Strafverteidigertag Rechtspolitik

Stellungnahme der Strafverteidigervereinigungen
zum Vorschlag einer gesetzlichen Regelung der
Verständigung/Absprachen im Strafverfahren

 

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Berlin, 15. Mai 2007

Die Strafverteidigervereinigungen lehnen eine gesetzliche Regelung der Verständigung im Strafverfahren ab.

I. Zum Stand der Diskussion

1. Ursachen und Auswirkungen von Urteilsabsprachen

Die Absprache oder Verständigung im Strafverfahren bzw. schlicht der sog. Deal, wie er in Verteidigerkreisen häufi g bezeichnet wird, sind ein Alltagsphänomen im deutschen Strafprozess, das sich in den vergangen 25 Jahren so weit ausgebreitet hat, dass heute mit Recht von einer parallelen Form des Strafprozesses gesprochen werden kann.

In der Diskussion werden diametral entgegen gesetzte Positionen zu den Ursachen und Auswirkungen der sich ausbreitenden Absprachenpraxis im Strafverfahren vertreten. Während von Seiten der Richterschaft und der Staatsanwälte des öfteren zu hören ist, Ausgangspunkt der Entwicklung sei die Praxis von Verteidigern gewesen, die Gerichte bei Ausnutzung schwieriger Verfahrenslagen mit ungewissen Bestandsaussichten für das zu fällende Urteil in eine ihrem Mandanten günstige Absprache gegen Rechtsmittelverzicht zu nötigen, wird von Verteidigern regelmäßig vorgebracht, dass die Gerichte in der Absprache eine wohlfeile Möglichkeit sehen, umfängliche Beweisaufnahmen zu vermeiden und deshalb dem
Verteidiger kurz vor Beginn der Hauptverhandlung durch den Vorsitzenden darüber zu informieren, dass es einen »Kurz-, Mittel- und Langstreckentarif« bei der Kammer gebe und der Angeklagte sich entscheiden möge. Übereinstimmung besteht zwischen den Lagern in sofern nur hinsichtlich der Einschätzung, dass der Absprache in der Praxis häufig ein nötigendes Element beiwohnt.

Unterschiedlich sind vor allem die Auffassungen darüber, wer wen nötigt. Vielfach wird als Ursache der sich verbreitenden Absprachenpraxis auch die Überlastung der Justiz angeführt, die angesichts notorischer Unterausstattung in Zeiten der Sparzwänge nicht mehr in der
Lage sei, die Flut der Verfahren anders als unter Zuhilfenahme von Absprachen zu bewältigen.

Auch über die Auswirkungen der Absprachenpraxis bestehen sehr unterschiedliche Auffassungen: Während von Seiten der Richterschaft gelegentlich angeführt wird, die Absprachepraxis habe zur Folge, dass vielfach schuldunangemessen niedrige Strafen verhängt würden, ist aus Sicht der Strafverteidiger zu beobachten, dass bei Absprachen die verhängte Strafe nicht niedriger ist, als die bei einer streitigen Verhandlung zu erwartende und die Androhung einer höheren Strafe vielfach nur mit dem Ziel erfolgt, die Absprachebereitschaft auf Seiten des Angeklagten zu erhöhen.

All dies sind Wahrnehmungen aus der Praxis, welche die berufsspezifische Sicht der Diskussionsteilnehmer wiedergeben. Über ihre Berechtigung wird viel gestritten. Rechtstatsächliche Untersuchungen, die auch nur annähernd zuverlässig Auskunft über die umstrittenen Fragen der Ursachen, Auswirkungen und Verbreitungshäufigkeit der Verfahrensabsprache geben, liegen nicht vor|1. Die Frage, ob und gegebenenfalls wie die Absprachen im Strafverfahren gesetzlich zu regeln sind, muss daher anhand anderer Kriterien entschieden werden.

Jede gesetzliche Regelung muss jedoch die strukturellen Auswirkungen im Auge behalten, die der Deal für den deutschen Strafprozess hat: In der Regel wird auf der Grundlage des polizeilichen Ermittlungsergebnisses gedealt, das nach geltender Rechtslage weitgehend ohne die substantielle Mitwirkung der Verteidigung des Beschuldigten stattfindet. Da der Deal regelmäßig eine Hauptverhandlung mit ausgedehnter Beweisaufnahme gerade verhindern soll, entsteht für den Beschuldigten ein struktureller Verfahrensnachteil, wenn nicht gleichzeitig mit einer gesetzlichen Regelung des Deals auch die Mitwirkungsrechte der Verteidigung im Ermittlungsverfahren gesetzlich erweitert werden. Jede Regelung, die diesen Zusammenhang zerreist und nur den Deal regelt, zementiert eine langfristig zu Ungunsten des Beschuldigten sich auswirkende erhebliche Verschiebung der Gewichte im deutschen Strafprozess, deren Folgen noch gar nicht abschätzbar sind.

2. Steuerungsversuche der obergerichtlichen Rechtsprechung

Mit der wachsenden Verbreitung der Absprachen insbesondere auch in erstinstanzlichen Verfahren vor dem Landgericht blieb es auch dem Bundesgerichtshof nicht erspart, sich gelegentlich mit der Frage der Zulässigkeit und der Grenzen der Absprachen im Strafverfahren zu befassen. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die grundlegende Entscheidung des 4. Strafsenats aus dem Jahr 1997, in der dieser Rahmenbedingungen für Absprachen im Strafverfahren im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung festlegte.

Die Entscheidung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofes wurde kontrovers diskutiert.
Einhelligkeit dürfte im Urteil der Praxis aber darüber zu erzielen sein, dass dieses Judikat auf die Praxis der Instanzgerichte nur geringen Einfluss nahm und die Absprache danach in jeder Form, vor allem außerhalb der Öffentlichkeit weiter praktiziert wurde.
In der Folgezeit hatten der Bundesgerichtshof und einige Oberlandesgerichte immer wieder Gelegenheit, sich zu einzelnen Aspekten der Absprachepraxis zu äußern. Die Absprachenpraxis wirklich prägende und von den Akteuren als tatsächlich verbindlich angesehene Leitlinien konnte die obergerichtliche Rechtsprechung allerdings nicht entwickeln. Die Hartnäckig keit, mit der die Praxis ihren eigenen Weg über Absprachen zum Urteil jenseits der von der obergerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Leitlinie verfolgte, mag auch ein Grund dafür gewesen sein, warum der Große Senat für Strafsachen des BGH in seiner vielzitierten Entscheidung vom 3. März 2005 zur Frage der Wirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts im Rahmen einer Absprache das Handtuch warf und sich am Ende der Möglichkeiten richterlicher
Rechtsfortbildung angekommen sah. Die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des BGH endet mit einem Appell an den Gesetzgeber, die Zulässigkeit und - bejahendenfalls - die wesentlichen rechtlichen Voraussetzungen und Begrenzungen von Urteilsabsprachen gesetzlich zu regeln.

Der Ruf des Großen Senats für Strafsachen ist nicht unerhört geblieben und es liegen mittlerweile eine Reihe von Gesetzentwürfen vor, u.a. ein Referentenentwurf des Bundesministeriums für Justiz eines Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren v. 18. Mai 2006 sowie ein im Bundesrat eingebrachter Gesetzantrag des Landes
Niedersachsen (BR-Drs 235/06), mit Beschluss des Bundesrates vom 15.12.2006, und ein darauf folgender Gesetzentwurf des Bundesrates, eingebracht im Bundestag am 31.1.2007 (BT-Drs. 16/4197).

II. Einwände gegen eine gesetzliche Regelung

Die Einschätzung, dass verfahrensbeendende Absprachen im Sinne von Urteilsabsprachen aus der Verfahrenspraxis nicht mehr wegzudenken sind, wird vermutlich von allen professionellen, am Strafverfahren beteiligten Akteuren geteilt.

Dies besagt jedoch nicht, dass die Praxis einer gesetzlichen Regelung bedarf. Zwar ist auch Sicht der Strafverteidigervereinigungen die gegenwärtige Situation bedenklich, die dadurch gekennzeichnet ist, dass es zwei Arten des Strafprozesses gibt: eine, die der StPO folgt oder zumindest darum bemüht ist und im Lichte der Öffentlichkeit stattfi nden; und eine andere, bei der gesetzliche Prinzipien beiseite lassend, ohne Öffentlichkeit im Schatten der Gerichtsflure der abzuurteilende Sachverhalt, seine rechtliche Bewertung und die zu verhängende Strafe ausgehandelt wird. Freilich werden beide Verfahrensarten kombiniert, bspw. wenn die strafprozessordnungsmäßige und öffentliche Hauptverhandlung von den Akteuren benutzt wird, sich im Hinblick auf die absehbar stattfindenden Deal-Gespräche eine günstige Verhandlungsposition zu erstreiten. Mit dieser Praxis nicht vertraute Prozessbeobachter werden nicht selten nach einigen von harten Auseinandersetzungen geprägten Hauptverhandlungstagen damit überrascht, dass auf einmal Eintracht im Saale herrscht, das Verfahren in kürzester Zeit in entspannter Atmosphäre durch ein Urteil beendet wird und der
Angeklagte obendrein Rechtsmittelverzicht erklärt.

Eine gesetzliche Regelung kann diese Spaltung der Verfahrenspraxis nicht aufheben und den auch im Schatten der Gerichtsflure stattfindenden Teil der Hauptverhandlung formalisieren und damit legitimieren. Sie müsste verschiedenes leisten:

1. Sie muss die Urteilsabsprachen mit den Zielen und Prinzipien der Strafprozessordnung in Einklang bringen und die illegalen Schattenformen der Absprache, wenn schon nicht abschaffen, so doch für alle Beteiligten unattraktiv machen.
2. Sie muss den Angeklagten, das Subjekt des Verfahrens, schützen, indem sie ihn vor Zwang zum Deal bewahrt und ihm bei Scheitern einer Absprache die Rückkehr ins offene und streitige Verfahren sichert, ohne dass ihm daraus ein Nachteil entsteht.

Eine gesetzliche Regelung kann diesen Anforderungen nicht gerecht werden:

1. Unvereinbarkeit mit den Prinzipien des Strafprozesses

Ziel des Strafverfahrens ist es, in einem prozessordnungsgemäßen und fairen Verfahren den wahren Sachverhalt als Grundlage eines gerechten Urteils zur ermitteln. Ein tragendes Element des Strafverfahrens ist daher die richterliche Aufklärungspflicht, die vom Richter verlangt, dass er ein Urteil erst fällen darf, nachdem er den Sachverhalt mit den zur Verfügung stehenden Beweismitteln ermittelt hat.

Urteilsabsprachen, die das Verfahren verkürzen sollen, führen in diesem Sinne zu verfrühten Urteilen, da die Sachverhaltsermittlung im Sinne richterlicher Aufklärung nicht abgeschlossen wird. An die Stelle der Sachverhaltsermittlung tritt eine Art Parteiübereinkunft über den fest zustellenden Sachverhalt und die schuldangemessene Strafe, die beweisrechtlich dann durch ein knappes Geständnis in die Hauptverhandlung eingeführt wird. In einer extremen aber keineswegs ungewöhnlichen Variante sind Urteilsabsprachen geradezu darauf angelegt, richterliche Aufklärung und Sachverhaltserforschung als Grundlage des Urteils zu unterbinden.

Der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofes hat mit Beschluss vom 3. März 2005 die Praxis, die ein knappes Formalgeständnis als ausreichende Urteilsgrundlage hin nimmt, erneut für unzulässig erklärt. Der Referentenentwurf des BMJ vom 18. Mai 2006 hat diesen Appell in dem allgemeinen Teil zur Entwurfsbegründung aufgegriffen. Mit dem Verdikt der Unzulässigkeit dieser Variante der Absprachepraxis wird allerdings nur eine Untergrenze gezogen. Der prinzipielle Widerspruch zwischen richterlicher Pflicht zur umfassenden Sachverhaltsermittlung und der Verkürzung der Sachverhaltsaufklärung im Rahmen einer Urteilsabsprache wird damit jedoch nicht aufgehoben, sondern geradezu betont.
Damit einhergehend ist Bedingung einer Urteilsabsprache vielfach der Verzicht des Angeklagten auf die Sachverhaltsaufklärung und der Verzicht auf die Inanspruchnahme des Beweisantragsrechts als Mittel zur Durchsetzung und Lenkung der gerichtlichen Aufklärungspflicht. Als Legitimationsgrundlage für diesen Verzicht auf wesentliche Instrumente zur Herstellung der Verfahrensgerechtigkeit wird auf ein vermeintlich im Strafverfahren angelegtes »Konsensprinzip« zurückgegriffen, das in verschiedenen gesetzlichen Vorschriften (z.B. § 153 a StPO) angelegt sei, die konsensuale Elemente enthalten.

Abgesehen davon, dass keine der zur Herleitung eines »Konsensprinzips« bemühten gesetzlichen Vorschriften in Richtung einer Urteilsabsprache zielt, verschleiert die Darstellung des »Strafverfahrens als Prozessrechtsverhältnis zwischen den Beteiligten, das deren
Disposition unterliegt, soweit dies gesetzlich vorgesehen ist« den Zwangscharakter jedes Strafverfahrens. Richtig ist, dass der dem Zwang eines Strafverfahrens ausgesetzte Bürger durch die StPO nicht gezwungen ist, sich zu verteidigen. Den fehlenden Zwang zur Verteidigung im Strafverfahren als ein »Konsensprinzip« zu deuten geht fehl. Als legitimatorische Grundlage des Verzichts auf Verteidigungs- und Verfahrensrechts taugt das Konsensprinzip nicht.

Der tiefe Bruch, der die Absprachepraxis mit Grundprinzipien des Strafverfahrens bedeutet, kann nicht durch die Erfindung neuer Prinzipien gekittet werden. Die in der gegenwärtigen Diskussion erörterten Reformregelungsvorschläge lösen den Widerspruch zwischen richterlicher Sachverhaltsermittlungspflicht und Absprachenpraxis nicht auf. Eine Reform, die den Bruch der Praxis mit den Verfahrensprinzipien der StPO gesetzlich sanktioniert, hilft nicht nur nicht, sondern gefährdet die dem Angeklagten schützenden Prinzipien des Strafprozesses und verwässert sie, indem der Widerspruch ins Gesetz übertragen wird.

Überdies hätte eine gesetzliche Regelung, die sich darauf beschränkt, die vom Bundesgerichtshof aufgestellten Leitlinien für Urteilsabsprachen zu normieren, wenig Aussichten, die in der Praxis beklagten Auswüchse bei den Urteilsabsprachen einzudämmen.

In einer Entscheidung aus dem Jahr 1997 hatte der 4. Strafsenat des BGH unter anderem folgende Eckpunkte für Urteilsabsprachen aufgestellt:
- der Schuldspruch steht nicht zur Disposition
- Verbot einer Punktstrafe; allein zulässig soll die Zusage einer Strafobergrenze sein
- Schuldangemessenheit in der verhängten Strafe
- Verbot der Drohung mit einer höheren Strafe und des Versprechens eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils (sog. Sanktionenschere)
- Verbot der Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichtes mit dem Angeklagten.

Diese Klarstellung war unmissverständlich. Auch wenn sie nicht gänzlich unbeachtet blieb, hat diese Entscheidung die Praxis im Großen und Ganzen wenig beeinflusst. Der Bundesgerichtshof hatte seitdem immer wieder Gelegenheit, durch Absprachen zustande gekommene Urteile auf die Einhaltung der oben genannten Leitlinien zu überprüfen. Vertreter der Richterschaft rügen auch jüngst noch, dass im Rahmen von Absprachen nach wie vor angeblich schuldunangemessen niedrige Strafen verhängt werden und immer wieder ist zu beobachten, dass die zugesagte Strafobergrenze tatsächlich als Punktstrafe gemeint ist|2. Auch gegen die Protokollierung und die Einbeziehung aller Verfahrensbeteiligten bei der Absprache gibt es auch nahezu zehn Jahre nach der Grundsatzentscheidung des 4. Strafsenats des BGH in der Praxis noch immer Widerstände|3. Die Hoffnung, dass eine Ergänzung der StPO, die die von der Rechtsprechung entwickelten Leitlinien in Gesetzesform gießt, dazu beiträgt, die Absprachepraxis in geordnete Bahnen zu lenken, scheint angesichts dieser Entwicklung gering.

2. Schutz des Angeklagten

a) Schutz vor Zwang zur Absprache

Um die Justizförmigkeit und Fairness des Verfahrens zu wahren, müsste eine gesetzliche Regelung Vorkehrungen treffen, um den Angeklagten vor Zwang zu einer verfahrensverkürzenden Absprache zu bewahren.

Ein probates Mittel, den Angeklagten unter Druck zu setzen, ist das Eröffnen der »Sanktionenschere« oder der drohende Erlass bzw. die Invollzugsetzung eines Haftbefehls. Der Anreiz, auf den Angeklagten in unzulässiger Weise Druck auszuüben, ist besonders hoch, wenn durch die erstrebte Absprache eine lange und komplizierte Beweisaufnahme erspart werden kann. Die prozessualen Mittel, die dem Angeklagten gegen solche Drohszenarien zur Verfügung stehen, sind beschränkt:

Ein Verstoß gegen § 136a StPO kann der Angeklagte nur geltend machen, nachdem er sich dem Druck gebeugt und ein Geständnis abgelegt hat. Das Ergreifen dieses Rechtsbehelfs lässt sein Verhalten daher widersprüchlich erscheinen und bürdet ihm überdies das Risiko auf, beim Nachweis des Verfahrensverstoßes auf Beweisschwierigkeiten zu stoßen. Denn wenn die Eröffnung der Sanktionenschere oder die Drohung mit Inhaftierung nicht aus nahmsweise eindeutig im Hauptverhandlungsprotokoll dokumentiert ist und die drohenden Verfahrensbeteiligten ihr Verhalten nicht einräumen, droht im Freibeweisverfahren über den Sachverhalt ein Non-liquet. Gleiches gilt für ein Ablehnungsgesuch des Angeklagten, da er den zur Ablehnung führenden Sachverhalt glaubhaft zu machen hat. Wenn die abgelehnten Richter den Sachverhalt bestreiten, wird das Ablehnungsgesuch nur selten Aussicht auf Erfolg haben. Die Strafprozessordnung gibt dem Angeklagten daher gegen Nötigungsversuche zum Dealen nur stumpfe Waffen an die Hand. Hinzu kommt, dass die so genannten »Sondierungsgespräche« üblicherweise unter der stillschweigenden Zusicherung der »Vertraulichkeit« geführt werden und der Angeklagte deshalb befürchten muss, sich durch den mit der Einlegung des Rechtsbehelfs einher gehenden »Vertrauensbruch« den Zorn des Gerichtes zuzuziehen.

Ein wirksamer Schutz vor unzulässigem Zwang könnte daher nur durch eine vollständige Formalisierung und Dokumentation der so genannten »Sondierungsgespräche« erreicht werden. Wie auch immer man sich eine solche Regelung denken mag, ist kaum vorstellbar, dass sie den informellen Charakter der Absprachepraxis vollständig in den Griff bekäme.

b) Gescheiterter Deal

Eine gesetzliche Regelung der Urteilsabsprache dürfte sich nicht nur mit dem Fall befassen, dass es zu dem abgesprochenen Urteil kommt, sondern auch mit dem Fall der gescheiterten bzw. gar nicht erst zustande gekommenen Absprache.

Mit der nicht zustande gekommenen Absprache ist der nicht seltene Fall gemeint, dass die Verfahrensbeteiligten in Sondierungsgespräche über eine Urteilsabsprache eintreten, es aber zu keiner Einigung über die essentialia negotii kommt und deshalb die normale streitige Hauptverhandlung weitergeführt wird. Auch der seine Schuld bestreitende Angeklagte kann gute Gründe haben, in Sondierungsgespräche einzutreten, etwa weil er das Risiko einer langwierigen belastenden und kostspieligen Freispruchsverteidigung selbst bei Erfolgsaussichten im Hinblick auf persönliche und berufliche Konsequenzen nicht eingehen mag. Man denke nur an das Mannesmann-Verfahren. Mit der nach außen signalisierten Bereitschaft zur Verständigung riskiert der Angeklagte, seine Verteidigungshaltung zu kompromittieren:

Auch erfahrenen Richtern dürfte es schwer fallen, einem im Verhandlungssaal seine Unschuld beteuernden Angeklagten zu glauben, wenn sein Verteidiger parallel dazu auf den Gerichtsfluren die Möglichkeit einer auf eine Verurteilung hinauslaufenden Urteilsabsprache sondiert. All die von einem sachkundigen Verteidiger in diesem Fall vorgebrachten Kautelen und Vorbehalte können die verheerenden psychologischen Folgen einer einmal signalisierten Verständigungsbereitschaft nicht vermeiden. Bereits das Einlassen auf Sondierungsgespräche ist daher ein irreversibler Schritt, der die Chancen auf Durchsetzung des ursprünglich anvisierten Verteidigungszieles beträchtlich mindern kann.

Noch gravierender stellt sich das Problem dar, wenn es zu einer Absprache kommt, der Angeklagte daraufhin mit einem Geständnis oder anderem Prozessverhalten in Vorleistung tritt und das Gericht später von der Absprache zurücktreten will, etwa weil sich im Laufe des Verfahrens wesentliche straferschwerende Umstände ergeben haben.

Sofern ein solcher Rücktritt des Gerichts wegen »Wegfalls der Geschäftsgrundlage« zulässig ist, kann die einzige Sanktion zum Schutz des in Vorleistung getretenen Angeklagten ein absolutes Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der von ihm erbrachten Vorleistung sein. Jede andere Lösung würde nicht nur bestimmte Manipulationen begünstigen, sondern wäre essentiell unfair. Aber auch bei Geltung eines umfassenden Beweisverwertungsverbotes sind die Chancen des Anklagten, von den Richtern, vor denen er ein (qualifiziertes) unverwertbares
Geständnis abgelegt hat, einen Freispruch oder jedenfalls eine vom Geständnis abweichende mildere Verurteilung zu erhalten, gleich null. Ein wirksamer Schutz des Angeklagten vor den nachteiligen psychologischen Folgen einer einmal gezeigten Verständigungsbereitschaft kann nur dadurch gewährleistet werden, dass die Verständigungsbemühungen in einem anderen Forum stattfinden, so dass die für ein streitiges Verfahren berufenen Richter davon nichts erfahren.

III. Fazit

1. Eine gesetzliche Regelung, die sich darauf beschränkt, die vom Bundesgerichtshof im Wege richterlicher Rechtsfortbildung festgelegten Leitlinien zu Urteilsabsprachen in Strafverfahren in Gesetzesform zu gießen, ist nicht nur überflüssig, sondern schädlich:

Der Große Senat in Strafsachen des Bundesgerichtshofs hat im Beschluss vom 03.03.2005 festgestellt, dass die bis dato entwickelten Leitlinien die Grenzen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung zwar erreichen, aber nicht überschreiten. Damit sind diese Leitlinien geltendes Recht, das die Instanzgerichte bindet, wenngleich die Leitlinien dort nur auf geringe Akzeptanz gestoßen sind. Eine Gesetzesfassung dieser Leitlinien würde den rechtlichen Rahmen für Absprachen daher nicht verbessern und den Bruch der Praxis mit der Inquisitionsmaxime und der richterlichen Aufklärungspflicht ins Gesetz übernehmen und die bislang uneingeschränkt geltenden Prozessmaximen in Frage stellen. Dies wäre ein weiterer
Schritt auf dem Weg zur Erosion der Prozessmaximen.

2. Der fundamentale Bruch, den die Absprachepraxis mit dem von der StPO vorgesehenen Verfahrensmodell bedeutet, sollte vielmehr Anlass dafür geben, tiefer und fantasievoller über die notwendige Reform des Strafverfahrens nachzudenken. Dies hat offenbar auch der Große Senat in Strafsachen des Bundesgerichtshofs in seinem Appell an den Gesetzgeber im Sinne gehabt, als er die Grenzen der zulässigen richterlichen Rechtsprechung für erreicht erklärte
und auf den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers hinwies.

3. Die Strafverteidigervereinigungen sprechen sich daher gegen eine gesetzliche Regelung der Urteilsabsprachen aus. Vielmehr werden neue Modelle benötigt, um den Strukturwandel in der Praxis in gesetzliche Bahnen zu lenken. Der alternative Vorschlag des Strafrechtsausschusses des DAV zur Einführung eines Schuldinterlokutes weist in eine Richtung, über die es sich nachzudenken lohnt: die Einführung und Formalisierung offener Kommunikation im Strafverfahren.

Die Diskussion hierüber ist erst am Anfang, übereilte gesetzgeberische Maßnahmen, die sich letztlich nur einer fragwürdigen Praxis beugen, sind nicht angezeigt.

Anmerkungen:
1 | Die empirische Studie von Altenhain/Hagemeier/Haimerl »Die Praxis der
Absprachen an den Wirtschaftsstrafkammern in Nordrhein-Westfalen«, Nomos
2007, vorgestellt in NStZ 2007, 71, beruht auf einer Befragung von Richtern,
Staatsanwälten und Strafverteidigern. Die Auswahl der Befragten ist jedoch auf den
»Tätigkeitsschwerpunkt« Wirtschaftsstrafrecht und beschränkt und umfasste jedenfalls
bei der Richterschaft ausschließlich Richter aus NRW. Die Aussagen der Studie können
daher nicht repräsentativ für den gesamten Bereich des gesamten Strafverfahrens sein.
2 | Nach der Studie von Altenhain/Hagemeier/Haimerl (s. Fn 1) haben 66,4 % der
Befragten bekundet, dass die später verhängte Strafe typischerweise exakt mit der
Obergrenze übereinstimme, vgl NStZ 2007, 71, 73.
3 | Nach der Studie von Altenhain/Hagemeier/Haimerl (s. Fn 1) haben nur 20,7 % der
Befragten bekundet, dass eine Absprache immer im Protokoll vermerkt werde, 21,5 %
hingegen gaben an, dass noch nie ein entsprechender Vermerk aufgenommen worden
sei, 57,9 % gaben an, schon beides erlebt zu haben, vgl. NStZ 2007, 71, 75.

Stellungnahme der Strafverteidigervereinigungen zum Vorschlag einer gesetzlichen Regelung von Absprachen im Strafverfahren, Mai 2007

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