Strafverteidigertag Rechtspolitik

Stellungnahme der Strafverteidigervereinigungen zum Referentenentwurf für ein

Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte"

Berlin, 20.09.2010

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I. Gegenstand des Entwurfs

Der vorliegende Referentenentwurf hat zum Ziel, "den strafrechtlichen Schutz von Polizisten" zu verbessern. Im Kern soll dieses Ziel durch zwei Änderungen des § 113 StGB erreicht werden:

1. Der Strafrahmen der in der Vorschrift des § 113 StGB angedrohten Höchststrafe soll von 2 auf 3 Jahre erhöht werden.
2. Das Regelbeispiel des § 113 Abs. 2, Satz 2, Nr. 1 StGB soll um das Merkmal des mit sich Führens von "gefährlichen Werkzeugen" ergänzt werden.

Damit folgt der Entwurf einerseits einer entsprechenden Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag zwischen den Regierungsparteien vom 24.10.2009; andererseits knüpft er an einen vom Freistaat Sachsen über den Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf [BR-Drs. 98/10] an, der allerdings über den hier behandelten Referentenentwurf hinausgeht. Im Folgenden werden ausschließlich die Kernpunkte des Referentenentwurfs behandelt.

II. Stellungnahme

1. Entwurfsbegründung

Der Entwurf wird begründet mit einer Strafbarkeitslücke, die sich aus der steigenden Zahl von Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte ergebe. Der durch § 113 Abs. 1 StGB geregelte Schutz gerate "vor dem Hintergrund ständiger und zunehmender Gewalt ausgeführter tätlicher Angriffe gegen Polizeibeamte [...] zu kurz" [Referentenentwurf, S. 2, A]. Als Quelle verweisen die Entwurfsverfasser auf die Polizeilichen Kriminalstatistik für die Jahre 1998 bis 2008.

Dieser Verweis reicht nach Ansicht der Strafverteidigervereinigungen nicht aus, die behauptete Strafbarkeitslücke aufgrund "zunehmender Gewalt" zu belegen und die geplanten Gesetzesänderungen zu begründen. § 113 StGB regelt einen sensiblen Bereich im Verhältnis zwischen Bürger und Staat. Änderungen, insbesondere solche, die strafschärfend wirken, sollten gut begründet sein. Das statistische Material der PKS zu Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte aber weist erhebliche Unschärfen auf. Pütter weist bspw. darauf hin, dass "nach den Grundsätzen der PKS-Registrierung [...] bei Handlungen, durch die unterschiedliche Delikte zugleich begangen werden, in der PKS nur das "höherwertige" Delikt berücksichtigt" wird [Pütter, 2010, 5], mit der Folge, dass eben die hier fraglichen Fälle von gewaltsamen Widerstandshandlungen i.d.R. nicht als solche erfasst werden, sondern als Körperverletzungshandlungen. Aus der statistischen Entwicklung von Widerstandshandlungen gem. PKS lassen sich daher keine zuverlässigen Aussagen darüber ableiten, ob eine Zunahme von Gewalt im Zusammenhang mit Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte in dem behaupteten Maße zu verzeichnen ist.

Tatsächlich fehlt es an geeigneten statistischen und kriminalwissenschaftlichen Erhebungen zur Gewalt gegen Vollstreckungsbeamte. Würde die Gewalt gegen Vollstreckungsbeamte - sowohl im Sinne einer quantitativen Zunahme als auch einer qualitativen Verschärfung von Gewalthandlungen - aber tatsächlich dramatisch zunehmen, so wäre eine qualifizierte Erhebung und Analyse von Daten hierzu dringend angesagt. Neben der - wenig transparenten - behördeninternen Erfassung befasst sich derzeit aber einzig das Forschungsprogramm des Kriminologischen Forschungs-instituts Niedersachsen (KfN) mit dem Phänomen "Gewalt gegen Polizeibeamte". Dieses Programm wird allerdings wiederum vom Bundesinnenministerium (in Bezug auf die Beamt/innen der Bundespolizei ) sowie von den Bundesländern Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen sowie Sachsen nicht unterstützt. Als Gründe für die Nicht-Kooperation nennt der Freistaat Sachsen beispielhaft:

"Der Freistaat Sachsen sieht im Hinblick auf die Kosten einer Studie und den entstehenden Zeitverzug im Gesetzgebungsverfahren (vgl. Bundesratsdrucksache 271/09 vom 26. März 2009) derzeit keine Notwendigkeit, den aufgrund einer vorliegenden Erhebung des Landeskriminalamtes eindeutig vorliegenden und erkannten Handlungsbedarf sowie vorhandene Sanktionsnormen zu ergänzen bzw. zu erweitern und durch eine langwierige und zeitaufwändige wissenschaftliche Untersuchung bestätigen zu lassen. Andere Institute oder Wissenschaftler wurden nicht vorgeschlagen." [Bt-Drs. 17/641]

Auch in Zeiten knapper Kassen sollte bei Gesetzesvorhaben nicht auf eine gute Begründung und eine tragfähige empirische Grundlage verzichtet werden. Der vorliegende Entwurf erweckt indessen den Eindruck, als wollten die Verfasser sich gar nicht erst mit langwierigen Begründungen aufhalten, sondern unmittelbar zur Tat schreiten. Damit wird man dem Phänomen allerdings kaum gerecht werden können.

2. Einzelaspekte

(a) Kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf ....

Die Strafverteidigervereinigungen sehen weiter keinen Bedarf für die geplante Gesetzesänderung. Soweit es tatsächlich um den Schutz des individuellen Polizeibeamten geht, kann eine gegen ihn ausgeübte Gewalthandlung bereits jetzt - wie gegen jeden Bürger auch - wegen Körperver-letzung nach §§ 223, 224 StGB oder § 240 StGB verfolgt werden soweit § 113 StGB nicht lex specialis gegenüber § 240 StGB ist (BGHSt 48, 233). Das Gesetz sieht für einfache Körperverletzungen bereits einen Strafrahmen von bis zu 5 Jahren und für gefährliche Körperverletzungen, z.B. bei Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs, einen Strafrahmen sechs Monaten bis zu zehn Jahren vor. Die Nötigung ist mit einem Strafrahmen von bis zu 3 Jahren bedroht. Bei all diesen Delikten ist bereits der Versuch unter Strafe gestellt.

Eine eigenständige Bedeutung hat § 113 StGB nur soweit die Widerstandshandlung nicht die Schwelle zur (versuchten) Körperverletzung oder (versuchten) Nötigung erreicht bzw. diese verdrängt. Für Wider-standshandlungen von derart geringer Intensität, wie etwa das Losreißen oder Herauswinden aus dem polizeilichen Festhaltegriff, ist der geltende Strafrahmen von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe völlig ausreichend und dürfte in der Praxis nur selten erreicht werden. Diese Überlegungen gel-ten auch für die im Entwurf vorgesehene Einführung des Regelbeispieles des "gefährlichen Werkzeuges" in Abs. 2 Nr. 1 des § 113 StGB.

(b) Abschreckungswirkung

Die Strafverteidigervereinigungen teilen nicht die Auffassung, die geplan-te Anhebung des Strafrahmens nach § 113 Abs. 1 StGB von zwei auf drei Jahren Höchststrafe werde tatsächlich abschreckende Wirkung entfalten. Statistische Daten und Analysen zum Adressaten der gewünschten Abschreckungswirkung weisen in eine gänzlich andere Richtung. Demnach finden Gewalthandlungen gegenüber Polizeibeamten ganz überwiegend in Situationen statt, denen keine Planung vorausgeht und die wenig Spielraum für eine nüchterne Kosten-Nutzen-Erwägung lassen (bspw. weil die gewalttätigen Personen alkoholisiert sind). Die derzeit vor allem in der öffentlichen Diskussion diskutierten Gewalthandlungen im Zusammenhang mit Demonstrationen stellen nur einen kleinen Teil der Gesamthandlungen dar, während der überwiegende Teil der Delikte, nach vorliegendem Material, unter Alkoholeinfluss, beim Eingreifen in innerfamiliäre Auseinandersetzungen oder bei dem Versuch verübt werden, sich der Strafverfolgung zu entziehen [KfN, 2010; Pütter, 2010, 10 f.].

(c) Gegen die Einführung eines neuen Regelbeispiels in § 113 Abs. 2 Satz 2 StGB bestehen erhebliche Bedenken.

i. Die Änderung ist nicht notwendig.

Der Tatbestand des § 113 StGB wird häufig in Idealkonkurrenz mit dem Tatbestand der Körperverletzung nach § 223 StGB begangen. Im Hinblick auf die Ergänzung des Regelbeispiels um das Mitsichführen eines gefährlichen Werkzeuges bedeutet dies:
Wird das Werkzeug eingesetzt oder wird versucht, es einzusetzen, liegt regelmäßig eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 StGB mit einem Mindesstrafe von 6 Monaten Freiheitsstrafe vor. In diesen Fallen ist die Anhebung der Mindeststrafe in § 113 Abs. 2 StGB auf ebenfalls 6 Monate Freiheitsstrafe nicht notwendig.

ii. Die Änderung führt zu schuldunangemessener Bestrafung.

Der Tatbestand des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 StGB ist, wenn er nicht in Idealkonkurrenz mit anderen Delikten verübt wird, wohl in der Regel ein Tatbestand, der von einem potenziellen Täter nicht geplant, sondern bei dem der Tatentschluss spontan gefasst wird.
Das Mitsichführen einer Waffe und eines gefährlichen Gegenstandes macht das Delikt teilweise zu einem abstrakten Gefährdungsdelikt. Wenn eine Person sich beispielsweise aus einem Polizeigriff herauswindet und ein Feuerzeug in der Tasche hat, ist kaum vorstellbar, wie sich die abstrakt denkbare Gefährdung durch das Feuerzeug konkretisieren könnte. Das ist bei einer Waffe - auch abstrakt gesehen - immer anders. Diese Unterscheidung bei diesem Delikt aufzuheben, führt in Verbindung mit der hohen Mindeststrafe von sechs Monaten zu einer nicht schuldangemessenen Bestrafung im Sinne von § 46 StGB.

In der Sanktionssystematik führt dies zu kuriosen Ergebnissen:
Derjenige, der ein Werkzeug mit sich führt, es aber nicht einsetzt, hat eine Mindestfreiheitsstrafe von 6 Monaten zu erwarten. Derjenige, der kein Werkzeug mit sich führt und einfache Gewalt gegen Polizeibeamte anwendet, wird wegen §§ 113 Abs. 1, 223 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt, hat jedenfalls keine Mindeststrafe zu erwarten.

iii. Die Änderung führt zur Gefahr willkürlicher Strafverfolgung und zu Rechtsunsicherheit.

Der Begriff eines gefährlichen Werkzeugs ist nicht legaldefiniert, also interpretationsfähig. Er ist weit gefasst; gefährlich kann im Einzelfall selbst ein allgemein ungefährlicher Gegenstand erscheinen.
Das Delikt der Vollstreckung gegen Widerstandsbeamte ist häufig von individuellen Auseinandersetzungen zwischen Polizeibeamten und Bürgern gekennzeichnet. Der zuerst ermittelnde Beamte in der Sache ist regelmäßig der Beamte, der von diesem Konflikt betroffen ist. Überlässt man diesen Beamten eine - vorläufige - Interpretationshoheit über ein Tatbestandsmerkmal, besteht die Gefahr, dass dieses Merkmal zunächst einmal zum Gegenstand des Vorwurfs wird.
Der Begriff des gefährlichen Werkzeugs und der Begriff des Mitsichführens wird von Gerichten auch im Hinblick auf dieses Delikt auszulegen sein. Es steht daher zu befürchten, dass sich zur Frage der Anwendbarkeit und Ausfüllung zunächst obergerichtliche Rechtsprechung bilden muss und bis dahin ein Zustand der Rechtsunsicherheit besteht.

III. Schlussbemerkung

Zusammenfassend lehnen die Strafverteidigervereinigungen den vorliegenden Gesetzentwurf ab. Neben den aufgezeigten Widersprüchen und deutlichen Mängeln bei der Begründung der Notwendigkeit der Gesetzesänderungen sehen die Strafverteidigervereinigungen die Gefahr einer grundsätzlichen Fehlperzeption des Problems. Gewalthandlungen sind keine wie unter Laborbedingungen isolierbaren Phänomene. Sie vollziehen sich vielmehr in einem jeweils konkreten Kontext individueller und gesellschaftlicher Bedingungen. Die Tat ist dabei als das Ergebnis einer Konfliktsituation zu sehen, ihre Bewertung muss der Konfliktkonstellation und dem Konfliktverlauf Rechnung tragen. Dies gilt insbesondere dann, wenn es um Konfliktsituation zwischen Polizeibeamt/innen und Bürgern geht, die in der Regel von einem deutlichen Ungleichgewicht der Machtmittel zugunsten der Vollstreckungsorgane gekennzeichnet sind. Gewalt im Zusammenhang mit Widerstandshandlungen legt darüber hinaus in der Regel einen unplanmäßigen Verlauf der Konfliktsituation nahe.
Der Versuch einer (strafrechtlichen) Regelung muss dem Rechnung tra-gen und darf nicht ohne Not und ohne gute Begründung staatlichen Vollstreckungsorganen einzig weitere (strafrechtliche) Machtmittel an die Hand geben. Eine kriminalpolitisch verantwortungsvolle Strafrechtspoli-tik müsste darauf abzielen, die Eskalation von Gewalt in ebensolchen Konfliktsituationen zu verhindern und auf einen effizienten Schutz sowohl der Vollstreckungsbeamt/innen als auch der involvierten Bürger/innen hinzuwirken.
Dieser ist nur gewährleistet, wenn die gesamte potentiell gewaltsame Konfliktsituation so weit wie möglich transparent für nachfolgende Untersuchungen gemacht wird. Seit Jahren weisen Berichte von Menschenrechtsorganisationen darauf, dass es in solchen Situationen immer wieder zu unerlaubten Gewalthandlungen von Vollstreckungsbeamt/innen kommt. Die Aufklärung solcher Gewalttaten und Menschenrechtsverlet-zungen wird durch das Fehlen einer bundeseinheitlichen gesetzlichen Regel über die Identifizierbarkeit von Beamt/innen deutlich erschwert.


Organisationsbüro: Stellungnahme der Strafverteidigervereinigungen zum Referentenentwurf für ein Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte", September 2010

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