| Stellungnahme
der Strafverteidigervereinigungen zum Entwurf eines ...
Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs - Strafbarkeit der Genitalverstümmelung (Bt-Drs.
16/12910)Berichterstatter:
RA Stephan Kuhn, HERZOG & Kollegen (Frankfurt am Main) Berlin,
28. Mai 2009 Die
Strafverteidigervereinigungen unterstützen nachdrücklich das Ziel, die
unmenschliche und frauenverachtende Praxis der Genitalverstümmelung zu bekämpfen.
Allerdings
ist der vorliegende interfraktionelle Gesetzentwurf ein erneutes Beispiel dafür,
dass das Strafrecht kein geeignetes Mittel zur Lösung gesellschaftlicher
Probleme ist. Es steht zu befürchten, dass die schädlichen Nebenfolgen
des Gesetzentwurfs dessen positive Folgen weit überwiegen. Hierdurch droht
letztlich das Mädchen, dessen Schutz beabsichtigt wird, zur eigentlichen
Leidtragenden zu werden. 1.
Die Genitalverstümmelung als einen Fall der schweren Körperverletzung
zu regeln, erscheint auf den ersten Blick sachgerecht. Die Strafwürdigkeit
dieser Taten korrespondiert in der Regel mit den anderen Fällen des §
226 StGB. Durch die ausdrückliche Aufnahme in § 226 StGB wird die bisher
unklare Rechtslage durch einen eindeutigen Appell des Gesetzgebers ersetzt.
Allerdings
führt diese Änderung aufgrund des § 226 Abs. 2 StGB regelmäßig
zu einer Mindeststrafe von drei Jahren. Die Eltern, die den unmittelbaren Täter
beauftragen, unterliegen nach § 26 StGB demselben Strafrahmen. Abgesehen
davon, dass diese hohe Straferwartung für die eigenen Eltern die Anzeigebereitschaft
der meisten Opfer senken dürfte, drohen verheerende aufenthaltsrechtliche
Folgen. Eine Verurteilung zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe zieht nämlich
nach § 53 AufenthaltsG zwingend die Ausweisung des Täters nach sich.
Lediglich im Falle von nach § 55 AufenthG privilegierten Personen kommt eine
Herabstufung zur Regelausweisung in Betracht. Aufgrund der Abhängigkeit des
aufenthaltsrechtlichen Status des Kindes von dem der Eltern, droht damit das Opfer
mit seinen Eltern gemeinsam ausgewiesen zu werden. Hierdurch würde nicht
nur aufgrund der medizinischen und sozialen Gegebenheiten in vielen der betroffenen
Ländern die Verletzung des Opfers noch vertieft. Ist diese Rechtsfolge auch
von den Entwurfsverfassern nicht beabsichtigt, so scheint es aus Sicht der Strafverteidigervereinigungen
zwingend, die familien- und aufenthaltsrechtlichen Folgen des Gesetzentwurfs zu
überprüfen. 2.
Will man die Genitalverstümmelung auch mit den Mitteln des Strafrechts bekämpfen,
erscheint ein Ruhen der Verjährung der Tat bis zur Volljährigkeit des
Opfers sachgerecht, so dass die Strafverteidigervereinigungen der Änderung
des § 78 Abs. 1 Nr. 1 StGB zustimmen. 3.
Grundsätzlich problematisch erscheint dagegen die angestrebte weltweite
Geltung des deutschen Strafrechts, wenn die Person, gegen die die Tat begangen
wird, zur Zeit der Tat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik
Deutschland hat. Anknüpfungspunkt für die Strafbarkeit nach deutschem
Strafrecht war in den bisherigen Fällen des § 5 Nr. 8 StGB das passive
Personalitätsprinzip, welches an die Staatsbürgerschaft anknüpft.
Dies kommt zum Beispiel darin zum Ausdruck, dass nach § 5 Nr. 8a.) der Verletzte
einer Straftat nach § 174 Abs. 1 und Abs. 3 StGB Deutscher sein muss. Das
aktive Personalitätsprinzip begegnet selbst in dieser engeren Form völkerrechtlichen
Bedenken, da es die Strafgewalt Deutschlands in fremde Hoheitsgebiete ausdehnt.
Vorliegend kann es zur Folge haben, dass ein Mensch der von dem strafrechtlichen
Verbot der Genitalverstümmelung genauso wenig weiß, wie von dem gewöhnlichen
Aufenthalt der Verletzten in der Bundesrepublik, der deutschen Strafgewalt unterliegt.
Dies erscheint uns trotz der Einstellungsmöglichkeiten nach § 153c StPO
als ein nur schwer vertretbares Ergebnis. 4.
Weibliche Genitalverstümmelung lässt sich bereits jetzt und ohne die
vorgesehenen Änderungen strafrechtlich verfolgen. Dass dies in der Regel
nicht geschieht, zugleich aber, wie es in der Entwurfsbegründung heißt,
"rund 20.000" genital verstümmelte Frauen und Mädchen in Deutschland
leben, legt nahe, dass hier weniger ein Problem der Rechtsetzung als vielmehr
eines ihrer Implementierung vorliegt. Die Kernfrage, wie das Verbot weiblicher
Genitalverstümmelung vor dem Hintergrund der familiären Tat-Konstellation
überhaupt wirksam implementiert werden kann, löst der Entwurf nicht.
5.
Insgesamt haben die Strafverteidigervereinigungen die Sorge, dass eine vorwiegend
symbolisch wirkende strafrechtliche Regelung besser geeigneten Mitteln zur Bekämpfung
der Genitalverstümmelung eher abträglich ist, als dass sie der realen
Problemlösung dient. Angesichts der innerfamiliären Tat-Konstellationen,
der oftmals betroffenen aufenthaltsrechtlichen Situation von Tätern wie Betroffenen,
der Jahrtausende währenden Verwurzelung der Unterdrückung von Frauen
und Mädchen (nicht nur) durch Verstümmelung der Sexualorgane und des
Umstands, dass es sich in vielen Fällen um Auslandstaten handeln dürfte,
halten wir den zähen und kostspieligen Weg nationaler wie internationaler
Aufklärungsarbeit und Prävention sowie ein an den realen Interessen
der Opfer ausgerichtetes Asyl- und Aufenthaltsrecht für den erfolgversprechenderen
Weg, wirksam der Genitalverstümmelung und der durch sie verursachten Leiden
entgegenzutreten. Ein erster Schritt in dieser Hinsicht wäre es, wenn auf
europäischer Ebene ein einheitlicher Abschiebestopp für Mädchen
und Frauen, die eine Genitalverstümmelung erlitten haben oder denen eine
solche droht, beschlossen würde. Zudem dürften Länder, in denen
Genitalverstümmelung verbreitet ist, nicht als sichere Drittstaaten eingestuft
werden. Sollten
die in der Entwurfsbegründung genannten Zahlen von "rund 4.000 bis 5.000
gefährdete[n] Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund in Deutschland"
zutreffend sein, so müssten Maßnahmen zum Schutz der Gefährdeten
und zur Prävention im Vordergrund jeder gesetzlichen Initiative zur Genitalverstümmelung
stehen, nicht aber die (weitere) strafrechtliche Regelung, die ansetzt, wo der
Schaden bereits eingetreten ist und sich als denkbar unwirksam erwiesen hat (s.o.).
Solange andere Maßnahmen (wie bspw. Aufnahme in die kinderärztliche
Routineuntersuchung, ärztliche Meldepflicht, gezielte Aufklärung von
Risikogruppen, aufenthaltsrechtlicher Schutz etc.) nicht ergriffen werden, setzen
sich die Verfasser des Entwurfs dem Vorwurf aus, mit der strafrechtlichen Neuregelung
nur vom Versagen politischer Regulierung abzulenken.
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