Stellungnahme der Strafverteidigervereinigungen
zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates Entwurf eines … Strafrechtsänderungsgesetzes (Bt.-Drs. 17/1217, BR-Drs. 867/09)

Strafbarkeit der Verstümmelung weiblicher Genitalien

Berlin, 23.04.2010

 

Die Strafverteidigervereinigungen begrüßen, dass sich die Politik des Problems der weiblichen Genitalverstümmelung annimmt. Weibliche Genitalverstümmelung ist ein gravierender Eingriff in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit der betroffenen Mädchen. Hieraus, wie auch aus der Tatsache, dass fast ausnahmslos minderjährige betroffen sind, ergibt sich bereits eine Pflicht des Staates zum Schutz möglicherweise betroffener Mädchen. Eine primär strafrechtliche Befassung mit dem Problem weiblicher Genitalverstümmelung ist jedoch weder sachgerecht noch in der Praxis hilfreich.

Keineswegs fehlt es an einem klaren gesetzlichen Verbot der Genitalverstümmelung, ihre prinzipielle Strafbarkeit steht außer Frage.
Bereits vom geltenden Strafrecht wird die Genitalverstümmelung abhängig von den Umständen des Einzelfalls als gefährliche (§§ 224 I Nrn. 2, 4, 5 StGB, 225) oder schwere Körperverletzung (§ 226 I Nr. 2, II StGB), als Misshandlung  von Schutzbefohlenen (§ 225 I 3 StGB) erfasst und erfüllt auf Seiten der Erziehungsberechtigten mitunter den Tatbestand des § 171 StGB (Wüstenberg, FamRZ 2007, 692). Damit ist sowohl die Tat der Genitalverstümmelung selbst als auch das Zulassen durch Erziehungsberechtigte hinreichend strafbewehrt. Woran es allerdings fehlt, sind präventive Untersuchungen, zielgerichtete Aufklärung von Risikogruppen und asyl- sowie aufenthaltsrechtliche Hilfen für Betroffene.  

Der nunmehr vom Bundesrat beschlossene (BR-Drs. 867/09) und am 24. März 2010 in den Bundestag eingebrachte (Bt-Drs. 17/1217) Gesetzentwurf stellt zwar eine deutliche Verbesserung gegenüber dem vorherigen interfraktionellen Gesetzentwurf (Bt-Drs. 16/12910) des Bundestags aus der 16. Wahlperiode dar (vgl. hierzu die Stellungnahme der Strafverteidigervereinigungen vom 28. Mai 2009). Durch seine Beschränkung auf das Strafrecht steht allerdings weiterhin zu befürchten, dass er sich in rein symbolischer Wirkung erschöpft und daher die Gefahr birgt, einer wirksamen und auf die Interessen von (potentiell) betroffenen Mädchen ausgerichteten Gesetzgebung abträglich zu sein. Das grundsätzliche Problem, dass Genitalverstümmlung in der Praxis sanktionslos bleibt, weil die Tat nicht bekannt wird, bleibt unberührt. Entsprechende Erfahrungen aus anderen Ländern, die in den vergangenen Jahren ein Spezialgesetz gegen Genitalverstümmelung eingeführt haben, weisen darauf hin, dass hier keine positiven Effekte durch einen gesonderten Straftatbestand zu erwarten sind (vgl. Rosenke, ZRP 2001, 379).

Statt strafrechtlich bei der Sanktion einer bereits erfolgten Tat anzusetzen, sollte politische Steuerung den Motivations- und Entscheidungsprozess der verantwortlichen Erziehungsberechtigten einerseits, Problembewusstsein und Kenntnisse der mit den betroffenen Mädchen befassten Ärzte und Behörden andererseits zum Gegenstand haben.

Im Einzelnen:

1. Bereits an dem vorangegangenen Entwurf des Bundestages (Bt-Drs. 16/12910) wurde bemängelt, dass die ausländerrechtlichen Konsequenzen (zwingende Ausweisung von verurteilten Tätern und in vielen Fällen damit auch der aufenthaltsrechtlich von diesen abhängigen minderjährigen Opfer) das erklärte Ziel des Schutzes konterkarieren. Der aktuelle Entwurf versucht nun, die aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen mitzubedenken, indem der Tatbestand der Genitalverstümmelung eigenständig (§ 226 a) und nicht mehr als ein Fall des § 226 StGB geregelt werden soll. Es bleibt zu bemängeln, dass auch nach dem Entwurf des Bundesrats den verurteilten Eltern - und damit oftmals auch den betroffenen Kindern - die Regelausweisung droht. Diese Ausweisung würde absehbar auch in Länder mit hoher Gefährdungswahrscheinlichkeit erfolgen, was den die Gesetzesinitiative begründeten Schutzzweck ad absurdum führte.

2. Das Ruhen der Verjährung bis zur Volljährigkeit der Opfer erscheint sachgerecht.

3.  Aus grundsätzlichen strafrechtlichen Erwägungen höchst problematisch erscheint dagegen die angestrebte weltweite Geltung des deutschen Strafrechts, wenn die Person, gegen welche die Tat begangen wird, zur Zeit der Tat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat. Anknüpfungspunkt für die Strafbarkeit nach deutschem Strafrecht war in den bisherigen Fällen des § 5 Nr. 8 StGB das passive Personalitätsprinzip, welches an die Staatsbürgerschaft des Täters bzw. des Täters und des Opfers anknüpft. Das Personalitätsprinzip begegnet selbst in dieser engeren Form völkerrechtlichen Bedenken, da es die Strafgewalt Deutschlands in fremde Hoheitsgebiete ausdehnt. Die vorliegende alleinige Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Opfers wird bei Auslandssachverhalten regelmäßig zur Folge haben, dass ein Mensch der von dem strafrechtlichen Verbot der Genitalverstümmelung genauso wenig weiß, wie von dem gewöhnlichen Aufenthalt der Verletzten in der Bundesrepublik, der deutschen Strafgewalt unterliegt. Dies erscheint uns trotz der Einstellungsmöglichkeiten nach § 153c StPO als ein nur schwer vertretbares Ergebnis. Die Fragwürdigkeit einer solchen weltweiten Geltung wird deutlich, wenn die Entwurfsverfasser selbst anführen, dass in einzelnen Ländern Afrikas 90% der Frauen beschnitten sind.

4. Eine weitere Problematik führt der Gesetzentwurf ebenfalls selbst auf, wenn er Schönheitsoperationen im Genitalbereich explizit aus dem Tatbestand herausnimmt, Fälle der »kulturell« bedingen Genitalverstümmelung, »in denen die Tatfolgen nicht wesentlich über das Ergebnis der oben genannten kosmetischen Eingriffe hinausreichen« auch bei erwachsenen Frauen aber mit bis zu 5 Jahren Gefängnis bestrafen will. Trotz der verständlichen gesetzgeberischen Intention erscheint eine Bestrafung, die nicht auf die objektiven Tatfolgen, sondern alleine darauf abstellt, ob diese aus kosmetischen oder kulturellen Motiven heraus erfolgt, problematisch. Sachgerechter lässt sich dies über das bereits geltende Recht lösen, wonach jegliche sittenwidrige Einwilligung in eine Körperverletzung unwirksam ist (§ 228 StGB). 

5. Dass die nach geltendem Recht mögliche Verfolgung der Genitalverstümmelung in der Regel nicht stattfindet, zugleich aber, wie es in der Entwurfsbegründung heißt, »rund 20.000« genital verstümmelte Frauen und Mädchen in Deutschland leben, legt nahe, dass hier weniger ein Problem der Rechtsetzung als vielmehr eines ihrer Implementierung vorliegt. Die Kernfrage, wie das Verbot weiblicher Genitalverstümmelung vor dem Hintergrund der familiären Tat-Konstellation überhaupt wirksam durchgesetzt werden kann, löst der Entwurf nicht.

6. Insgesamt haben die Strafverteidigervereinigungen die Sorge, dass eine vorwiegend symbolisch wirkende strafrechtliche Regelung besser geeigneten Mitteln zur Bekämpfung der Genitalverstümmelung eher abträglich ist, als dass sie der realen Problemlösung diente. Angesichts der innerfamiliären Tat-Konstellationen, der trotz der Verbesserung des neuen Entwurfs oftmals betroffenen aufenthaltsrechtlichen Situation von Tätern wie Betroffenen, der Jahrtausende währenden Verwurzelung der Unterdrückung von Frauen und Mädchen (nicht nur) durch Verstümmelung der Sexualorgane und des Umstands, dass es sich in vielen Fällen um Auslandstaten handeln dürfte, halten wir den zähen und kostspieligen Weg nationaler wie internationaler Aufklärungsarbeit und Prävention sowie ein an den realen Interessen der Opfer ausgerichtetes Asyl- und Aufenthaltsrecht für den erfolgversprechenderen Weg, wirksam der Genitalverstümmelung und der durch sie verursachten Leiden entgegenzutreten. Ein erster Schritt wäre es, wenn auf europäischer Ebene ein einheitlicher Abschiebestopp für Mädchen und Frauen, die eine Genitalverstümmelung erlitten haben oder denen eine solche droht, beschlossen würde. Zudem dürften Länder, in denen Genital-verstümmelung verbreitet ist, nicht als sichere Drittstaaten eingestuft werden.

Sollten die in der Entwurfsbegründung genannten Zahlen von »rund 4.000 bis 5.000 gefährdete[n] Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund in Deutschland« zutreffend sein, so müssten Maßnahmen zum Schutz der Gefährdeten und zur Prävention im Vordergrund jeder gesetzlichen Initiative zur Genitalverstümmelung stehen, nicht aber eine (weitere) strafrechtliche Regelung, die ansetzt, wo der Schaden bereits eingetreten ist und sich als denkbar unwirksam erwiesen hat (s.o.). Solange andere Maßnahmen (wie bspw. Aufnahme in die kinderärztliche Routineuntersuchung, Fortbildung von Ärzten, gezielte Aufklärung von Risikogruppen, aufenthaltsrechtlicher Schutz etc.) nicht ergriffen werden, setzen sich die Verfasser des Entwurfs dem Vorwurf aus, mit der strafrechtlichen Neuregelung nur vom Versagen politischer Regulierung abzulenken.

 

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