recht und Gerechtigkeit?

Gedealt wird wieder - oder noch immer - anders, als der Gesetzgeber es sich vorgestellt hat. Die Praxis bewegt sich jenseits öffentlicher Wahrnehmung im freien, entformalisierten Spiel der Kräfte. Auf das Rechtsmittel der Revision dürfe nicht verzichtet werden, heißt es. »Dann legen wir Revision ein«, erzählt mir ein Anwalt, »und nehmen sie eine halbe Stunde später telefonisch wieder zurück. Dann ist es kein Verzicht«. Das Gericht hat, was es wollte, nämlich seine Ruhe, und auch der Verteidiger freut sich: prima gelaufen. Und nach außen sieht alles aus, wie das Gesetz es befiehlt.

Ich, die Journalistin, bin bei alledem nicht dabei. Ich weiß im Normalfall nur vom Hörensagen, was passiert. Zum Beispiel: Vor Beginn einer Hauptverhandlung bittet der Vorsitzende die Verteidiger zu sich. Die Kammer habe vorberaten. Wohlgemerkt: Ohne Schöffen, und keiner der Richter hat die Angeklagten bis dahin zu Gesicht bekommen. Der Vorsitzende deutet die Tarife an und wird ungehalten, als einer der Verteidiger daraufhin über einen Befangenheitsantrag laut nachdenkt. Der Ton wird sogleich aggressiver. Der Richter macht dem Verteidiger klar, dass das Gericht das Geständnis des Mandanten nicht zu honorieren gedenke, da die Sache ja klar sei; es müsse schon mehr kommen, etwa die Nennung eines Mittäters. Ist das nicht Erpressung? Ist das Justiz im Rechtsstaat?

Hassemer postuliert, die Justiz müsse auf die Medien zugehen, sie müsse sich um ihr Bild in der Öffentlichkeit kümmern, um akzeptiert zu werden. Und dann rühmt er die Pressearbeit am Bundesverfassungsgericht. Die mag ja so fabelhaft sein, wie sie Hassemer beschreibt. Doch das Bild der Justiz in einer Demokratie hängt nicht von der Pressestelle des Bundesverfassungsgerichts ab.

Von jedem Zeugen vor Gericht wird verlangt, dass er die Wahrheit sagt. Eine Justiz, die den Rechtsstaat nicht mehr ernst nimmt - und diese Gefahr besteht beim Dealen in hohem Maße - ruiniert sich selbst. So stellt es sich mir, der Beobachterin, dar. Und so muss ich es dem Publikum vermitteln.

 

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