Zwangsweise Blutentnahme ist keine Kleinigkeit, sondern ein Grundrechsteingriff

Kommentar des Organisationsbüros der Strafverteidigervereinigungen zum Gesetzentwurf des Landes Niedersachsen im Bundesrat, der vorsieht, den Richtervorbehalt nach § 81 a StPO bei der Durchführung einer zwangsweisen Blutentnahme zu streichen*

Berlin | 1. März 2011

Reformen im Strafprozessrecht werden gerne technokratisch begründet. Das Verfahren sei unpraktisch, es koste Zeit, Geld und überhaupt "Ressourcen". Die unsichtbaren Referenzeinheiten solcher Reformen sind Minuten, Zentimeter, Euro. Eine Blutprobenentnahme, sagen die Befürworter einer Abschaffung des nach § 81 a StPO bestehenden Richtervorbehalts, ist eine Sache von wenigen Minuten; ein günstiger, messbar kleiner Eingriff, bei dem eine Kollarvenüle nur wenige Millimeter weit in die Armbeugenvene des Probanden geschoben wird. Gestorben ist daran noch niemand, es tut in der Regel nicht sonderlich weh und der körperliche Schaden ist auf eine winzige Einstichstelle begrenzt. Kurz: Eine Kleinigkeit. Oder doch nicht?

Man stelle sich den Vorgang in einer etwas veränderten Konstellation vor: Ein Arzt verabreicht seinem Patienten gegen dessen Willen eine Spritze. Die Spritze ist zwar medizinisch indiziert, der Patient lehnt sie aber ab. Gleich wie vernünftig sein Handeln aus medizinischer Sicht ist, begeht der Arzt damit eine Körperverletzung i. S. d. § 223 StGB. Wie tief er dabei mit der Kanüle in den Körper des Patienten eindringt, ist letztlich unerheblich. Das materielle Strafrecht misst der körperlichen Unversehrtheit und der Willensautonomie des Bürgers einen erheblichen Stellenwert bei, der darin zum Ausdruck kommt, dass es auch den unvernünftigen Willen des Bürgers schützt, die Unantastbarkeit seines Körpers zu wahren.

Auch die Vorschrift des § 81 a Abs. 1 S. 2 StPO, die körperliche Eingriffe i.S.v. Verletzungen des Körpers gegen den Willen des Betroffenen gestattet, stellt keineswegs eine Kleinigkeit dar, sondern durchbricht den durch das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und das materielle Strafrecht gewährleisteten Schutz der Körpersphäre des Individuums. Ob ein Eindringen in die geschützte Körpersphäre vorliegt und wo deren äußere Grenze verläuft ist keine Frage von Millimetern Folgen. Diese Grenze ist absolut und nicht weniger gültig, wenn sie nur geringfügig überschritten wird.

Dies gilt umso mehr, als die Blutprobenentnahme gegen den Willen des Betroffenen nicht nur dessen körperliche Unversehrtheit verletzt, sondern direkt auch seine Selbstbelastungsfreiheit tangiert. Denn mit der erzwungenen Blutprobenentnahme muss der Beschuldigte dulden, dass in seinem Körper verborgene Indizien gegen seinen Willen ermittelt und gegen ihn verwendet werden. Er wird zum Beweismittel gegen sich selbst gemacht. Dies wiederum ist nicht strafrechtliche Metaphysik, sondern von unmittelbarer praktischer Bedeutung für den Betroffenen. Denn die Befugnis zur Blutprobenentnahme beinhaltet gleichsam eine Annexkompetenz zur Beschränkung der Freiheit des Beschuldigten und zur Anwendung unmittelbaren Zwangs gegen ihn. Der Beschuldigte darf zur Durchführung der Blutprobenentnahme auf eine Polizeidienststelle verbracht und dort festgehalten werden, bis der Arzt erscheint. Weigert er sich, an der angeordneten Blutprobenentnahme mitzuwirken, darf ihm die Kleidung abgenommen werden, soweit dies zur Durchführung der Maßnahme erforderlich ist, und durch unmittelbaren Zwang - besser: Gewalt - darf sein Körper in die richtige Position gebracht werden. Zweck dieses Arsenals an Eingriffsbefugnissen der staatlichen Strafverfolgungsorgane ist nicht etwa das Wohl des Betroffenen, sondern die Beweisgewinnung gegen ihn. Der Beschuldigte wird also in ganz erheblicher Weise zum Objekt des gegen ihn geführten Strafverfahrens gemacht. Zur Gewinnung einer Aussage von Beschuldigten wären derartige Methoden nicht nur verboten, sondern auch strafbar. Die gerne hier vorgenommene Unterscheidung zwischen einer aktiven Selbstbelastung (bei Aussageerzwingung) und passivem Erdulden der Indizienentnahme durch körperlichen Eingriff ist fragwürdig - und für den betroffenen Bürger ohnehin kaum nachvollziehbar.

Die zwangsweise Blutentnahme ist also keine Kleinigkeit. Sie ist ein Grundrechtseingriff, der einer besonderen Begründung und der schützenden Flankierung wenigstens durch einen Richtervorbehalt bedarf. Diesen noch hat der Gesetzgeber des "Gewohnheitsverbrechergesetzes" von 1933 eingeräumt, als er den § 81 a erstmals in die StPO einführte. Der Richtervorbehalt darf nicht einfach aus Gründen der Zeit- und Kostenersparnis abgeräumt werden.

Rechtsanwalt Jasper Graf von Schlieffen
Geschäftsführer im Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen

 

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